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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Starke Stücke im Schauspiel Frankfurt (17)

Monodramen: Menschen und Stimmen einer Stadt

Eine schöne Idee, die sich Marion Tiedtke, Chefdramaturgin und (noch) stellvertretende Intendantin des Schauspiels Frankfurt, und der Leiter des Literaturhauses Haucke Hückstädt ausgedacht haben: „Stimmen einer Stadt“ nennt sich eine ganze Serie von Monodramen über Menschen in dieser Stadt. Sie ist über drei Jahre angelegt. Autoren und Autoreninnen, die sich bisher durch ihre Prosa einen Namen gemacht haben, mit Theatertexten allerdings bislang nicht hervorgetreten sind, bekamen den Auftrag, eine Frankfurter Persönlichkeit zu charakterisieren. Entstanden sind dabei sehr unterschiedliche Lebensgeschichten.

von Renate Feyerbacher

Szene aus: „Unvollkommene Ahnung“, Fotos: Schauspiel Frankfurt

Stimmen einer Stadt IV-VI“

Büchner-Preisträger Wilhelm Genazino, häufig auch als Frankfurter „Flaneur“ bezeichnet, war an der ersten Staffel beteiligt. Er schrieb „Im Dickicht der Einzelheiten“ noch kurz vor seinem Tod am 12. Dezember 2018 „ Olga Grajasnowa, die junge in Aserbaidschan geborene Schriftstellerin, sprach für „Absturz“ mit einer Mitarbeiterin am Flughafen, deren Leben sich komplett verändert hat, während die österreichische Schriftstellerin und Künstlerin Teresa Präauer in „Ein Hund namens Dollar“ einen Spekulanten von einem hässlichen Hund begleiten lässt.

„Unvollkommene Umarmung“ von Antje Rávik Srubel und „Ich verlasse dieses Haus“ von Thomas Pletzinger

Zur zweiten Staffel gehört „Unvollkommene Umarmung“ von Antja Rávik Strubel, die in Potsdam lebt und arbeitet. Sie vertieft sich dabei in den Lebenslauf eines Strafverteidigers, während der in Berlin lebende Autor und Übersetzer Thomas Pletzinger in „Ich verlasse dieses Haus“ eine Frau beschreibt, die ihren letzten Rundgang in der legendären Autorenherberge „Hotel Nizza“ im Bahnhofsviertel  macht. Und Angelika Klüssendorf, die 40. Stadtschreiberin von Bergen-Enkheim, schließlich lässt in „Branka“ eine bodenständige Wirtin aus Bergen-Enkheim erzählen.

Die Namen der dargestellten Personen werden übrigens vom Schauspiel nicht verraten, eigene Recherche ist notwendig, wenn man es wirklich wissen will.

Diesen Monodramen fehlt allerdings ein wenig die Dramatik. Strubel und Pletzinger haben eine ähnliche Form gewählt mit vielen Rückblenden, die nicht immer sofort zugeordnet werden können. Dennoch ist es Regisseur und Schauspielchef Anselm Weber gelungen, die Zuschauer bei diesem langen Theaterabend bei der Stange zu halten.

Der exzellente Peter Schröder als Strafverteidiger Andreas Sternthal fasziniert wie immer durch seine unglaubliche Konzentration. Der Jurist, der über das System schimpft, ist homosexuell. Er erzählt von seinem kleinbürgerlichen Zuhause, von mangelnder elterlicher Zuwendung, die ihm später ein älteres Ehepaar gab und auch eine berufliche Perspektive  ermöglichte. Er erinnert sich, wie er als Kind eingeschlossen wurde, um nicht beim Hausbau zu stören. „Ich konnte nicht reden. Bis ich vier war. Hab ich Dir das erzählt? Nicht vorstellbar. Überhaupt nicht mehr vorstellbar.“ Ausführlich schildert er den Tod der Mutter, die nach einem Herzinfarkt nackt in einem Sessel sitzt. „Der Vater geht nicht in ihre Nähe [..] Ich kleide sie ! Ich ziehe ihr die Stumpfhosen an [..] Du hast aber noch tolle Beine ! Und sie lacht.“. Der vor Gericht so cool erscheinende Strafverteidiger erlaubt tiefe Einblicke in sein privates Befinden.

In „Ich verlasse dieses Haus“  von Thomas Pletzinger  ist die Mutter aufgrund eines Schlaganfalls nicht mehr in der Lage, das Hotel zu führen. Tochter Usch muss es übernehmen, wird es aber schlussendlich verlassen. Sie macht einen letzten unsentimentalen Rundgang durchs Hotel. Geradezu nüchtern erzählt die Schauspielerin Anna Kubin vom Tod, von der Liebe, von den mehr oder weniger willkommenen Gästen. Die Musikfetzen, die den Redefluss unterbrechen, kommen dürftig vom Smartphone…

„Branka“ von Angelika Klüssendorf

Szene aus „Branka“, Foto: Schauspiel Frankfurt

Zweifellos ist  „Branka“ das lebendigste und witzigste Stück des Abends. Branka, die Wirtin, wird von einer Stimme (Katharina Linder) befragt. Widerwillig antwortet sie. Wer will schon ihre Geschichte hören.?! Ein arbeitsreicher Tag geht zu Ende und wie immer wischt sie die Stühle ab und stapelt sie. Schließlich kommt sie mit ihrer Erzählung doch in Fahrt. Sie hat ihre Heimat, ein kleines slowenisches Dorf, verlassen und wollte wegen des Flusses im Namen nach Frankfurt am Main. Mehr recht als schlecht schlägt sie sich durch, bis sie ihr eigenes Lokal mit deutscher und ein wenig Balkan-Küche eröffnen kann. Mit ihrem laut-herzlichen Lachen scheint sie die Gewalt, die sie erlebt hat, wegzuwischen: „Mein Zorn hatte sich ein Ventil geschaffen. Deshalb lache ich. Kann nicht mehr ohne. Bin sparsam, aber nicht beim Lachen.“ Es ist geradezu erfrischend, wie Christina Geiße die Rolle anpackt.

