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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Kultur und Natur – Mensch und Klima

Eine entzauberte Beziehung

Von Gunnar Schanno

Symbiose von Natur und Gestaltetem; Foto: Petra Kammann

Wenn Kultur und Natur in Symbiose treten, dann immer im Vorgang des Gestaltens und Veränderns. So versteht sich Kultur in ihrer ursprünglichen Bedeutung, auch sprachlich geprägt seit römischer Epoche, als ‚cultura‘, als meist agrarisches Bebauen, als Gestalten der Natur durch den Menschen. Und sodann wurde Kultur gar zum umfassenden Begriff für das Gestalterische menschlicher Gesellschaft.

Des Menschen Beziehung zur Natur ist zwiespältig. Sie vollzieht sich zum einen in subjektiver Weise als Hege und Pflege, danach strebend, aus der Natur heraus eine zur Kultur umgestaltete Lebens- und Erlebenswelt zu schaffen. Und zum andern vollzieht sich das Verhältnis zur Natur im Zivilisatorischen von Ratio und Kalkül geleiteter Nutzungshaltung. In dieser Weise dient Natur als  lebensbildende und existenzerhaltende Grundlage. Dennoch steht der Mensch in beiden Beziehungsformen in Distanz zur Natur, sieht sich getrennt von ihr in auch begrifflicher Bestimmung und Unterteilung als Flora und Fauna.

Herbst auf dem Friedhof: Die Blätter fallen wie von weit…; Foto: Petra Kammann

Von Menschenhand ständiger Veränderung ausgeliefert wird aber Natur in beiden Beziehungsformen ihrer sich selbst seienden Naturhaftigkeit beraubt. Anders als die der Natur zugewiesene tierliche Kreatur greift der Mensch mit all seiner Reflexivität, ob gestaltend oder nutzend, in ihren Bestand. Der Mensch steht in grundsätzlicher Opposition zur Natur. Selbst in Gärten und Parks oder in pflegender Sorge für seine Balkongewächse oder sein kleines Heimtier – nicht zu reden vom Griff auf ökonomisch-profitär genutzte Bestände von Naturflächen und Tierbeständen: Der Mensch steht und stand immer im domestizierenden, bis hin zu einem grenzüberschreitend vereinnahmenden Verhältnis zu ihr.

Es scheint nun, als erfahre im Jahr 2019 der Mensch, wie nie zuvor, für viele im Auftreten einer jeanne-d’arcschen Umweltaktivistin wie Greta Thunberg symbolisiert, dass er Macht und Gewalt über die Natur zu verlieren beginnt. Mehr noch, dass die ihm dienende Natur wie eine zwischen Siechtum und Aufbäumen gequälte Kreatur sich rächend gegen den, das Maß des Peinigens überschreitenden Menschen wendet. Selbst wenn der Mensch der Natur gegenüber auch in romantische Schwärmerei verfiel, sein besagtes Verhältnis zur Natur war genau besehen immer in verteilter Rolle zwischen Meister und Dienendem und die Entzauberung der Beziehung ist in vollem Gange.

Doch geschah selbst der zerstörende Umgang mit der Natur immer in Unschuld, solange das Zerstörende als Folge des Menschen Umgangs mit ihr im Dunkel der Erkenntnislosigkeit blieb. Im Angesicht von rauchenden Schloten und qualmenden Abgasrohren kam geradezu Stolz in Werks- und Vehikelbetreibern auf, die Natur sich untertan gemacht zu haben. Fast genussreich empfand sich der Mensch als Beherrscher der Natur in seiner Rolle als Meister in instrumenteller Verstärkung und industriebewehrtem Eingreifen bis hin zu manipulativer Genveränderung ihrer organischen Strukturen. Der vielleicht erste faktisch belegte Zweifel wurde öffentlich, 1972 durch den Club of Rome verbreitet, mit in die Zukunft weisenden Ergebnissen über die Grenzen des Wachstums angesichts der Endlichkeit von Naturressourcen.

