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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Europäische Selbstkritik“ – Motto der diesjährigen Ruhrtriennale

Gefragt wird nach Macht, nach Privilegien und wer wen überhaupt repräsentieren darf.

Von Simone Hamm

Den Auftakt der Ruhrtriennale 2019 machten Regisseur Christoph Marthaler, Librettistin Stefanie Carp, die Leiterin der Ruhrtriennale und der Musiker Uli Fusenegger.

 „Nach den letzten Tagen. Ein Spätabend“

Foto: Matthias Horn/Ruhrtriennale 2019

„Nach den letzten Tagen. Ein Spätabend“ fand nicht in einer der imposanten Industriehallen statt, in denen die Theater- und Musikaufführungen der Ruhrtriennale sonst oft gezeigt werden. Marthaler hatte den Audimax der Ruhr Universität Bochum zur Spielstätte erkoren. Und tatsächlich hätte es keinen besseren Ort geben können. Denn die Zuschauer wurden in den kommenden zweieinhalb Stunden pausenlos belehrt. Da wären Studenten während einer Vorlesung wohl kaum so brav auf den orangen Klappstühlen sitzen geblieben wie das Publikum. Das musste sich hasserfüllte Reden von Antisemiten, Identitären, Rassisten, Nationalisten anhören. Im Jahr 2145 blickt „Hohenzollern Europa“ zurück auf das kriegerische 20. Jahrhundert. Rassismus ist zum Weltkulturerbe erklärt worden.

Eine ähnliche Aufführung hatte es schon 2013 während der Wiener Festwochen gegeben und entsprechend Österreich-affin waren die vorgetragenen Texte. Etwa die antisemitische Rede des Wiener Bürgermeisters Karl Lueger, den Hitler verehrte. Oder die rassistische Rede einer ÖVP -Spitzenkandidatin, die über Negergene und Tierbordelle in muslimischen Ländern schwadroniert. Auf die wird dann mit einem James Baldwin -Text geantwortet. Wir hören Versatzstücke von Victor Orban, Boris Johnson, Björn Höcke, Alexander Gauland, Matteo Salvini und Heinz Christian Strache. Dazu wird  Wagner Musik auf Karnevalströge geblasen, verzerrt auf der großen Orgel des Audimax. Eine österreichische Provinzabgeordnete fängt nach einer rassistischen Tirade an zu jodeln, eine sehr blonde Schönheit intoniert ein Heimatlied von Andreas Gabalier, der schon einmal in Hakenkreuzpose auf einem einem Plattencover zu sehen war. Und das alles war nicht nur sehr angestrengt, sondern völlig humorfrei.

Diesen entsetzlichen Reden und profanen musikalischen Darbietungen stellte Marthaler das Gute, Wahre, Schöne gegenüber. Seichter Schlager, schwülstiger Wagner standen gegen die traumschöne und zugleich avantgardistische Musik der aus Wien und Prag vertriebenen Komponisten Pavel Haas, Victor Ullmann, Erwin Schulhoff, Alexandre Tansmann oder Józef Koffler, Musik von Männern, die deportiert wurden, in Konzentrationsalgern starben, zur Emigration gezwungen waren. Viele ihrer Kompositionen gingen verloren, andere sind nur noch fragmentarisch erhalten.

Ein Streichertrio mit Klarinette und Akkordion spielte die Kompositionen elegisch, ergreifend, anrührend. Uli Fussenegger war der feinfühlige musikalische Leiter.

Aufrührend war auch Luigi Nonos Klangcollage zur Erinnerung an Auschwitz vom Tonband. Der Abend endete mit der Musik eines anderes großen jüdischen Komponisten, einem Auszug aus Felix Mendelsohn- Bartholds Oratorium „Elias“. Leise gingen die Schauspieler von der Bühne, in einer Reihe in langen, dunklen Mänteln.

Aber so einfach geht die Rechnung nicht auf. Großartig, was an Musik zu hören war, viel zu simpel was die Schauspieler da zeigten, ganz gleich wie gut das Marthaler-Ensemble die Texte auch vorgetragen hat. Beim Herausgehen wünschte man sich nichts sehnlicher als einen Abend mit der Musik der vertriebenen, ermordeten und bis heute im Schatten stehenden jüdischen Komponisten.

„Everything that happened and would happen“

Foto: Heinrich Brinkmöller-Becker/Ruhrtriennale 2019

Unvergessen ist die Schafherde, die Heiner Goebbels 2014 in seiner Inszenierung von de Materie, der Oper von Louis Andriessen auf die Bühne der Kraftzentrale in Duisburg schickte. In diesem Jahr zeigt er der Jahrhunderthalle „Everything that happened and would happen“. Auch er setzt sich wie Marthaler mit dem von zwei Weltkriegen geprägten 20. Jahrhundert auseinander. Während bei Marthaler überhaupt kein Theater gespielt, nur deklamiert wurde, schüttet Goebbels ein Füllhorn an Klangimprovisationen, Rezitationen und Videoeinblendungen aus. Sein Abend speist sich aus drei Quellen: aus dem Roman „Europeana“ des tschechischen Autors Patrick Ouředník, aus der Oper Europas 1&2“ von John Cage und aus den Euronews, den Fernsehnachrichten ohne Sprechertext, nur mit dem Originalton von „no comment“. Diese Videos werden eingeblendet, es sind auch die Nachrichten des  jeweiligen Tages der Aufführung dabei. Protestierende in Hongkong, Gläubige in Bulgarien, Pilger in Medina.

