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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Viva Leonardo da Vinci – Zum 500. Todestag des Renaissancekünstlers und Universalgenies

Leonardo da Vinci: Künstler, Philosoph und visionärer Gelehrter im Zeitalter des Humanismus

Im Schloss von Amboise im Loiretal regierte François I und holte Leonardo da Vinci in seine Nähe; Fotos: Petra Kammann 

Von Petra Kammann

Das Jahr 2019 steht ganz im Zeichen von Leonardo da Vinci mit zahlreichen Ausstellungen in den verschiedenen Ländern. Denn am 2. Mai 1519 jährt sich sein Todestag zum 500ten mal. Zeit seines Lebens war Leonardo als Maler, Bildhauer, Architekt, Wissenschaftler, Ingenieur, Anatom und Naturphilosoph tätig. Da in Clos Lucé etliche Aspekte von Leonardos Schaffen zusammen kommen, gibt ein Besuch dort reichlich Anschauung von der phänomenalen Kreativität des Renaissancekünstlers. Allein das ist schon eine Kurzreise an die Loire wert…

In Anchiano, einem kleinen Dorf in der Nähe von Vinci in der Toskana, als unehelicher Sohn eines Notars im Jahr 1452 geboren, begann der wissensdurstige Knabe Leonardo seine Ausbildung in der Werkstatt des Malers Verrocchio in Florenz, wo er die Grundlagen seines künstlerischen Schaffen erwarb. Eine humanistische Ausbildung blieb ihm jedoch zeitlebens verwehrt. Von 1482 bis 1499 in Mailand am Hofe des Herzogs Ludovico Sforza, genannt Il Moro, diente er als Hofkünstler sowie anschließend als Kriegsingenieur Cesare Borgias, danach wirkte er für den französischen König François I (Franz I.), der die Kunst förderte und und berühmte Künstler und Gelehrte an seinen Hof rief. Als „Erster Maler, Ingenieur und Architekt des Königs“ wirkte Leonardo im Herrenhaus Clos Lucé in Amboise. Dort starb der bedeutende Renaissance-Künstler inmitten einer Landschaft, in der die Florentiner Ideen der Renaissance fruchtbar wurden, weil Persönlichkeiten wie Leonardo da Vinci und Benvenuto Cellini ihre Ideen dort hingetragen haben. 1519 wurde er in der Kirche auf dem Schlossareal von Amboise bestattet.

Das Atelier Clos Lucé stellt Szenen nach: Als hätte Leonardo gerade „Johannes der Täufer“ gemalt 

Im Jahr 1515 wurde François I. (1494-1547), von den Kaufleuten und Bankiers aus Florenz, die sich in Lyon niedergelassen hatten, ein von da Vinci entworfener mechanischer Löwe übergeben. Damit sollte das Bündnis zwischen Frankreich und der toskanischen Stadt gefeiert werden, deren Stadtsymbol der Löwe war. Der junge König François I, der sein Land in der Schlacht bei Marignano zum Sieg geführt hatte, hatte daraufhin Leonardo da Vinci eingeladen, in Frankreich zu leben. Sie trafen sich in Bologna, einen Tag nach dem Abschluss des Konkordats mit dem Papst. So nahm die intellektuelle und künstlerische Strömung im Quattrocento Italiens ihren Anfang und fand den Weg nach Frankreich. Fortan veränderten Handwerker, Landschaftsgärtner, Architekten und Künstler – allesamt Italiener – sowohl die Städte als auch die Landschaft des Loiretals durch den Bau von Schlössern, Kirchen, öffentlichen Gebäuden, Herrenhäusern („Manoirs“), Wohnhäusern und Stadthäusern („Hôtels particuliers“): in Chambord (1519), in Azay-le-Rideau (1518), in Valençay (1520), in Chenonceau (1514) oder im Schlossflügel François I. des Königsschlosses von Blois (1515). Durch einen italienischen Landschaftsarchitekten erhielt Amboise ab 1495 den ersten äußerst sehenswerten Renaissancegarten Frankreichs.

Noch heute kann man die Studierstube Leonardos im Herrenhaus Clos Lucé in Amboise besuchen. 

