Nadja Büttner: Gegen den Strich und andere Künste
Von Erhard Metz
Es gibt sie also noch: ein Feuerwerk an Kreativität entfaltende Künstlerinnen und Künstler mit ebenso überraschenden wie überzeugenden künstlerischen Ideen, dabei versehen mit handwerklichen Fähigkeiten und Fertigkeiten, die wir schon kaum mehr anzutreffen wagten im oft von zeitgeistig konzeptuellen Minimalprodukten überbordenden Kunstbetrieb.
Nadja Büttner (heutiger Name: Nadja Adelmann) mit zwei ihrer Arbeiten: „Gegenstrich“ (li.) und „Vibrating Potential“ (re.); Foto: Galerie Anita Beckers
Von Nadja Büttner (heutiger Name: Nadja Adelmann) handeln wir heute. Wir lernten die Künstlerin und derzeitige Städelstudentin (deren Arbeiten wir bereits im Sommer 2013 begegnet waren) bei der jüngsten Rundgangveranstaltung der Städelschule im Februar 2019 kennen. Sie hatte unter dem trefflichen Titel „Bezugsfrage“ ein vorhandenes Werk des einstigen Städelschul-Professors Enric Miralles – eine weiße metallene Liege, an deren Kopfende ein ebenfalls weißer metallener Sessel steht, zweifellos eine Situation der praktizierten Psychoanalyse – mit Kissen versehen, mit wiederum weißem Stoff bezogen. Wer sich auf dem vor dem Rektorat anzutreffenden Mobiliar ahnungslos niederließ, konnte eine schmerzhafte Erfahrung mit gegebenenfalls anschließendem Besuch eines Orthopäden machen, denn die vermeintlich bequemen „Kissen“ hatte die Künstlerin aus Stahl gefertigt. Neben aller Assoziation an den harten Weg einer psychoanalytischen Behandlung ein Vexierspiel der Künstlerin mit dem Betrachter, vielleicht auch ein einfaches Beispiel für die Diskrepanz von Realität und – hier fälschlicher – Wahrnehmung, von – verborgener – Wirklichkeit und konterkarierter Erwartung des das Kunstwerk Betrachtenden und von ihm Besitz Ergreifenden.
Was lag näher als ein Atelierbesuch! Wir waren überrascht: Kein Atelier im üblichen Sinne, sondern eine riesige Schlosser- und Schreinerwerkstatthalle, mit etwas älterem, zum Teil ein wenig nostalgisch anmutendem, doch voll funktionsfähigem Klein- und Großgerät wie beispielsweise Tafelschere und Rohrbiegemaschine, Bandschleifer, mit furchterregenden Säge- und Bohrmaschinen aller Art, mit Plasmaschneider, Schweißgerät, Hobelbänken. Dazu ein großdimensionierter Ausstellungsraum und weiter eine geräumige, von der Künstlerin selbst ausgebaute „Designerwohnung“ mit von ihr eigens entworfenem und handwerklich exzellent gefertigtem Mobiliar. Denn Nadja Büttner beherrscht all derartige Gewerke. Das lernt man doch nicht an der Offenbacher HfG (an der die Künstlerin zuvor studierte) und schon gar nicht an der Städelschule, scherzten wir, was Nadja Büttner lachend bestätigte. Nein, das alles hat sie sich in eigener Leistung erarbeitet. Den „Künstlerhof“, etwas abseits nahe dem südhessischen Weiterstadt gelegen, inmitten von Äckern und Wiesen, Spargel- und Erdbeerfeldern, mit schönen von kleinen Orangen- und Feigenbäumchen gezierten Aussichtsterrassen und Blick über die Rheinebene auf den Taunus, teilt sie sich mit dem bekannten Designer Björn Reimers.
