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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Eine mutige deutsch-deutsche Verlagsgeschichte – 30 Jahre Ch. Links Verlag

Aus eigener Kraft

Vor 30 Jahren löste sich die deutsch-deutsche Grenze auf, die Mauer bröckelte und fiel. Ost- und West-Deutsche begegneten einander unter neuen Bedingungen. Der Rest ist Geschichte, bestens bekannt aus einzelnen Biographien… Eine besondere Wendegeschichte: Der ehemalige Ost-Berliner Verlagslektor Christoph Links hatte gleich nach dem Mauerfall eine Lizenz für einen Sachbuch-Verlag beantragt. Im Interview mit Petra Kammann, die auf der ersten Leipziger Buchmesse nach der Maueröffnung auf ihn aufmerksam wurde, schildert der unternehmerisch urbegabte Verleger die organisatorischen Klippen und die programmatische Entwicklung seines Verlags.

Der Verleger Dr. Christoph Links bei der Eröffnung der diesjährigen Frankfurter Buchmesse, Foto: Petra Kammann

 Petra Kammann: Im Jahre 1989 warst Du nicht nur Lektor im renommierten Aufbau Verlag, damals noch DDR, sondern auch die rechte Hand Deines damaligen Chefs Elmar Faber. Am 9. November fiel dann die Mauer und am 1. Dezember die Zensur. Da hattest Du zeitgleich den Privatverlag „Linksdruck“ gegründet. Kannst Du die damalige Atmosphäre in Berlin knapp beschreiben? Hatte die friedliche Revolution auch das Verlagswesen selbst erfasst? Und wie kam es dann so schnell zur Verlagsgründung?

Christoph Links: Ich war ja eben nicht Sachbuchlektor, da der belletristisch ausgerichtete Aufbau-Verlag keine Sachbücher publizierte und dies auch bei seinem knappen Papierkontingent nicht wollte. Daher habe ich kurzerhand entschieden, es selbst zu versuchen. Viele Freunde aus dem Journalismus und der Wissenschaft hatten zu Themen recherchiert und geforscht, die sie jenseits der Zensur endlich publiziert sehen wollten.

Was gab Dir denn den Mut, Dich am westdeutschen Markt zu messen, da Du doch eigentlich keine privatwirtschaftlichen Unternehmererfahrungen hattest? Ein Verleger ist in der Regel jemand, der erst einmal vorlegen, d.h. auch vorfinanzieren muss. Hattet Ihr (hattest Du) ein Startkapital?

Anfänglich gingen wir davon aus, dass es noch eine längere Zeit zwei deutsche Märkte geben würde und beide Staaten sich langsam auf einander zubewegten, weshalb wir auf der Leipziger Buchmesse im März 1990 auch noch Lizenzen von westdeutschen Verlagen für den DDR-Markt einkauften. Dass es dann mit der Währungsunion schon ein paar Monate später am 1. Juli keinen selbständigen Ost-Markt mehr geben und wir der gesamten Westkonkurrenz gegenüberstehen würden, hatte keiner vorhergesehen. Unsere 20.000 DDR-Mark GmbH-Stammkapitel war plötzlich nur noch die Hälfte wert, und wir mussten Geldgeber finden, um die Westnormen zu erfüllen. Zum Glück stiegen drei Freunde als Gesellschafter ein und wir fanden 30 Stille Teilhaber, die uns mit je 2.500 DM Privatdarlehen das verlegerische Handeln ermöglichten.

Was sollte marktwirksam werden? Schließlich musstet Ihr ja erfolgreiche, d.h. auch verkäufliche Bücher machen. War dabei der Name LinksDruck in dieser Zeit nicht sogar eher hinderlich, da gerade ein „linkes System“ untergegangen war.

Unser erster Name LinksDruck erwies sich in der Tat bald als Problem, da die PDS als SED-Nachfolgepartei mit dem Slogan „Links tut gut“ in den Wahlkampf zog und das Finanzamt bei uns eine Tiefenprüfung startete, da man hier verstecktes Parteivermögen vermutete. Dabei war unser Programm eher DDR-kritisch, arbeitete Korruption und Amtsmissbrauch auf, behandelte die stalinistischen Verbrechen.

In den Anfängen des Verlags war auch handwerklicher Einsatz gefragt, v.l.n.r.: Christoph Links, Peter Richnow, Helga Nirschl, Foto: Petra Kammann

Wie sahen Eure Anfänge im neugegründeten Verlag denn aus? Mit welchen Mitteln konntet Ihr Euer erstes Programm auf die Beine stellen? Wie viel Leute wart Ihr? Welche Personen oder auch Persönlichkeiten haben Dir dabei den Rücken gestärkt?