In den Räumen im Herrenhaus Clos Lucé in Amboise bekommt man heute eine Ahnung von dem, was der unermüdlich Forschende täglich beobachtete und skizzierte: wie er malte und wie er seine eigenen Farben herstellte, welche Fossilienstudien er analysierte, wie er sowohl von Tieren als auch von Menschen anatomische Zeichnungen anfertigte. Man kann ihn dort als Ingenieur erleben mit seinen Entwürfen für Flugapparate, Kriegsmaschinen und Bühnenbilder, die er für die Feste auf dem Schloss von François I schuf;  man nimmt ihn als Zivilisationskritiker wahr, der auch die unbändigen Kräfte der Natur registrierte und als Menschen, für den vor allem das gilt, dessen sein Auge gewahr wurde.

Es war ein Glück für Leonardo, nach Frankreich auszuwandern, denn im Vatikan hatte man ihn ob seiner Genialität ausspioniert. Nachdem Giuliano de’ Medici, der Papstbruder und Gönner Leonardo da Vincis, im März 1516 starb, und in Rom inzwischen die Herzen eher seinem bestens ausgebildeten Konkurrenten Michelangelo zuflogen, hatte er dort nichts Gutes mehr zu erwarten. Beim französischen König François I. hatte er hingegen einen so positiven Eindruck hinterlassen, dass dieser ihm eine fürstliche Pension versprach, die es ihm erlaubte, nach eigenem Gutdünken frei leben zu können, zu forschen und künstlerisch tätig zu sein.

Zwar hatte Leonardo da Vinci auch schon zuvor mit den Königen Frankreichs zusammengearbeitet, doch deutete sich hier ein ungeheurer Neubeginn an, so dass der stets an neuen Kenntnissen Interessierte der Einladung zu François I nach Amboise an die Loire freudig folgte. Und er nahm trotz seines inzwischen fortgeschrittenen Alters die strapaziöse Reise über die Alpen auf sich, um sich dauerhaft in Amboise niederzulassen.

Und da er in dieser Aktion in Begleitung seiner Schüler Francesco Melzi und Battista de Villanis reisen konnte, gab ihm das außerdem die Möglichkeit, seine bedeutenden Werke wie die geheimnisvoll lächelnde „Mona Lisa“, „Johannes den Täufer“ und „Anna selbdritt“ ebenso nach Frankreich mitzunehmen wie auch seine Notizbücher, Manuskripte und Notizen, in denen er über die Jahre täglich seine Gedanken festgehalten hatte. François I und dessen Mutter Luise von Savoyen jedenfalls hießen den italienischen Künstler und Erfinder Leonardo da Vinci mit offenen Armen willkommen.

Hier, an der Loire, spielte jetzt die Musik. Das Loiretal – Epizentrum des politischen Lebens in Frankreich unter der Herrschaft François I, wie zuvor unter Karl VII. (1422-1461) und Heinrich II. (1547-1559) –, wurde in dieser Phase eine intellektuelle Heimat für Reformatoren und Humanisten wie Johannes Calvin, Erasmus von Rotterdam, François Rabelais oder später auch Théodore de Bèze. Sie besuchten die Universität von Orléans oder von Bourges, wo auch der Mailänder Jurist Alciat die Lehre und Praxis des Rechts revolutionierte. Auch das war für Leonardo, der wegen seiner sozialen Herkunft nicht die Möglichkeit zu einem humanistischen Studium bekommen hatte, eine besondere Herausforderung. Er musste sich alles durch eigenes Studium und durch genaue Beobachtung der Natur und ihrer Analyse selbst erarbeiten.

Leonardos Entwürfe wie hier für ein Fahrrad sind in Clos Lucé nachgebaut, Foto: Petra Kammann

Insofern beginnt in Clos-Lucé die Geschichte des Universalgenies noch mal von vorn, und zwar als Teil der französischen Kulturgeschichte. Sein Bewunderer François I. ernannte ihn nicht nur zum „ersten Maler, Ingenieur und Architekten des Königs“, er stellte ihm eben auch das Châteaux du Cloux (heute Château Clos Lucé) zur Verfügung, das in unmittelbarer Nähe zum königlichen Schloss lag, damit der Gesprächsfaden zwischen den beiden, König und Genie, nicht abriss und damit Leonardo nun ohne Unterlass an ganz unterschiedlichen Projekten arbeiten konnte.

