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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Musikalische Matinee mit Jean Muller im Gästehaus der Frankfurter Goethe-Universität

Von Friedrich dem Großen über Johann Sebastian Bach und Wolfgang Amadeus Mozart zu Ludwig van Beethoven

Von Erhard Metz

Zum dritten Mal konnte ein musikaffines Publikum Ende Oktober 2019 eine musikalische Matinee im Gästehaus Villa Cahn der Frankfurter Goethe-Universität erleben – dieses Mal mit dem international gefeierten Konzertpianisten Professor Jean Muller, eine Veranstaltung wiederum in Zusammenarbeit der Konzertpianistin, Musikcoachin und Konzertorganisatorin Viviane Goergen und Professor Jürgen Bereiter-Hahn, Vorsitzender des Stiftungsrates der „Stiftung zur Förderung der internationalen wissenschaftlichen Beziehungen der Johann Wolfgang Goethe-Universität“.

Gelungene Kooperation: Viviane Goergen und Professor Jürgen Bereiter-Hahn, Fotos: Erhard Metz

Vorangegangen waren Matineen mit dem Pianisten Alexander Koryakin Ende September 2018 und der Pianistin Maria Sintamarian Anfang Mai 2019. Ein dritter Mitwirkender an dem außergewöhnlich anspruchsvollen Konzert war das Frankfurter C. Bechstein Centrum, das dem Meister der weißen und schwarzen Tasten einen seiner virtuosen Könnerschaft adäquaten Flügel kostenfrei zur Verfügung stellte.

In der Tat außergewöhnlich war die Programmfolge dieser Matinee aus eher seltener zu hörenden Kompositionen der „Großen Drei“ der europäischen abendländischen Musik Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven: von ersterem das Ricercar a 6 (Auszug aus dem Musikalischen Opfer, BWV 1079), von Mozart die Fantasie (Nr. 4) in c-moll KV 475 und von van Beethoven schließlich die Klaviersonate Nr. 32 c-Moll op. 111. Mit der Reihenfolge dieser Werke hat es eine besondere Bewandtnis: Sie stehen musikalisch-motivisch aufeinander folgend in einem inneren Zusammenhang. So waren sie in dieser Abfolge beispielsweise auch im Mai 2013 im Rahmen der Salzburger Festspiele in der Stiftung Mozarteum zu hören, gespielt von Professor András Schiff. Doch nicht genug: Die drei Werke gehen auf ein Fugenthema des preußischen Königs Friedrich II. „des Großen“, des „Alten Fritz“, höchstpersönlich zurück.

Man schrieb das Jahr 1747. Johann Sebastian Bach weilte im Mai beim preußischen König auf Schloß Sanssouci. Verschiedenen Überlieferungen nach sollte Bach die Qualität der zahlreichen neuen Pianofortes im Schloß beurteilen. Aber der „Alte Fritz“, selbst begabter Komponist einer Vielzahl an Flötensonaten und -konzerten und ein Virtuose dieses Instruments, stellte herausfordernd Bachs vielgerühmtes Improvisationsgenie auf die Probe, indem er ihm ein recht komplexes Fugenthema vorspielte mit der Vorgabe, ihm daraus an Ort und Stelle eine dreistimmige und dann sogar noch eine sechsstimmige Fuge zu improvisieren.

Treffpunkt Friedrich II. „des Großen“ und Johann Sebastian Bachs: Schloß Sanssouci

Während Bach eine dreistimmige Improvisation zum „allergnädigsten Wohlgefallen“ des Königs und zur Verwunderung der anderen Anwesenden ausführte, war wohl letzteres jedoch, wie überliefert, selbst dem Großmeister nicht möglich, weshalb er eine sechstimmige Fuge über ein eigenes Thema spielte und Friedrich versprach, alsbald nach Rückkehr in Leipzig über das „königliche Thema“ die gewünschte sechsstimmige Komposition zu fertigen, was denn auch geschah. Beide (als Ricercar a 3 und Ricercar a 6 bezeichneten) Fugen wurden, zusammen mit einer weiteren Fuge, mehreren Kanons sowie einer Triosonate u.a. für Flöte, unter dem Titel „Musicalisches Opfer“ gedruckt und Friedrich mit der Widmung überbracht „Allergnädigster König, Ew. Majestät weyhe hiermit in tieffster Unterthänigkeit ein Musicalisches Opfer, dessen edelster Theil von Deroselben hoher Hand selbst herrühret. Mit einem ehrfurchtsvollen Vergnügen erinnere ich mich annoch der ganz besondern Königlichen Gnade, da vor einiger Zeit, bey meiner Anwesenheit in Potsdam, Ew. Majestät selbst, ein Thema zu einer Fuge auf dem Clavier mir vorzuspielen geruheten, und zugleich allergnädigst auferlegten, solches alsobald in Deroselben höchsten Gegenwart auszuführen“*). Über eine Rückäußerung Friedrichs des Großen gegenüber Bach oder gar eine Entlohnung für dessen meisterhaftes Fugenwerk ist nichts bekannt.

Jean Muller und Viviane Goergen nach dem Matinee-Konzert

Jean Muller, uns bekannt durch ein frühes Hauskonzert bei Viviane Goergen und seine von großer Reife zeugenden Goldberg-Variationen in der Alten Oper Frankfurt, begeisterte erneut durch eine kaum für möglich gehaltene Breite seines musikalischen Ausdrucks – von großer Empfindsamkeit, Innigkeit und einer gleichsamen Verschmelzung mit dem Instrument bis zu imperial-heroisch donnernden Ausbrüchen im Fortissimo.

