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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Liu Xia – Die Fotokünstlerin, Malerin und Lyrikerin mit Ai Weiwei in der Frankfurter Galerie-Peter-Sillem

„With my eyes closed“ – Ein verinnerlichter Kosmos erzwungener Stille 

Als sich in den 1980er Jahren die Kunstszene in Beijing zu öffnen begann, spielte die Lyrikerin, Malerin und Foto-Künstlerin Liu Xia dort eine zentrale Rolle. Von 2010 bis 2018 stand sie unter Hausarrest, nur, weil sie mit dem bis zuletzt inhaftierten Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo verheiratet war. Ein Jahr nach dessen Tod 2017 durfte sie China verlassen. Seither lebt sie als Exilantin in Berlin. Nun stellt sie erstmals in Frankfurt ihre geheimnisvollen Schwarz-Weiß-Fotos in der Frankfurter Galerie-Peter-Sillem aus. Ihre Foto-Bilder sind ein poetisches Konzentrat ihrer Biografie.

Von Petra Kammann

Galerist Peter Sillem heißt Liu Xia willkommen, Alle Fotos: Petra Kammann

Die konsequent quadratisch-fotografischen Schwarz-Weiß-Kompositionen von Liu Xia sind ebenso berührend wie die 1961 in Beijing geborene Künstlerin Liu Xia selbst. Die Witwe des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo bekam ein Jahr nach dessen Tod im vergangenen Juli die Gelegenheit, ins Exil nach Berlin zu gehen. Ihre geheimnisvollen Foto-Stillleben, die sie in der Galerie in der Dreieichstraße ausstellt, entstanden fast alle zwischen 1996 und 1999, in einer Phase, als ihr Mann die Zeit im Arbeitslager Dalian verbrachte. Liu Xia hatte 1996 den chinesischen Intellektuellen geheiratet, der später wegen seines Engagements für die „Charta 2008“ zu einer 11-jährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Während ihr Mann in Haft war, stand sie acht Jahre lang unter Hausarrest. Dabei war die Künstlerin selbst nie politisch aktiv und wurde auch niemals für ein Verbrechen angeklagt oder verurteilt. Sie selbst sieht sich als unpolitische Bürgerin Chinas. 2017 starb ihr Mann, der immer noch in Haft war. Im Werk von Liu Xia, die einen  experimentellen künstlerischen Weg gewählt hat, spiegelt sich die Wirklichkeit Chinas auf diskrete Weise. In China ist ihr Werk verboten.

Ihre Schwarz-Weiß-Fotografien entstanden zwischen 1996 und 1999

Liu Xia fotografiert ausschließlich schwarz-weiß. Ihre quadratisch streng komponierten verrätselten Bilder sind jedoch voller Anspielungen auf die repressive Situation, in der sich die Menschen in China befinden: Auf die Bilder voller Sehnsucht nach Wärme und Geborgenheit, die sich in den durch Seidenstoff verhüllten Gestalten zeigen, fällt ein besonderes Licht. In einigen ihrer Bilder stehen Puppen im Vordergrund, die sie selbst „ugly Babies“ nennt. Empörung und Entsetzen scheinen ihre weit aufgerissenen Münder zu spiegeln ebenso wie ihr Eingesperrtsein im Käfig oder ihr Aufgespießtsein auf Latten oder zwischen Masken.

Zum Verständnis des Werks von Liu Xia muss man sich die Umstände vor Augen führen, unter denen sie in China gelebt hat. Ihr Mann, Liu Xiaobo, der Friedensnobelpreisträger des Jahres 2010, wird häufig mit Vaclav Havel verglichen, weil er einer der Anführer der studentischen Bewegung des Jahres 1989 war, die mit dem Aufstand auf dem Tiananmen-Platzes verbunden ist. Der Aufstand, den die Regierung damals niedergeschlagen hat, verlief blutig. Ein wahres Massaker! Dabei gab es nicht nur revoltierende Studenten. Auch ein Aufstand von Arbeitern hatte damals viele große Städte Chinas erfasst. Für seine Beteiligung am Aufstand wurde Liu Xiaobo damals zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt.

Liu Xiaobo lebte dann in Peking, betätigte sich als Essayist. 1995 wurde er jedoch erneut inhaftiert und in eines jener Lager, nach Dalian eingewiesen, die man als chinesischen Gulag bezeichnen kann. In solche Lager konnte man allein aufgrund polizeilicher Befehle und ohne jegliche richterliche Anordnung eingewiesen werden. 1996 heiratete Liu Xia in diesem Lager Liu Xiaobo, mit dem sie bereits seit den 1980er Jahren befreundet war und den sie, wie der Sinologie Prof. Perry Link in seiner Diskussion am Tag nach der Vernissage im Frankfurt Harmonie-Kino mit Liu Xia und dem chinesischen Konzeptkünstler Ai Weiwei beschrieb, schon einmal inoffiziell verheiratet war.

