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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Künstler aus der DDR – Ausstellung im Düsseldorfer Kunstpalast: „Utopie und Untergang“

30 Jahre nach dem Mauerfall:

Ende des alten Bilderstreits? Künstler aus der DDR

Von Uwe Kammann

Elisabeth Voigt, Der rote Stier, 1944-1961, Öl auf Leinwand, 130 x 180 cm, Museum der bildenden Künste Leipzig, © Nachlass Elisabeth Voigt, Foto: bpk / Museum der bildenden Künste, Leipzig / Michael Ehritt

DIE ZEIT, das alte Feuilleton-Flaggschiff, hat gerade so schlicht wie ehern festgestellt, die Kunst stecke in einer Sackgasse. Sie lebe in ihrer alten Welt, die bestimmt werde allein von Kuratoren der Museen und von den großen Sammlern. Wenn es hoch komme, zähle man die Besucher. Deren Ansichten allerdings zählten nicht, interessierten auch nicht. Eine schneidende Generalthese. Mit der Schlussfolgerung: Jetzt müsse das Publikum am Zuge sein. Allerdings, wie dieses Besuchervotum dann organisiert werden und in Ausstellungen münden könnte und sollte, dazu erfahren wir nichts Konkretes. Doch folgt man der Vermutung, dass vielen Museen gerade bei zeitgenössischer Kunst das Publikum ziemlich egal ist, dann führt das natürlich zu manchem Gedankenspiel. So zu dem: Wie wäre wohl oft der Vergleich ausgegangen, wenn man in den westlichen Häusern regelmäßig auch Kunst von in der DDR lebenden Malern gezeigt hätte?

Hätten sie sich behaupten können gegenüber den Strömungen und Moden der westlichen Moderne, von Informel über Popart, von Arte Povera über Minimalismus bis hin zu den jetzigen Hauptspielarten zwischen Installation, Performance, Video oder auch Theorieblüten wie jenen des Dekonstruktivismus?

Blick in die Ausstellung, Foto: Petra Kammann

Wer die jetzige große Ausstellung „Utopie und Untergang“ im Kunstpalast in Düsseldorf  mit einer repräsentativen Auswahl dessen, was im Untertitel „Kunst in der DDR“ genannt wird, sieht, der kann aus vielen Kommentaren der schauenden Nachbarn große Zustimmung heraushören, auch viel staunende Bewunderung: für das sofort sichtbare, in vielem ganz außergewöhnlich hohe handwerkliches Können.

Auch viel Begeisterung war in den Besucherstimmen zu hören: wegen der durchaus lesbaren Motive, wegen der zu entdeckenden inneren Erzählungen, wegen der oft existentiellen Sichtweisen, wegen der elementaren Ernsthaftigkeit, wegen expressiver Kraft. Dies alles in der Regel verkörpert in klassischer Tafelmalerei, weit ab von fast allen Formenbrüchen und Innovationsbemühungen, wie sie den westlichen Kunstbetrieb lange beherrscht haben, in der geographischen Spannweite vornehmlich von Westeuropa bis in die USA.

Kunst aus dem Osten? Da zeigte der Daumen schnell nach unten, sei es im Milieu, sei es in der begleitenden Kritik aus der Kulturpolitik oder auch aus dem Feuilleton. Das Urteil war schnell gesprochen: Propagandakunst, instrumentalisierte Sichtweisen auf die Hammer- und Sichel-Ideologie, Verpflichtung auf den Sozialistischen Realismus und dessen DDR-Spezialität des ,Bitterfelder Weges‘: Kunst und Kultur aus der Arbeiterklasse für die Arbeiterklasse. Punktum.

Dazwischen war nicht viel, von einigen wenigen Sammlerbemühungen oder fast einsamen Kritikerstimmen abgesehen. Schon die Einladung an die Großmeister Tübke, Sitte, Mattheuer und Heisig zur 6. Documenta 1977 in Kassel galt vielen Vertretern des hiesigen Kunstzirkels als Verrat an den Idealen einer absoluten Freiheit. Eher widerwillig wurde die handwerkliche Meisterschaft der „Viererbande“ (so ein Schmähwort) zur Kenntnis genommen – und mehrheitlich als längst überwundenes Relikt einer abgestandenen Epoche und eines vergilbten Kunstbegriffs abgetan.

Blick in die Ausstellung, Foto: Petra Kammann

Wer jetzt durch die farblich markant gestalteten Räume des Kunstpalastes geht, die jeweils auf eine konzentrierte Werkschau eines einzelnen Künstlers ausgerichtet sind – insgesamt sind es dreizehn –, der kann leicht ermessen, wie ignorant und arrogant dieser westliche Meinungskanon war. Denn jede der in Düsseldorf gezeigten Arbeiten der dort ausgewählten  Künstler schlägt in den Bann, entwickelt einen eigenen Sog, zeigt das große Spektrum der Möglichkeiten und die Vielzahl der Sichtweisen, der Positionen, der künstlerischen Bearbeitungsformen von Künstlern aus der damaligen DDR.

