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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„And this is us. Junge Kunst aus Frankfurt“ im Frankfurter Kunstverein (2)

Von Erhard Metz

Allerhand „Action“ ist derzeit im Frankfurter Kunstverein zu erleben – über die „Nacht der Museen“ am 11. Mai hinweg nur noch bis zum 12. Mai 2019. Man sollte sich diese Leistungsschau acht junger Künstlerinnen und Künstler, die an den Kunsthochschulen in Frankfurt und Offenbach studierten bzw. noch studieren, keinesfalls entgehen lassen. Aus dem Souterrain erschallt Wolfsgeheul, im Erdgeschoß braust und tobt zu jeder halben Stunde ein abenteuerlich umgebautes Heugebläse, und aus dem ersten Stock ertönt Hundegebell.

(v.l.) Hanna-Maria Hammari, Max Geisler und Bertrand Flanet im Presserundgang

Wir setzen unseren Rundgang durch das Gebäudes fort („And this is us. Junge Kunst aus Frankfurt“ im Frankfurter Kunstverein – Teil 1) und gelangen in der ersten Etage zu den Arbeiten von Hanna-Maria Hammari, Max Geisler und Bertrand Flanet.

Hanna-Maria Hammari, 1986 in Tornio/Finnland geboren, studierte als Meisterschülerin bei Professor Tobias Rehberger an der Städelschule in Frankfurt am Main und absolvierte zusätzlich ein Gastsemester an der Cooper Union in New York.

In ihrer luftigen Installation „Sub sublime“ aus glasierter Keramik, Stahl, Serpentine Leopardstein und Glas im geschwungenen Treppenhaus geht die Künstlerin spielerisch mit diesen Materialien um, die sie miteinander verknüpft und verschränkt. An von der Decke herabhängenden Ketten scheinen die gebrannten Keramiken wie Feuer empor zu züngeln und zu lodern. Die Ketten wiederum in ihren verschiedenen farbigen Tönungen wie Eisen, Bronze und Gold umschließen am Boden schlanke, säulenartige Räume. Ob es erlaubt sein mag, sich in sie hineinzubegeben?

Hanna-Maria Hammari, Sub sublime, 2019, glasierte Keramik, Stahl, Serpentine Leopardstein, Glas, Ausstellungsansichten

Der 1990 in Frankfurt am Main geborene Max Geisler studierte an der Hochschule für Gestaltung Offenbach bei den Professoren Gunter Reski und Adam Jankowski und absolvierte ein Gastsemester an der Akademie der bildenden Künste in Wien bei Professor Erwin Bohatsch.

Seine (wie auch die meisten der anderen Ausstellungsbeiträge) eigens für diese Schau entwickelte ortsspezifische Großinstallation verändert mit ihren theatralisch inszenierten, nur scheinbaren Wanddurchbrüchen den zur „Neuen Altstadt“ hin gelegenen Saal zu einer spezifisch gestalteten Aussichtsplattform in die Gasse Hinter dem Lämmchen und eröffnet umgekehrt den Blick von außen in das quasi bildhafte Geschehen im Inneren des Hauses.

Max Geisler, Protect your neck, 2019, Trockenbauwände, Dämmwolle, Armierungsgewebe, Spachtelmasse, Acrylfarben, Ausstellungsansichten

Es entsteht ein begehbarer, skulpturenhafter „Raum im Raum“, geprägt von explodierender Zerrissenheit wie zugleich malerischer Anmutung, der wie ein Zitat der Zerstörung der Frankfurter Altstadt im Zweiten Weltkrieg wirkt. Installation, Skulptur und Malerei gehen eine so noch kaum je gesehene Symbiose ein.

Bertrand Flanet, 1986 im französischen Schiltigheim geboren, studierte Kunstgeschichte an der Université Rennes II und Contemporary Art History and Curating Practices an der Université Marc Bloch in Strasbourg, bevor er sein Studium an der Städelschule als Meisterschüler von Professor Douglas Gordon abschloss.