(li.) Vibrating Potential (between Idea and Fact), Moving Installation, 2018, various moving objects underneath fabric, aluminium, fabric, various mechanical and electronic components, 160 x 40 x 15 cm; (re.) Gegenstrich, Moving Installation, 2019, moving stainless steel bail, aluminium, various mechanical and electronic components, hyper realistic fake fur, 60 x 160 x 6 cm
Die überaus vielseitig begabte und handwerklich versierte Künstlerin beschäftigt sich, noch ausgehend von ihrem vormaligen HfG-Studium in Offenbach, mit den vielfältigen Feldern der Wahrnehmungstheorien und seit einiger Zeit zusätzlich mit Fragen der Quantenmechanik, namentlich dem Schrifttum von Werner Heisenberg und dem Welle-Teilchen-Dualismus, der Erkenntnis, dass, vereinfacht gesagt, erst der Blick des Beobachters, also die Messung, den bis dahin offenen Zustand der Quantenobjekte als einen von beiden festlegt. Aus all diesem Forschen resultiert eine gewisse Bipolarität, eine Art Multiperspektivität in vielen ihrer Werke, beispielsweise in ihrer kinetischen Installation „Gegenstrich“. Die Arbeit fand bereits in der besagten Rundgangveranstaltung der Städelschule eine, wie wir beobachten konnten, herausragende Resonanz.
Eine Art Kamm fährt sehr langsam auf und ab durch ein „Fell“ aus Webpelz, er kämmt dieses einmal mit und einmal gegen den Strich. Eine Inspiration der Künstlerin dazu war das Streicheln ihres damaligen Hundes. Die in nahezu einzigartiger Weise haptische, überaus meditative Arbeit vermag dem Betrachter bei der Fahrt „mit“ ein Gefühl der Beruhigung, ein Wohlbefinden zu suggerieren, bei der Fahrt des Kamms „gegen“ ein gewisses Unbehagen, ein Gefühl von Irritation und Zwistigkeit. Die sich ständig wiederholenden Auf- und Ab-Bewegungen haben etwas von einem Mantra, ja einem – für viele heilbringenden – Rosenkranzgebet, gar einer Gebetsmühle fernöstlicher Spiritualität. Das „Fell“ verführt dabei den Betrachter zu streichelnder Berührung. Man darf sogar in den „gekämmten“ Zustand mit dem Finger etwas schreiben und mitansehen, wie die Schrift nach einigen Auf- und Abfahrten sich auflöst und allmählich zum Entschwinden kommt.
Es ist die gelungene Visualisierung, ja Verkörperung von Bipolarität (auf die wir später noch zurückkommen werden), von Gegenläufigkeit, die uns an dieser Arbeit fasziniert, ebenso die Haptik, die Sinnlichkeit des Werks, beim Betrachter eine Skala von Gefühlen auslösend – „Gefühl“ ganz wörtlich genommen als ein Befühlen, Anfassen, Berühren. Was wiederum eine Brücke zum meditativen „Wohlfühleffekt“ zu bilden vermag. Es ist aber auch die feine Poesie, der Humor, die Schalkhaftigkeit des steten Hin- und Wider des Vorgangs, der Rekurs auch auf Redensartliches wie „etwas geht einem gegen den Strich“.
Gegenstrich, Detailansicht
Hier Link auf ein kurzes Video auf der Website der Künstlerin.
In einer formal ähnlichen, ebenfalls meditativen, poesievollen Arbeit „Vibrating Potential (between Idea and Fact)“ fahren auf vier Bahnen unter einem Tuch aus Verdunkelungsstoff kleine Körper auf und ab, bilden ein Mit- und Gegeneinander. Assoziationen an eine lange, sanfte Meeresdünung, vielleicht auch an den langsamen Zug sandiger Wanderdünen könnten sich einstellen; an die Ausbildung von Bergen und Tälern in der erdzeitlichen Geschichte. Ein Gefühl auch von Unendlichkeit, einer unendlichen „Zeit“. Aber ist „Zeit“ unendlich? Oder hat sie einst einen Anfang genommen und wird sie dereinst einmal enden?
Vibrating Potential (between Idea and Fact), Detailansicht
Beide Arbeiten können eigenständig jeweils für sich stehen, sie bilden aber, sich wechselseitig ergänzend, auch ein Paar.
