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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Gertrud-Eysoldt-Ring 2018 für André Jung

„Ich habe befürchtet, ich muss weinen“.

Ein Beitrag von Renate Feyerbacher

Preisträger, Laudator und Moderator haben den Gästen am 16. März 2019 eine lockere, humorvolle Preisverleihung im Parktheater Bensheim geboten. Es wurde oft gelacht und geschmunzelt. Der Preis, der für 2018 an André Junge geht, wird  seit 1986 jährlich von der Stadt Bensheim und der Akademie der Darstellenden Künste verliehen und ist mit 10 000 Euro dotiert. Er wurde von dem in Bensheim verstorbenen Theaterkritiker Wilhelm Ringelband gestiftet.

Foto: André Jung und der Bensheimer Bürgermeister Rolf Richter

Die drei Mitglieder der Jury waren diesmal die Schweizer Theaterregisseurin Barbara Frey, die Dramaturgin Rita Thiele und der Schauspieler Wolfram Koch, selbst Träger des Eysoldt Rings, den das Fernsehpublikum als Frankfurter Tatort-Kommissar kennt, der aber auch ein leidenschaftlicher Theaterschauspieler ist. Die Jury charakterisiert André Jung als einen „der feinsinnigsten, radikalsten und erstaunlichsten Bühnenkünstler unserer Zeit“. Auf den großen deutschen, österreichischen und Schweizer Bühnen ist der in Luxemburg Geborene zu Hause. In Bensheim wurde er für seine Rolle als Erzähler in Georg Büchners „Lenz“ unter der Regie von Düggelin im Schauspielhaus Zürich ausgezeichnet. Gelobt wird seine Treue als Ensemblespieler. Nicht nur auf  Theaterbühnen ist er präsent, sondern auch im  Kino und im Fernsehen..

Bedeutende Auszeichnungen wurden dem heute 65Jährigen zuteil:. Zweimal – 1981 und 2002 – wurde er von Theater heute zum Besten Schauspieler gewählt. 2009 konnte er sich über den österreichischen Johann-Nestroy-Preis  freuen. Filme, in denen er mitspielte, erhielten zum Beispiel den Günter Rohrbach-Preis oder den Publikumspreis von Locarno.

André Jung und Jossi Wieler

„Keiner kann schöner stolpern als Du“,  frotzelt Jossi Wieler in seiner sehr persönlichen Laudatio. Und „Ich musste lernen, dass Du an Formel 1-Tagen einfach nicht erreichbar bist“ und lobt seine Liebe zum  Singen. Diese Liebe stellt Jung bei der Feier danach unter Beweis.

Der Schweizer Theater- und Opernregisseur Jossi Wieler, zuletzt sieben Jahre bis 2018 Stuttgarter Opernintendant, kennt André Jung sehr gut und ist mit ihm befreundet. Seit dreißig Jahren gehen sie zusammen auf „Wanderschaft“.  Jung, so Wieler, habe die Fähigkeit, Ängste von Figuren sicher und glaubwürdig zu spielen, und die eigenen Ängste mutig und tapfer zu überwinden. Er nennt ihn einen melancholischen Clown, einen Jongleur und Wanderer am Abgrund. Seine Figuren könnten auch abstürzen. Jung habe Lust an der Tragikkomik und er kämpfe um die eigene Freiheit im Spiel. Wieler lobt sein Engagement für jüngere Künstler: „Du nimmst sie an die Hand.“

Prompt stolpert André Jung später auf die Bühne. Sichtlich freut er sich über die hohe Auszeichnung: „Ich habe befürchtet, ich muss weinen.“ Das passiert zwar nicht, aber seine Stimme kommt bei der kurzen Danksagung ins Stocken als wenn Tränen sich Bahn brechen wollten. Nun 65 Jahre, so reflektiert er nachdenklich, könne er vieles heutzutage nicht  mehr verstehen.

