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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Lady Macbeth von Mzensk“ von Dmitri D. Schostakowitsch an der Oper Frankfurt

Katerina – ein Produkt ihrer Umgebung – getriebenes Opfer

von Renate Feyerbacher

Fotos: Barbara Aumüller / Oper Frankfurt

Kein einziges Mal gab es Zwischenbeifall bei der Premiere von „Lady Macbeth von Mzensk“ am 3. November in der Oper Frankfurt und das war eine wahre Wohltat. Gezollt war das dem hoch dramatischen, ernsten Thema. Nach der Vorstellung dafür überwältigender Beifall für das sängerische und das orchestrale und auch beachtlich wohlwollend für das inszenierende Team.

v.l.n.r. Julia Dawson (Axinja), Anja Kampe (Katerina Ismailowa; kniend), Theo Lebow (1. Vorarbeiter; hinter ihr mit Schaufel in der Hand), Dmitry Belosselskiy (Boris Ismailow; mit Stock) und Evgeny Akimov (Sinowi Ismailow) sowie Ensemble

Die Geschichte

Dmitri D. Schostakowitsch, der Komponist selbst, schrieb zusammen mit Alexander G.Preis das Libretto. Es beruht auf der Erzählung des russischen Schriftstellers Nikolai S.Leskow (1831-1895), der anfangs Kanzleibeamter beim Kriminalgericht war. Es folgten verschiedene Tätigkeiten, erst um 1860 begann er mit dem Schreiben von Erzählungen. Er reiste oft und kam in der Provinz mit vielen Menschen zusammen. Seine Anstellung im Kultusministerium, die er mit 43 Jahren angetreten hatte, verlor er, nachdem er sich kritisch über Staat und Kirche geäußert hatte. Engagierte Demokraten hielten ihn jedoch für einen Reaktionär.

Es geht in „Lady Macbeth von Mzensk“ um Katerina, eine betuchte Kaufmannsfrau, die in ihrem Leben keinen Sinn sieht, in ihrer Ehe keine Liebe und keine Zärtlichkeit erfährt, die kinderlos ist. Die eigentlich gebildete Frau wird von dem neuen Arbeiter Sergei nicht ohne Vorsatz umschwärmt und lässt sich verführen. Bei Sergei findet sie Zärtlichkeit und immer wieder sexuelle Befriedigung

Wieso wird sie aber zur Mörderin? Ihren tyrannischen Schwiegervater, der sie überwacht, drangsaliert, sexuell nötigt, vergiftet sie sein geliebtes Pilzgericht mit Rattengift, nachdem dieser Sergei, ihren Geliebten, fast zu Tode gepeitscht hatte. Der zurückkehrende Ehemann, der von Katerinas Liebesaffäre mit Sergei hörte, will sie mit einem Gürtel schlagen. Katerina ruft Sergei zu Hilfe und gemeinsam töten sie ihn, was von Sergei wohl nicht beabsichtigt war.  Sinowis Leiche wird eilig im Keller versteckt. Hochzeit wird gefeiert, aber der Schäbige entdeckt die Leiche und mobilisiert die Polizei, die nicht zur Hochzeit geladen war.

Anklage, Verurteilung zu lebenslanger Zwangsarbeit und Deportation nach Sibirien folgen. Auch Sergei  ist unter den Deportierten. Er weist Katerina, die Trost bei ihm sucht, ab und wirft ihr vor, sein Leben ruiniert zu haben. „Du bist nur ein Flittchen.“

Er macht sich an Sonjetka, eine andere Gefangene, heran. Sie braucht Strümpfe, um den beschwerlichen Marsch zu überstehen. Unter dem Vorwand, sie für sich zu gebrauchen, heuchelt Sergei nun Katerina wieder Zuneigung vor. Sie gibt ihm die Strümpfe. Die Verhöhnung durch die anderen Sträflingsfrauen und vor allem durch Sonjetka treiben die verzweifelte Katerina, geplagt von Schuldgefühlen, in den Suizid. Beim Sturz ins Wasser zieht sie Sonjetka mit. Beide ertrinken.

