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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Museum Angewandte Kunst lockt mit drei sehenswerten Sonderausstellungen

… im Fokus:  Schönheit

Von Hans-Bernd Heier

Das Museum Angewandte Kunst in Frankfurt lockt derzeit mit drei sehenswerten Sonderausstellungen: „Sieben Schätze. Eine ‚Wunderkammer des japanischen Cloisonnés“, „Contemporary Muslim Fashions“ und „Sagmeister & Walsh: Beauty“. In den thematisch sehr unterschiedlichen Präsentationen spielen Aspekte der Schönheit eine zentrale Rolle.

Monumentaler Zierteller, Meiji-Zeit, ca. 1880–1890; Cloisonné, 90 cm; Foto: Uwe Dettmar; © Museum Angewandte Kunst

Als Japan sich Mitte des 19. Jahrhunderts der Welt öffnete, blickte der Westen staunend auf ein Land voller Naturschönheiten, aber auch auf eine Hochkultur mit raffinierten Artefakten. Der Japonismus als Modephänomen war geboren. Mit ihm erlebte die Kunstform des japanischen Cloisonnés einen rasanten Aufschwung.

Die Technik des Cloisonné kam Anfang des 13. /14. Jahrhunderts aus dem Mittelmeer-Raum nach China und wurde dort zunächst als „Ware aus dem Teufelsland“ gebrandmarkt. Schon während der Ming- und Qing-Dynastie entstanden jedoch dort prachtvolle Werke in dieser Kunstform. Japan, sonst in Sachen Kunst und Kunsthandwerk oft ein gelehriger Schüler Chinas, übernahm diese Technik nur sehr zögerlich. Das änderte sich erst in Zeiten der großen Weltausstellungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Japanische Cloisonnés wurden zu einem der erfolgreichsten Zweige des japanischen Kunstgewerbes.

Einblick in die kompakte Wunderkammer des japanischen Cloisonnés; Foto: Hans-Bernd Heier

„Kunstvoll verzierte Vasen, Teller und Schalen in jener Dekortechnik, bei der farbiges Glas zwischen feinen Kupferstegen auf eine Oberfläche aufgeschmolzen wird, wurden gezielt für einen gehobenen internationalen Markt geschaffen. In einer Verbindung aus östlicher und westlicher Ästhetik entstand ein neuartiger Stil des Dekorativen“,  erläutert Kurator Dr. Stephan von der Schulenburg. Die zarten Farbverläufe, fein gearbeiteten Motive und malerischen Oberflächeneffekte beeindrucken noch heute.

Das Museum Angewandte Kunst erhielt im Jahr 2016 von einem anonymen Gönner rund vierhundert hochwertige japanische Cloisonné-Arbeiten als Geschenk. Als eine über Jahrzehnte aufgebaute Studiensammlung spannt sie den Bogen von den Anfängen des japanischen Cloisonnés im 16. Jahrhundert bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der Schwerpunkt liegt auf dem Cloisonné der Meiji -Zeit und insbesondere auf der Blütezeit dieser Kunst zwischen 1880 und 1910. Neben ihrer breiten historischen Spanne stellt die exzellente Sammlung verschiedenste Techniken mit beispielhaften Werken vor: neben dem Standard-Cloisonné das „Plique-à-jour“ in seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen, die dreidimensionale „Moriage-Technik“, halbtransparentes Email sowie die Kombination von Cloisonné und Silberschmiedekunst. In diesen Objekten manifestiere sich laut von der Schulenburg „der Geist einer neuen Zeit, in der sich Japan eindrucksvoll als innovativer Vorreiter eines international ausgerichteten Stils des Dekorativen in der angewandten Kunst präsentiert“.

Signierte Vasen Namikawa Yasuyuki, Standard-Cloisonné, ca. 1885 – 1910; Foto: Rainer Drexel; © Museum Angewandte Kunst

Für das Frankfurter Museum hat die Schenkung eine herausragende Bedeutung. Der Zeitraum der Entstehung der meisten Stücke fällt mit jener Zeit zusammen, in der die Grundlagen für das heutige Museum Angewandte Kunst gelegt wurden. Der Japonismus war damals eine Modeerscheinung, die viele Bereiche der Angewandten Kunst nachhaltig prägte. So finden sich vielfältige Querverbindungen zwischen dem seinerseits stark vom europäischen Geschmack inspirierten japanischen Cloisonné und anderen Bereichen der Museumssammlung, die die europäische Kunsthandwerksentwicklung zwischen den 1870er und 1920er Jahren zum Gegenstand haben. Durch die Übereignung dieser wertvollen Sammlung verfügt das Museum Angewandte Kunst über eine der bedeutendsten europäischen Museumssammlungen zum Thema japanisches Cloisonné, wie sie sich in vergleichbarer Qualität nur im Victoria & Albert Museum in London findet.

