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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Eine Nachlese zur 58.  Biennale von Venedig

Arte alta und Aqua alta

von Jürgen Pitzer

Alle Tore der Biennale sind nun endgültig geschlossen. Zeit genug, um Bilanz zu ziehen, eine sehr persönliche, angereichert mit den Erfahrungen eines häufigen Besuchers und immer noch Liebhabers von Venedig sowie der sachkundigen Begleitung einer Gruppe von ebenfalls in Kunst und Venedig Verschossenen.

Die Skulptur „Building Bridges“ von Lorenzo Quinn, Foto: Jürgen Pitzer

Für den fachkundigen Besucher gibt es eigentlich nur zwei mögliche Besuchstermine: Entweder man zählt zu den geladenen Gästen und ist noch vor dem großen Publikumsandrang am Anfang Mai dabei, oder man ist Teil der gewachsenen Gemeinde der Interessierten an den zeitgenössischen Trends in der inzwischen global vernetzten Kunstszene, die sich alle zwei Jahre nach Venedig aufmacht, um hier am Ende der Ausstellung im November in Ruhe und in Kenntnis der einschlägigen Kritiken sachkundig auf eine eigene Entdeckungs-Tour zu gehen.

In diesem Jahr prägte das aqua altissima  eindrücklich die Besichtigung und Präsentation der Ausstellungen, waren doch einige Räume schlicht unter Wasser und daher mindestens zeitweise unzugänglich, während der Regensturm andere Kunstwerke buchstäblich zerrissen hat. Da halfen auch die sechs um Gnade ringenden Händepaare von Lorenzo Quinn – Sohn des Schauspielers Anthony Quinn nicht, welche die Einfahrt zum Arsenale weit und weiß überspannten.

Auf ganz unfreiwillige Weise ging aber dadurch das diesjährige Motto in Erfüllung, das Ausstellungsmacher Ralph Rugoff den Besuchern „May you live in interesting times“ wünschte, wobei ohnehin noch das Rätsel zu klären ist, ob sich dahinter ein alter chinesischer Fluch oder eine freundliche Einladungsgeste versteckt.

„Sinking Ship“ von Studio Job, Foto: Jürgen Pitzer

Rätselhaft bleibt jedenfalls auch nach dem Besuch, was eigentlich Kunst im Zeitalter der großen politischen Diskurse beitragen kann und soll. Denn um diesen ehrgeizigen Versuch drängte sich Vieles, was die 79 Künstler aus aller Welt ausstellten. Da ging es um die Folgen von Flucht und Vertreibung ebenso wie um das Aufzeigen von Rassismus und Unterdrückung, Frauendiskriminierung, Klimawandel, Globalisierung und Digitalisierung, kurzum, es waren alle weltweit diskutierten Themen zur Stelle. Eine mögliche beispielgebende Antwort des künstlerischen Vermögens hätte ohne Zweifel die immer viel beachtete Auszeichnung für den Goldenen und Silbernen Löwen geben können.

Als bester Künstler erhielt Arthur Jafa für sein Werk „The White Album“ , ein Video, in dem er den immer noch allgegenwärtigen Rassismus in den USA zeigt, den Goldenen Löwen, und die Nachwuchskünstlerin Haris Epaminonda aus Zypern wurde mit dem Silbernen Löwen ausgezeichnet. Und Jimmie Durham, der mit seinen unverwechselbaren Cross-Over Tierchimären im Arsenale ausstellte, wurde für sein Lebenswerk geehrt, das auf vielfältige Weise mit dem Kampf für die Rechte der indigenen Urbevölkerung Amerikas verbunden ist.

„Eurasian Lynx“, Installation von Jimmie Durham, Foto: Jürgen Pitzer

Eine in vielerlei Hinsicht überraschende Wahl fiel auf den Litauischen Pavillon als besten nationalen Beitrag. Es könnte sein, dass der Goldene Löwe hierüber mindestens erstaunt war, wenn nicht gar fürchterlich gelacht hat, wurde doch mit „The Sun and the Sea“ ein Beitrag gewürdigt, in dem drei Künstlerinnen in einer Live-Performance sich diverse repräsentative Touristen-Darsteller im Sand räkeln lassen, die sich über alles so austauschen, was man im Urlaub so von sich gibt, staunend von oben durch die Besucher betrachtet.

