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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Binding – Kulturpreis 2019 an den so altehrwürdigen wie innovativen Frankfurter Kunstverein

Finanzieller Ansporn für weitere lebendige, zeitgenössische Ausstellungen

Text und Fotos: Renate Feyerbacher

Kunstvereinsdirektorin Franziska Nori nahm den Preis im Kaisersaal in Empfang

Zum 24. Mal wurde der Binding Kulturpreis im Frankfurter Römer verliehen –  Preisträger ist der Frankfurter Kunstverein. Den mit 50.000 Euro dotierten Preis nahm seine Direktorin Franziska Nori in Empfang. Dr.Ina Hartwig, Dezernentin  für Kultur und Wissenschaft, nannte die Entscheidung „eine mehr als würdige Bereicherung des Preisträgerkreises“. Und die Kunsthistorikerin Dr. Stefanie Heraeus, Mitglied im Kuratorium der Stiftung, würdigte den Kunstverein wie auch ihre Direktorin.

Unter den Gästen der Bankier und Mäzen Friedrich von Metzler, einer der wenigen Ehrenbürger der Stadt. Er unterstützt Museen, Forschungsgemeinschaften und Menschen in sozialer Not. Geboren ist er zwar in Dresden, nennt aber Frankfurt seine Heimat.

Friedrich von Metzler und Bergit Gräfin Douglas

„Mit dem Preis beginnt der Sommer“, so steigt Bergit Gräfin Douglas, die Vorsitzende des Vorstandes der Binding Kulturstiftung, in ihre Rede ein und erinnert an den Bäckersohn Conrad Binding (1846 – 1933), der weder Bäcker noch Jurist werden wollte, sondern Bierbrauer. Zu Reichtum gekommen, engagierte er sich dann als Mäzen in verschiedenen Institutionen.

In der Begründung der Binding Kulturstiftung wird der Frankfurter Kunstverein als „ein Ort ästhetischer Reflexion über die jeweils herrschenden Kunstbegriffe und ihrer Medien“ bezeichnet. Das Programm seiner Direktorin Franziska Nori zeichne sich durch „internatuional besetzte Einzel- und Themenausstellungen an den Schnittstellen zwischen zeitgenössischer Kunst und Wissenschaft aus.“

Über 300 Kunstvereine gibt es in Deutschland, das ist weltweit herausragend. Der Frankfurter Kunstverein zählt zu den ältesten und bedeutendsten.

Der Frankfurter Kunstverein, der 1829 gegründet wurde, ist wie vieles in der Stadt auf eine Bürgerinitiative zurückzuführen. Natürlich waren es betuchte und einflussreiche Bürger als auch Künstler, die den Kunstsinn schärfen, die Künste fördern und den Ankauf von Kunstwerken für die Öffentlichkeit steuern wollten.

Heute wird der Kunstverein mehr denn je für und mit den Bürgern der Stadt gestaltet.

Etwa hundert Jahre nach seiner Gründung 1935 hatte Hitler das Nürnberger Gesetz, die rechtliche Grundlage für die Verfolgung der Juden, erlassen. Ein einschneidendes Ereignis auch für den Frankfurter Kunstverein, der daraufhin viele jüdische Mitglieder verlor und der zudem der Reichskulturkammer zugeordnet wurde. Grund für die amerikanische Militärregierung, ihn erst wieder 1948 in der Eschenheimer Anlage eröffnen zu lassen. Nun wurden Künstler, die in der Nazizeit verboten waren, bevorzugt gezeigt.

Kunsthistoriker Curt Gravenkamp, der damals die Geschäfte führte, machte mit den Künstlern Fritz Winter, Ernst Wilhelm Nay, Georg Meistermann, Hann Trier und andere bekannt.

1950 musste das Domizil in der Eschenheimer Anlage aus finanziellen Gründen aufgegeben werden. Es folgten provisorische Quartiere. Erst 1962 konnte der Frankfurter Kunstverein das Steinerne Haus am Römerberg, wo er heute noch seinen Sitz hat, beziehen. Im Zuge der Altstadtsanierung wurde zuletzt ein Erweiterungsbau mit neuem Eingang gebaut. Das geschah im Rahmen des Dom-Römer-Projektes.