Flache Schale, wohl späte Meiji-, Taishō- oder frühe Shōwa-Zeit, ca. 1910–1930 Plique-à-jour H 8,3 cm, 18,4 cm; Foto: Uwe Dettmar; © Museum Angewandte Kunst

Bereits im Schenkungs-Jahr wurden einige handverlesene Stücke präsentiert. In der neuen Schau der „Sieben Schätze“ (die Bezeichnung ist aus der buddhistischen Lehre übernommen) ist jetzt erstmals nahezu die gesamte Sammlung in ihrer beeindruckenden Vielfalt versammelt. Aus dem hochkarätigen Konvolut sind etwa 300 prachtvolle  Objekte in der „Wunderkammer“ zu sehen, darunter auch Vasen des gefeierten, hoch dotierten „Star-Künstlers“ Namikawa Yasuyuki (1845 – 1927).

Contemporary Muslim Fashions“ sorgt für Furore

Abdul Rahim „Datin Haslinda für Blancheur“, 2017; © Blancheur

Besucher und Besucherinnen, welche die form- und farbschönen Schätze aus der Wunderkammer genießen möchten, müssen sich, ähnlich wie am Flughafen, beim Betreten des lichtdurchfluteten Richard-Meier-Gebäudes einer Personen- und Taschenkontrolle unterziehen. „Geschuldet“ ist dies der Schau „Contemporary Muslim Fashions“. Es ist die erste umfassende Museumsausstellung in Deutschland, die sich mit dem Phänomen zeitgenössischer muslimischer Mode auseinandersetzt. Die Schau wurde an den „deYoung Fine Arts Museums“ in San Francisco inhaltlich erarbeitet und von Max Hollein, dem ehemaligen Städel-Direktor, initiiert. Bereits in San Francisco sorgte die Präsentation für Furore.

Auch in Frankfurt, der ersten Ausstellungs-Station in Europa, führte schon die Ankündigung des Vorhabens zu heftigen, beleidigenden Protesten, überraschenderweise auch von Befürwortern des sog. „liberalen“ bzw. „aufgeklärten Islams“. Da es sogar zu Anschlagsdrohungen kam, entschloss sich die Museumsleitung zu den Sicherheitskontrollen. Obwohl Museumsleiter Prof. Matthias Wagner K nicht müde wird zu betonen, dass es sich „nur“ um eine Mode-Ausstellung handele, erhitzt das Thema nach wie vor die Gemüter, wie jüngst die Diskussion der Frankfurter Kulturdezernentin Dr. Ina Hartwig mit Stadtverordneten zeigte. Dort war die Meinung zu hören, dass eine solche Schau nicht gezeigt werden dürfe, solange Frauen in islamischen Ländern schwere Sanktionen drohten, wenn sie gegen die Kleidervorschriften verstießen.

Bagzibagli, Rasit für Modanisa „Desert Dream Collection“, Frühjahr/Sommer 2018; © Modanisa

Max Hollein, ehemaliger Direktor und CEO der Fine Arts Museums of San Francisco und mittlerweile Chef des Metropolitan Museums in New York, eines der größten Museen der Welt, sagte zur Ausstellungs-Idee: „Contemporary Muslim Fashions ist eine überfällige, dringend notwendige Untersuchung eines facettenreichen Themas, das von Museen bisher noch nicht weitgehend erforscht wurde. Es gibt Menschen, die glauben, dass es unter muslimischen Frauen überhaupt keine Mode gibt, aber das Gegenteil ist der Fall. Das wird durch die modernen, lebendigen und außergewöhnlichen Modeszenen deutlich, besonders in Ländern mit muslimischer Mehrheit“.