Nach einem ersten Praktikum im Bertelsmann-Verlag in München habe ich mir regelmäßig Rat bei Klaus Wagenbach in West-Berlin geholt, der mir auch riet, den Verlag nach seinem Verleger zu benennen, weshalb wir seit Mitte 1991 als Ch. Links Verlag firmieren. Anfänglich waren wir zu dritt, nach fünf Jahren dann zu fünft, heute sind wir zehn Mitarbeiter im Verlag. Wir sind immer langsam und aus eigener Kraft gewachsen, nicht über teure und riskante Bankkredite.

Wichtig scheint mir für Dich die Begegnung mit Walter Janka gewesen zu sein, der von 1956 bis 1960 „wegen staatsfeindlicher Tätigkeit“ im Zuchthaus gesessen hatte. Nach seiner Entlassung wurde er dann als Unperson behandelt. Kannst Du mit wenigen Worten sagen, wie man überhaupt in so eine Lage wie Janka kommen konnte?

Janka wollte zusammen in der „Tauwetter“-Periode mit anderen Intellektuellen nach Stalins Tod die DDR demokratisch reformieren. Nach der Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes im Herbst 1956 durch sowjetische Panzer wurden die Beteiligten in der DDR  verhaftet und in Schauprozessen drakonisch abgestraft. Das verhinderte für längere Zeit jede öffentliche Opposition.

Du hattest dann an einer „Chronik der Wende“ gearbeitet. Was wurde daraus?

Das wilde Umbruchjahr 1989/90 habe ich zusammen mit meinem Freund Hannes Bahrmann Tag für Tag chronologisch erfasst. Daraus ist dann das Buch „Chronik der Wende“ entstanden, das inzwischen in der 12. Auflage vorliegt und seit 25 Jahren bei uns lieferbar ist. Auf dieser Basis entstand dann 1994 und 1999 eine 160-teilige ARD-Fernsehdokumentation, an der wir als Fachberater mitgearbeitet haben und die auch den Grimme-Preis in Gold gewann. Gerade jetzt ist unser neuer Band „Finale. Das letzte Jahr der DDR“ erschienen, in dem wir auf das Wissen aus all den Projekten zurückgreifen konnten und anhand der dramatischen Ereignisse von damals zugleich das Funktionieren des Staates DDR zu erklären versuchen.

Und was wurde aus den ehemaligen Ost-Verlagen? Etliche Bücher, die in der DDR erschienen waren, wurden plötzlich Makulatur. Dabei hatte das Buch doch einen völlig anderen Stellenwert. (Stichwort: „Leseland DDR“). Außerdem brauchte es eigentlich keine Werbung.

Von den rund 200 Verlagsneugründungen aus dem „Wunderbaren Jahr der Anarchie“ – so ein weiterer Buchtitel unseres Verlages – gibt es heute etwa noch ein Dutzend. Viele Kollegen hatten inhaltlich interessante Ideen, wollten sich aber nicht auf die Vertriebsmühen in dem hart umkämpften gesamtdeutschen Buchmarkt einlassen. Da ich aus einer Verlegerfamilie kam (mein Vater stand in Leipzig u.a. dem Insel-Verlag vor) und ich selbst im Aufbau-Verlag gearbeitet hatte, wusste ich um die Marktprobleme und wollte mich dort gern behaupten. Ich würde es heute gewiss noch einmal so machen.

Welche Rolle spielte für Euch die Frankfurter bzw. Leipziger Buchmesse, welche der Börsenverein des Deutschen Buchhandels? Waren sie für Euch hilfreich oder nur teuer?

Über den Börsenverein konnte ich viele Seminare besuchen und mir das notwenige Wissen aneignen. Die Buchmessen in Leipzig und Frankfurt haben den Kontakt zu den Kollegen gestärkt, die uns bereitwillig unterstützten. All unsere Mitarbeiter konnten in großen West-Verlagen Praktika für ihre jeweiligen Bereiche absolvieren.

Welche Autoren und wie konntest Du sie im Laufe der Jahre an den Verlag binden? Die Honorare in Westverlagen waren vermutlich besser.

Wir haben von Anfang die gleichen Beteiligungshonorare wie die großen Westverlage gezahlt, nur die Vorschüsse waren deutlich kleiner. Die Autoren sind aber eher aus inhaltlichen Gründen zu uns gekommen, da sie das thematische Umfeld mit kritischen zeitgeschichtlichen Sachbüchern interessant fanden. Und nahezu alle Autoren sind uns treu geblieben. Von Christoph Dieckmann (Die Zeit) und Alexander Osang (Der Spiegel) beispielsweise sind inzwischen jeweils mehr als zehn Titel bei uns erschienen.

Zweieinhalb Jahre später: Der damalige wirtschaftliche Geschäftsführer Peter Richnow  und Ch.Links-Verleger Christoph Links, Foto: Petra Kammann

Was war das Schwierigste, was das dramatischste Ereignis? Die Umzüge, die Prozesse? Unangenehme Personen?

