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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Yves Netzhammers „Empathische Systeme“ (II) im Frankfurter Kunstverein

Wenn Algorithmen uns bestimmen und existenzielle Fragen aufwerfen

Von Petra Kammann

Grenzgänge zwischen Kunst, Naturwissenschaft und Technologie. Der Frankfurter Kunstverein zeigt u.a. ein Großteil des Werks von Yves Netzhammer, der die Brechungen einer realen Welt sichtbar macht, kühl bis ans Herz hinan und poetisch-filigran

Yves Netzhammer im Frankfurter Kunstverein; Foto: Petra Kammann 

Betritt man den Kunstverein, so nimmt einen gleich ein Video emotional in Beschlag. So körperlos wie sinnlich bewegen sich Gliederpuppen in sich wiederholenden Sequenzen aufeinander zu, wenden sich wieder voneinander ab. Die Figuren haben weder Gesichter noch Augen oder gar Mimik, sie sprechen nicht und agieren stumm.

Man fühlt sich in manchem an das absurde Theater Samuel Becketts erinnert mit seiner Leere, seinen sinnentleerten Wiederholungen.  Netzhammers Kunstfiguren sind in der Endlichkeit ihres Körpers so gefangen wie ein Vogel im Käfig, der tot von der Stange fällt, weil Hände ihn nicht mehr greifen können.

Die andere Assoziation führt zurück zu Oskar Schlemmer und sein „Triadisches Ballett“. Schlemmer hatte sich bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der korrespondierenden Beziehung zwischen Figur und Raum beschäftigt und den Tanz als darstellerische Alternative zu statischen Plastiken aus RaumtanzFormentanz und Gestentanz dazu erfunden, damit der dritten Dimension eine weitere hinzufügt und außerdem eine neue Raumempfindung geschaffen.

Verblüffend, wie heute bei Netzhammers kühlen puristischen Humanoiden so etwas wie eine empathische Beziehung überhaupt entstehen kann, weil wir in ihnen unsere eigenen körperlichen Empfindungen gespiegelt sehen und unsere archaischen Gesten, welche die „handelnden“ Figuren so sanft wie auch brutal ausführen, andeuten, verändern, ausformulieren, wiedererkennen können.

Video-Installation von Yves Netzhammer gleich zu Beginn der Ausstellung im Kunstverein ©Kunstverein, Foto: Norbert Migueletz

Mit diesen neutralen Kunstfiguren  und ihren glatten digitalen Oberflächen erleben wir Emotionen, so etwa, wenn sie einander umarmen und wieder auseinander streben. Und wir verharren mit einem seltsamen Gefühl von Ambivalenz. Was wird uns eigentlich hier vorgespielt oder auch vorgegaukelt? Handeln wir wirklich so?

So analytisch wie nachdenklich – der Schweizer Künstler Yves Netzhammer, Foto: Petra Kammann

Auf den verschiedenen Ausstellungsebenen des Hauses sind in der Schau „Emphatische Systeme“ eine Auswahl von Netzhammers digitalen Animationsfilmen und Installationen aus den unterschiedlichen Schaffensphasen versammelt, u.a. auch „Die Subjektivierung der Wiederholung“, eine seiner zentralen Arbeiten, mit der er 2007 auf der  Biennale in Venedig den Schweizer Pavillon gestaltet hat.

Verblüffend sind schon allein die scheinbar so eigenschaftslosen Titel von Netzhammers Arbeiten, die auf den ersten Blick eher einen Mangel an Empathie nahelegen, so wie in „Biografische Versprecher“, einer Fünf-Kanal-Installation, welche die digitalen Bildwelten der Computeranimationen in eine echohaft angelegte räumliche Erweiterung überführen.

Wie Linien den Raum ergreifen können – Netzhammers „Vororte der Körper“, ©Kunstverein, Foto: Norbert Migueletz

„Adressen unmöglicher Orte“ heißt es in einem anderen Raum auf der ersten Etage, wo wir nachvollziehen können, wie Netzhammer vom feinen Strich seiner linearen Zeichnungen, die ausschließlich am Computer entstehen, in die dritte Dimension, in die Materialität schwarzer Metalldrähte gelangt und in – so der nächste neutrale Titel – „Vororte der Körper“ vordringt: cool, überlegt und doch auch gepaart mit einem Schuss von Melancholie und Witz.