Zur Vernissage waren auch einige chinesische Besucher gekommen

Liu Xia schrieb aus diesem Anlass ergreifende Gedichte. Die Diskussion mit dem Sinologen und Exmeritus-Professor aus Princeton Prof. Perry Link, der an einer Biografie des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo arbeitet, geriet ausgesprochen emotional. Das Publikum bekam sowohl seine Rührung wie auch die starke Bewegtheit der Künstlerin ganz unmittelbar zu spüren. Ihre Geschichte war vielleicht sogar besonders präsent, weil sie in der Diskussion keine eigene Sprache hatte, mit der sie ihre Emotionen zum Ausdruck hätte bringen können. Sie spricht weder Englisch noch Deutsch. Bei der Rekapitulation der persönlichen und emotionalen Situation kamen sowohl dem Moderator und Übersetzer Perry Link als auch der Künstlerin selbst die Tränen. Dadurch bekam man eine Ahnung davon, wie sehr sich die zarte und auch immer noch unter Medikamenten stehende Person in dem neuen deutschen Kontext fühlen musste. Ihre Geschichte wurde im Halbdunkel des Kinoraums wieder aufgerührt.

Liu Xia, usprünglich die Tochter eines hochrangigen offiziellen Beamten, hatte ihr stabiles bürgerliches Leben zugunsten der Schriftstellerei aufgegeben und war Liu Xiaobo bereits in den 1980er Jahren begegnet. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis und anlässlich des Protests 1989 am „Platz des himmlischen Friedens“ traf sie ihn wieder, bevor dann 1996 das Paar 1996 im Arbeitslager in Dalian offiziell heiratete. Unter den Blicken der Gefängniswärter war das alles andere als eine traditionell chinesische Traumhochzeit mit großem Fest. Das Paar konnte nicht einmal ein richtiges Hochzeitsphoto für die Heiratsurkunde machen. Stattdessen hat Liu Xia zwei unabhängige Fotos von beiden in das offizielle Dokument zusammengefügt und nebeneinander festgeklebt.

Liu Xia bei der Diskussion im „Harmonie“-Kino

Dieses Dokument nutzte sie drei Jahre lang als Besucherpass, um Liu Xiaobo einmal monatlich in dem 800 Kilometers von Beijing entfernten Arbeitslager zu besuchen. Sonst hätte man sie dort nicht einmal hereingelassen. In dieser Zeit schrieb sie ihm Briefe und Postkarten, schickte ihm Bücher. Dinge, die sie nicht schicken durfte, pinnte sie an die Wände ihres Apartments. „Es war die einzige Möglichkeit, mit der Situation meinen inneren Frieden zu finden“, sagt sie heute. Dabei war Liu Xiaobo ein berühmter Menschenrechtsanwalt, der lediglich politische Reformen in China durchsetzen wollte und Liu Xia eine in China anerkannte Schriftstellerin und Künstlerin. Sie schrieb eine Reihe von Gedichten, die man gern auf Deutsch lesen möchte.

1999 wurde Liu Xiaobo aus der Haft entlassen, 2003 zum Präsidenten des unabhängigen chinesischen PEN gewählt. Im Jahre 2008 verfasste er die Charta 08, ein liberales Manifest, ganz nach dem Vorbild der Charta 77, unter deren Erstunterzeichner nicht nur über dreihundert Gelehrte, Künstler und Politiker waren, sondern auch der bei uns weitaus bekanntere chinesische Dissident und Konzeptkünstler Ai Weiwei. Bestandteil der Charta war der Wunsch nach einer demokratischen Reform mit friedlichen Mitteln. Es ging ihm und anderen dabei um eine unabhängige Gerichtsbarkeit, das Zulassen freier politischer Parteien und um das Ende des Einparteiensystems der chinesischen KP.

Bevor die Regierung die weitere Verbreitung des Manifests verbieten konnte, waren bereits über 5.000 Unterschriften zu der Charta im Netz verbreitet worden. Daraufhin wurde Liu Xiaobo 2009 wegen angeblicher „Untergrabung der Staatsgewalt“ zu elf weiteren Jahren Haft verurteilt. Als er dann 2010 den Friedensnobelpreis bekam, hat das die chinesischen Behörden noch einmal mehr aufgebracht und erzürnt. Wenige Tage später stellte man dann auch seine Frau Liu Xia ohne jede rechtliche Grundlage unter Hausarrest. Rund um die Uhr wurde Lius Apartement von Sicherheitsleuten überwacht, ihr Zugang zum Internet und zur Außenwelt wurde gekappt. Das einzige, das man ihr zugestand, waren gelegentlich Telefonate mit einem kleinen Freundeskreis. Und das, obwohl die chinesischen Behörden behaupteten, Liu sei frei. Und sie kritisierten die Westler dafür, dass sie unkorrekte Bemerkungen über das machten, was sie selbst als häusliche Angelegenheit betrachteten.