Kommen wir zu einer weiteren großartigen kinetischen Arbeit der Künstlerin: „Sum“. Der Lateinkundige weiß und übersetzt „sum“ mit „ich bin“. Und da gibt es wieder diese Bipolarität, diese Gegenteiligkeit: englisch „sum“ heißt „Summe“: Und Summe steht als eine Menge aus Einzelnem dem alleinigen Ego, dem „ich bin“ entgegen. Oder sagt da eine zu recht selbstbewusste Künstlerin, sie sei die – bisherige – Summe aller Erfahrungen ihres nicht nur künstlerischen Lebens?
Sum, Moving Installation, 2014, Bioluminiscent algea, moss, stainless steel, steel, glass, 235 x 215 x 200 cm
Die primär für den Einsatz im Außenbereich konzipierte skulpturale Großinstallation besteht aus einem mit einem kleinen Motor angetriebenen, sich um seine gedachte mittlere Achse drehenden Ring, in den ein zweiter an zwei Gelenken aufgehängter und somit frei beweglicher Ring montiert ist, und weiter in den zweiten ein ebenso frei beweglicher dritter Ring. In dessen Mitte befindet sich ein wiederum an zwei Verbindungsstäben frei beweglich montierter Würfel, der eine Glaskugel umfängt. Wird nun der äußere Ring in Bewegung versetzt, geraten die beiden inneren und ebenso der Würfel jeweils in eine Eigenrotation, deren Bewegungsabläufe nicht voraussehbar sind und die im Verhältnis untereinander in ihrer Gesamtheit wohl zu einer Unendlichkeit möglicher Konstellationen der Anlage führen.
Hier Link auf ein weiteres Video auf der Website der Künstlerin
Sum, Detailansicht
Die Ringe sind mit Hygrolon überzogen, auf dem sich von der Künstlerin im nahen Wald gesammeltes Moos angesiedelt hat. Das Moos verändert sich mit den Witterungsbedingungen. In der halb mit Wasser befüllten Glaskugel siedelte sie zunächst bioluminiszente Algen an, die unter bestimmten Bedingungen zu leuchten begannen. In der derzeitigen Version ist das Wasser mit glitzernden Echtgoldblättchen angereichert. Dank der kardanischen Aufhängung der Kugel gleich einem Kreiselkompass bleibt der Wasserspiegel stets eben.
„Sum“ – ein kinetisches Kunstwerk, ein kleines Universum, dessen Bewegungen man ebenso wie dem „Gegenstrich“ lange und immer wieder aufs Neue zuschauen kann. Hingegen scheint es bei „Sum“ so gut wie ausgeschlossen zu sein, dass sich eine – sich für einen Sekundenbruchteil ergebende – Konstellation der drei Ringe mit dem mittigen Würfel jemals wiederholen kann. Wie bei allen Arbeiten der Künstlerin verwundert, ja fasziniert die allein schon in Erstaunen versetzende Grundidee ebenso wie die präzise handwerkliche Ausführung. Faszinierend auch hier die Ästhetik der fast lautlos arbeitenden Maschinerie, die Haptik der Materialien, hier des lebendigen Mooses, die Sinnlichkeit, die meditative Spiritualität und die – ja, wir betonen es bei aller Kritik, die wir uns damit von bestimmter Seite einhandeln werden – „Schönheit“ des Werkes. Bei weitem nicht alles, was wir bislang in und aus der Städelschule gesehen haben, kann derartige Prädikate für sich in Anspruch nehmen.
Humor, auch etwa eines Wilhelm Busch, inspirierte Nadja Büttner zu einer gerade formal sehr interessanten Arbeit: zu „Birds Lamento (Der Vogel, scheint mir, hat Humor!)“. Sie zitiert dazu gern die entsprechenden Verse des volkstümlichen, von Heinrich Heine ebenso wie von Arthur Schopenhauer beeinflussten Dichters:
„Es sitzt ein Vogel auf dem Leim,
er flattert sehr und kann nicht heim.
Ein schwarzer Kater schleicht herzu,
die Krallen scharf, die Augen gluh.
Am Baum hinauf und immer höher
kommt er dem armen Vogel näher.
Der Vogel denkt: Weil das so ist
und weil mich doch der Kater frißt,
so will ich keine Zeit verlieren,
will noch ein wenig quinquillieren
und lustig pfeifen wie zuvor.
