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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Sagmeister & Walsh: Beauty“ im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt

Ein Lob auf die Schönheit – Foto-Blicke in die Ausstellungsräume

Von Petra Kammann

Schönheit schläft in allen Dingen… im Gefieder und im Schwarm der Vögel, in Nebelschwaden, in der Farbe Blau, im Untergrund, im Plastikmüll, im Schliff der Steinäxte aus grauer Vorzeit, und nun auch im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt selbst. Da öffnet uns das New Yorker Design-Duo Sagmeister & Walsh Augen und Ohren für die Schönheit und zeigt Beispiele aus Produktdesign, Stadtplanung, Architektur und Grafikdesign und auch das, was uns zum Riechen und Fühlen animiert. In sieben Aspekten – mit teils aufwendig gestalteten Objektgruppen – spüren Stefan Sagmeister und Jessica Walsh der Schönheit in der Ausstellung „Beauty“ multimedial nach.

Mit der Schönheit geht es bergauf. So jedenfalls lautet die Grundthese des Designer-Duos Stefan Sagmeister und Jessica Walsh. Und mit einem entsprechenden in Neonlettern gestalteten Spruch werden wir auch nach oben in die erste Halle der Ausstellung im lichtdurchfluteten Museum geleitet: „Beauty is a combination of shape, form, calor, composition, material and texture to please the aesthetic senses, especially the sight“, also: „Schönheit ist eine Kombination aus Umriss, Form, Farbe, Komposition, Material und Textur, um den ästhetischen Sinnen, speziell dem Gesichts-Sinn zu gefallen“. Schön gestaltete Arbeiten stimulierten nicht nur die menschliche Wahrnehmung, sie funktionierten auch besser und stimulierten uns im Alltag, so das Credo des Designers Stefan Sagmeister und seiner Partnerin Jessica Walsh, die die Schönheit rehabilitieren wollen.

Doch Was ist Schönheit? Mit dieser und fünf weiteren Ausstellungsfragen und -themen wie: Die Geschichte der Schönheit, Im Auge des Betrachters, Schönheit erleben, Transformierende Schönheit und Contemplating Beauty deklinieren die Macher den ästhetischen Diskurs. Sie wollen zeigen, was Schönheit heute ausmacht und ausmachen kann, denn – so Sagemeister– , im 20. Jahrhundert sei sie bei Architekten, Designern und Künstlern nämlich in Verruf geraten mit der Folge, dass wir den öffentlichen Raum häufig  mit viel Crash, Missmut wahrnähmen und Aggression das Verhalten bestimme.

Doch aus Crash, da lasse sich auch Schönes gestalten. Blicken wir durch eine der Öffnungen im lichten weißen Richard-Meier-Bau, so erleben wir eine Überraschung. Da erinnert „One Hundred and Fourty-four“, eine interaktive Installation von Nils Völker, mit ihren 144 an der Wand montierten weiße Plastiktüten, die sich mit Hilfe von Ventilatoren, welche die leeren Plastiksäcke rhythmisch aufblasen und ihnen so neuen Atem einhauchen, um sie anschließend wieder zusammenfallen zu lassen, an frühe Objekte der ZERO-Künstler und werden hier zu einem lebendig wabernden neuen minimalistisch strukturierten Tableau.

„From Garbage to Functional Beauty“ – da treffen wir im Ausstellungsbereich „Transformierende Schönheit“ auf ungewöhnliche Kombinationen, unter anderem auf den wunderschönen Kronleuchter alla veniziana des französischen Designers Thierry Jeannot, eine Installation aus Plastikmüll, die über einer historischen Sitzgruppe aus den Beständen des Museums angebracht wurde. Thierry Jeannot hatte dieses Objekt gemeinsam mit mexikanischen Müllsammler*innen geschaffen.