In seiner vielteiligen multimedialen Installation im Altbau präsentiert der Künstler auf einem großen und einem kleinen Monitor zwei Animationsfilme voller bildlicher und akustischer Symbole und Metaphern, die den Betrachter in ein fiktives Geschehen hineinziehen und in ihm vielfältige Emotionen hervorrufen. Poppig-bunte comicartige Gebilde auf einem aus Schaumstoffen aufgehäuften Kubus provozieren und erwecken Neugier, wie sich das alles zusammenreimen mag.

Bertrand Flanet, Dungeons, 2019, Animation, 21:40 min.; Relaxer, 2019, Animation, 30 sec Loop; Relaxer, 2019, A(Cat), B(Crow), C(Rabbit), D(Killer Wale), E(Pig), Fleece; Blue and Blue, 2019, Druck auf Leinen, 12-teilig, jeweils 120 x 90 cm

An den Wänden hängen zwölf mit Text bedruckte Leinwände, in denen die Geschichte eines Jungen erzählt wird, der in einer Fantasiewelt alte und harmlose Monster tötet. Viel Zeit kann man verbringen in diesem Ausstellungssaal.

 

Im Obergeschoß erwarten uns schließlich Arbeiten von Wagehe Raufi, Viviana Abelson und Christian Leicher.

Wagehe Raufi, Christian Leicher und Viviana Abelson beim Presserundgang

Wagehe Raufi wurde 1990 im niedersächsischen Dissen geboren. Sie studiert an der Hochschule für Gestaltung Offenbach bei den Professoren und Professorinnen Gunter Reski, Susanne Winterling und Julika Rudelius. Im zurückliegenden Wintersemester 2018/2019 war sie Gast der Central Academy of Fine Arts in Peking.

In ihrer unglaublich fantasievollen, kaum beschreibbaren, die Grenzen von real und virtuell, analog und digital sprengenden Installation entführt sie den Betrachter in eine rauschhafte Wunderwelt voll von Gespinsten, Bildern, Strukturen, Spiegelungen, Phantastereien und Assoziationen.

Wagehe Raufi, Mammoth with Glass Eye, 2019, diverse Textilien, thermoplastischer Kunststoff, Agar-Agar, Wasserspeichergranulat, Tusche, Pigmente, Mixed Media, Video 4:37 min, Ausstellungsansichten

Chemische Substanzen und organische Materialien bewirken auf Dauer Bewegungen und Veränderungen an ihren hybriden Objekten. Video- und Objektwelt scheinen in einem ständigen Prozeß zu kommunizieren und miteinander zu reagieren und schaffen einen einzigartigen, atemberaubenden Erlebnisraum.

Viviana Abelson, 1985 in Buenos Aires geboren, studierte an der dortigen Universität Torcuato Di Tella und LIPAC, ferner bei Professorin Josephine Pryde an der Universität der Künste in Berlin und schließlich an der Städelschule als Meisterschülerin von Professor Douglas Gordon.

Die spannungsvollen Skulpturen der Künstlerin spiegeln bereits in ihren Werkstoffen eine politische Dimension wider: große Kraftfahrzeugreifen mit „brutal“ wirkenden Profilen, schwarzes Gummi und glänzendes Metall lassen den Betrachter etwa an einen überbordenden, umweltschädigenden Verkehr denken, an den Verbrauch entsprechender zur Produktion notwendiger Ressourcen wie Erdöl, suggerieren Kälte, Distanz und Gewalt. Eine bedrohlich wirkende Skulptur ähnlich einer schwarzen Lederjacke besteht aus einem aufgeschnittenen Reifen und Partien von Gummi, an den „Ärmeln“ hängen kleine Ketten. Spiegelnde Gebilde in dem mächtigen Reifen erscheinen als alles und jeden beobachtende Kameralinsen.

Viviana Abelson, Hoop, 2019, Reifen, Gummi, Schaumstoff, 98 x 98 x 71 cm; Legend, 2019, Metallstangen, Reifen, Gummi, 130 x 190 x 40 cm

Christian Leicher, geboren 1996 in Frankfurt am Main, wartet als einziger der acht Ausstellenden mit sozusagen „klassischer“ Malerei in Acryl auf. Er studiert seit 2016 an der Hochschule für Gestaltung Offenbach bei Professor Heiner Blum.

