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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Ein grandioser Hamlet in Bochum

Sandra Hüller in der Bochumer Inszenierung von Johann Simons ist der Sohn und der Geist des toten Vaters zugleich.

von Simone Hamm

Dieser Hamlet ist nicht wahnsinnig. Meist nimmt er sich zurück, spricht leise, flüstert oder singt. Selten wird er laut. Dieser Hamlet verlangt nach der Wahrheit. Sein Onkel, seine Mutter, seine Geliebte sollen der Wahrheit ins Gesicht blicken und sie aussprechen. Diesem Hamlet erscheint der Geist des Vaters nicht: er spricht aus ihm. Dieser Hamlet will keine Rache, will niemanden niedermetzeln. Dieser Hamlet geht nicht ab, wenn er von der Bühne geht, sondern setzt sich, wie alle anderen Schauspieler auch, in die erste Reihe und schaut zu. Den Kollegen zuzusehen, sagt Sandra Hüller, sei vielleicht das Schönste an dem Abend.

Sandra Müller als Hamlet, © JU Bochum

Sandra Hüller ist Hamlet. Sie reiht sich ein in eine Reihe von Hamlet Darstellerinnen: Sarah Bernhardt und Asta Nielsen etwa. In grauer Flannelhose und schwarzem Pullis steht sie da und zeigt, wie unerheblich bei Hamlet eine Geschlechterzuweisung ist. In ihm sind alle menschlichen Möglichkeiten angelegt. Johan Simons zeigt einen idealistischen Hamlet. Sandra Hüller ist die Reine, die Fragende. Sie ist weder auf Vergeltung noch auf Herrschaft aus.

Hamlets Vater, der König, ist von seinem Bruder Claudius ermordet worden. Claudius hat dessen Frau Gertrud geheiratet und ist König geworden. Doppelter Schmerz, doppelter Verrat für Hamlet.

Hamlet  ist einsam und isoliert. Er ist klug. Er durchschaut seine Familie, seine Geliebte. Er ahnt den Verrat seiner besten Freunde, die ihn auf Geheiß von Claudius töten sollen. „Mein Gehirn ist eine Narbe“ sagt er. Das stammt aus Heiner Müllers Hamletmaschine, einem Text aus dem Johan Simons und sein Dramaturg Jeroen Versteeele zitieren.

Mercy Dorcas Otieno, Gina Haller, Sandra Hüller (v. li.) © JU Bochum

Ophelia ist eine überdrehte, androgyne Schönheit, die über die Bühne rast. Sie kennt keine Ruhe. Auch wenn sie sicher als gleichberechtigter Gegenpol zum nachdenklichen Hamlet angelegt ist, Gina Haller spielt zu exaltiert.

Claudius (Stefan Hunstein) trägt eine weißen Pelz und ist herrisch. Er hat keine Angst vor Hamlet, Hamlet ist ihm lästig. Deshalb lässt er ihn erst aushorchen, dann will er ihn von seinen beiden besten Freunden töten lassen. Hunstein ist ganz selbstgefälliger König. Sein Berater Polonius durchschaut das Geschehen genauso wie Hamlet es tut. Polonius aber passt sich an. Bernd Rademacher verkörpert diese Wendigkeit aufs Beste.

Star des Abends aber ist Sandra Hüller. Ihr Spiel ist grandios. Sie klagt, sie leidet, sie hofft. Johan Simons hat einen idealistischen Hamlet auf die Bühne gestellt. Sterbeszenen, Kämpfe werden nicht gezeigt. Die Schauspieler legen sich einfach mit dem Rücken zum Publikum auf die Seite und verharren so. Totengräber Ann Göbel erzählt mit gerade so viel Ausdruck wie nötig ist die Geschichte des Mordens nach.

Jing Xiang, Konstantin Bühler, Sandra Hüller, Gina Haller, Ulvi Teke, Dominik Dos-Reis, Bernd Rademacher, Mercy Dorcas Otieno, Stefan Hunstein, Ann Göbel (v. li.) © JU Bochum

Keine Action also. In Bochum sehen wir einem Menschen beim Denken zu. Dennoch ist der Abend wunderbar leicht, es gibt humorvolle Elemente. Sandra Hüller und die anderen Schauspieler fallen manchmal aus der Rolle: „Ich bin auch Schauspieler. Ich spiele Hamlet.“ So schaffen sie eine Distanz zum Geschehen und ziehen die Zuschauer doch gleich wieder hinein.

Die Bühne ist schneeweiß, Bühnenbildner Johannes Schütz hat eine weiße Kugel auf die eine, ein großes kupfernes Rechtecke auf die andere Seite eines Balkens gehängt. Das sieht aus wie ein riesiges Mobile. Kugel und Kupferplatte halten einander in der Schwebe, sind immer gleich wie voneinander entfernt. Eine Annäherung gibt es nicht. Nicht auf der Bühne, nicht am Königshof. Hamlet bleibt und stirbt einsam.

https://www.schauspielhausbochum.de

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