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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Museum“ –

– Ausstellung im MUSEUMMMK FÜR MODERNE KUNST

Von Erhard Metz

Fein hergerichtet präsentiert sich das MMK-Haupthaus, Fassaden und Wände frisch angelegt, innen (mit Ausnahme, klar, des Treppenhauses von Günther Förg) erstahlt es in reinem Weiß. Das beginnt schon in der zentralen Halle im Erdgeschoß, und dort beginnen bereits auch die Überraschungen …

Rings herum allein das Weiß. Kunstwerke? Die Halle ist leer. Wir schreiten hin und her, sind aber am Ende nicht allein, denn die Kunst ist doch mit uns. Man kann sie nicht sehen, nicht anfassen und ebenso wenig fotografieren, aber sie ist anwesend – in Gestalt eines feinen Luftzugs, der durch die Halle weht, Ryan Ganders unsichtbarem, aber einem jedem Aufmerksamen spürbarem Werk (Looking for something that has already found you [The Invisible Push], 2019, Luftzug). Wir „fühlten“ bereits früher eine vergleichbare Arbeit von Ryan Gander im Kasseler Fridericianum zur documenta 13.

Oder erleben wir jetzt ganz körperlich im MMK dessen „Geist“, dessen „Pneuma“ der alten Griechen, gar den „Geist“, das „Pneuma“ der Kunst?

Das Haus, das Museum atmet, nicht nur Ganders Luftzug sei es gedankt. Die Kuratorinnen – es sind keine anderen als die Direktorin Susanne Pfeffer und die neue Stellvertretende Direktorin Anna Sailer höchstpersönlich – haben tüchtig aufgeräumt und entstaubt. Vergeblich wird der eine oder andere nach den millionenschweren „Blue Chips“ suchen, deren sich das Museum seit jeher rühmt: keine Warhols, Lichtensteins und Oldenburgs, kein Rauschenberg, Koons oder Richter und schon gar keine Murakamis sind zu sehen, und auch Joseph Beuys ultramonumentaler „Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch“ bleibt verborgen. Es gilt – zumindest vorübergehend – Abschied zu nehmen von den kanonisierten, will sagen allseits sattsam bekannten Museumsikonen; Abschied auch von der üblichen dichten Behängung von Museumswänden, von der Einengung skulpturaler Werke und Installationen in selbigen. Wir vernahmen darob einige Kritik und doch ist es wahr: nicht nur das Museum atmet, sondern auch die derzeit ausgestellten Werke. Zwei der drei volumigen Dreieckssäle werden mit nur einem Videowerk bespielt, nicht wenige der größeren Säle mit Arbeiten nur eines Künstlers bzw. einer Künstlerin. Es ist gleichsam ein Befreiungsschlag, den wir hier erleben können, nicht allein übrigens für das Haus und die Exponate, sondern auch wir als Besucher fühlen bei unseren Rundgängen alsbald, wieviel freier wir atmen, freier empfinden, freier mit der immer noch einzigartigen Architektur des Hollein-Baues und den vom „Pneuma“ umgebenen Werken kommunizieren können.

Wir dürfen darüber hinaus die Intention der Museumschefinnen zitieren: „Ein Museum der Gegenwart muss immer ein anderes sein. Die Ausstellung Museum versucht in einer Zeit des permanenten Wandels und begleitender Ohnmacht andere Räume zu öffnen und zu besetzen. Nicht die kritische Hinterfragung der Institution selbst steht im Mittelpunkt, sondern ihre Möglichkeiten. Mit Werken aus der Sammlung, Neuproduktionen und Leihgaben möchte die Ausstellung Museum heutige Freiheitsräume der Kunst und damit des gegenwärtigen Museums öffnen, um mit Gesten der Transformation, Transgression und Gestaltung das Andere zu denken und erfahrbar zu machen. Es gilt, das Museum als Arbeitstitel zu verstehen.“

Unsere Begeisterung für das neue und ungewohnte Museumserlebnis gipfelt in der Präsentation der 36 Leinwände und der wunderbaren Arbeit „One Million Years Past-Future“ des im Sommer 2014 verstorbenen Künstlers On Kawara.