In hilfreicher Unterscheidung zum rational und universell Zivilisatorischen sprachen wir von Kultur als dem Reich der Emotio und des Subjektiven. Gegenüber Zivilisatorischem aber kann sich kulturgeprägtes, emotionsgeleitetes Verhalten auch realitätsverachtend über alles wissenschaftlich-forschend Erreichte hinwegsetzen. Mit dem Kulturbegriff etwa der Tradition können scheinbar mühelos menschen- und tierrechtlich erreichte Standards abgetan werden. So wird sich in nicht wenigen Ländern auch auf Kultur und Tradition berufen, wenn altherkömmliche tierquälerische Spiele auch heute noch volkstümlicher Belustigung dienen. Und manches Land vertritt quotenfreien Fischfang mit dem verstärkenden Argument des Kulturellen, dass alleine schon Fischerei als solche Teil seiner Landeskultur sei und ihre traditionsreichen Speisen ungehinderten Fischfang rechtfertigen.

Triennale im belgischen Brügge: aus dem gefischten Plastikmüll aus dem Meer wurde ein Wal gebaut wird, der zeigt, wie viel Plastik in unseren Ozeanen schwimmt; Foto: Petra Kammann

Nun ist es auch staatsrechtlich zu politisch verfestigter Form geworden, dass das Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten eines Staates gilt. Es entstand als Prinzip, da innerstaatliche Gewalt gegen Mensch und Natur für die externe Staatenwelt für so gut wie folgenlos wahrgenommen wurde. Diese im Menschenrechts- und Umweltkontext obsolet werdende Rechtsgrundlage für das Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten bedarf doch sicher dringender Relativierung?

Notwendig wird sie im Sinne einer Novellierung gewiss, da zum einen im Zuge von Globalisierung und Mobilität die Ländergrenzen so gut wie bedeutungslos geworden sind. Und notwendig zum andern, weil der simple Spruch gilt, wonach der durch Naturzerstörung beschleunigte Klimawandel vor Staatsgrenzen nicht Halt macht. Was in Zeiten persönlicher und informationeller Mobilität im Falle von Menschenrechtsverletzungen zu Fluchtbewegungen über Länder und Meere führt, das hat auch Auswirkung auf externe Staatsgebiete. Und wenn nun im Falle der Naturzerstörung bis in brasilianische Regenwälder die Politführer dies als innere Angelegenheiten reklamieren, so widerspricht dies dem Erkenntnisstand weltklimatischer Veränderungen, als schließlich auch externe Natur- und Siedlungsräume schadenhaft betroffen sind.

In all dieser Zwiespältigkeit wird dramatischer denn je, geradezu kreuzzugsartig demonstriert im Umweltaktivismus eines Friday-for-Future, dass zur empfindungsgeleiteten Kultur auch das Instinktive gehört, das geradezu Hellseherische, das Erfühlen, wenn es um Gefahren, wenn es um gefährdetes Leben selbst geht, wenn es um das bestehende oder zukunftserahnte Leiden ja bereits der gegenwärtigen, sicher aber der künftigen Generationen geht.

Als das ergreifendste Medium für das Versinnbildlichende von Unheimlichem, von Bedrohendem, für das Darstellen von Schicksal und Leid, hat sich bisher stets die Kunst erwiesen. War einst Anklage erhoben im Medium der Kunst in Gemälden, auf der Bühne expressionistisch etwa gegen soziale Auswirkungen beginnender Industrialisierung, so scheint das reale Geschehen heute und das gegenwärtig Bedrohliche der Klimaextreme in seiner erklärbaren Genese fast banal. Noch ist schwer erkennbar, wie und wann das gegenwärtige Geschehen im künstlerischen Ausdruck gedeutet wird.

Der so virulent gewordene öffentliche Diskurs bezieht sich auf nichts als einer ‚auf dem Tisch‘ liegenden, aus Ursache und Wirkung gebildeten Erkenntnis. Es betrifft die Tatsache, dass diese geradezu lächerlich wenige tausend Meter an Bio- und Atmosphäre über ein paar Jahrzehnte hinweg verdichtet wurde durch Abermillionen Tonnen partikelreicher Emissions-Masse, die aus dem Erdreich ins Reich menschlicher Lebenswelt gestoßen wurde. Wie etwa soll dies kulturell-künstlerischen Ausdruck finden? Wie etwa soll dies kulturell-künstlerischen Ausdruck finden?