Relativ bald musste ich die Bekanntschaft mit deutschen Gerichten machen. Die Scientology-Organisation, die in den 1990er Jahren in den Osten zu expandieren versuchte, hat uns mit einer Klagewelle überzogen, da wir das Vorgehen dieses „Sekten-Konzerns“ offenlegten. Ich lernte so die (architektonisch durchaus interessanten) Gerichtsgebäude in Hamburg, Köln, Bonn, München und Berlin kennen. In drei Fällen haben wir gewonnen, einmal verloren und einmal einen Vergleich geschlossen. Das hat mich gestählt für viele weitere Auseinandersetzungen. Gerade gegenwärtig erleben wir etwas Ähnliches.

Rechte Siedler wollen mehr als 30 Stellen in unserem Buch „Völkische Landnahme“ von Andrea Röpke und Andreas Speit verboten sehen. Die Unterlassungsbegehren dazu kommen überwiegend aus einer Kanzlei in Köln, die auch die AfD vertritt und in der heute ein ehemaliger Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz mitwirkt. In einem ersten Verfahren zu dem Buch entschied das Berliner Landgericht, dass auch sehr kritische politische Bewertungen von einzelnen Akteuren berechtigt sind, wenn sie einen belegbaren Tatsachenkern haben. Und darauf legen wir stets wert. Nun müssen wir sehen, wie es in den anderen Verfahren weitergeht.

Wie haben sich die Themenschwerpunkte in den letzten 30 Jahren verändert?

Neben der Politik ist das Programm Schritt für Schritt erweitert worden. Es kamen kritische Bild-Text-Dokumentationen zur NS-Zeit und zwei Reihen zur Kolonialgeschichte hinzu, gefolgt von Historischen Reiseführern und Länderporträts sowie wissenschaftlichen Bänden zur DDR-, Militär- und Geheimdienstgeschichte. Bei aller thematischen Vielfalt sind wir immer bei Sachbüchern geblieben und haben uns die Belletristik versagt. Als kleinerer Verlag sollte man eine wiedererkennbare Kernkompetenz ausbilden und sich nicht zerfasern.

Welche Autoren und Bücher wurden zu Deinen Best-Longsellern? Gibt es neuerdings einen Aufwind für das Sachbuch?

Die intensive Zusammenarbeit mit den Autoren und das gewissenhafte Lektorat haben viele Titel zu Standardwerken werden lassen, die inzwischen in der 12. oder 13. Auflage vorliegen. Rund 40% Prozent unserer mehr als 1000 Titel sind anhaltend lieferbar.

Christoph Links in seinem Verlag (noch) in der Berliner Kulturbrauerei

Und was bedeutet es für Dich, dass Du Deinen Verlag jetzt ausgerechnet an den Aufbau Verlag verkauft hast, in dem Du  früher schon als Angestellter gearbeitet hast? Deine Tochter Johanna arbeitet dort als Lektorin für Literatur. ,Back to the roots‘ der Familie Links nach 30 Jahren? Doch lieber ,Heimat‘ statt ,Freiheit‘?

Seit meinem 60. Geburtstag, also vor fünf Jahren, habe ich nach einer tragfähigen Nachfolgeregelung gesucht, da ich mit dem Eintritt ins Rentenalter gern wieder in meine alte Rolle als Autor zurückkehren möchte. Doch trotz mehrerer Anläufe fand sich niemand, der den Verlag allein schultern wollte. Der Buchmarkt ist ja digital ziemlich unter Druck und nicht gerade wachsend. Da freute es mich, dass der Aufbau Verlag auf mich zugekommen ist und mir eine Fortführung unter seinem Dach angeboten hat. Unsere Mannschaft zieht jetzt Anfang Dezember von Berlin-Prenzlauer Berg nach Berlin-Kreuzberg als neue Mieter ins Aufbau-Haus. Ich werde die Überführung des Verlages noch ein Jahr als angestellter Geschäftsführer begleiten und dann Ende 2020 ausscheiden. Meine Kollegen haben eine Zusicherung für die Fortführung von Programm und Namen des Verlages bis mindestens 2025. Mehr ist in diesen Zeiten nicht zu wollen.

Dein Lieblingstitel aus dem aktuellen Verlagsprogramm?
Unser erfolgreichster Titel in diesem Herbst ist Thomas Wüppers „Betriebsstörung – Das Chaos bei der Bahn und die überfällige Verkehrswende“.

Der politische wichtigste Band ist ohne Zweifel „Angriff auf Europa – Die Internationale der Rechtspopulisten“ von einem journalistischen Rechercheteam aus sechs Ländern.

Und mein privates Lieblingsbuch ist naheliegender Weise „30 Jahre Ch. Links Verlag – Eine Chronik“.

 

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