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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Otello“ von Gioachino Rossini an der Oper Frankfurt

Eine Geschichte mangelnder Kommunikation: Kalte, berechnende Familienverhältnisse und die Angst vor dem Fremden

von Renate Feyerbacher /Fotos: Barbara Aumüller

Zum ersten Mal kommt  „Otello“ von Rossini in Frankfurt auf die Bühne. Die Produktion ist eine Übernahme, die vor zweieinhalb Jahren am Theater an der Wien gezeigt wurde. Begeisterter Beifall für die sängerische und orchestrale Leistung, wohlwollender für die Interpretation.

 v.l.n.r. Kelsey Lauritano (Emilia; im roten Kleid), Enea Scala (Otello) und Jack Swanson (Rodrigo) sowie im Hintergrund Ensemble

„Otello“ von Gioachino Rossini (1792-1868)? Jeder fragt erstaunt: 24 Jahre war der Komponist alt, als er das Dramma per musica in drei Akten schuf, das im Dezember 1816 in Neapel uraufgeführt wurde. Da war Giuseppe Verdi, dessen „Otello“ 1887 in Mailand uraufgeführt wurde, gerade mal drei Jahre alt. Aber sein „Otello“ hat den von Rossini, von dem das Publikum seinerzeit angetan war, vergessen gemacht.

Während das Verdi-Libretto auf Shakespeares Drama aufbaut, orientiert sich Rossinis Librettist Francesco Maria Berio an französischer und italienischer Bearbeitung, die allerdings auch auf Shakespeares Werk basieren. Die Figuren blieben erhalten. Aus dem kriegerischen Held Otello wird bei Rossini ein Fremder aus dem arabischen Raum, reich und erfolgreich.

Ehrenvoll wird er vom Dogen und seinen Würdenträgern empfangen. Der Doge lässt ihn seinen Lohn für die Verdienste um Venedig sogar selbst wählen. Otello strebt nach dem venezianischen Bürgerrecht und hofft, dass so sein inneres Zugehörigkeitsgefühl anerkannt wird. Heimlich haben er und Desdemona geheiratet. Sie hatten Mühe, das Geheimnis zu wahren. Das Bürgerrecht gäbe die Möglichkeit, die Heirat offiziell zu machen und damit auch akzeptiert zu werden. Doch hat Otello mit den vielen Neidern nicht gerechnet.

Die Namen der Handelnden, die nach und nach in den Salon des reichen Elmiro Barberigo eintreten, werden während des Vorspiels auf den Gazevorhang projiziert. Elmiro ist der Vater von Desdemona und Emilia. Der Doge fährt im Rollstuhl rein, gefolgt von seinem Sohn Rodrigo. Natürlich fehlt Jago nicht, der gleich durch Verrücktheiten auf sich aufmerksam macht. Das hat er nötig, denn die Figur hat nicht den Biss des Shakepearschen Originals.

Ruppig ist der Doge zu seinem Sohn, Elmiro zu Desdemona. Beide sind gewillt, aus politischen Gründen die Heirat von Desdemona und Rodrigo zu forcieren. Konnte Elmiro nicht ahnen, dass der Brief mit Locke, den er abfing, für Otello und nicht für Rodrigo bestimmt war? Dieser Brief wird Desdemona zum Verhängnis und Otellos Eifersucht, die Jago zu schüren weiß, lässt ihn dadurcht zum Mörder werden. Bei Shakespeare ist es das Taschentuch von Desdemona, das bei Rodrigo, für den sie sich einsetzte, gefunden wird. Bei Rossini sind Desdemona und Rodrigo, der von ihr als Ehemann zurückgewesen wird, Gegenspieler. Natürlich gelangt der Brief in Otellos Hände.

Im zweiten Akt treffen die Gegenspieler Otello und Rodrigo aufeinander. Es kommt zum erbitterten Streit. Desdemona versucht diesen vergeblich durch eine klärende Aussprache zu beenden. Die beiden Männer sind von Rachegefühlen bestimmt.

v.l.n.r.: Jack Swanson (Rodrigo), Enea Scala (Otello) und Nino Machaidze (Desdemona)

Bis dahin ist Rossinis „Otello“ vor allem eine sängerische Auseinandersetzung dreier Tenöre: Otello, Rodrigo, und Jago. Die müssen ausgezeichnet sein, aber auch die Nebenrollen sind mit Tenören besetzt. Nur der Bass von Vater Elmiro bringt eine andere Stimmlage ins Spiel. Welches Opernhaus kann schon ein solches Aufgebot bieten?

Im Dritten Akt, dem musikalisch schönsten mit dem kostbaren Harfensolo, steht Desdemona im Mittelpunkt. Sie hat erkannt, dass alles verloren ist und gibt sich voll und ganz ihrem Schmerz hin. Die Musik lässt sie zu einer starken Figur werden. Der Schluss hat nicht die Dramatik, die nach diesen Ereignissen, nach der Tötung von Desdemona und nach dem Suizid von Otello geboten wäre. Es klingt ziemlich schlicht und einfach aus.

