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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

800 Jahre St. Leonhard – „Schätze aus dem Schutt“ im Dommuseum

Die Leonhardkirche in neuem Glanz und neue archäologische Erkenntnisse

Von Petra Kammann

Nachdem die Leonhardkirche zehn Jahre lang geschlossen war und im Auftrag der Stadt Frankfurt von den Altären bis zu den Fenstern und frisch restaurierten Kunstwerken aufwendig saniert und restauriert wurde, feiert sie in diesem Jahr ihren 800. Geburtstag.  Ab dem 8. September 2019 ist sie wieder an vier Tagen in der Woche für Besucherinnen und Besucher zugänglich. Aus diesem Anlass zeigt das Dommuseum Frankfurt zusammen mit dem Archäologischen Museum Frankfurt, der Denkmalpflege der Stadt Frankfurt und des Landes Hessen die Ausstellung „Schätze aus dem Schutt. 800 Jahre St. Leonhard“. Neben der Präsentation herausragender Grabungsfunde und restaurierter Kunstschätze vermittelt die Schau an zwei verschiedenen Orten Einblicke in die Grabung, die Restaurierung und in die komplexen mittelalterlichen Herstellungstechniken bedeutender Kunstwerke.

Blick in die Ausstellung im Dommuseum mit dem Heilig-Grab-Altar (um 1510/1520). Die Figuren am Rand neben der Grabplatte mit Christus waren als „Füllmaterial“ verbaut. Die Stein-Skulptur in der Mitte galt lange als Marien-Figur. Es handelt sich aber nicht um Maria, sondern um eine der drei Frauen am Grab, die frühe Zeuginnen der Auferstehung geworden sind; Fotos: Petra Kammann 

Grabungsarbeiten in St. Leonhard, Foto: Quelle Dommuseum

Zur Geschichte 

Im Zuge der archäologischen Ausgrabungen im Jahre 2012 waren in der Bodenaufschüttung und in der Vermauerung des Durchgangs zwischen der äußeren Sakristei („Brommenchörlein“) und der Salvatorkapelle in der St. Leonhardskirche ganze 137 Steinfragmente von Architekturen und Skulpturen gefunden worden. Die Stücke konnten nun dem Heilig-Grab-Altar, einem zerstörten Ausstattungsstück von St. Leonhard, zugeordnet werden, von dessen Existenz man bislang allenfalls aufgrund seiner Abbildungen aus dem 18. Jahrhundert wusste.

Die restaurierte „Marienfigur“ – so hieß es noch vor einem Jahr – aus St. Leonhard, die 2018 im Dommuseum ausgestellt wurde

Mit der Schönheit der behutsam restaurierten polychrom bemalten „Marienfigur“, die durch die Restaurierung ihre leuchtende Farbigkeit wiedergewonnen hatte und die Teil dieser gotischen Figurenrunde war, wurden wir bereits in der Ausstellung „Blau! Weiss! Rot!“ im Dommuseum im vergangenen Jahr vertraut gemacht. Das steigerte die Neugier der Ausstellungsbesucher auf die weiteren Restaurierungsarbeiten. Dass sie ein Jahr vor den Feierlichkeiten zum 800. Geburtstag von St. Leonhard im Dommuseum gezeigt werden konnte, ist besonders den Freunden Frankfurts zu verdanken. Der eigens gegründeter Förderkreis St. Leonhard hatte die Kosten für die Restaurierung übernommen.

Um weitere Skulpturenfunde und Fragmente des Heilig-Grab-Altars restaurieren zu können, wurden zusätzliche Spendengelder nötig, die so akquiriert wurden; nicht zuletzt dazu sollte die Präsentation im Dommuseum dienen. Die Präsentation der Marienfigur war aber auch der gelungene Startschuss für die Planung und Realisierung der umfassenderen Ausstellung „Schätze aus dem Schutt 800 Jahre St. Leonhard“, die das Dommuseum in Kooperation mit dem Archäologischen Museum sowie der staatlichen und städtischen Denkmalpflege nun am 15. August 2019 – einem für die Kirche symbolträchtigen Datum – eröffnet hat. Am 15. August 1219 nämlich, dem Fest Mariae Himmelfahrt, hatte der Stauferkaiser Friedrich II. den eigentlichen Grundstock zur Kirche gelegt, indem er den Frankfurter Bürgern den Baugrund für eine Kapelle am nördlichen Mainufer aus königlichem Besitz vermacht hatte.

Eingang zum ersten Teil der übersichtlich gegliederten Ausstellung im Sakristeum im „Haus am Dom“

Die Schau der „Schätze aus dem Schutt“ beginnt nun im Untergeschoss, dem Sakristeum im „Haus am Dom“, wo auch die für die Stadtgeschichte höchst bedeutsamen Schenkungsurkunde sechs Wochen lang zu sehen ist, danach wird sie durch ein Faksimile ersetzt.  Darin wird zum ersten Mal die Bürgerschaft Frankfurts (universorum civium de Frankinfort) genannt – eine der wenigen Gelegenheiten, dieses für die Stadt so überaus kostbare Dokument, das Privileg 1 mit seinem königlichen Siegel, welches sonst aus konservatorischen Gründen nur in der Privilegienkammer des Instituts für Stadtgeschichte sicher aufbewahrt wird, dort im Original in Augenschein zu nehmen!