In diesem Raum verbindet Netzhammer seine filigranen konzentrierten  Zeichnungen mit der Dreidimensionalität schwarzer Drähte

Surreal dann auch der Titel „Adressen unmöglicher Orte“ in der dritten Werkgruppe, bei der sich die Materialität eines zerbrochenen Stuhles, der seiner Funktion beraubt ist, im Raum behauptet, nur, weil er durch rote Fäden mit der Wand verbunden ist.

Kommunikation findet eben nicht mehr zwischen Menschen aus Fleisch und Blut statt, sondern eben auch zwischen Mensch und Technologie, weil Algorithmen dessen Handlungen registrieren und sich verselbständigen. Zunehmend werden digitale Technologien und Daten nur noch untereinander ausgetauscht.

Netzhammers „Adressen unmöglicher Orte“, ©Kunstverein, Foto: Norbert Migueletz

Lässt man sich auf die neue digitale und symbolische Realität ein, kann man dort so existenzielle Empfindungen wie Liebe, Angst, Einsamkeit,  Frustration und Melancholie u.ä wiedererkennen… In diesen autonomen Welten werden universelle und allgemeingültige Metaphern existentiellen Empfindens sinnlich wahrnehmbar.

Mit der Forschung und Entwicklung künstlicher Intelligenz gewinnt die Emotionsforschung eine immer zentralere Rolle mithilfe der neuen Technologien, welche emotionale Reaktionen auf Inhalte und Stimmungen der Benutzer untersuchen. Systematisiertes Wissen über Gefühle, Affekte, Empfindungen, sowie Stimmungen, Perspektiven und Intentionen werden bereits gezielt eingesetzt.

„Affective Computing“ heißen die neuen interdisziplinären Forschungsprojekte, die inzwischen unterschiedliche Methoden untersuchen, welche die menschliche emotionale Resonanz auf digitale Agenten erhöhen soll. Die Hemmschwelle gegenüber den neuen digitalen Möglichkeiten soll abgebaut werden, indem sie sich sinnlich präsentieren.

Funktionen sollen „menschlicher“ klingen und aussehen, also den vom Menschen gefühlten Unterschied zur Technologie minimieren. Natürlich hat auch die Wirtschaft ein großes Interesse daran, die Gefühlssysteme zu erkennen, um sie für die Entwicklung maschinellen Lernens und artifizieller Intelligenz einzusetzen.

So sollen demnächst etwa Sprachroboter oder humanoide Pflegehelfer entsprechend designet und Interfaces entwickelt werden, die das Wissen über die Bedeutung emotionaler Zustände und die Stimmungen der Menschen implementieren. Das kann in verschiedenen sozialen System durchaus nützlich sein.

Natürlich ist das interessant für die Wissenschaft, aber auch für unseren sozialen Umgang miteinander. Nicht zuletzt profitiert die Wirtschaft von der vertieften Kenntnis der emotionalen Reaktionen des Individuums, weil sie den User, der auch der Käufer ist, sehr viel besser erfassen und natürlich auch manipulieren kann…

Ob beim Verbraucher, Patient, Bürger und somit einem Großteil eines gesamten sozialen Systems, das „Affective Computing“ wird weitreichende gesellschaftliche und politische Folgen haben. Emotionale Situationen kritisch zu erfassen und vorwegzunehmen, war schon immer ein Privileg der Kunst. Aktuell denke man zum Beispiel an die eindrucksvollen Arbeiten der chinesischen Künstlerin Cao Fei, welche die „brave new world“ sehr konkret schildert.

Theo Jansen, Franziska Nori, Takayuki Todo und Yves Netzhammer im Entree des Kunstvereins, Foto: Petra Kammann

Alle drei unterschiedlichen künstlerischen Positionen – Takayuki Todo, Theo Jansen und Yves Netzhammer, die in der Ausstellung „Emphatische Systeme“ versammelt sind, leisten zur Reflexion dieser neuen Situation, durch „Künstliche Intelligenz“ bestimmten Situation,  einen wichtigen Beitrag. Der Frankfurter Kunstverein und seine vorwärts denkende Direktorin Franziska Nori haben sich frühzeitig diesem Thema gewidmet und hiermit ein weiteres Mal gezeigt, dass sie die Nase vorn haben.

→„Seer“ von Takayuki Todo im Frankfurter Kunstverein

→ Empathische Systeme I: Thomas Jansen, ein moderner da Vinci, und seine Strandgeschöpfe

Emphatische Systeme
noch bis 08.09.2019
Frankfurter Kunstverein,  
Öffnungszeiten:
Di-So 11-19+Do 11-21 Uhr

 fkv.de

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