Eine simple Feier der neuen Gesellschaft und des neuen Menschen? Alles andere als das. Gerade auch dann, wenn Wesenszüge dieser von den Funktionären so idealiter ersonnenen klassenlosen Gesellschaft thematisch aufgegriffen werden. Ein Schlüsselwerk ist beipielsweise „Die Ausgezeichnete“. Wolfgang Mattheuer stellt hier eine Frau dar, der die vor ihr auf einem ansonsten leeren Tisch abgelegten drei Tulpen nichts bedeuten. Vielmehr ist sie in einem eher bitteren Nachdenken versunken, dem nachsinnend, was denn in diesem nun parteilich ausgezeichneten Leben tatsächlich lebenswert war und ist, von Glück ganz zu schweigen.

Und auch sonst sehen wir in diesem Mattheuer-Raum lauter Allegorien auf Einsamkeit, Vergeblichkeit, Isolation (ganz wortwörtlich in der Darstellung einer von sehnsüchtigen Unglückswesen bewohnten Insel), Schreckensferne. Auch Willi Sitte ist kein Feiermaler des sozialistischen Alltags, sondern er zwingt elementare Materialität und Fleischlichkeit zusammen, eher düster grundiert, mit deutlichen Verweisen auf Not oder Kampf. (Bernhard Heisigs „Brigadier“ bildet mit seiner Positiv-Geste die absolute Ausnahme bei diesem Grundbefund.)

Kurator Steffen Krautzig in der Ausstellung, Foto: Petra Kammann

Im direkten Kontrast wirken die Strichmännchen-Hieroglyphen von A.R. Penck noch wilder und ungebärdiger, während im benachbarten Raum die großformatigen Bilder von Michael Morgner als Mitglieder einer düsteren Bruderschaft zu entschlüsseln sind; und sicher als ebenbürtig zu bewerten zum Schaffen von Anselm Kiefer.

Mit plakativ maskenhaften Gesichtern und reduzierten Menschenumrissen beeindruckt Elisbeth Voigt, ihre Bildtitel wie „Die Missvergnügten“ oder „Verlorene Illusionen“ verraten schon in den frühen Nachkriegsjahren, dass hier kein Hurrapatriotismus auf die neue Staatsgestalt und Staatsgewalt ausgerufen wird.

Hier, und auch anderswo – wie bei Wilhelm Lachnits zauberhaftem Porträt „Knabe mit Kanarienvogel“ –, lassen sich Einflüsse moderner Großkünstler wie Picasso konstatieren, aber es ist doch eine stets eigene Aneignung und Interpretation der Motive und Perspektiven. So wie, in ganz anderer Konstellation, auch die Abstraktion als Grundmuster einen eigenen Ausdruck gefunden hat bei Hermann Glöckner, der mit wunderbar klaren Arbeiten vertreten ist, die allemal den Vergleich mit den Musterwerken aus westlichen Werkstätten mithalten können.

Cornelia Schleime, o.T., 1986, Tusche auf Japanpapier, kaschiert auf Vlies, 247 x 248 cm, Privatleihgabe, © Cornelia Schleime, Foto: Eric Tschernow

Natürlich – ja, natürlich – kann man auch die verquer-geheimnisvollen Phantasiewelten von Gerhard Altenbourg mit den Augen abtasten oder in den altmeisterlich feinst ausgemalten Bilderwelten (ja, es sind in jeder Hinsicht unauslotbare Welten) von Werner Tübke spazierengehen, von Detail zu Detail, immer wieder verführt von diesem staunenswerten ‚Ausmalen’ (eben in jedem Sinne des Wortes) einer phatasmagorisch beschworenen Welt mit verblüffenden historischen Knoten.

Eine Welt für sich wiederum sind die Menschenbilder von Angela Hampel. Mit kühnen Kompositionen, höchster expressiver Form- und Farbkraft beschwört sie dabei aber eher Urbilder des menschlichen Seins, erinnert direkt an die großen antiken Mythen, verleiht ihnen ein intensive Gegenwärtigkeit. Auch hier stellt sich angesichts der außergewöhnlichen, in ihrer Art einzigartigen Qualitäten, sofort die Frage: Warum wurde diese Künstlerin nicht weltweit in ihrem Rang erkannt und entsprechend in den renommierten Häusern der Kunstwelt ausgestellt?