On Kawara: „Date Paintings“ und „One Million Years Past-Future“

↑ On Kawara, 1932, Aichi-ken – 2014, New York, 29.771 Tage, 36 Date Paintings aus den Today Series, 1966-2000, Acryl (Liquitex) auf Leinwand, MUSEUMMMK FÜR MODERNE KUNST und Schenkung OMY Foundation
↓ On Kawara, NOV. 23, 1977, 1977, Ausstellung „25 Jahre Museum für Moderne Kunst, MUSEUMMMK FÜR MODERNE KUNST, Foto: Axel Schneider

Das Werk dieses einzigartigen Konzeptkünstlers konnten wir in dem Beitrag „Medardo Rosso und On Kawara: Bedeutende Neuerwerbe für Städel Museum und MMK“ bereits eingehender würdigen, weshalb auf diesen Artikel hier ausdrücklich verwiesen wird.

Niemals zuvor im MMK und auch nicht in einem der Dreieckssäle konnte diese Werkgruppe ihre unerhört suggestive Kraft entfalten wie in der derzeitigen Ausstellung, niemals zuvor konnte sie einem Betrachter die Dimensionen von Zeit und Raum – in der Wechselbezüglichkeit auch zu dessen eigener zurückgelegter Lebenszeit – näher bringen und erfahrbar machen. Dem korrespondiert die Weitläufigkeit der fast riesigen, durch eine Säulenreihe zu beschreitende, großzügig von Licht durchfluteten, bodentief verglasten Halle an der Westseite des Hauses, großzügig auch der Blick und Weg zur weiter anschließenden östlichen, reinen Oberlichthalle, die ebenso zu einem Innehalten vor den Bildtafeln einlädt. Werk, Raum und Zeit, Leben in seinem Beginnen, in seinem Voranschreiten und seiner Vergänglichkeit – wie könnte es jemals durch Arbeiten von Künstlerhand erfahrbarer und reflektierbarer werden als hier?

Intensiver vielleicht noch als die Bildtafeln: das „unsichtbare“, akustisch präsentierte Werk „One Million Years Past-Future“ (Reading) aus dem Jahr 2002, eine Lesung aus den zwei Mal zehn Bänden, in denen der Künstler jeweils eine Million Jahre notiert hat, anläßlich der „Documentall“ (1920 Minuten, MUSEUMMMK FÜR MODERNE KUNST, Schenkung Der Hörverlag und des Künstlers). Das alle Dimensionen sprengende Hör-Werk ereignet sich in einem durch eine Glaswand mit gläserner Tür abgetrennten Teil des westseitigen Saals, ausgewiesen als „Raucherzimmer“, das erstmals 2002 im MMK in Zusammenarbeit mit dem Künstler eingerichtet worden war. Weht hier wieder – wie in der unteren Zentralhalle – nunmehr allerdings akustisch das Pneuma des Museums, der Kunst? Wird hier ein kleines Stück von Raum und Zeit, von Ewigkeit erlebbar?

Blick hinein und hinaus: durch eine Glaswand mit gläserner Tür ein abgetrennter Salon, mit einer weiß lackierten Sitzbank und zwei Aschenbechern, im Ernst oder im Scherz als „Raucherzimmer“ ausgewiesen.

Darf wirklich in einem Ausstellungsraum eines Museums geraucht werden? Wie ist die Lage juristisch zu beurteilen? Werden Nichtraucher vom Hör-Kunstwerk ausgeschlossen und diskriminiert? Wird es bei aller Harmonie der Werkepräsentation Konflikte geben, falls jemand tatsächlich anfängt zu rauchen?

Wir dürfen resümieren: eine befreiende, geradezu körperliches Wohlbefinden bewirkende Ausstellung. Die Präsentation von On Kawaras Werken möchten wir – in aller Subjektivität – als ihren, vielleicht den Höhepunkt betrachten. Ein nächster Beitrag wird dem sozusagen Triptychon (aus Malerei und Skulptur) der Städelschulabsolventin Jana Euler gelten, das das Treppenhaus des Museums über alle drei Ebenen durchwirkt.

Nicht irremachen lassen im Foyer: Auch wenn die Angaben durchgestrichen sind, befinden wir uns sowohl im Museum wie auch in der Austellung „Museum“! Und sie dauert in der Tat bis zum 16. Februar 2020. Bis dahin sollte man sie allerdings vielfach besucht haben.

Fotos, soweit nicht anders angegeben: Erhard Metz

→ „Medardo Rosso und On Kawara: Bedeutende Neuerwerbe für Städel Museum und MMK

→ „Museum“ – (2)

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