Still aus dem Video „Somewhere in America #MIPSTERZ“, Yazdi, Habib (director) Rattani, Abbas (executive producer),  Aghajanian, Sara (producer), 2013

Die Ausstellung präsentiert eine „Momentaufnahme“ aktueller muslimischer Kleidungsstile, mit einem Schwerpunkt auf dem Nahen Osten und Südostasien sowie auf Europa und den USA. Dabei reflektiert sie, wie Kleidung dem Ausdruck der vielen Facetten individueller, religiöser und kultureller Identität dient – und wie sie die Identität prägt. Von Haute Couture über Streetwear bis hin zur Sportbekleidung: Der Markt für muslimische Mode wächst weltweit rasant.

Für die globale Modebranche sind die Bekleidungswünsche der muslimischen Konsumentinnen in den letzten Jahren immer wichtiger geworden. Dabei ist  weltweit die Vielfalt der Kleidungsstile angesichts der mehreren hundert Millionen praktizierender Musliminnen groß und durchaus nuanciert. Im Westen ist dagegen das Bild von der Kleidung muslimischer Frauen oft sehr einseitig. Aus diesem Grunde sind San Francisco und Frankfurt als Standorte für die Beleuchtung dieser kontroversen Thematik besonders geeignet: Beide Städte zeichnen sich durch eine breite kulturelle und ethnische Diversität aus.

In der Bay Area leben heute rund 250.000 Muslim*innen. Das deYoung Fine Arts Museum liegt damit in einer Region mit einer der größten muslimischen Gemeinden der USA. Frankfurt ist als ein zentraler Handelsknotenpunkt in Europa mit einem Bevölkerungsanteil von derzeit erfassten 53 Prozent Ausländern und Deutschen mit sogenanntem Migrationshintergrund eine der internationalsten deutschen Städte. Sichtbare Musliminnen zählen seit Jahrzehnten sowohl in San Francisco als auch in Frankfurt selbstverständlich zum Stadtbild. Das öffentliche Erscheinungsbild der hierzulande überwiegend türkischen und arabischen Frauen wird dabei häufig vom dunklen, fußlangen Überkleid, dem Abaya, geprägt.

Sabet, Shereen „for Splashgear Hawaiian“, Colorway Collection, 2006; © Sabet, Shereen/ Splashgear LLC

Dass dieser Eindruck verzerrt ist, belegt „Contemporary Muslim Fashions“. Die spannende Schau erkundet verschiedene muslimische Kleidungsformen und beschäftigt sich insbesondere mit Kopfbedeckungen. Dabei wird deutlich, dass nicht alle muslimischen Frauen einen Hijab (Kopftuch) und noch weniger einen Nikab (Gesichtsschleier) tragen. Tatsächlich ist die Zahl der muslimischen Frauen, die in den Vereinigten Staaten und in Deutschland regelmäßig ein Kopftuch tragen, in den letzten zehn Jahren bei etwa 40% geblieben. Das Kleidungsstück wird aus verschiedenen Gründen getragen, dazu zählen persönliche Frömmigkeit, Gemeinschaftskonventionen oder eine Vielzahl von politischen Positionen.

Al-Badry, Wesaam, Chanel #VII aus der Serie „Al-Kouture“ 2018; zur Verfügung gestellt vom Künstler und der Jenkins Johnson Gallery, San Francisco; © Al-Badry, Wesaam

Langweilige Abayas und Hijabs sind auch nicht das Maß für die Mode-Vorstellungen muslimischer Frauen. Ihr wachsender Wunsch nach dezenter und stilvoller Mode hat zu einem Markt geführt, der vielfältige Bedürfnisse über die muslimischen Gemeinschaften hinaus bedient. Denn zugleich wächst die Zahl nicht-muslimischer Frauen, die auf als „modest“ etikettierteKleidung von Modehäusern zurückgreifen, weil sie die dezentere Körperbetonung schätzen und/oder dies als emanzipatorischen Akt gegenüber einem westlichen, körperfokussierten Idealbild von Frauen verstehen.

Gleich zu Beginn der Ausstellung taucht der Besucher anhand einer großen Auswahl an schicken Kleidern in die beeindruckende Welt der „Modest Fashion“ ein. „Rund 80 Ensembles von etablierten und aufstrebenden Marken, ergänzt von Modefotografie und Laufstegvideos, zeigen die Raffinesse, mit der regionale Ästhetiken mit globalen Modetrends verwoben werden. Außerdem wird Material aus den Sozialen Medien präsentiert, da die „Modest-Fashion-Bewegung“ durch eine junge und dynamische Community von Blogger*innen und Influencer*innen getragen wird. Sie greifen zu den SocialMedia-Tools, weil Sie sich in den traditionellen Printmedien nur wenig und nicht adäquat vertreten fühlten“, erläutert Wagner K.