Regisseur Damiano Michieletto gab bereits mit „Der ferne Klang“ ein Debüt an der Frankfurter Oper. Er ist derzeit einer der erfolgreichsten und produktivsten Regisseure.

In dieser Inszenierung arbeitet er den Konflikt der Väter klar heraus, den des Dogen mit Sohn Rodrigo und den von Elmiro mit Desdemona. Es ist ein Generationenkonflikt, die familiäre Atmosphäre eiskalt. Übrigens ist eine Mutter nicht in Sicht. Emilia, Desdemonas Schwester, bleibt Vaters Liebling, weil sie sich fügt. Gegenüber ihrer älteren Schwester verhält sie sich heuchlerisch und verräterisch, so dass Elmiro sogar Desdemona verflucht.

Ein anderer Schwerpunkt ist der Fremdenhass. Otello ist wegen seiner arabischer Herkunft auch Muslim. So behauptet Jago, er trage den „Dreck“ in die venezianische Gesellschaft hinein. Otellos Liebe sei nur vorgetäuscht, um in diese Gesellschaft zu gelangen. Da gibt es beeindruckende Szenen der Bedrohung des Fremden. Desdemona ist die einzige, die in die Intrigen nicht involviert ist. Emilia hingegen schon. Wie Desdemona ist auch Rodrigo ein Opfer. Er wurde zur Heirat gedrängt, dabei  verletzt die Ablehnung seinen männlichen Stolz. Und alles Fremde macht ihm Angst. Jago manipuliert die Realität und die fehlende Kommunikation untereinander tut ihr Übriges, um den Konflikt zu schüren.

Alles in allem eine interessante Inszenierung, die aber auch Momente enthält, die nicht zu deuten sind.

Paolo Fantin, mit dem der Regisseur oft zusammenarbeitet, hat dazu ein geschicktes Bühnenbild geschaffen, das durch eine bewegliche Wand mit einer Schiebetüre, die geradezu magisch wirkt, erweitert werden kann. Große gesellschaftliche Zusammenkünfte, bei dem der von Tilman Michael einstudierte Chor zugegen ist, werden auf der Bühne gefeiert – raffiniert vom Lichtdesign des römischen Lichtdesigners Allessandro Carletti unterstützt. Und auch die Kostümdesignerin Carla Teti gehört zum Michieletto-Team. Sie gibt zeitgenössischen Kostümen den Vorzug.

v.l.n.r.:Thomas Faulkner (Elmiro Barberigo), Nino Machaidze (Desdemona), Jack Swanson (Rodrigo) und Theo Lebow (Jago) sowie im Hintergrund Ensemble

Die Frankfurter Aufführung wartet mit drei Tenören von Weltklasse auf: Der italienische Tenor Enea Scala gibt Otello seine Stimme. Anfangs zu metallisch, zu angestrengt, gelang es ihm, in ausgewogenere Stimmlage zu kommen. Ensemblemitglied Theo Lebow singt Jago. Dem jungen Amerikaner gelingt es, die eher fade Rolle gesanglich und auch spielerisch ausgezeichnet zu beleben. Rodrigo ist mit dem jungen amerikanischen Tenor Jack Swanson besetzt, der an allen großen Opernhäusern auftritt. Bewundernswert, wie leicht und sicher er die hohen Töne meistert.

Erwachsen aus dem Opernstudio, heute Ensemblemitglied, verkörpert Thomas Faulkner, Bass, den Elmiro. Ein wunderbarer Kontrast zu den alles beherrschenden Tenören, zu denen auch der Doge (Hans-Jürgen Lazar) und Lucio (Micheal Petruccelli) gehören.

Die renommierte georgische Sängerin Nino Machaidze, die bereits in Wien die Desdemona gesungen hat, ist kurzfristig für die erkrankte Karolina Makula eingesprungen, die jedoch bei drei der Vorstellungen die Rolle singen wird. Nino Machaidze kann im dritten Akt ihren feinen Sopran voll zur Geltung bringen. Einfach Weltklasse!

Die japanisch-amerikanische Mezzosopranistin Kelsey Lauritano gehört seit der letzten Saison zum Opernstudio, sie gefällt durch ihre schöne Stimme und ihr lockeres Spiel.

Der Dirigent Sestro Quatrini hat mit „Otello“ an der Oper Frankfurt debütiert. Souverän leitet er das Frankfurter Opern- und Museumsorchester.

Weitere Aufführungen am 12., 21.und 29.September, am 3.,12. anschließend Oper lieben, und 20. Oktober. Deutsche und englische Übertitel übersetzen die in italienischer Sprache gesungene Oper „Otello“ von Gioachino Rossini. Es lohnt sich.

 

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