Insgesamt werden in der Schau 70 Objekte und Objektgruppen präsentiert, offen stehend, liegend oder in Vitrinen arrangiert, thematisch bestens gegliedert. Neben den sensationellen Funden, wie dem Atzmann, einer um 1430/40 entstandenen Beweinungsgruppe aus Ton und dem Heilig-Grab-Altar, erzählen dort Säulenkapitelle, Pilgermuscheln, Fußbodenfliesen und Münzen neue, bislang unbekannte Episoden aus der wechselvollen und beeindruckenden Geschichte St. Leonhards.

Interessant thematisch gegliedert ist auch hier die Geschichte von der zunächst dem heiligen Georg und der Gottesmutter Maria geweihten romanischen Kirche, die bald schon Anlaufstelle für Pilger auf dem Weg nach Jerusalem oder nach Santiago de Compostela zum Grab des heiligen Jakobus wurde. Auch Jakobsmuscheln fanden sich hier. 1317 wurde ein Kanonikerstift eingerichtet, 1323 die Armreliquie des aus Limoges stammten heiligen Leonhard erworben, welcher der Kirche ihren Namen gab. Limoges lag ebenfalls auf dem Pilgerweg.

Den Erweiterungen im 15. und 16. Jahr­hundert folgte in der Reformationphase eine schwierige Zeit der Krise und der Umnutzung, hervorgerufen durch die Säkularisation. Beinahe wäre die Kirche damals sogar abgerissen worden. Nach der Französischen Revolution wurde 1809 die renovierte, teils umgebaute und den neuen Bedürfnissen angepasste Kirche dann wieder eröffnet. Wie durch ein Wunder überstand sie die Angriffe durch den Zweiten Weltkrieg und blieb – im Gegensatz zu den meisten anderen Kirchen in der Innenstadt – relativ unbeschadet.

Schicht um Schicht aufgeschüttet. Fototapete mit dem ältesten Teil der Kirche,  dem romanischen Jakobusportal 

Wie kam es zu den Schätzen aus dem Schutt?

Über Jahrhunderte war das Hochwasser für die Kirche ein lebensbedrohliches Problem. Das unmittelbar am Main gelegene Gebäude hatte sich nicht nur durch Erweiterungen im Lauf der Jahrhunderte verändert, mehrfach wurde wegen des Hochwassers vom Main auch der Fußboden erhöht, so dass das zu Beginn der Innensanierung angetroffene Fußbodenniveau ganze 2,20 Meter höher lag als das der ersten romanischen Kirche. Für jeden dieser Umbauten wurde jeweils auch Füllmaterial aus der Kirche verwendet, so dass durch die Ausgrabungen zwischen 2009 und 2014 nicht nur die architektonischen Strukturen und Schichten der Kirche zu Tage gefördert wurden – wie etwa die Grundmauern des romanischen Rechteckchors oder die Altarfundamente oder auch die verzierten Basen der Pfeiler und Portale –, dabei wurde auch eine große Zahl von Grabplatten sowie zerbrochener oder zerschlagener Kunstwerke gefunden: wie der im 19. Jahrhundert im Chor gleichsam beigesetzte „Atzmann“, eine lebensgroße Figur aus rotem Sandstein, eine Skulptur in liturgischem Gewand, die dem Priester symbolisch ein Buch zum Gebet oder Gesang reicht, die Fragmente des steinernen Heilig-Grab-Altars und die Tonscherben einer um 1430/1440 entstandenen anrührenden Beweinungsgruppe.

Der Atzmann, der „stumme Diener Gottes“

Präsentationen zu den Herstellungstechniken und der erstaunlich bunten mittelalterlichen Farbenwelt 

Aufschlussreich sind natürlich die zahlreichen Pilger- darunter auch Jakobsmuscheln, Fußbodenfliesen, Glasfensterscherben oder Münzen, die in der Kirche zutage kamen und nicht zuletzt die anthropologischen Funde in den zahlreichen Grabstellen im Kircheninneren, die Aufschluss über die Bedeutung der Kirche geben. Die im Zusammenhang mit den jüngst am Gebäude erforschten baugeschichtlichen Befunden und Grabungsfunde machen die wechselvolle Geschichte von St. Leonhard wieder anschaulich und lebendig. Anders als die bis dato sichtbaren Werke erscheinen die wiedergefundenen Fragmente in ihrem mittelalterlichen Aussehen mit ihrer ursprünglichen Farbfassung, das sie trotz starker Verschmutzung bewahrt haben. Das stellt gerade im Fall des in leuchtenden Farben bemalten Heilig-Grab-Altars eine große Besonderheit dar, weil er ein unschätzbares Zeugnis für die Erforschung mittelalterlicher Steinpolychromie ist.