Oder nehmen wir die mit perfekter Bild-Ironie konterkarierten Texte einer Stasi-Staatsraison, wie sie Cornelia Schleime umspielt und collagiert. Wenn das Frankfurter Museum für Moderne Kunst die Darstellungen von Gewalt reflektiert, gehörte ein solch selbstbewusster Umfang eigentlich unbedingt dazu, wird aber unterm engen Blickwinkel westlicher Selbstbezüglichkeit (die bevorzugt auf US-Agitprop setzt) geflissentlich ausgeblendet.

Der Kurator der Düsseldorfer Ausstellung, Steffen Krautzig, zeichnet den auch in solchem Weg-Sehen immer noch aufscheinenden Graben bei der Wahrnehmung und Präsentation von Kunst aus der DDR mit kräftigen Strichen nach. In seinen einführenden Beiträgen für den in jeder Hinsicht ausgesprochen gelungenen Katalog gelingt es ihm, die Ost-West/West-Ost-Beziehungen sehr klar zu beschreiben und aufzuzeigen sowie die theoretischen, die gesellschaftlichen und die politischen Hintergründe konturenscharf auszuleuchten. Kunstpalast-Generaldirektor Felix Krämer wiederum betont an gleicher Stelle, dass der jetzige kursorische Überblick über die Malereigeschichte der DDR – „in ihrer Vielfalt und Widersprüchlichkeit“ – nur ein erster Schritt sein könne.

Sich nicht länger von Mauern einschränken zu lassen, das sei ein wichtiges Ziel gewesen. Eines, das sich auch darin ausdrücke, dass im Katalog eine junge Generation von Kunsthistorikern zu Wort komme, „die nicht an den in der Vergangenheit heftig geführten Diskussionen zur Bedeutung der in der DDR entstandenen Kunst beteiligt waren.“

Blick in die Ausstellung, Foto: Petra Kammann

Wer diese Diskussionen in einem sehr genauen und umfangreichen Rück- und Überblick erleben und bewerten möchte, der kommt wiederum an einem Buch nicht vorbei, das als 2013 aufgelegtes Standardwerk die ideale Ergänzung zur Ausstellung ist. Der von Karl-Siegbert Rehberg und Paul Kaiser herausgegebene Band heißt „Bilderstreit und Gesellschaftsumbruch“ (Siebenhaar Verlag).

Im Untertitel „Die Debatten um die Kunst der DDR im Prozess der deutschen Wiedervereinigung“ steckt allerdings eine gewisse Verkürzung. Denn natürlich war das ideologische Spannungsfeld schon lange vor dem Mauerfall sichtbar, waren die Grundpositionen – grob gesagt zwischen behaupteter Moderne und ebenso behaupteter propagandistischer Indienstnahme – schon während der Zeit des Kalten Krieges abgesteckt, wurden dann wieder und wieder variiert, bei relativ unveränderter Praxis: eben der des weitgehenden Ausschlusses.

Mit welchen Argumenten dieser Streit (vor allem von Westseite) geführt wurde, das belegt das nahezu 600 Seiten starke Buch in staunenswerter Fülle und mit einem imposanten Detailreichtum. Man glaubt es kaum, doch das Nachzählen ergibt: Tatsächlich haben die Herausgeber über 50 Autoren gewonnen, um über die Einzelheiten und die Kontexte zu schreiben. Mit einer Fülle von Stichworten, unter unterschiedlichen Perspektiven, immer mit historisch-kritischer Akribie. Wahllos lassen sich Zugänge herausgreifen, um die Methodik dieses ‚Ausmessens’ zu beschreiben: etwa „Generalverdacht und Dauerkränkung“, „Entgegensetzung und Vereinnahmung“, „Hegenomiekonflikt“, „Zwischen Ästhetik und Politik“, „Eigenenergie der Kunst“, „Erschütterung des Kanons“, „Zeit für Revisionen“, und …

Es bleibt nicht aus, dass bei dieser Fülle der Beschreibungen, Analysen und Bewertungen auch manches Redundante zu finden ist. Doch gleichwohl, es ergibt sich ein faszinierender Einblick und Überblick in und über einen Streit, der im Grunde über die Grenzen einer Zwei-Staaten-Kunstwelt weit hinausreicht. Eben, weil darin die elementaren Aspekte einer Diskussion aufscheinen und in ihren Umrissen sichtbar werden, die im Milieu selbst oft vermieden oder nur verschämt geführt wird, oft gar verhindert werden soll: nämlich jene über die Parameter und Kriterien zeitgenössischer Kunst, über ihren gesellschaftlichen Bezugsrahmen und über den ideologischen Überbau. Und dies nicht zuletzt im Rahmen eines Kulturbetriebs, der in vielen Bereichen immer stärker von kommerziellen Interessen geprägt ist.