Die Monodramen „Ich verlasse dieses Haus“ und „Branka“ werden am 13.5. in den Kammerspielen gezeigt. Die „Stimmen einer Stadt IV-VI“ werden auch getrennt aufgeführt.

 

 „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“ von David Grossman

Vor zehn Jahren erschien in Deutschland der Roman „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“ des israelischen Schriftstellers und Friedensaktivist David Grossman. Den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt er 2010 für sein Bemühen, in der israelisch-palästinensisches Aussöhnung, die derzeit mehr gefährdet ist denn je. Über vier Jahre, von 2003 bis 2007 schrieb der 1954 in Jerusalem geborene Autor an diesem Werk. Zur gleichen Zeit absolvierte sein jüngster Sohn Uri seine Militärzeit in einer Panzerdivision. Wie Ora, die Mutter von Ofram, versucht David Grossman, durch das Schreiben des Buches den Sohn vor der Gefahr zu schützen. Vergeblich. Wenige Stunden vor dem Ende des zweiten Libanonkrieg 2006 wird Uri getötet.

Wenige Tage zuvor hatte Grossman gemeinsam mit A.B. Jehoshua und Amos Oz noch den Präsidenten Olmert aufgefordert, die Kämpfe zu beenden.

 

David Grossman im Chagall-Saal, Foto: Renate Feyerbacher 

Über siebenhundert Seiten umfasst der Roman „Eine Frau flieht vor der Nachricht“. Ihn in ein zweistündiges Theaterstück zu verwandeln, war eine echte Herausforderung. In den Frankfurter Kammerspielen fand die Deutsche Erstaufführung statt, übersetzt von Anne Birkenhauer, für die Bühne bearbeitet von der Regisseurin Jessica Glause, Dramaturg war Alexander Leiffheidt.

Ora ist die Mutter von Ofram, dessen Militärzeit beendet war, der aber freiwillig seinen Dienst verlängert: „.. jetzt zu verzichten, drei Jahre lang habe er die Scheiße mit Kettenfett reingeschoben, um genau bei so einer Aktion mitzumachen  [..]  ganz zu schweigen davon, dass er schon ein halbes Jahr keinen Panzer mehr von innen gerochen habe [..],“ so begründet Ofer seine Entscheidung, die Militärzeit zu verlängern. Für 28 Tage wird er als Freiwilliger eingezogen. (Zitat  aus dem Roman).  Ora fürchtet sich vor der Nachricht, dass einer ihrer beiden Söhne im Krieg getötet werden könnte. Sie flieht von zu Hause und wandert durch die Berglandschaft Galiläas und hofft, ihren Sohn noch vor dem Unheil bewahren zu können. „Dies ist der richtige Protest.“

Szene aus: „Eine Frau flieht vor einer Nachricht „, Foto: Schauspiel Frankfurt

Sie bittet ihren Geliebten Avram, selbst Folteropfer im Jom-Kippur-Krieg 1973, sie zu begleiten. Avram ist der Vater von Ofer, um den dieser sich aber nicht kümmerte. Auf dieser Wanderung erzählt Ora von ihrem Ehemann Ilan, dem Vater von Adam, der bereit war, Ofer als eigenes Kind aufzuziehen. Zwei Dreieckskonstellationen überlagern sich: Ora, Avram, Ofer und. Avram, Ora und Ilan. Leben in Zeiten des Krieges ist das Thema. Im Leben dieser Menschen bleibt der Nahostkonflikt ständig präsent. Leben und Krieg durchdringen einander. Familien werden zerstört, aus Freunden werden Feinde.

Die junge Regisseurin Jessica  Glause, die außergewöhnliche Projekte in ganz Deutschland realisiert, hat die Rolle der Ora auf vier Schauspielerinnen verteilt, wodurch die verschiedenen Aspekte dieser Figur deutlich werden, gespielt von Altine Emini, Christina Geiße, Sarah Grunert und Eva Bühnen, die noch an der Hochchule für Musik und Darstellende Künste Frankfurt studiert. In äußerst schnellen Dialogen spielen sie – jede auf ihre Weise – überzeugend, mal quirlig, traurig, wütend und ständig in Bewegung. Avram (Matthias Redlhammer), der zunächst unwillige Begleiter seiner ehemaligen Geliebten und Mutter seines Sohnes Ofer, zeichnet sich zunächst durch Gleichgültigkeit aus. Doch machen ihn die Geschichten, die Ora erzählt, nachdenklich, versöhnlich und fordern ihn heraus. Geradezu traurig muss er erkennen: „Ich habe kein Kind, außer Ofer habe ich kein Kind.“ Ständig muss er auf eine der vier Ora-Darstellerinnen reagieren, was dem Schauspieler bestens gelingt.

David Campling, ebenfalls noch Studierender an der Frankfurter Hochschule, kommt geschickt der Aufgabe nach, zwischen den Rollen Ofer und Ilan hin und her zu wechseln.

Ein wichtiger Theaterabend, den David Grossman selbst vor der Premiere gesehen und für gut befunden hat. Avram: „Es gibt kein später mehr. Hallo, Israel, Heimat? Gibt es Dich überhaupt noch?“

Vorstellungen:  am 20. und 21. April 2019 im Schauspiel Frankfurt.

 

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