Seine abstrakten, mächtigen, ausschließlich mit einer Deckenbürste gefertigten Malereien, auch in Diptychen und Triptychen, entfalten spannungsgeladene Kraftfelder, die den Werken von Viviana Abelson im gleichen Saal korrespondieren. Die Bilder sind von verblüffender räumlicher Tiefe, mal von strenger, archaisch wirkender Gestaltung, mal von organischer Anmutung mit weichen Formen und Rundungen, seine Palette ist strikt reduziert bis hin zum reinen Schwarz.

Christian Leicher, 3 Ansichten eines Ortes, 2019, Acryl auf baumwolle, 3-teilig, jeweils 260 x 220 cm; Studie, 2018, Acryl auf Baumwolle, 160 x 120 cm

Begleitet wird die – wie wir noch einmal betonen absolut sehenswerte – Ausstellung von jeweils ausführlichen Texten, die sich überwiegend mit der Materialität der ausgestellten Werke befassen und auf Deutungen und Assoziationen verzichten, verfaßt von Kunstvereinsdirektorin Franziska Nori und Dennis Brzek; die Texte sind ebenso in einem gut gestalteten Begleitheft nachzulesen.

Die acht austellenden Künstlerinnen und Künstler (v.l.): Bertrand Flanet, Jonas Brinker, Viviana Abelson, Catharina Szonn, Wagehe Raufi, Hanna-Maria Hammari, Christian Leicher und Max Geisler

Der Frankfurter Kunstverein wählte die acht gezeigten Positionen aus 40 besuchten Ateliers junger Künstlerinnen und Künstler aus. Es handele sich bei der kuratierten Werkschau nicht, wie Franziska Nori betont, um eine Art von Zwischenpräsentation im Sinne der üblichen Rundgangsveranstaltungen der beiden rhein-mainischen Kunsthochschulen, sondern um eine Ausstellung klarer künstlerischer Statements im Rahmen des regulären Ausstellungsprogramms.

„Die Ausstellung „And This is Us: Junge Kunst aus Frankfurt“ eröffnet den jungen Positionen zum Teil zum ersten Mal die Möglichkeit, ihre Werke auf einer institutionellen Bühne zur Geltung zu bringen. Dabei verfolgt sie das Ziel, die Vielfalt heutiger künstlerischer Praktiken aufzuzeigen. Gleichzeitig zeichnet die Ausstellung das Bild der facettenreichen Kultur aktueller Kunstproduktion in Frankfurt, die von den vielen internationalen Akteuren und Austauschprozessen profitiert. Durch neue Werke, die spezifisch für die Räumlichkeiten des Frankfurter Kunstvereins entstanden sind, geben die KünstlerInnen Einblick in die Themen und Formate, die ihre Praxis ausmachen.

Die Ausstellung bietet den jungen KünstlerInnen den Freiraum, ihre künstlerische Position weiterzuentwickeln und neue Ideen zu realisieren. Sie werden von der Konzeption und Produktion bis hin zur finalen Präsentation begleitet und aktiv unterstützt. Aus diesem Grund setzt das Ausstellungsformat bewusst keinen thematischen Rahmen, sondern verschafft einen Überblick der Interessen und Ansätze künstlerischen Schaffens in Frankfurt heute.

Die Auswahl der beteiligten KünstlerInnen spiegelt die Situation Frankfurts als ein wichtiger Schauplatz künstlerischer Praxis wider. Durch international renommierte Kunsthochschulen ist das Rhein-Main Gebiet Dreh- und Angelpunkt für die Karrieren vieler aufstrebender Kunstschaffender. Dank dieses Fundaments entstehen zukünftige Karrieren, deren Weg sie in die internationale Kunstwelt führt.“ (Frankfurter Kunstverein)

„And this is us. Junge Kunst aus Frankfurt“ im Frankfurter Kunstverein, bis 12. Mai 2019

Abgebildete Werke © jeweilige Künstlerinnen und Künstler; Fotos: Erhard Metz

→ „And this is us. Junge Kunst aus Frankfurt“ im Frankfurter Kunstverein (1)

 

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