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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Seer“ von Takayuki Todo im Frankfurter Kunstverein

Ist das noch Kunst oder schon Medizintechnik?

Von Erhard Metz

Dieser Tage im Frankfurter Rathaus für Senioren: Professorin Daniela Birkenfeld, Stadträtin unter anderem für ebendiese wachsende gesellschaftliche Gruppe, empfängt „Pepper“, einen humanoiden Pflege- und Unterhaltungsroboter für den Einsatz bei Dementen und in Pflegeheimen. Pepper beschäftigte im Mai den 125. Internistenkongreß der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin in Wiesbaden und hat bereits an der Technischen Hochschule Mittelhessen eine Art Pflegepraktikum absolviert.

(Noch) kein Pflegeroboter und schon gar kein „Pepper“, sondern ein Kunstwerk: „Seer“ von Takayuki Todo

„Wahrscheinlich ist das Kerlchen auf Begrüßungen programmiert. Aber in naher Zukunft werden wir ihm mit Sicherheit in der Reha, im Krankenhaus oder der Pflege begegnen“, wird Birkenfeld zitiert. Pepper – dies ist die Bezeichnung für die bereits angeblich um die 20.000 Exemplare umfassende Modellreihe – kann so manches, was Takayuki Todos „Seer“ nicht kann: beispielsweise mit den Armen wedeln, Tanzschritte dirigieren und sogar Bibelverse zitieren. Dafür kann „Seer“ wiederum, was Pepper nicht kann: mit androgyn, kindlich, zart, liebreizend, kess, fragend, skeptisch, traurig dreinschauendem Gesichtchen ein menschliches Gegenüber in einen blickenden Dialog verwickeln.

Bereits seit längerem arbeitet Takayuki Todo an anthropomorphen – wie in diesem Fall zugleich hyperrealistischen – Figuren. „Seer“ reagiert auf Mimik, Gestik und Blickkontakt mit seinen Betrachtern. Der Künstler möchte die Bedeutung und die Kraft des menschlichen Blickes und Gesichtsausdrucks im Umfeld der Mensch-Maschine-Forschung untersuchen, wie Franziska Nori, Direktorin des Kunstvereins, erläutert. Dabei interessiert besonders, wie Menschen eine emotionale Beziehung zu humanoiden Robotern aufbauen können. Eine Kamera erfasst das menschliche Gesicht, eine Programm- und Steuerungselektronik mit einer Vielzahl an kleinsten Elektromotoren hebt und senkt Augen, Brauen und Lider des kleinen Er/Sie/Es in unmittelbarer Reaktion auf seinen menschlichen Partner. Das Verblüffende dabei ist, dass Letzterer unwillkürlich eine Empathie zu dem kleinen „Wesen“ entwickelt, sich gerne auf das Spiel einlässt und sich in diesem Dialog zu allerlei entsprechender Mimik verleiten lässt.

„Das Ziel meiner Forschung und Entwicklung ist“, schreibt Takayuki Todo, „nicht die Beantwortung des philosophischen Themas ‚Wird ein Roboter (oder Computer) einen Geist oder Emotionen wie die Menschheit erlangen‘, sondern die Darstellung bewusster Emotionen, die ein Mensch erzeugen kann“.

Bei allem: Werden „Seers“ Nachfolger und Nachfolgerinnen einmal demente Menschen unterhalten und beschäftigen, werden diese humanoiden „Geschöpfe“ einmal tanzen und springen, sprechen und singen, am Ende gar küssen können?

Takayuki Todo, 1985 geboren, studierte in Kyoto Kunsttheorie und Kunstkritik mit dem Bachelor-Abschluß und erwarb später in Ogaki den Titel Master of Media Creation. Sein Werk „Seer“ wurde bereits auf Konferenzen und Kunstfestivals in Europa und Nordamerika präsentiert und erfuhr Anerkennung auch in den Fachbereichen Robotik und Informatik.

Takayuki Todo (mit Takanari Miisho, Programmierung, und Yuki Koyama, Schaltungs- und Elektronikdesign): „Seer“, ein Beitrag zur Ausstellung Empathische Systeme im Frankfurter Kunstverein, bis 8. September 2019

Fotos: Erhard Metz

→ Empathische Systeme I: Thomas Jansen, ein moderner da Vinci, und seine Strandgeschöpfe

 

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