Ouředníks Roman erzählt von der Pariser Weltausstellung, in der Schwarze wie Tiere ausgestellt worden sind, von feindlichen sich bekämpfenden Soldaten, die gemeinsam miteinander Weihnachten feiern, bevor sie wieder aufeinander schießen, von Buchenwald, von der Diskussion um das Holocaust Memorial.

Dazu assoziiert Heiner Goebbels frei. Er wollte ausdrücklich keinen musikalischen Kommentar zum 20. Jahrhundert schreiben. Die Ereignisse sollten für sich selbst sprechen. 17 Tänzer und Tänzerinnen sind zu Bühnenarbeitern geworden. Sie breiten Lage um Lage riesige Stofftücher aus, stellen Podeste auf und tragen sie wieder weg. Auf diesen Sockeln wird nie ein Denkmal stehen. Sie legen riesige kartonierte Buchstaben aus, die keinen Sinn ergeben. Sie bekämpfen ein imaginäres Ungeheurer mit großen, schwarzen Schläuchen, sie rollen große Kugeln auf die Bühne, sie spannen bedruckte Tücher aus, die zu Leinwänden für die Videos aus „no comment“ werden, sie winden sich durch Tunnel aus Rauch, und in einer fast magischen Szene agieren sie versteckt hinter großen schwarzen Dekoteilen und schleichen langsam über die Bühne.

Neben der Musik von Cage sind rhythmische Klänge zu hören, Schlagzeug, Saxophon, E-Gitarre.

Lauter wird es und schneller. Würde man jeden Abend zu einer der vier Aufführungen von „Everything that Happened und would happen“ gehen, man sähe jeden Abend etwas, was man am Vortag übersehen hätte.

Das ist ganz großes Theater und bleibt doch verwirrend und sogar unbefriedigend. Das mag an den Textstellen aus Ouředníks Roman liegen, die Goebbels ausgesucht hat. Manches zeigt den Irrsinn des Krieges perfekt, anderes ist ziemlich banal. Vielleicht ist es aber genau das, was Heiner Goebbels vermitteln will, dass es keine Antworten gibt auf die Frage, was das vergangene Jahrhundert gewesen ist. Es gibt nur Chaos und Widersinn. Es kann furchtbar sein wie einige der Stellen aus Ouředníks Roman, aufwühlend,wie die Musik oder einfach nur betörend schön, wie manche der Bilder, die Heiner Goebbels in der Jahrhunderthalle geschaffen hat.

Éric Vuillards „Congo

„Congo“ mit Mit Daddy Moanda Kamono, Faustin Linyekula, Pasco Losanganya, Foto: Agathe Popeney/ Ruhrtriennale 2019, Künstlerische Leitung: Faustin Linyekula, Text: Eric Vuillard 

Auch in der Gebläsehalle in Duisburg wurden die Zuschauer belehrt. Faustin Linyekula, Studios Kakao und Éric Vuillard zeigten „Congo“. Vuillard klagt in seinem Text, vorgetragen von Daddy Moana Kamono, die Teilnehmer der Kongokonferenz an, die 1884/85 in Berlin stattfand und bei der Afrika aufgeteilt wurde. König Leopold erhielt den Kongo, praktisch als Privatbesitz, den er gnadenlos ausbeutete. Mindestens acht Millionen Kongolesen starben.

Daddy Moana Kamono zählt Teilnehmerstaaten und Teilnehmer auf – später werden auf den Körper Sängerin Pasco Losanganya mit weißer Farbe die Namen der Kolonialstaaten gepinselt werden.

Die Konferenz fand im Berliner Reichskanzlerpalais in der Wilhelmstraße 77 statt. Dort lebte und arbeitete auch Adolf Hitler, bevor er die repräsentativere Neue Staatskanzlei bezog. Unter dem Garten der Alten Reichskanzlei wurde ab 1943 der Führerbunker angelegt. Und flugs ist die Verbindung von kolonialer Ausbeutung und Hitlerfaschismus hergestellt. Das war das Niveau von „Congo“ und man sollte besser den Mantel des Schweigens über diese simple Aufführung ausbreiten.

Warum man nicht Luk Perceval eingeladen hatte, dessen stiller, leidender Macbeth, der 2011 auf der Ruhrtriennale zu sehen war, der immer noch als ganz großes Theater in Erinnerung bleibt, ist mir ein Rätsel. Denn er hat auch einen Kongoabend inszeniert. In Gent uraufgeführt, war sein Kongostück später in Köln zu sehen: „Black / the Sorrows of Belgium“. Inspiration ist da der Bericht eines der ersten Kongo-Reisenden. Der schwarze Amerikaner William Henry Sheppard fuhr 1890 als Missionar für die Presbyterianische Kirche von New York nach Afrika. An seiner Seite ein Weißer, allein wollte man den Schwarzen nicht reisen lassen. Später bezeichnete man ihn als Black Livingstone. Er schreibt von Ausbeutung und Rassismus, Frauenverachtung, Gewalt, Morden und Vergewaltigungen. Er ist entsetzt und dieses Entsetzen bringt Perceval in wuchtigen Bildern auf die Bühne. Da stehen die Schauspieler grell angeleuchtet auf einem Billardtisch. Von oben prasselt Wasser auf sie herab. Da klettern sie verzweifelt an Schnüren. Einen Ausweg gibt es nicht.

So etwas hätte man sich in einer der grandiosen Spielstätten der Ruhrtriennale gewünscht. Stattdessen: Belehrungen, Belehrungen, Belehrungen.

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