„Die Große Illusion“ heisst die monumentale Skulptur des Künstlerduos Wolfgang Winter und Berthold  Hörbelt, die noch bis zum Museumsuferfest wuchtig über dem neuen Eingang hängt.

Heute zählt der Verein etwa 1750 Mitglieder. Ich selbst bin seit den 70er Jahren eines davon.

Ewald Rathke (* 1926 ) folgte auf Gravenkamp. Er brachte unter anderem  Amadeo Modigliani 1963 und Wols 1965 in den Frankfurter Kunstverein. Damals gab es ein sensationelles Presselob. Dann kam Georg Bussmann (*1933), der von 1970 bis 1980 den Verein leitete. Immer wieder kommt der Professor zu Vorträgen nach Frankfurt.

Großes Aufsehen erregte seine Ausstellung „Kunst im 3. Reich. Dokumente der Unterwerfung“ im Jahre 1974. Sie wurde anschließend in fünf weiteren Städten gezeigt, darunter in Basel und in Hamburg. „Die Kunst im ‘Dritten Reich’“, so Georg Bussmann, „hatte die Aufgabe, Wirklichkeit zu verstellen und jedes Bewusstsein von ihr zu zerstören…“.

Katalog aus dem Jubiläumsjahr 1979. Da wurde der Kunstverein 150

Zum 150. Jubiläum des Kunstvereins im Jahr 1979 begeisterten Gemälde, Zeichnungen, Objekte, Fotos und Filme von Man Ray  (1890 -1976). Es war Bussmanns Abschieds-Ausstellung bevor er seine Professur an der Kunsthochschule Kassel antrat.

Peter Weiermair (1944), der sage und schreibe 18 Jahre lang die Geschicke des Frankfurter Kunstvereins lenkte, präsentierte zum Beispiel Alfred Hrdlicka (1928 -2009), einen der wichtigsten österreichischen Künstler, der mit seinen Skulpturen, seinen Grafiken sowohl schroffe Ablehnung als auch begeisterte Zustimmung erfuhr. „Sein Werk, das von einer extremen psychischen und physischen Exzessivität gekennzeichnet ist, hat die menschliche Figur künstlerisch in Extremzustände des Leids, der Schändungen und des Tötens überführt.

Gleichzeitig und damit korrespondierend analysiert Hrdlicka Formen menschlicher Sexualität, die bei ihm zu nicht minder drastischen Bildern führen. Die menschliche Figur, ihre realistische, aber stets expressiv gestaltete Form und die Phänomenologie des menschlichen Seins bilden dabei den Fokus des gesamten Schaffens. Bewusst definiert er sich als Antipode zur ungegenständlichen Kunst und reklamiert für seine künstlerische Tätigkeit gesellschaftliches und politisches Engagement. In diesem Zusammenhang hat sich der Künstler mehrfach mit dem Gedenken an Krieg und Gewalt auseinandergesetzt“, so der Pressetext des Kunstvereins aus dem Jahre 1997.

Auf Weiermair folgte der gebürtige Düsseldorfer Nicolaus Schafhausen (*1965). Er brachte weniger bekannte Künstler ins Steinerne Haus, u.a. auch den englischen Künstler Liam Gillick und Isa Genzken, die 2000 zum Thema „Urlaub“ ausstellten. Genzken gelang dann bei der Biennale in Venedig 2007 der große Durchbruch. Der Deutsche Pavillon wurde damals von Schafhausen kuratiert. Dreimal nahm Genzken an der documenta teil, das Frankfurter Museum für Moderne Kunst widmete ihr zwei Ausstellungen.