An jenem Sonntag lernten wir den Professor am Conservatoire de la Ville de Luxembourg zugleich als ebenso begabten Moderator seiner zu Gehör gebrachten Werke kennen: unvergleichlich, wie er mit pädagogisch-didaktischem Geschick von der Begegnung Friedrichs mit Bach erzählte und anhand von Ton- und Akkordfolgen dem Auditorium das „königliche Thema“ darstellte und erläuterte.

Bachs durchgeistigtes und von hoher musikalischer wie kompositorischer Inspiration wie Intellektualität geprägtes sechstimmiges Ricercar vermag den empfänglichen Hörer in ferne Sphären zu entrücken – es ist, drei Jahre vor seinem Tod in Notenschrift niedergelegt, eines der wichtigsten Zeugnisse seines reifen Spät- und Alterswerkes. Bewundernswert immer wieder die bei aller filigranen Kontrapunktik der Kompositionen nicht selten nahezu liedhafte Melodik. Jean Muller erweist sich, wie Viviane Goergen ausführt, Dank seiner geistigen, technischen und emotionalen Meisterschaft als dessen würdiger wie berufener Interpret.

In gleicher Weise, wiederum begleitet von beispielhaft erläuternden Ton- und Akkordfolgen, führte Muller dem Publikum zu Gehör, wie Wolfgang Amadeus Mozart auf das „königliche Thema“ aufmerksam wurde und dieses im Jahr 1785 in seiner Fantasie (Nr. 4) in c-moll KV 475 in seine eigene musikalische Sprache umsetzte, namentlich sogleich zu Beginn des ersten Satzes. Der Fantasie, die übrigens als einzige dieser Improvisationen in Druck ging, sei der Vollständigkeit halber vermerkt, ging bereits ein Jahr zuvor in ähnlicher Weise eine Klaviersonate (Nr. 14 KV 457) voraus. Die von Mozart-Kennern vielfach als sein bedeutendstes Klavierwerk apostrophierte „Phantasia“ trägt die Satzbezeichnungen Adagio, Allegro, Andantino, Più Allegro und Tempo primo. Der inzwischen unter anderem als ausgewiesener Mozart-Experte geltende Muller brachte das Werk, von anschließenden Beifallsstürmen bedacht, in all dessen klanglichen Stimmungen und seinem von dunklen c-Moll-Klängen wie aufbrausenden Temperamentsausbrüchen charakterisierten Facettenreichtum höchst sensibel wie virtuos zu Gehör.

Auch Ludwig van Beethovens 1821 geschriebene letzte Klaviersonate Nr. 32 c-Moll op. 111 mit den beiden Sätzen (1) Maestoso – Allegro con brio ed appassionato sowie (2) Arietta. Adagio molto semplice e cantabile steht, wie Muller wiederum durch Klangbeispiele illustriert aufzeigte, in einem motivischen Zusammenhang mit dem „königlichen Thema“ Friedrichs II. aus dem Jahr 1747, gerade auch in seiner Wahrnehmung und musikalischen Ausdeutung durch Wolfgang Amadeus Mozart. Das alte Thema des „Alten Fritz“ und seine Ableitungen und Variationen bei Mozart und Beethoven: ein wunderbares Beispiel für ein „Auf den Schultern des Vorgängers Stehen“ in der Entwicklung klassischer Kompositionskunst**).

Der berühmte Schweizer Pianist und Dirigent Edwin Fischer charakterisierte diese gewaltige Beethoven-Sonate wie kein anderer: „In diesen zwei Sätzen finden wir das Diesseits und das Jenseits versinnbildlicht“. Wer sonst als derzeit Jean Muller kann mit seinem Spiel dieser Feststellung gerecht werden.

Professor Bereiter-Hahn, Viviane Goergen und Professor Jean Muller

„Jean Mullers Spiel besticht durch eine außergewöhnliche künstlerische Wahrhaftigkeit, die oft den Eindruck erweckt, als säße der Komponist selber am Klavier“, schreibt Viviane Goergen. „Von 2007 an, als ich Jean Muller in Luxemburg kennen gelernt habe, gab es eine Zusammenarbeit mit ihm. Einige Konzerte konnte ich ihm in Frankfurt vermitteln. Die Zusammenarbeit bereitete viel Freude und es war faszinierend mitzuerleben, wie dieser junge Pianist sich, Schritt für Schritt, mit einer Kontinuität, einer Beharrlichkeit und einer Konsequenz an die Spitze hocharbeitete. Seine Einspielung der Goldbergvariationen von Bach, beispielsweise, wurde von der internationalen Fachpresse als beste, einfallsreichste, aufregendste, interessanteste und lebhafteste Einspielung seit Glenn Gould beschrieben. Er habe – so der bedeutende Musikwissenschaftler und -kritiker Attila Csampai – den Gedanken Glenn Gould’s in das 21. Jahrhundert übertragen.“

*) Online-Kammermusikführer der Villa Musica, Villa Musica Rheinland-Pfalz, Mainz
**) Ortrun Cramer, Das „Königliche Thema“ aus dem Musikalischen Opfer im Dialog zwischen Bach, Mozart und Beethoven, publiziert vom Schiller-Institut, Vereinigung für Staatskunst e.V., Wiesbaden

→ Musikalische Matinee in der Goethe Universität mit der rumänischen Pianistin Maria Sintamarian
→ Musikalische Matinee mit Alexander Koryakin im Gästehaus der Frankfurter Goethe-Universität
→ Pianist Jean Muller im Hauskonzert von Viviane Goergen und in der Alten Oper Frankfurt

 

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