Es ist neben realer eine existentiell erfühlte Bedrohung, die überhaupt nicht nur rational, experten-beflissen begründet werden muss. Das Missverständnis, dass Experten identisch mit Entscheidungsträgern seien, betrifft die Frage der Zuständigkeiten. Der Experte in Klimafragen ist sich in ganzheitlicher Sicht ja doch letztlich einig mit den Mahnern und Anklagenden eines How-you-dare, nämlich wissentlich zu wagen, die Menschheit der Naturzerstörung auszusetzen. Die Entscheider sind aber, modellhaft gesagt, meist nicht die Experten, sondern jene, die jeweils ihren Klientelen gegenüber für zeitknappen politisch-parteilichen Erfolg stehen und sind jene, die sich zuständig sehen für ökonomisch-profitär begründete Entscheidungen.

Die Zeitspanne für den Erlebensfall zerstörender Klimaextreme wird aber immer geringer. Immer deutlicher wird, dass nicht allein die Jugendgeneration die Folgen des Klimawandels zu ertragen hat, auch die Entscheidergeneration selbst wird bereits die Wucht der Natur zu spüren bekommen. Der bedeutungsweite Begriff der Natur verengt sich zum Drohbegrifflichen der Naturextreme.

Natur und Architektur; Foto: Petra Kammann

Fragen tun sich auf! Ist Zivilisation als Welt der Rationalität, mehr noch, der Rationalisierung mit dem so typischen Zivilisationsverständnis eines Immer-mehr, einem In-immer-größeren-Mengen, der Sättigung der Märkte in immer kürzerer Zeit, zu immer billigeren Kosten an ihr Ende gekommen? Richtet sich Technik mit der durch sie ausgelösten  Dynamik, richtet sich das, was gerne Wachstum genannt wird, gegen ihren Schöpfer, dem sich dieserart gerierenden Menschen selbst? Hat der Begriff Wachstum nur noch Legitimität, wenn es im Prozess der Konversion zur Nachhaltigkeit steht? Gewinnt der rousseauische wie immer gemeinte Aufruf eines Zurück-zur-Natur auch kulturell neuzugestaltende Bedeutung?

Wird Kultur ihrer bisherigen Stärken beraubt, wie sie in ihrer so typischen Regionalität, Individualität, im künstlerischen Gestalten liegen? Kommt Kultur unter die Räder globalisierter, zunehmend vereinheitlichter Überlebensstrategien angesichts der Bedrohungen durch aufbäumende Kräfte der Natur? Nivellieren sich Kultur, Traditionen, Brauchtum, kulturelle Vielfalt in zu vereinheitlichenden Prozessen, wo Menschen immer häufiger ihren Fokus darauf richten müssen, sich der Natur zu erwehren, wenn nicht gar sich aus Fluten und Flammen zu retten?

Kultur und Natur, Mensch und Klima: sie standen immer in Beziehung zueinander, in Konflikten wie im Miteinander. Die Konstellationen waren wie ein Optimum für die Spezies Mensch, die ihn durch die Geschichte hin zum Global Player des Planeten hat werden lassen. Und die Natur hat ihm buchstäblich den Boden bereitet für eine reiche Kultur mit ihrer wirkmächtigen Vielfalt. Nicht anders, wie die Natur dem Menschen alles bot, bis tief zu ihren Ressourcen des Erdreichs, eine globale Zivilisation entstehen zu lassen. Sie aber hat nun den Menschen in der Überdimensioniertheit seiner Fähigkeiten in den Konflikt mit der Natur geführt. Wie etwa soll dies kulturell-künstlerischen Ausdruck finden? Wie werden also in besagter Entzauberung der Beziehung zwischen Kultur und Natur, Mensch und Klima die Karten neu gemischt?

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