Im Frankfurter Kulturverführer 2004 heißt es über Schafhausen: „Was immer es unter jungen Künstlern zu entdecken gibt, Schafhausen hat es längst geortet. Der Mann ist perfekt vernetzt [..] Die von ihm arrangierten Ausstellungen inszeniert er als Kunsthappenings, nicht selten als Performances [..] Im aufgeheizten Kunstklima ist der Kunstverein bemüht, jede Gefälligkeit zu vermeiden. [..] Der altehrwürdige Kunstverein in Frankfurt gehört zu den innovativen Kunstschauorten in Deutschland“  urteilt der „Frankfurt –Kulturverführer“ von 2004. Schafhausen war bis März 2019 Direktor der Kunsthalle Wien. Den Posten gab er aus Protest gegen die neo-nationalistische Politik auf.

Nach Schafhausen kam endlich eine Frau ans Ruder, die spanische Kunsthistorikerin Chus Martinez. Sie blieb allerdings nur zwei Jahre in Frankfurt und ging nach Barcelona, wo sie eine große Thomas Bayrle-Retrospektive kuratierte. Auch sie war auf der documenta 13 aktiv.

 

Thomas Bayrle

Von 2009 bis 2014 leitete Holger Kube Ventura (*1966) den Kunstvereins war. Er konzentrierte sich in Frankfurt auf Themenausstellungen mit deutschen Künstlern sowie auf Fotografie und Videokunst… Die Titel seiner Ausstellungen hießen „Das Wesen im Ding“ 2010 oder „Grenzen anderer Natur – zeitgenössische Fotokunst aus Island“ 2012. Heute leitet er die Sammlung für konkrete Kunst der Stadt Reutlingen.

Seit bald fünf Jahren ist nun Franziska Nori Direktorin des Frankfurter Kunstvereins. Die 1968 in Rom geborene Kunsthistorikerin kam einst zum Studium von Rom nach Frankfurt. Ihre perfekte Zweisprachigkeit ist auch der deutschen Mutter geschuldet. Der italienische Vater nahm sie mit in etruskische Museen und zeigte ihr die Kirchen der Ewigen Stadt.

In ihrer Dankesrede erinnerte Nori an Peter Weiermair: „Er hat sich für Kunstformen wie das damals noch nicht etablierte Medium der Fotografie stark gemacht. Er hat Künstler präsentiert, die immer auch die Grenzen des etablierten ästhetischen Kanons erweitert haben. Als Studentin war das für mich ein Vorbild, wie Kunst tradierte Sehgewohnheiten aufbricht und freies Denken als Maßstab setzt “.

Jean-Christophe Ammann (1939-2015), der legendäre erste Direktor des Museum für Moderne Kunst, sei für sie „zentral“ gewesen. „Er verstand die Essenz jedes Künstlers und jeden Werks / und konnte Zusammenhänge räumlich herstellen, bei denen man als Betrachter die Dinge neu sah und neu begriff.“

Jean-Christophe Ammann mit der Künstlerin Inge Kersting am 27.6.2015 wenige Wochen vor seinem Tod

Teilhabe der Gesellschaft am Gestaltungsprozess hält die heutige Direktorin Franziska Nori für eine unerlässliche Aufgabe. Zukunftsorientiert, international, trotzdem lokal verortet. So soll der Frankfurter Kunstverein sein. So wie die Gruppenausstellung „And this is Us: Junge Kunst aus Frankfurt“. Das Thema Mensch und Technologie beschäftigt Nori intensiv, was sich auch in der neuen Ausstellung „Empathische Systeme I“ zeigt.

Bergit Gräfin Douglas, Franziska Nori und Stefanie Heraeus mit dem obligatorischen Glas Binding Bier

Es war eine schöne, interessante und würdige Preisverleihung, der ein lockerer Empfang folgte. Die drei Damen: Bergit Gräfin Douglas, Franziska Nori und Stefanie Heraeus prosteten der Fotografin mit einem Glas Binding Bier zu – gemäß des Witzes, den Gräfin Douglas am Ende ihrer Rede zum Besten gab: „Das Beste an der Weinprobe ist das Bier danach.“

 

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