Anja Kampe (Katerina Ismailowa; links sitzend) und Zanda Svede (Sonjetka) sowie Ensemble

Leskow sieht in Katerina nur die Mörderin, die aus Gier und Selbstsucht handelte. Ganz anders Dmitri D. Schostakowitsch (1906-1975). Er sah in Katerina, so der Publizist, Dramaturg und Operndirektor Bernd Feuchter, zudem Autor der Komponisten-Biografie und seit einem Jahr Präsident der Deutschen Schostakowitsch Gesellschaft, „in dieser Frau vor allem ein  Produkt ihrer Umgebung und der Gesellschaft des reaktionären Zarismus im 19. Jahrhundert. Sie war nicht die treibende Kraft, sondern ein getriebenes Opfer; sie kann nur alles falsch machen.“ (Zitat Programmheft: Beitrag „Proletarisch oder pornografisch? Schostakowitschs Musiksprache“)

Mit 21 Jahren macht sich Schostakowitsch, der Sympathie für die starke Persönlichkeit von Katerina hat, ans Arbeiten und beendet seine tragisch-satirische Oper mit 26 Jahren. Eine Oper, so interpretiert er, „die eine entlarvende Satire ist, die Masken herunterreißt und dazu zwingt, die ganze schreckliche Willkür und das Beleidigende des Kaufmannsmilieu zu hassen.“ (Programmheft)

Die Uraufführung fand im Januar 1934 im Kleinen Akademischen Theater in Leningrad statt. Die Aufführung in Moskau folgte zwei Tage später. „Ein gewaltiger Beitrag zur sowjetischen Musikkultur“, jubelte ein Kritiker 1934. Die Oper wurde in Russland ein Renner und eilte durch die Welt.

Zwei Jahre später, nachdem Jossif Stalin die Oper sah und das Opernhaus vorzeitig verließ, wurde im Leitartikel der Prawda „Chaos statt Musik“ gewettert. Es war die Rede von „disharmonischen, chaotischen Tönen“[..] Dieses Spiel kann aber böse enden“.  Es wird vermutet, dass es sogar Stalin selbst war, der den Beitrag schrieb. Stalin fehlte wohl der sozialistische Realismus.

Vor allem der letzte Satz war für Schostakowitsch bedrohlich.Fortan schlief der Komponist in Kleidern und mit gepacktem Köfferchen unterm Bett, weil er seine Verhaftung fürchtete. Depressionen und Suizidgedanken umklammerten ihn ein Leben lang. „Das Warten auf die Exekution  ist eines der Themen, die mich ein Leben lang gemartert haben, viele Seiten meiner Musik sprechen davon.“ (Schostakowitsch)

Zwei Monate später protestiert der russische Schriftsteller Maxim Gorki  (Pseudonym – Der Bittere) in einem Brief an Stalin, gegen dessen Umgang mit dem jungen Komponisten. Schließlich habe der Diktator doch den „sorgsamen Umgang mit Menschen“ versprochen.

Es sollte Jahre dauern, bis nach Stalins Tod 1953, dass Schostakowitsch wieder als der große Komponist unserer Zeit angesehen wurde. Dabei, was für eine Musik hatte er geschaffen! So hat Schostakowitsch in „Lady Macbeth von Mzensk“ mehrere Haupt- und Nebenrollen, eindrucksvolle Chorpartien und gewaltige Töne eines großen Orchesters, einer stark besetzten Blechbläsergruppe zusammengeführt. Die manchmal längeren Zwischenspiele zwischen den neun Bildern der vier Akte beruhigen oder dramatisieren das Geschehen. In der Frankfurter Aufführung wurde daraus ein neues Hörerlebnis! „Die Musik deutet nicht, sie präsentiert.“ (so Sigrid Neef im Programmheft)

Die Spuren von Gewalt, sehr stark ausgeprägt in der Prügelszene Schwiegervater / Sergei, und vor allem in der Szene als Sergei und andere Arbeiter versuchen, Axinja, Katerinas Vertraute, (Julia Dawson) zu vergewaltigen. Aber auch die Szenen von Zärtlichkeit, von Liebe, von Sehnsucht in den Szenen Katerina / Sergei sind von überzeugender, nachempfundener Präzision. Dennoch Liebe und Gewalt sind immer eng gepolt. Die Liebe geht aufgrund der sie umgebenden Schlechtigkeit verloren .