All diese Aspekte und Überlegungen verschärfen dann noch einmal die Frage, wie es zu einer Ausstellung kommen konnte – 1999 im damals zur Europäischen ausgerufenen Kulturhauptstadt Weimar, Titel „Aufstieg und Fall der Moderne“ –, bei der Bilder von Künstlern aus der DDR in direktem Zusammenhang mit Nazi-Kunst gezeigt wurden. Dazu in einem Arrangement, das nur als Erniedrigungs- und Schmähszenario zu bewerten war und ist: mit dicht an dicht in laufender Reihe gehängten Bildern, manchmal drei übereinander, und das alles – Krönung des Ganzen – vor einer Wandbespannung aus hellgrauem Plastik mit dem Charme großformatiger Mülltüten.

Ein Foto von dieser systematischen Erniedrigung ist schlagendes Titelbild des Buches zum Bilderstreit. Tatsächlich ist es auch programmatisch – und zugleich der vielversprechende Hinweis auf weiteres Material, das auch unter dokumentarischen Aspekten in Hülle und Fülle geliefert wird. So auch beispielhaft mit den einschlägigen Zeitungsartikeln, mit Reden, mit Einführungen, mit Ausstellungskonzepten.

Keine Frage, so entsteht ein überaus facettenreiches Puzzle, aus dem man ein ganz eigenes Bilder-Urteil zusammensetzen kann. Der Düsseldorfer Kurator Steffen Krautzig hegt die Hoffnung, dass der alte ästhetische Frontverlauf nun, im dreißigsten Jahr nach dem Mauerfall, keine entscheidende Rolle mehr spielt, sondern als politisches Konstrukt erkennbar ist und endlich als überwunden gelten kann. Noch vor sieben Jahre kam der „Spiegel“, als eine Ausstellung im Weimarer Neuen Museum eine Art Rehabilitation der Ost-Kunst anstrebte, zu einem anderen Anfangsbefund: „Die Kunst der DDR ist bis heute umstritten. In großen Teilen wird sie dem Publikum vorenthalten.“

Jetzt, 2019, kann immerhin nicht mehr von „Vorenthalten“ die Rede sein. Das Düsseldorfer Museum jedenfalls zeigt mit seiner so klugen wie konzentrierten Auswahl, wie hoch die künstlerische Qualität war, die von Spitzenkünstlern in der DDR geschaffen wurde. Vor kurzem hatte auch das Museum der bildenden Künste in Leipzig in der imposanten und umfangreichen Ausstellung „Point of no return“ herausgearbeitet, wie intensiv und mit welch überzeugenden Formen gerade auch die jungen Künstler der DDR den bevorstehenden Umbruch und die gesellschaftliche Lage vor dem Mauerfall wahrgenommen und in ihren Arbeiten dargestellt haben, ebenso die von Unsicherheit geprägte Offenheit danach.

Wer außerdem weiß, dass eine große Zahl bedeutender Künstler in der alten Bundesrepublik aus dem Osten kam – von Uecker über Baselitz bis Richter –, wer dann noch daran denkt, dass in der Tradition der Leipziger Schule Künstler wie Neo Rauch einen sehr eigenständigen Beitrag zur heutigen globalen Kunstszene leisten, der wird vielleicht gefeit sein gegenüber den leichtfüßigen Vereinfachern, welche oft aus sehr durchsichtigen Motiven lange nichts anderes versucht haben, als ihr (beschränktes) West-Terrain zu verteidigen.

Deshalb: „Utopie und Untergang“ ist ein Muss für diese Museumssaison. Nicht zuletzt, weil diese Ausstellung beweist: Von Untergang kann keine Rede sein. Im Gegenteil – es geht um eine Renaissance. Die all’ jenen die Augen öffnet, die lange in eine andere Richtung geschaut haben.

 


Die Ausstellung wie auch der informative,
von Steffen Krautzig herausgegebene
Katalog präsentieren Werke von
Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer,
Werner Tübke, Willi Sitte, Elisabeth Voigt,
Wilhelm Lachnit, Carlfriedrich Claus,
Gerhard Altenbourg, A.R. Penck,
Cornelia Schleime, Angela Hampel,
Michael Morgner und Hermann Glöckner.
Der  Katalog ist im Sandstein Verlag,
Dresden, erschienen.
www.sandstein.de/utopie-und-untergang

 

 

Weitere Infos

Die Ausstellung steht unter der
Schirmherrschaft von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Kurator:
Steffen Krautzig

Förderer:
Kunststiftung NRW, Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen

„Utopie und Untergang.
Kunst in der DDR“ 
bis 26. Januar 2020

www.kunstpalast.de

 

 

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