Der Schock von Frankfurt – Ein Schatten über der Mainmetropole
Heimtückische und verabscheuenswerte Tat
Ein Zwischenkommentar von Petra Kammann
In Frankreich, einem in den letzten Jahren von Attentaten geschüttelten und Land, hat mich die Nachricht aus Frankfurt gestern tief erschüttert, hatte ich mich in der Mainmetropole mit den 177 friedlich zusammenlebenden Nationen doch immer so sicher gefühlt und dies auch allerorten stolz gepriesen.
Und dann das: Ein etwa 40jähriger Mann aus Eritrea stößt einen achtjährigen Jungen und seine Mutter im Berufsverkehr vor einen einfahrenden ICE vom Bahnsteig. Das Kind wird von dem rollenden Zug unmittelbar auf dem Gleis erfasst und stirbt, die Mutter kann sich auf den Bahnsteig retten und überlebt. Ihr Leben wird nie mehr so sein wie bis dahin…
Der Mann hatte versucht, noch eine weitere Person auf die Gleise zu stoßen. Die 78-Jährige erlitt eine Schulterverletzung. Auch gab es Zusammenbrüche der Passanten des Bahnhofs, die zu Augenzeugen wurden.
Karin Schmidt-Fridrichs, die künftige Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, war zufällig zu dieser Zeit am Bahnhof. Sie schrieb ihre Teilnahme am Schicksal der Mutter auf Facebook, aber auch ihre differenzierten Beobachtungen und Reflexionen zum Vorfall selbst.
Es scheint keine Anhaltspunkte zu geben, dass Täter und Opfer einander kannten. Das verleiht der stummen und stumpfen Gewalt eine neue Qualität, für die wir neue Vorkehrungen finden müssen, gab es doch zuletzt auch andere Fälle wie die in Voerde in Nordrhein-Westfalen.
Über den Täter weiß man bislang nur, dass es sich um einen Mann mit Wurzeln in Eritrea handelt. Zu den Hintergründen der Tat, zum Motiv und zum Aufenthaltsstatus des Vierzigjährigen gibt es keine sicheren Anhaltspunkte, so dass die Schlussfolgerungen nicht heißen können: Misstraue den „Fremden“.
Der mutmaßliche Täter, der in der Schweiz lebt, schweigt, er ist selbst Vater von drei Kindern.
Was verleitet einen Menschen zu einer solchen Attacke? Handelt es sich um einen individuellen psychopathischen Aggressionsausbruch oder um ein strukturelles Problem sich verändernder Gesellschaften? Haben wir zwar Toleranz gepredigt, es aber verabsäumt, Empathie im Alltag zu vermitteln?
Andrerseits: Wie müssen, können, sollen wir uns an öffentlichen Orten wie Bahnhöfen, Flughäfen und Einkaufszonen künftig schützen? Wo müssen wir mit Taten und Reflexionen ansetzen, wenn wir in Zukunft nicht nur noch in abgeschirmten Parallelgesellschaften leben wollen?
„Was wir bisher über die Tat wissen, widerspricht allem, wofür Frankfurt steht. Wir Frankfurter stehen zusammen, wir haken uns unter, wir helfen selbstlos Menschen, wir retten sie aus der Not und sind füreinander da – auch an Tagen wie heute, an denen ein Schatten über der Stadt liegt“, lautete die Reaktion unseres Oberbürgermeisters Peter Feldmann.
Haben wir am Ende vergessen, Menschlichkeit zu praktizieren und vorzuleben? Kann die Kultur dabei eine unterstützende Rolle spielen? Fragen über Fragen, auf die es keine einfachen und vorschnellen Antworten gibt, denen wir aber künftig auch nachgehen wollen…
Nach der Mahnwache am Hauptbahnhof am Montagabend hat die Bahnhofsmission für Dienstag zu einer öffentlichen Andacht in den Bahnhof eingeladen. Die Betroffenheit und Anteilnahme nach der schrecklichen Tat am Frankfurter Hauptbahnhof sind weiterhin groß. Auch die beiden Kirchen haben reagiert.
Schoen, die katholische Pastoralreferentin Beatrix Henrich von der Dompfarrei St. Bartholomäus, Jutta Jekel, Pfarrerin der unweit des Bahnhofs gelegenen Evangelischen Hoffnungsgemeinde und Carsten Baumann, Leiter der ökumenisch geführten Bahnhofsmission, halten heute um 18.30 Uhr eine ökumenische Trauerandacht. Vertreter und Vertreterinnen der evangelischen und katholischen Kirche Frankfurt begleiten die Andacht zum Gedenken an den getöteten achtjährigen Jungen und wollen damit in Stille und Gebet ihrer Ratlosigkeit Ausdruck zu verleihen.