Hier kann er sich so verschiedenen Disziplinen wie Malerei, Architektur, Philosophie und Szenografie widmen. In Clos Lucé empfängt er überdies hochrangige Gäste, die wichtigsten Menschen des Königreichs, Botschafter und seine Künstlerfreunde. Er wird Leiter und Organisator der großen königlichen Feste, entwickelt  komplexe Bühnenbilder, prunkvolle Kulissen, lebendige Gemälde, Maschinen sowie Ton- und Licht-Spezialeffekte. Außerdem trägt er mit seinen Ideen zu einem Plan eines idealen Schlosses mit einem raffinierten Treppenhaus bei. Die rekonstruierten Ateliers von Leonardo wie auch die Studierstuben vermitteln einen Eindruck von seiner Arbeitsweise. Und im Park Leonardo da Vinci, einem Freilichtmuseum, lassen sich die Modelle seiner Erfindungen erleben.

Vom 1. Juni bis 2. September 2019 wird in dem französischen Ort Amboise eine Sonderausstellung mit dem Titel „Leonardo da Vinci, seine Schüler, das Abendmahl und Franz I.“ präsentiert werden, wo u.a. ist eine Tapisserie von „Das letzte Abendmahl“ zu sehen sein wird, welche 1533 im Auftrag von François I entstand.

Und Leonardo kann noch etwas Vernünftiges für sein Nachleben planen. Das betrifft sowohl seine Werke als auch die Absicherung seiner Getreuen. Wohl schon seinen Tod vorausahnend, bittet er am 23. April 1519 einen Notar in Amboise, sein Testament aufzunehmen. Als er dann wenige Tage später, am 2. Mai 1519, in Clos-Lucé stirbt, treten Verfügungen, die er für seine Beerdigung getroffen hat, in Kraft. Mit diesem Datum beginnt dann auch die besondere Geschichte der „Gioconda“, die heute im Louvre hängt. Die unergründlich lächelnde Mona Lisa hat er nämlich seinem Schüler vermacht, der das Bild wiederum an den König weiterverkauft. So bleibt sein berühmtestes Werk bis heute in Frankreich, zu dem nach wie vor die Touristen in den Louvre pilgern… Aber das ist eine andere Geschichte.

Leonardos Grab im königlichen Schloss in Amboise in der Kapelle Saint-Hubert

In der Hubertuskappelle vom Schloss Amboise kann man heute sein Grab besichtigen. Blickt man auf Leonardos Leben zurück, so ist das eine äußerst spannend und doch auch immer noch nicht erschöpfend erforschte Geschichte. Kein Wunder also, dass anlässlich des Jubiläums gleich mehrere Biographien erschienen, die jeweils unterschiedliche Aspekte des Maestro herausarbeiten, von denen ich drei kurz herausgreifen möchte:

LEONARDO-BIOGRAFIEN

Für Kinder und Einsteiger

Das Bilderbuch „Leonardo da Vinci“ der Journalistin und Kinder- und Jugendbuch-Autorin Christine Schulz-Reiss ist eine Biographie, die schon den Kleinsten Lust auf die Entdeckung der sie umgebenden geheimnisvollen Welt sowie derjenigen eines herausragenden Künstlers macht. Das Buch ist sehr anschaulich und aus teils ungewöhnlichen und teils kühnen Perspektiven vom Schweizer Illustrator Paolo Friz gestaltet worden.

Packend und in einfacher und verständlicher Sprache erzählt wird darin das Leben des Malers, Forschers, Ingenieurs Leonardo da Vinci, der als Mensch hintersinnig, selbstbewusst und unangepasst war, und der sich vor allem das eigene Denken nicht verbietet. Der Bildband ist in der Reihe „Kinder entdecken berühmte Leute“ im Kindermann Verlag Berlin erschienen.

Schon auf dem Titel können wir erkennen, wohin die Reise geht, nämlich, dass sich Leonardos Traum vom Fliegen am freien Flug der Vögel orientierte, als ihm die Idee kam, aus den gespreizten Flügeln einen Flugapparat zu entwickeln.