André Jung vor dem Gemälde, das Gertud Eysoldt zeigt

Hans-Jürgen Drescher, Präsident der Akademie der Darstellenden Künste, charakterisiert Gertrud Eysoldt (1870 – 1955), die unter anderem am von Max Reinhardt geführten Deutschen Theater in Berlin engagiert war, als eine Schauspielerin, die gegen „Plüsch und Pickelhauben“ an spielte. „Mit ihrer dünnen Kinderstimme verlieh sie ihren Figuren eine besonders abgründige, verdorbene Note [..] Manche Rollen, da scheint sie nur aus Tönen zu bestehen: schreit, plärrt, miaut.“ Anlässlich ihrer Rolle als Salome wurde sie von Lovis Corinth gemalt. Sie unterrichtete an der Schauspielschule des Deutschen Theaters und leitete ein kleines Berliner Theater. Dort wurde 1920 Arthur Schnitzlers „Reigen“ aufgeführt, der einen Skandal auslöste und wegen Unsittlichkeit einen Prozess nach sich zog. Die Direktion wurde allerdings frei gesprochen. Gertrud Eysoldt spielte in Stummfilmen mit und während und nach dem Krieg hatte sie kleinere Rollen in Spielfilmen. Sie starb in Bayern wurde aber auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin Mitte, die Ruhestätte vieler Geistesgrössen, beerdigt.

Mit Blick auf diese experimentelle Art ihres Spiels, mit dem Mut, sich die Freiheit der Darstellung zu nehmen, nennt Hans-Jügen Drescher den Gertrud-Eysoldt-Ring einen Zukunftspreis. Er passt ausgezeichnet zu André Jung.

Preisverleihung von links Hans-Jürgen Drescher, Robert Icke, Peter Kümmsel und  Bürgermeister Rolf Richter

Erstmals erhält ein Engländer den Kurt-Hübner-Regiepreis. Robert Icke, 32 Jahre alt, wurde mit dem Nachwuchspreis ausgezeichnet. Er ist Regisseur, Autor und Leiter des Almeida Theatre in London. ZEIT-Kritiker Peter Kümmel hat ihn ausgewählt. Wie Icke die Selbstauslöschung einer Familie, die „Orestie“ des Aischylos“, am Staatstheater Stuttgart im Herbst 2018 inszenierte, hat ihn begeistert. Er nennt Icke eine Entdeckung für das deutsche Theater.

Außergewöhnlich gestaltete Michael Quast von der „Fliegenden Volksbühne“ in Frankfurt, die bald einen festen Standort bekommt, die Moderation. Witzig schilderte er Ringelbands vergeblich lange  Suche nach dem geeigneten Ort für die Vergabe des Preises, erklärt die verschiedenen Hackbrettversionen und stellt so das Quartetto Salterietto aus München vor, die an vier Hackbrettern interessant musizieren. Die Akademie der Darstellenden Künste sieht er als Metapher eines Schiffes auf stürmischer See. Seine unnachahmlichen Wind- und Wellengeräusche, seine Möwenschreie nennt Akademie-Präsident Hans-Jürgen Drescher wohlwollend „ein bisschen ungewöhnlich“. Aber für die Moderation im nächsten Jahr wurde Quast dennoch wieder verpflichtet. Er war entscheidend verantwortlich für die heitere Preisverleihung, deren schöne Stimmung auch bei der Nachfeier in einem großen Kino anhielt.

Ministerin Angela Dorn mit Michael Quast

Alle Fotos: Renate Feyerbacher 

 

Frühere Preisverleihungen

https://www.feuilletonfrankfurt.de/2013/03/26/verleihung-des-gertrud-eysoldt-rings-2012-an-constanze-becker/

https://www.feuilletonfrankfurt.de/2017/04/21/gertrud-eysoldt-ring-und-kurt-huebner-regiepreis-2016/

https://www.feuilletonfrankfurt.de/2018/06/11/gertrud-eysoldt-ring-fuer-sophie-rois/

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