Ansonsten grundiert die Farbe Blau die Räume, weil das Blau nach einer Untersuchung die Lieblingsfarbe der meisten Menschen ist. Man kann es sogar selbst mittels der Einlasskarte testen, die mit geprägten Münzen versehen ist, die man in entsprechende Vorrichtungen einwerfen und mit Hilfe derer man in der Ausstellung seine Präferenzen mitteilen kann. An fünf Stationen lassen sich die Pappjetons einwerfen und so unter anderem abstimmen, welche Farbe, welche Form, welcher Geruch einem am besten gefällt.

An der Höhe der gestapelten Bücher, die durch Google ermittelt wurden, lässt sich ablesen, zu welcher Zeit der Begriff Schönheit Konjunktur hatte. Nahezu im gesamten 20. und 21. Jahrhundert war und ist der Begriff Schönheit in Bezug auf Design und Architektur eher negativ besetzt oder wird gar nicht erst diskutiert.

Woran das liegt? Reine Funktionalität habe das Leben im Alltag bestimmt und vieles uniform erscheinen lassen. Dass Architektur auch „joyful“ sein kann, zeigten inzwischen zunehmend Architekten wie Renzo Piano (Erbauer des Centre Pompidou in Paris) oder auch Bjarke Engels, der gerade in Frankfurt den Omniturm baut. In Tirana etwa sei die Lebensqualität mit den bunt bemalen Fassaden gestiegen und die Kriminalität gesunken, so erfährt man.

Stefan Sagmeister demonstriert an einer der zahlreichen Mitmach-Stationen, wie zum Beispiel die Besucher selbst mithilfe eines Joysticks die Dichte und Geschwindigkeit des Flugs beim Schwarm der Vögel beeinflussen können und dabei jeweils ausgeprägt harmonische Muster entstehen, die in einem ausgewogenen Verhältnis von Dichte und Leere stehen.

Gleich am Eingang zum nächsten Raum schreitet man durch einen Vorhang aus Nebel und geht über ein blumig ziseliertes B für Beauty, das als Signet projiziert ist, und schaut dann auf zwei Projektionen der Stadt Paris, in der ganze Viertel abgerissen werden sollten, für die der Architekt Le Corbusier Hochhaustürme entworfen hatte. Er wollte Wohn- und Arbeitsviertel durch mehrspurige Schnellstraßen trennen. Glücklicherweise wurden sie nicht gebaut.

Im Inneren des blauen Tunnels begeben wir uns linkerhand in die Münchner S-Bahn mit ihrer 70er-Jahre-Funktionalität, der Allerweltsgestaltung eines immer gleichen Musters und rechterhand in die Moskauer Metro, in der jede U-Bahn-Station von einem anderen Architekten gestaltet wurde. Die unbewusste Wahrnehmung der unterschiedlichen Stationen wirke sich auf die Nervosität der U-Bahn-Passagiere aus, berichtet Sagmeister, der selbst die Fahrten getestet und fotografiert hatte, Wiedererkennung durch individuelle Gestaltung wirke einfach stabilisierend und beruhigend.

Auch diese Schau ist wie zuvor „The happy Show“ eine Mitmachausstellung geworden. Unterschiedlichste Erkenntnisse werden hier nicht nur geistreich visualisiert und inszeniert, wobei hier zweifellos weder Kosten noch Mühen gescheut wurden. Auch für taktile Erfahrungen wurde gesorgt. Stefan Sagemeister testet das Gefühl der Zartheit vibrierend gespannter Metallseile. An anderer Stelle kann man den Unterschied zwischen einer getöpferten Schale gegenüber einer gedrehten oder industriell gefertigten mit der Hand ertasten. Schönes wirke einfach unmittelbar auf die Dopaminrezeptoren und auf das Empfinden, insofern könne man schöne Gestaltung auch als funktionell verstehen. Insgesamt erfährt man einiges über das Schönheitsempfinden unterschiedlichster Kulturen und kann immer wieder Prozesse durch eigenes Tun steuern oder eben mittels Pappmünzen über allerlei Präferenzen von Farben, Formen oder Gerüchen abstimmen.