Baycelebi, Feyza; © Silver&Soul

Bei der Auswahl von Designer*innen haben sich die Kuratorinnen Jill D’Alessandro und Laura L. Camerlengo vom Fine Arts Museums of San Francisco besonders auf den Nahen und Mittleren Osten, Malaysia und Indonesien sowie Europa und die USA konzentriert. Die sehr ansprechend mit dezenten Schaufensterfiguren inszenierte Schau nimmt die vielfältigen, in diesen unterschiedlichen Ländern regional geprägten aktuellen Interpretationen muslimischer Bekleidungstraditionen in den Blick und zeigt dabei nicht nur regionale Besonderheiten, sondern macht auch die Gemeinsamkeiten sichtbar.

Deutlich wird  einerseits, wie Musliminnen ihre jeweils eigenen modischen Vorstellungen von „Modest (züchtiger) Fashion“ umsetzen, und andererseits, wie internationale Modeunternehmen mit eigenen Kreationen auf die zunehmende Nachfrage – nicht nur muslimischer Frauen – nach „dezenten“, weniger körperbetonten und zugleich modischen Styles reagieren.

Für Jill D’Alessandro „zeigt Mode sich von ihrer besten Seite, wenn sie sich sowohl an die Bedürfnisse der Gesellschaft anpasst als auch ihre sozialen und politischen Unterströmungen widerspiegelt. In diesem transformativen Moment finden wir jetzt Modest Fashion.“

Die facettenreiche Schau reist von Frankfurt am Main weiter und wird u. a. im Cooper Hewitt Smith Design Museum in New York zu sehen sein.

Sagmeister & Walsh: Beauty  

Porträt von Stefan Sagmeister & Jessica Walsh: „Beauty“, 2013; © John Madere

Die dritte beeindruckende Sonderausstellung im Museum Angewandte Kunst „Sagmeister & Walsh: Beauty“ führt den Begriff der Schönheit bereits im Titel und ist ein überzeugendes Loblied auf das Schöne.

Blick in die Ausstellung – Philosophische Untermauerung durch Platon; Foto: Petra Kammann

Nach dem großen Erfolg seiner „Happy Show“ im Sommer 2016 kehrt Stefan Sagmeister, der in New York lebende Superstar des Grafikdesigns, zurück ins Museum Angewandte Kunst. Gemeinsam mit seiner Studiopartnerin Jessica Walsh liefert er mit dem neuen Ausstellungsprojekt „Beauty“ ein ganz persönliches, visuell beeindruckendes Plädoyer für die Lust am Schönen. Mit spektakulären interaktiven Installationen nimmt das renommierte Designduo Sagmeister & Walsh die Besucherinnen und Besucher mit auf eine sinnlich-vergnügliche Suche: Was ist Schönheit und warum fühlen wir uns von ihr angezogen?

Anhand von zahlreichen Beispielen aus Produktdesign, Stadtplanung, Architektur und Grafikdesign demonstriert das Designduo, dass Schönes tatsächlich besser funktioniert. Unterstützt von Erkenntnissen aus der psychologischen Ästhetik, aus Geschichte, Philosophie und den Naturwissenschaften vertreten Sagmeister & Walsh den Standpunkt, dass Schönheit mehr ist als eine rein oberflächliche Strategie: Sie beeinflusst unseren Alltag, stimuliert unsere Wahrnehmung und macht die Welt zu einem besseren Ort; s. dazu Petra Kammanns Bericht vom 7. April 2019 in www.feuilletonfrankfurt.de

Die Ausstellung ist anschließend im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg zu sehen.

Die „Sieben Schätze. Eine Wunderkammer des japanischen Cloisonnés“ sind noch bis zum 22. September 2019 im Museum Angewandte Kunst zu bewundern. Die ebenfalls sehr sehenswerten Präsentationen „Contemporary Muslim Fashions“ enden am 1. September und  „Sagmeister & Walsh: Beauty“ am 15. September.

Weitere Informationen unter: www.museumangewandtekunst.de

Bildnachweis (soweit nicht anders bezeichnet): Museum Angewandte Kunst

 

 

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