Blick auf die restaurierte Beweinungsgruppe aus dem frühen 15. Jahrhundert

Bei der aus 63 Bruchstücken nun wieder zusammengefügten Beweinungsgruppe aus Ton handelt es sich um das wichtigste in Frankfurt überlieferte Zeugnis aus der Gruppe der mittelrheinischen Tonplastiken des frühen 15. Jahrhunderts. Werke dieser Gruppe gehören zu den bedeutenden Exponaten in Museen, wie sie sich sonst nur in Museen wie dem Bodemuseum in Berlin und im Pariser Louvre finden lassen. Erstaunlich, wie von einer „Beweinungsgruppe“, bestehend aus drei Figuren, insgesamt nur die stark verschmutzte Bruchstücke gefunden werden konnte, die ein Ganzes ergaben. Kein Wunder, dass die Rekonstruktion rund 1.000 Arbeitsstunden erforderte.

Die Ausstellung – Zwei Orte und zwei Geschichten

Anhand der bedeutenden Funde werden in der Ausstellung zwei Geschichten erzählt: einerseits die 800-jährige Geschichte St. Leonhards und andrerseits die Geschichte der Wiederentdeckung und Erforschung während der Sanierung der vergangenen zehn Jahre. Mit den Grabungsfunden stehen den überlieferten Quellen, wie etwa den Zeugnissen über Stiftungen oder den bildlichen Darstellungen der Kirche aus dem 18. Jahrhundert, nun nicht nur neue bauhistorische Erkenntnisse gegenüber, sondern auch verloren geglaubte, bisher unbekannte Ausstattungsstücke. Sie lassen wieder ein neues Bild der mittelalterlichen Kirche erstehen.

Die Ausstellung dokumentiert also nicht nur im wahrsten Wortsinn „von Grund auf“ die Geschichte einer der schönsten Frankfurter Kirchen, sondern sie lässt die Aufgaben und die Methoden der Mittelalterarchäologie und der Denkmalpflege in neuem Licht erscheinen. Ihrem Wirken und ihren Forschungen sind die neuen Erkenntnisse zur mittelalterlichen Gestalt und zur verlorenen Ausstattung von St. Leonhard wesentlich  zu verdanken. So eröffnen etwa die Herstellungstechniken und die bunte mittelalterliche Farbenpalette einen zusätzlichen Blick auf die Kunstwerke. Darüber hinaus bereichern die neu entdeckten, erforschten und restaurierten Ausstattungsstücke von St. Leonhard maßgeblich die Erkenntnisse zur Bedeutung Frankfurts als eines führenden Kunstzentrums der Region.

Schön, dass auch auf diese Weise dem Palimpsest der „neuen“ Frankfurter Altstadt auf diese Weise noch ein weiterer authentischer Ort hinzugefügt werden konnte…

Zusatzinfos

Die Restaurierungen wurden mit zahlreichen finanziellen Unterstützungen aus der Bürgerschaft Frankfurts und öffentlichen Institutionen überhaupt erst ermöglicht: Die Beweinungsgruppe wurde mit Mitteln der Ernst von Siemens-Kunststiftung, des Landes Hessen – Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst – und des Bistums Limburg restauriert. Die Vollendung dieses höchst spannenden Puzzles wurde außerdem  in einem Film festgehalten. Der Verein der „Freunde Frankfurts“ hat die Restaurierung des Atzmanns sowie zusammen mit weiteren Institutionen eine Restaurierung des Heiliggrabaltars ermöglicht.

Das Dommuseum zeigt bis zum 19. Januar 2020 in der Sonderausstellung „Schätze aus dem Schutt – 800 Jahre St. Leonhard“ im Dommuseum und im Sakristeum im Haus am Dom zusammen mit dem Archäologischen Museum und der städtischen und staatlichen Denkmalpflege herausragende Funde, die bei der archäologischen Grabung während der Sanierung der Kirche gemacht wurden. https://dommuseum-frankfurt.de

Öffnungszeiten Dommuseum:

Di, Do, Fr 10.00–17.00 Uhr, Mi 10.00–19.00 Uhr, Sa & So 10.00–17.00 Uhr

Während der Ausstellung ist das Museum mittwochs länger geöffnet.

Führungen:

Mi 17.30 Uhr;  So 14.00 Uhr (Teilnahme im Eintrittspreis inbegriffen).

Katalog und weiterführende Literatur

Zur Ausstellung „Schätze aus dem Schutt. 800 Jahre St. Leonhard“ erscheint im Verlag Schnell + Steiner ein Ausstellungskatalog von ca. 200 Seiten, herausgegeben von Bettina Schmitt und Verena Smit. Beiträge verschiedener Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellen in allgemein verständlicher Weise die neuesten Erkenntnisse zur Geschichte der Kirche, ihrer Ausstattung und ihrer Erforschung dar.

„St.Leonhard in der Frankfurter Altstadt“, hrsg. vom Denkmalamt der Stadt Frankfurt, Archäologie/Anthopologie. Henrich Editionen

 

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