Liminal Architecture“ von Philip Beesley: Die von der Decke hängende Installation besteht aus großgewachsenen, pflanzenähnlichen Strukturen aus Glas, Polymeren und Metallen. Basierend auf einer jahrelangen Forschung verschränkt der kanadische Architekt in seiner Installation auf phantastische Weise Natur und Technologie miteinander. Dabei kombiniert er zeitgenössische Materialien und digitale Herstellungstechniken zu einem Ganzen und lässt dabei eine Reihe von raumgreifenden Skulpturen entstehen.

An anderer Stelle schaut man durch einen „Vorhang“  aus lustig baumelnden, bunt bemalten aufgeblasenen Bällen aus Guatemala, die aus einem Abfallprodukt der Fleischindustrie bestehen, aus Schweinsblasen, die den Raum durch ein hübsches Farb-, Licht- und Linienspiel animieren…

Auf einer anderen Tafel sieht man gebündelt die charakteristischen gezeichneten Umrisse der Städte Rom, Paris, Rio de Janeiro, Kyoto, Kapstadt, Sankt Petersburg, Wien, San Francisco & Barcelona gebündelt neben- und untereinander. Sie gelten als die 10 schönsten Metropolen der Welt, heißt es. Warum? Ihre Silhouette verleiht ihnen ein unverwechselbares Gesicht.

Die Schau will Schönheit nicht nur als angenehme Oberfläche präsentieren, sondern ihren tieferen Wert darstellen: weil Kranke in freundlicher Umgebung schneller genesen, Alzheimer-Patienten immer wieder auf schöne Dinge zurückkommen und gute Bauten besser von ihren Bewohnern angenommen werden. Es geht also in der Schau nicht nur ganz abstrakt und wissenschaftlich zu wie bei Philosophen, etwa bei Platon, der in seiner Ästhetik in strenger abstrakter Disziplin das Schöne mit dem Guten und Wahren verbindet, sondern vielmehr auch um Wahrnehmung, Animation, Psychologie und Soziologie und nicht zuletzt auch um Mitgestaltung der Umwelt, die sich häufig schon durch kleine optische  Tricks verschönern lässt.

Im blauen Atelier werden die Besucher*innen aufgefordert, mit Papier und Stift der Schönheit einer Thonet-Chaiselongue aus der hauseigenen Sammlung auf die Schliche zu kommen, in dem sie sie abzeichnen, was eine Übersetzung einer Linie von Hand auf Papier bedeutet, und die Zeichnung in der Ausstellung hinterlassen. Spätestens dann wird klar: „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“, wie humorvoll Karl Valentin die Arbeit am Schönen umschreibt.

Wegweiser zu vielen Beispielen, wie Schönheit aussehen kann, Alle Fotos: Petra Kammann

INFOS

Sagmeister & Walsh: Beauty ist das zweite Ausstellungsprojekt, das Stefan Sagmeister mit dem Museum Angewandte Kunst realisiert (2016: The Happy Show ). Die Ausstellung, die bis zum 15. September 2019 läuft, ist eine Kooperation vom Museum Angewandte Kunst und dem MAK, Wien. Die Ausstellung wurde in Wien von Kathrin Pokorny-Nagel kuratiert und wurde im Museum Angewandte Kunst von Peter Zizka koordiniert. Im Anschluss wandert die Ausstellung in das Museum für Kunst und Gewerbe nach Hamburg. Weitere Stationen folgen.

Katalog
Sagmeister & Walsh: Beauty, Hermann Schmidt Verlag, Deutsch, 284 Seiten, 377 farbige Abbildungen, 17,1 × 24,1 cm, fadengeheftete Broschur mit freiem Rücken im Schuber, 39,80 Euro / Sagmeister & Walsh: Beauty, Phaidon, Englisch, 280 Seiten, 377 farbige Abbildungen, 17,1 × 24,1 cm, fadengeheftete Broschur mit freiem Rücken im Schuber, 35 Euro.

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