Alfred Reiter (Pope; oben in der Bildmitte ), darunter Anja Kampe (Katerina Ismailowa) und Dmitry Golovnin (Sergei) sowie Ensemble

Katerina sieht der Komponist nicht als kaltblütige Mörderin, sondern als Verzweifelte, die in den Strudel der Gewalt gezogen wird, durch Sergei und Sinowi, ihren Ehemann. In ihrem Lied vom schwarzen See im Wald, auf dem der Wind die Wellen hochsteigen lässt, zeigt sie Gewissensbisse: „[..] und das Wasser ist schwarz wie mein Gewissen.“ (4. Akt – 9. Bild) Ihre unbezwingbare Leidenschaft – sie ist liebessüchtig – hat sie ins Unglück gestürzt.

Diese eindrucksvolle Oper, die zweite nach seiner erfolgreichen Oper „Die Nase“ (1930,nach Nicolai Gogol), sollte nach dem Vorfall mit Stalin seine letzte bleiben.

Das Frankfurter Opern- und Musikorchester zu dirigieren, war keine leichte Aufgabe bei diesen äußerst differenzierten, musikalischen Klängen. Generalmusikdirektor Sebastian Weigle leitete sowohl das Orchester mit Wucht, Feinheit und Präzision, und er führte das Sänger-Team und den Chor plus Extrachor (Tilman Michael). Die Zwischenspiele hatten eine große symphonische Stärke. Ein wahrer musikalischer Genuss! Frenetisch zollte das Publikum am Ende Beifall und besonders der hinter Bühne spielenden Blechbläsergruppe, die Weigle zum Schlussapplaus auf die Bühne bat.

Katerina – Sergei – Boris – Sinowi – Der Schäbige

Anja Kampe (Katerina Ismailowa)

Anja Kampe singt die Katerina Ismailowa, die sie 2017  bereits in München gab. In Frankfurt debütierte sie 2008 als Lisa in Tschaikowskis „Pique Dame“. Die mittlerweile in allen bedeutenden Opernhäusern gefeierte, bayerischer Kammersängerin bescherte dem Frankfurter Publikum eine grandiose Katerina, sowohl stimmlich wie auch vom Spiel her. Ihre Stimme, die fast ständig gefordert ist, interpretiert sie mal aggressiv, mal zärtlich, mal verzweifelnd, mal leidenschaftlich, dabei immer klar und fest die Höhen wie auch  die Tiefen erreichend. Einfach einmalig!

Peter Marsh – der Schäbige nach Oper extra am  20.10.; Foto: Renate Feyerbacher

Als leidenschaftlicher Partner Sergei debütiert der russische Tenor Dmitry Golovnin, der in Sankt Petersburg studierte und heute noch zum Ensemble des dortigen Michailowski-Theater gehört. Was ihn nicht daran hindert, überall in Europa aufzutreten. Wie der sympathische Sänger, der deutsch spricht und den man schon bei Oper extra kennenlernen konnte. Er gestaltet die Rolle auf überzeugende Weise. Herrlich dazu seine russisch-tenorale Stimme, die mühelos auch die schwierigen Passagen meistert.

Dmitry Belosselskiy – er debütierte vor zwei Jahren in der Titelrolle von Michail I. Glinkas „Iwan Sussanin“ an der Oper Frankfurt – tyrannisiert alle als Schwiegervater Boris Ismailow.

Der Bassist ist einer der gefragtesten Bassisten weltweit. Die Liste seiner Auftritte ist beeindruckend. Wenn Boris tobt, dann vibriert alles, der Raum ist von seiner Stimme komplett eingenommen und reißt den Zuhörer, der ihn wegen seiner Brutalität verachtet, mit. Faszinierend trotz Bösartigkeit. Unglaublich!

Dmitry Belosselskiy übernimmt auch, nachdem er als Boris auf der Bühne ermordet wurde, die Rolle des alten Zwangsarbeiters, geführt von  einem Kind, und er erzählt vom Los der Verurteilten. Eine menschlichste Figur, die auch Katerina noch Trost spendet. Der fantastische Bassist lässt hier die Stimme des leidenden Volkes hören. Eine schöne, einprägsame Melodie, die einzige in der Oper, wenn man so will.