So jedenfalls musste es der Autor dieser Zeilen im Netz nachsehen und lesen, weil der Pavillon bereits – wohl als Folge des Aqua alta – vorzeitig geschlossen wurde. Das war ein I-Tüpfelchen für den merkwürdigen Versuch, ausgerechnet in der Stadt, die von den Touristen- und den durch sie mitausgelösten Wasserwellen überflutet wird, eine künstlerische Verarbeitungsanleitung zu geben. Treffender, ja geradezu selbstironisch auf den Punkt gebracht, hat es da der Venezianische Pavillon selbst, wo man sich das Aqua-alta-Gefühl abholen konnte, indem man über und durch das plastikversiegelte Wasser stapfte.

Der mit Wasser gefüllte Plastikschlauch im Padiglione Venezia, Foto: Jürgen Pitzer

Mit besonderem Bedauern musste der Beobachter auch zur Kenntnis nehmen, dass der Israelische Pavillon infolge der notwendigen Aufräumarbeiten nach Wassereinbruch geschlossen war. Nur zu gerne hätte er die Erfahrung des Field Hospitals gemacht. In diesem Experiment wird nach dem Entwurf von Aya Ben Ron unter Nutzung der Organisationsstruktur eines Krankenhauses, also Empfang, Untersuchung, Besprechung, Behandlung etc. eine Kunstwelt erschaffen, in der „Anyone can live free“  versprochen wird, indem die verdrängten Stimmen hörbar und Ungerechtigkeiten sichtbar gemacht werden.

Animierend waren natürlich noch weitere; sie alle ausführlich zu besprechen würde die Aufmerksamkeitsspanne auch des geneigtesten Lesers überstrapazieren. In aller gebotenen Kürze seien nur noch wenige erwähnt: Russland war mit einer bemerkenswerten Darbietung vertreten, in der unter Anspielung und Ausdeutung alter Kunstwerke, zentral das Rembrandt-Gemälde von der Heimkehr des verlorenen Sohnes eine komplette Installation geschaffen wurde, deren Wirkung im abgedunkelten Raum umso eindrücklicher war. Im Untergeschoss tanzte ein überdimensionales Marionettentheater, wobei sinnigerweise der Figur mit Namen Freiheit offenbar das Genick gebrochen war.

Die Heimkehr des verlorenen Sohnes, Skulptur von Mikhail Vilchuk und Alexander Sokurov, Foto: Jürgen Pitzer 

Frankreich lud ein zu einer vielgestaltigen Videoreise durch ein fiktionalisiertes Paris und Umgebung, indem sich die verschiedensten Menschen begegnen, zueinander finden und wieder entfernen. Mit Magie und Tanz, Musik und Bewegung wird ein poetischer visueller Möglichkeitsraum geschaffen. Bemerkenswert auch der Brasilianische Pavillon, der im Breitbandformat und mit gehörig lauter Sambamusik unter dem sinngebenden Titel “Swinguerra“ die Übungen von Transgendergruppen für den großen Auftritt wiedergab. Und schließlich muss noch der Deutsche Pavillon kürzest erwähnt werden.

Alexandra Birken, „Angie“ Foto: Jürgen Pitzer

Wertet man die Besucherzahl, dann gehörte er zu den unattraktivsten der Ausstellung – und das zurecht. Denn im Jahre 30 nach dem Mauerfall ziert eine Betonmauer quer durchs Gebäude die Ausstellung, deren Grau nur durch das Blau von ein paar Plastikkisten unterbrochen wird. Das und ein schräg gestelltes Plakat für eine neue Tomatensorte soll eine Beschreibung der Ausbeutung sein, die der Kapitalismus in der Welt, allen voran in Italien, anrichtet, so die unter dem Kunstnamen Natascha Süder Happelmann als Pappmasche`-Bekopfte Künstlerin Natascha Sadr Haghighian.

Eindrücklicher ist vielleicht das „Angie“ betitelte Werk von Alexandra Birken, das in dem Hauptgebäude hängt. In dessen Eingangsbereich zieht der von den Chinesen Sun Yuan und Peng Yu programmierte Roboter der ehemals deutschen Firma Kuka die faszinierte Aufmerksamkeit vor allem junger Besucher auf sich.

Renate Bertlmann, „Wars of Roses“ , Foto: Jürgen Pitzer

Erwähnt sei auch der österreichische Ausstellungsraum, den Renate Bertlmann unter dem Titel „Discordo Ergo Sum“ nicht jugendfrei, aber optisch interessant und nach der Häufigkeit der dort kostenlos abzugreifenden Plakate auch publikumswirksam gestaltet hat.