Der Vogel, scheint mir, hat Humor.“
Birds Lamento (Der Vogel, scheint mir, hat Humor!), Sculpture, 2017, Parsolglass, Walnut-Tree, Stain, Feather-Clips, 25 x 130 x 50 cm
Auf zwei langen, schlanken, an eine aufs Äußerste reduzierte Giacometti-Skulptur erinnernden Streben ruht eine Mechanik, an deren beiden entgegengesetzten Enden jeweils ein weicher „Puschel“, also ein Pet-Spielzeug, angebracht ist. Wieder sehen wir eine besondere Art von Symmetrie, eine spannungsreiche Bipolarität. Sie lässt Gedanken zu an die Gegensätzlichkeiten des Irdischen wie Universellen, an Leben und Tod, Gott und Teufel, Faust und Mephisto, Adam und Eva, Männlich und Weiblich – von Schöpfung und Evolution vorgegeben, an Yin und Yang. Darüber hinaus ein ambivalentes Werk in Zeiten des verbreitet zu beobachtenden Verschwindens der Vogelwelt, des immer noch gegenwärtigen unsäglichen Jagens und Tötens von jährlich Millionen von Zugvögeln in Südeuropa, namentlich auf Malta und Zypern. Also auch eine politische Arbeit?
Abschließend eine Installation aus einer variierenden Zahl von an der Decke hängenden Skulpturen aus Stein (Sandstein, Kalkstein, Granit und anderen). Nadja Büttner hat sie zu Quadraten von 28 cm Kantenlänge behauen. Die Steine hängen in Kopfhöhe eines Menschen und sind so angeordnet, dass der Betrachter einen Parcours durch sie vollziehen muß, was ihm bei der Gefahr eines recht schmerzhaften Anstoßens einige besondere Aufmerksamkeit abverlangt.
Stone Heads, Installation, 2018, (Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim), stainless steel, different massive types of stones, each stone 28 x 28 x 28 cm (installation dimensions variable), 35 stones (hanging in human head height)
Natürlich denkt man an „Quadratschädel“, unangenehme, starrsinnige, dickköpfige Zeitgenossen – die Installation gewinnt fast schon den Charakter einer Karikatur. Wieder begegnen wir dem für die Künstlerin typischen feinen Humor, der besonderen Sorgfalt und Handwerklichkeit ihres Arbeitens, der unmittelbar erfahrbaren Sinnlichkeit ihrer künstlerischen Produkte.
Nadja Büttner in ihrer Ausstellungshalle im Künstlerhof vor der Installation Stone Heads, Foto: Erhard Metz
Nadja Büttner, 1987 geboren, studierte zunächst an der Hochschule für Gestaltung HfG in Offenbach mit dem Vordiplom, setzte aber ihr Studium 2016 an der Hochschule für Bildende Künste – Städelschule in der Klasse von Professor Tobias Rehberger fort. Im kommenden Jahr wird sie die Akademie als Absolventin verlassen.
Die Künstlerin bestritt seit 2014 bereits eine große Zahl an Ausstellungen, in Aschaffenburg, Berlin, Dreieich-Sprendlingen, Frankfurt am Main, Offenbach, Rüsselsheim, Seoul und Singapur. 2014 belegte sie bei einem Wettbewerb des Bankhauses Metzler den 1. Platz (verbunden mit einem Ankauf). Bereits drei Mal wurde sie zu „Junge Kunst mit Zukunft“, Ernst&Young Auktion und Ausstellung im Frankfurter Museum Angewandte Kunst eingeladen, was jeweils mit Verkäufen verbunden war. Der künstlerische Weg, den Nadja Büttner eingeschlagen hat, verspricht zweifellos Erfolg. Wir sind gespannt, welchen Werken wir an welchen Orten in Zukunft begegnen werden.
Die Arbeiten „Gegenstrich“, „Vibrating Potential“ und „Birds Lamento“ werden ab 4. Juli 2019 im Rahmen einer Gemeinschaftsausstellung mit den Künstlerinnen Eva Gentner und Catharina Szonn in der Frankfurter Galerie Anita Beckers zu sehen sein (Vernissage am 3. Juli 2019, 19.30 Uhr).
Abgebildete Werke © Nadja Büttner; Fotos, soweit nicht anders angegeben: Nadja Büttner