Artists in Conversation – im Kino „Harmonie“: Ai Weiwei, Prof. Perry Link und Liu Xia

Liu Xia hatte zwar das Recht, dort ihren Mann einige wenige Male im Jahr zu besuchen und durfte ihrem Mann auch Bücher wie solche von Thomas Mann, Dostojewski oder Kafka mit ins Gefängnis bringen. Allein ihre Situation war völlig kafkaesk. Als dann bei Liu Xiaobo Krebs diagnostiziert wurde, wurde er kurz vor seinem Tod am 13. Juli 2017 nochmal kurzfristig aus dem Gefängnis entlassen. Während des langen Kampfes für eine politische Reform, hat Liu Xia ihrem Ehemann alle erdenkliche moralische Unterstützung gegeben. In den Monaten nach Liu Xiaobos Tod haben Freunde und Unterstützer, UN-Rechtsexperten auf Liu Xias Gesundheitsstatus bzw. auf die psychisch sie belastende Situation aufmerksam gemacht. Sie sagte damals einem Freund in Deutschland: „Wenn ich hier nicht herauskomme, werde ich hier sterben. Nachdem Xiaobo verschieden ist, ist es leichter für mich zu sterben als zu leben. Dem Tod zu trotzen macht es für mich nicht leichter.“ Liu Xia konnte schließlich durch Interventionen nach ihrem Bruder Liu Hui, einem chinesischen Aktivisten, der eine ebenfalls 11-jährige Haftstrafe bekommen hatte, China verlassen. Möglicherweise werden noch jetzt andere ihrer Verwandten drangsaliert.

In der Diskussion im Kino „Harmonie“ ging es darum, wie man sich nach Jahren der Repressionen fühle, plötzlich in eine neue „freie“ Welt gekommen zu sein. Ihr Urteil ist klar und deutlich: einfach „fremd“ und voller Heimweh nach Vertrautem. Liu Xia spricht weder Englisch noch Deutsch. Und ihre Trauer sitzt tief. Ihre Gestik und ihre Zerbrechlichkeit, die durch den kahlgeschorenen Kopf auch noch gesteigert wirkt, ist anrührend. Sowohl sie als auch der schon seit 2015 in Deutschland lebende Künstler-Dissident Ai Weiwei – auch er hatte neben vielen anderen Repressalien mehrere Jahre lang unter Hausarrest in China gestanden – müssen hier erst ihre Rolle finden und diese zugleich neu definieren. Das ferne China ist für sie nach wie vor sehr präsent, so wie es ihre dortigen Freunde sind. Der publikumswirksame Ai Weiwei, den ich mir viel lauter vorgestellt hatte, ist ein stiller, in sich versunkener nachdenklicher Mann, wenn er mit modulierender Stimme spricht. Doch versuchte er, durch seine humorvollen Zwischenbemerkungen die melancholische Grundstimmung etwas aufzuhellen, so wenn er auf seine Erfahrungen als Bauer und auf das zurückkommt, was er in seiner Re-education eben auch gelernt habe, den Realismus. Und er macht darauf aufmerksam, dass Lu Xia eigentlich eine fröhliche lebenslustige Person sei.

Liu Xia vor in der Galerie Peter Sillem vor einem ihrer Stilleben

Eines hat die Diskussion deutlich gemacht, dass wir auch im „demokratischen Westen“ an einem Punkt angekommen sind, an dem wir unsere Humanität neu überdenken und Entscheidungen treffen sollten, die für die Entwicklung der gesamten menschlichen Gesellschaft gut sind. Als Liu Xia nochmal danach befragt wird, wie sie nach den strengen Restriktionen das Leben im liberalen Westen empfinde, macht sie auch gestisch klar, sie fühle sich nicht nur fremd, sondern auch völlig ohnmächtig – und eigentlich müsse sie von morgens bis abends allen um sie herum nur „danke“ sagen. Sie aber möchte eine unabhängige Person sein, die Verantwortung für sich selbst übernimmt, Dinge aufzuarbeiten. Die vermeintliche Freiheit könne auch toxisch sein, trage sie auch ein heimtückisches Gift in sich.

Für die Besucher der Veranstaltung war das zweifellos ein sehr nachdankenswerter Vormittag, der u.a. noch einmal die Vorzüge der sich als existenziell notwendig begreifenden Kunst deutlich gemacht hat. Die besondere Stärke der Kunst liege eben nicht nur in der Botschaft, sondern auch darin, das Mögliche in unmöglichen Situationen denken und finden zu können, wie Ai Weiwei zum Schluss der Diskussion treffend bemerkte. „Mit geschlossenen Augen lerne ich zu malen (…), heller mit jedem Strich“ befand Liu Xia in: „Eine Landschaft“ (1997). Welche künstlerischen Schlüsse Ai Weiwei aus seiner Geschichte gezogen hat, das wird man demnächst in seiner großen Ausstellung “Everything is art. Everything is politics” in der Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein Westfalen sehen können…

Zur Vernissage und zur Diskussion war eigens der chinesische Dissident, Konzeptkünstler, Bildhauer und Architekt Ai Weiwei angereist. Er fühlt sich der Künstlerin seit den 80er Jahren verbunden 

Die sehenswerte Ausstellung Lius Xias „With my eyes closed“  geht bis zum 6. Juni 2019.

Weitere Infos unter:

galerie-peter-sillem.com

 

 

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