Leonardos Frauenbild

In ihrem Buch „Leonardo da Vinci und die Frauen“ (Insel Verlag) stellt die Kunsthistorikerin Kia Vahland vor allem den Maler mit seiner weichen sfumato-Technik in den Vordergrund. Sie schildert den homosexuellen Renaissance-Künstler nicht nur als Avantgardisten seiner Zeit, sondern auch als Verbündeten der Frauen, die er sinnlich, dynamisch und klug darstellt. Daraus zieht sie die Schlussfolgerung: „Die Malerei ist weiblich, jedenfalls die Leonardo da Vincis.“ Und zwar von der „Madonna mit der Nelke“ bis hin zur geheimnisvollen Gioconda, der „Mona Lisa“, denn – so ihre These –, er male die Frauen nicht als Objekte, sondern als Dialogpartnerinnen.

Im Gegensatz zur schönen entrückten Madonna oder noblen Bürgersfrau seien seine Frauengestalten ganz aus Fleisch und Blut und andrerseits seien sie nicht von Unterordnung geprägt. Bei der „Dame mit Hermelin“, einem Porträt von Cecilia Gallerani, der jungen Geliebten von Ludovico Sforza, dem Herrscher über Mailand, spüre man den Puls des Hermelins förmlich auf ihrem Arm.

„Mit diesem Bildnis führt Leonardo die Bewegung in die Malerei ein. Und das ist ihm besonders wichtig, denn in den Bewegungen des Körpers – davon ist der Autor überzeugt–, drücken sich die Regungen der Seele aus.“ Man kann Vahland nicht in allen Fällen folgen, doch beim Betrachten entdeckt man mit ihr ganz besondere Details der ungewöhnlichen Gemälde. Man folgt anhand von Leonardos Bildern, Texten und anderen historischen Quellen beim Lesen der Biografie sowohl den raffiniert von Leonardo gestalteten Bilddetails wie auch dem Lebensweg des Ausnahmekünstlers.

Der Augenmensch Leonardo

Man glaubt, schon alles über den berühmten Künstler Leonardo zu wissen. Dabei ahnen wir nur einen Bruchteil von dem, was er uns hinterließ. Der Renaissance-Experte Volker Reinhardt, Professor für Neuzeitgeschichte an der Universität Fribourg, hat für seine seriöse Biographie „Leonardo da Vinci. Das Auge der Welt“ (Verlag C. H. Beck) besonders die lange Zeit vernachlässigten Notizbücher Leonardos neu gelesen und rückt mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen auch der Malerei zuleibe.

Dabei korrigiert er so manch gängige Mutmaßungen über das Leben und Werk des Universalgenies. Für ihn ist der sperrige Außenseiter ein zeitgenössischer Agnostiker, dessen tief sitzender Skeptizismus sich gegen jegliche Form von gesellschaftlichem Establishment wendet und sich gegen instutionalisierte Wahrheiten wie auch gegen religiöse Überzeugungen richtet. Für seine Kunden war er allemal nur allzu oft ein unsicherer Kantonist. Leonardo sah demnach in der von ihm mit gnadenloser Gründlichkeit im Selbststudium erforschten Natur vor allem die ewige Wiederkehr von Zeugung, Geburt und Zerstörung. Da verdreht der Jesusknabe zum Beispiel auf dem Gemälde der „Anna Selbdritt“  dem Lamm Gottes den Kopf so, als würde es gerade zur Schlachtung abgeführt. Reinhardt erläutert auch den Vegetarismus Leonardos.

Daneben macht er aber auch auf Besonderheiten der Malerei aufmerksam, wie darauf, dass Leonardo für die damalige Zeit absolut ungewöhnliche gebirgige Hintergründe malte, die man als Seelenlandschaften verstehen könne. Statt Literatur, Rhetorik und Lektüre wie bei den gebildeten Humanisten habe für Leonardo vor allem das Anschauen der Welt und insbesondere der Natur im Vordergrund gestanden. Selbst wenn bei Reinhardt Betrachtungen über die eigentliche Kunst Leonardos vielleicht an manchen Stellen etwas zu kurz kommt, so hat der Naturbeobachter in den Gemälden für ihn eben Priorität. Insgesamt ist seine Biografie aber äußerst kenntnisreich und lesenswert. Dabei sind Leonardos Werke durch die hervorragend gedruckten farbigen Abbildungen außerordentlich präsent.

 

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