Tenor Evgeny Akimov, ebenfalls in St. Petersburg ausgebildet und zum Ensemble des dortigen Mariinsky- Theaters gehörend, debütiert an der Oper Frankfurt als Sinowi Ismailow, Sohn von Boris und Ehemann von Katerina. Keine große Rolle, aber überzeugend gestaltet.

Dmitry Golovnin nach Oper extra am 20. 10., Foto: Renate Feyerbacher

Auch die Rolle des Schäbigen ist nicht groß, aber das langjährige Frankfurter Ensemblemitglied Peter Marsh macht daraus wieder eine Paraderolle wie 2014 als Knusperhexe in „Hänsel und Gretel“.

Herrlich singt er den Schäbigen, den Bösartigen, den Besoffenen, der über die Bühne rollt.

Nicht alle der vorzüglichen Sänger können genannt werden, wohl aber Zanda Svede als Sonjetka, Alfred Reiter als Pope, Iain Macneil als Polizeichef.

Eine politische Inszenierung

Regisseur Anselm Weber, Intendant des benachbarten Schauspielhauses, sieht Schostakowitschs Werk als politische Oper. Er ist fasziniert wie der Komponist ohne zu beschönigen die Gesellschaft beschreibt, die Menschen zerstört und scheitern muss. Skrupellose Machtausübung, Gesetzlosigkeit, Gier und vor allem die sexuellen Übergriffe arbeitet Weber realitätsnah heraus. „Eine solche Gesellschaft hat es verdient zu verschwinden.“ Und auch heute noch werden in Rußland Menschen zerstört, ohne verurteilt beziehungsweise Strafgefangene zu sein.

Fast unerträglich ist die Szene, in der versucht wird, Axinja – Julia Dawson – zu vergewaltigen. Die Männer stecken sie in eine Tonne, die sie hin und her wälzen. Das Thema Vergewaltigung beschäftigt im Augenblick auch unsere deutsche Gesellschaft

Die Erotikszenen, die in einem Liebeskäfig stattfinden, sind heftig und freizügig. Sexuelle und moralische Gewalt sind immer präsent. Eine durchdachte, gelegentlich überspitze Regie, die mir zusagte, aber wie ich später hörte, von einigen kritisiert wurde.

 Anselm Weber nach Oper extra am 20.10., Foto: Renate Feyerbacher

Katerina träumt von einer anderen Welt. Diese Träume werden durch ein konkretes, neues Requisit, die VR-Brille (Virtual-Reality), gezeigt. Es sind beruhigende Blumen- und Pfanzengebilde (Video Bibi Abel), die auf die Wand des grauen, engen, halbrunden Raums projiziert werden.

Drei Orte hat Bühnen- und Kostümbildner Kaspar Glarner, der zuletzt das Bühnenbild für die grandiose Oper „Der Mieter“ schuf, zu realisieren: als Liebesort, als Gehöft, wo geschuftet werden musste, und zuletzt als Zwischenstation auf dem Weg in die Verbannung. Er schob sie in diesen engen Einheitsraum. Es gibt kaum Ein- und Ausgänge, Entkommen ist weder seelisch noch körperlich möglich. Das Bühnenbild wurde durch Olaf Winters ideenreiche, teils belustigende Licht- und Schattenspiele unterstützt. Die ausgefallenen Kostüme wurden den Figuren gerecht.

Natürlich wird in Russisch gesungen, Übertitel werden in Deutsch und Englisch angezeigt. Daher meine Empfehlung: Nicht verpassen!

 

Weitere Vorstellungen: am 10. (um 15,30 mit kostenloser Kinderbetreuung), am 14., 17. – danach Oper im Dialog -, am 22. – danach Oper lieben -, 29. November, am 8. und 12. Dezember  – verschiedene Anfangszeiten mal 18, mal 19 Uhr.“

Samstag, 16.11. Opernworkshop zu „Lady Macbeth von Mzensk“ um 14 Uhr im Opernhaus.

 

 

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