Neu und gut: Ghanas Pavillon

Es gibt einige besondere Entdeckungen, die der Betrachter mit manchem Kritikus gerne teilt, z.B. die erstaunliche Präsentation des Newcomers Ghana. Gestaltet nach alter ghanaischer Bauweise eröffnet der Pavillon als Museum en miniature den Einblick in die sehr aktive ghanesische Künstlerszene, von der Fotografie, über Videos bis hin zu den aus ockerbraunem Werken aus Lehm von El Anatsui, dem in diesem Jahr im „Haus der Künste“, München, eine vom inzwischen verstorbenen Documenta-Direktor Okwui Enwezor kuratierte Ausstellung gewidmet war.

Ausschnitt aus dem ca. 10 Meter breiten Werk von El Anatsui, das aus Kronenkorken hergestellt wurde. Es trägt den Titel „Earth Shedding its Skin“, Foto: Jürgen Pitzer

Ein besonderes Museum: Chile und die weiße Vergangenheit – und Gegenwart?

Eine weitere Entdeckung ist der von Voluspa Jarpa gestaltete Pavillon, der unter dem Titel „The Hegemonic Museum“ die eurozentristische Vergangenheit der letzten rund 300 Jahre aufarbeitet. Keineswegs nur als Flachwaren-Darstellung verbindet der Gestalter die entscheidenden Stationen mit markanten, teilweise überraschenden kunstvollen Darstellungen. Von Zeitungsartikeln über Miniaturen  bis hin zur Oper reicht das Repertoire und macht Geschichte eingängig lebendig.

Ein Kaleidoskop des Horrors führt den Besucher in das ,Herz der Finsternis‘, Ausschnitt aus der Installation „The Hegemonic Museum“, Foto: Jürgen Pitzer

Ein Zwischenfazit:

Es wurden bei dieser Biennale die Arbeiten lebender Künstler gezeigt, die sich mit aktuellen Themen auseinandersetzen. Sie finden überraschend vielseitige Antworten auf die Frage, wie man solche Probleme bündig darstellen kann. Es gibt jenseits der individuellen Darstellungen einige Entwicklungen, die man vorsichtig als Trends bezeichnen kann: Die Verwendung von Videos wächst, die technische Raffinesse nimmt zu, Musik und andere Darstellungsformen werden integriert, es entsteht mit dem Einsatz von digitalen Techniken erweiterte Darstellungsformen, bei denen Realität und Artefakte migrieren.

Im Zuge dessen nimmt die Verwendung von Dunkelkammern als Stilmittel zu. Inhaltlich nimmt der Anspruch, politische Themen künstlerisch beantworten zu können, zu. Der Eurozentrismus bei der Themenwahl nimmt ab, insbesondere afrikanische und südamerikanische Themen gewinnen an Bedeutung, Klima, Flüchtlinge und Gewalt.

Venedig ist in den Zeiten der Biennale ein Gesamtkunstwerk. Nicht nur im Arsenale und den Pavillons der Giardini ist die Kunst zugegen. Viele interessante Ausstellungen befinden sich auch in den Palästen und sogar auf den umliegenden Inseln. Alle Orte in überschaubarer Zeit zu besuchen, würde selbst den begnadesten Organisator überfordern. Daher muss man den Mut zur Lücke aufbringen und wählen.

Franz von Lenbach, Porträt der Baronin Franchetti, Foto: Jürgen Pitzer

Diesmal fiel die Wahl auf die Galleria Franchetti im Ca´d´ Oro, einem der prächtigsten Paläste am Canale Grande. In dem überreich mit unglaublich kostbaren alten Schätzen – Bildern wie Schnitzereien und Plastiken – bestückten Palast hatte sich eine Künstlergemeinschaft unter dem Titel „Dysfunctional“ auf drei Stockwerken mit höchst unterschiedlichen Arbeiten präsentiert: Leuchter aus bunten Plastikabfällen, Türen zum Paradies aus Beton, eine Videoarbeit über die vergehende Zeit und mehrere Arbeiten zum Thema „Aqua alta“. Ironischer Weise war das Erdgeschoss wegen des aktuellen Hochwassers nicht zugänglich. Die Spannung zwischen den „alten“ und den aktuellen Kunstwerken vibrierten in dem Raum, erfüllten ihn mit neuem Leben. Faszinierend!

Wenn es eine der vornehmsten Aufgaben von Ausstellungen wie der Biennale ist, „die Augen der Menschen zu öffnen….und so ihre Sicht auf die Welt verändern“, so Rugoff, dann war auch diese Biennale erfolgreich, wenngleich etwas „verwässert“! Freuen wir uns in diesem Sinne auf die kommenden Ausstellungen, in Venedig und anderswo!

 

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