Almut Aue „schwarze periode über europa“ in der Galerie Schamretta
Schlittschuhfahren auf dünnem Eis
Zur Vernissage der Werkschau von Almut Aue in der Frankfurter Galerie Schamretta hat die Autorin, Künstlerin und Performerin Hanna Rut Neidhardt eine Einführungsrede gehalten.
Almut Aue, „tierische drahtseilakte“, schwarze Tusche auf aquarelliertem Japanpapier, 25 x 33 cm
Prolog
Almut Aue, bildende Künstlerin und Poetin. Ein Leben zwischen Kunst, Schule, Liebe, Poesie und wieder Kunst. Ein streitbares Weibsstück mit geschliffenem Verstand, belesen, nervenaufreibend, lustig, wortmächtig und hochkreativ.
Was will sie zeigen? Der Nenner aller Bilder heißt „Schwarz“. Schwarz bedeutet Totalität. Gelegentlich mag von tiefschwarz die Rede sein – zartschwarz gibt es nicht.
Schwarz ist ein Extremzustand. Er kann zugleich einen Endpunkt oder den Punkt des Umschwungs bedeuten, etwas wie eine Messerklinge: Es schlägt um, in totale Finsternis, oder zurück ins Licht, wie Phönix, der der Asche entstieg.
Im Bild ist Schwarz das Allesodernichts. Schon ein zittriges Strichlein aus der Tuschfeder steht unverrückbar da und demonstriert Entschiedenheit.
Almut Aue liebt Schwarz. Es entspricht ihrer latenten Radikalität. Sie verwendet es entweder als Pigment neben Farben oder konzeptionell als Bildelement, u.a. in Serien von 2000 bis heute, „jandl“, „schwarzbrechen“ und auch in den 24 Arbeiten à 25 x 35 /30 x 69 / 60 x 80 cm, aus den Jahren 2015 bis 2019. Aquarelle auf handgeschöpftem Bütten, einige auf Japanpapier.
„schwarze periode über europa“, Foto: Harald Etzemüller
Zur Ausstellung „schwarze periode über europa“
Die Pigmente hat Almut Aue selbst hergestellt: gebrannte Kirschkerne, zerstampft, fein gesiebt ergaben ein samtiges Braunschwarz; ebenso gebrannte Traubenkerne, die mit einem Bindemittel zu einer sattschwarzen Tusche verarbeitet wurden. Als die verbraucht war, musste Boesner einspringen, mit seinem Holzkohlepigment „Noir de Carbonne Furnace“.
Alle Blätter zeigen klare Formen und Linien auf bewegtem Grund.
Irritiert hatte eine Kollegin kommentiert „Almut, du machst doch immer gestische Sachen, das hier sind so starre Formen“. Anlass für die Serie war aber gerade dieses Spannungsverhältnis zwischen Erstarrtem und Bewegtem.
„Der Gegensatz hat mich stark gereizt, deshalb hab ich immer weiter gemacht“, offenbart Almut Aue ihren künstlerischen Antrieb bei der Entstehung der Bilderserie. Gegensätzliches manifestiert sich vor allem auch in der Spannung zwischen farbiger und schwarzer Bildebene: Farbe macht an, birgt aber mehr Risiken als die noble Grisaille. Beides kombiniert, ähnelt dem Schlittschuhfahren auf dünnem Eis: Schnell bricht einer ein, fuhrwerkt er mit dem Schwarz zu heftig… und das Bild ist hin.
Almut Aue, „highheels in den seilen“, 2015, Tusche auf aquarelliertem handgeschöpften Bütten, 25 x 33 cm
Almut Aue aber bleibt neugierig. Es interessiert sie, was entstehen kann; entspricht es ihrem Empfinden in dieser oder jener Lage? Kann sie es weiter treiben? Was kann sich ihr noch offenbaren?
Ich betrachte „highheels in den seilen“ und „schwarzlicht“, beide 2015.
Beide Blätter zeigen einen intensiv durchgearbeiteten Grund. Allein die Aquarellierung der Blätter leistet mehr als das, was einem Aquarell in der Regel zugetraut wird. Aus Schichten von farbigen Pinselstrichen, ähnlich in Duktus und Breite, entstehen kurzwellig bewegte Farbpanoramen, über denen durch die Verwendung von Weiß ein transparenter Belag zu schweben scheint. Was der Betrachter nicht ahnt: Diese Aquarelle wurden nicht etwa orthodox auf weißes Papier gepinselt. Nein, die Malerin wünschte sich eine Art ,Sandwich de Noir aux Couleurs‘: Schwarzen Grund, mit Farbe belegt, überhöht mit schwarzem Formen.
Warum das? Um die ganz oben schwimmenden schwarzen Bildelemente zu erden? Um eine Art Schwarzecho zu evozieren? Sie streicht also das Blatt schwarz ein und verbirgt dies wieder, Schicht für Schicht Aquarellfarbe auftragend. Am Ende dieses aufwändigen Prozesses ist das Blatt schön – aber nicht genug für Almut Aue, denn nun greift sie erneut zum ,Point of no return‘. Mut gehört dazu, ein bereits gelungenes Blatt mit Schwarz zu beschießen.
Almut Aue, „schwarzlicht“, Tusche auf aquarelliertem handgeschöpften Bütten, 25 x 33 cm
,highheels in den seilen‘ bleibt im Filigranen. Wo sind die Highheels? Schwarzlacklederne Killerpumps fliegen als Idee über das Blatt hinweg, finden ihren Schuhkarton nicht und sinken zurück ins Abstrakte. Ein schönes Blatt – alles ist in der Schwebe: Das Farbige am Boden, das Schwebetransparente und die arabeskenartig schwingenden schwarzen Linien, die an Tänze auf einer Terrasse am Sommerabend und weggeworfene Schuhe denken lassen.
„schwarzlicht“ lässt, wieder auf lebhaft bewegtem Grund aus hüpfenden Farbstrichen, eine schwarze Schicht aus Linien und klar begrenzten Flächen schweben. Zum Greifen nahe für den Betrachter liegt sie da, und hat das Geflirr auf dem Grund fest im Griff. Aber ohne die flimmernde Suppe unten bliebe das Schwarze ein starres Totensegel, die ornamentale Form ein isoliertes Schmuckelement. Im Verein mit ihr erhalten sie Leben. Note. Balance.
Jeweils drei der insgesamt 12 aufeinander bezogenen Blätter zeigen Untergründe ähnlicher Machart. Neben den vorgestellten gibt es Aquarelle ohne geschwärzten Grund, ebenso ohne Weißauftrag, hellere, dunklere, stark- und zarterfarbige.
Almut Aue, „eiernde geier“ (25 x 69 cm) und „himmlische verwerfungen“ Diptychon, 2018 (26 x 69 cm), Tusche auf aquarelliertem Karton
„eiernde eier“ (25 x 69 cm) und „himmlische verwerfungen“ (26 x 69 cm) wagen den Sprung in ein größeres Format… eine geglückte Aktion, die Vorstellungen weiterer Ausdehnung im Kopf herumspuken lässt. Kein Blatt imitiert ein anderes, jedes trägt seine ganz eigene Formgestaltung. Es gibt genug Futter zum Hingucken. Alle leben in ihrem eigenen Spannungsverhältnis zwischen dem Leichten und dem Dezidierten.
Einen Blick in die Künstlerwerkstatt gestatten die neun dunkel gerahmten A4-Blätter aus Schreibmaschinenpapier (6 davon schwarz auf weiß, 3 weiß auf schwarz), die Entwürfe für die farbigen Arbeiten darstellen. Während die ersten Blätter noch ohne Entwurf auskamen, scheute Almut Aue, so um – wie vorsichtig, dann doch das Risiko, ein gelungenes Aquarell womöglich durch spontan fehlgesetztes Schwarz zu verderben.
Epilog
Noch ein Wort zu den Titeln: Viel Auseinandersetzung zwischen Künstlern gab es schon darüber. Wozu ein Titel, ist er ein Zugeständnis an das Publikum, eine Krücke, damit einer vielleicht doch etwas auf dem Werk erkennen kann, dient er dem Künstler als Hilfe zum Katalogisieren, oder ist ein Bild nackt ohne Titel.
Entscheiden Sie selbst: Stellen Sie sich eine Show mit zehn monochromen Werken vor, einmal betitelt als blau, rot, orange usw. oder lieber als o.T., o.T., o.T. usw. Welche Betitelung bevorzugen Sie?
Almut Aue, „ach, europa!“, Diptychon, 2019, Collage / Decollage auf Karton (60 x 80 cm)
Almut Aues Titel sind oft amüsant und poetisch. Sie geben einen Rahmen, der Interpretation des Geschaffenen sein kann; zumindest aber ist er ein Kommentar, eine Art Wegweiser in die Möglichkeiten des Begrifflichen. Hatte der Titel „schwarze periode über europa“ den Arbeiten nachträglich eine politische Konnotation verliehen, ohne dass die Blätter direkte politische Statements erkennen ließen, so gelang Almut Aue schließlich mit einer unmittelbar aus dem Material der Serie entstandenen Decollage/Collage auf Karton das Kunststück, Titel und Blätter schlüssig miteinander zu verknüpfen: auf der Europa-Doppelkarte (Titel: „ach, europa!“, Diptychon, 60 x 80 cm) mit amüsant-hintergründigen Verballhornungen der Ländernamen – von Brexitannia über Geldmania, Francronia, Orbania, Schreckien, Putinia bis Pispopulpolska.
Die Ausstellung in der Frankfurter Galerie Schamretta geht noch bis zum 29.11.2019.