„Der ferne Klang“ von Franz Schreker im Opernhaus Frankfurt
Traumdeutung à la Freud
Eine poetisch bildstarke Inszenierung und ein sängerisch-musikalisches Erlebnis
von Renate Feyerbacher
Fotos: Barbara Aumüller / Oper Frankfurt
Frankfurt und Schreker
Über Nacht war der Komponist Franz Schreker berühmt geworden. Das war 1912 nach der Uraufführung seiner ersten, abendfüllenden Oper „Der ferne Klang“ im Opernhaus Frankfurt. Seine Heimatstadt Wien hatte abgelehnt. Frankfurt wurde für einige Schreker-Opern zum Uraufführungsort, etwa für „Die Gezeichneten“ (1918). Nun, nach 106 Jahren, ist „Der ferne Klang“ wieder auf der Frankfurter Bühne zu erleben. Ovationen feierten das gesamte Team, nicht ein einziger Buhruf war zu hören. Die Gäste waren von überall her angereist: aus Los Angeles von der Schreker Foundation, aus Salzburg, aus Graz, wo die Wiederentdeckung des Komponisten in den 70er Jahren begann. In Frankfurt belebte Michael Gielen, Dirigent, Komponist und von 1977 bis 1987 Generalmusikdirektor, die Schreker-Renaissance. Ihm ist die Produktion gewidmet. Gielen verstarb vor einem Monat im Alter von knapp fast 92 Jahren.
Der Komponist
Franz Schreker war 1878 in Monaco geboren, 1934 in Berlin gestorben. In Wien und Berlin zog er zu Lebzeiten, Komposition lehrend, mehr Aufmerksamkeit auf sich als Richard Strauss. Mit seiner ersten abendfüllenden Oper hatte er neue musikalische und textliche Pfade beschritten. „Ein bedeutendes Datum in der Operndramaturgie“ nannte ein französischer Kritiker den neuen Operntypus. Deutsche Kritiker mäkelten aber daran herum und vermissten darin die deutschen Kardinaltugenden (was immer das sein soll) und kritisierten vor allem die ,niederen‘ Charaktere, die auf die Bühne traten. Darum wurde die Oper bis zum Ende der Kaiserzeit aus Gründen der Unsittlichkeit an keinem Hoftheater aufgeführt. In den 20er Jahren wurde Schreker dann aber einer der erfolgreichsten und gefragtesten Opernkomponisten. 1933 wurde „der Jude“, wie er sich selbst nannte, dann als Leiter einer Meisterklasse an der Preußischen Akademie der Künste in Berlin, entlassen.
Die Geschichte
In der Geschichte geht es um die Beziehung von Grete und dem Komponisten Fritz, der seine Liebe zu ihr zwar beschwört, sie dennoch wegen seiner Suche nach dem „fernen Klang“ verlässt. Er will erst wieder zu ihr zurückkehren, wenn er diesen gefunden hat. Denn er glaubt, erst dann für die wahre Liebe reif zu sein, wenn er „ein Künstler von Gottes Gnaden“ geworden ist.
Gretes Vater, ein kleiner Beamter, der das Geld im Wirtshaus versäuft, verspielt seine Tochter Grete beim Kegeln. Sie soll den Wirt heiraten. Der aufgehende Mond und eine Edelnutte, die Gretes Schönheit bewundert, halten sie davon ab, sich daraufhin das Leben zu nehmen. Als sie der Verlockung schicker roter Schuhe nicht widerstehen kann, landet Grete im Halbweltlokal „La casa di maschere“ auf einer Insel im Golf von Venedig. Sie ist die umjubelte Schönheit, „Ist denn Schönheit ein Glück?“, reflektiert Grete und weist den Grafen, der sich um sie bemüht, ab. Irgendwann landet Fritz – immer noch auf der Suche nach dem „fernen Klang“ – auf der Insel, weil er ihn hier vermutet. Fritz, dem Grete eine Liebesnacht verspricht, muss erkennen, dass sie nicht mehr das Kleinbürgermädchen ist. Als sie ihm auch noch enthüllt, dass sie mit hunderten von Männern geschlafen hat, beschimpft er sie als Dirne, stößt sie zurück und verlässt die Insel. Nun folgt sie dem Grafen, der sich aber ebenfalls von ihr abwendet. Fortan verdient sie ihr Geld als Straßendirne.
Im dritten Aufzug dreht sich alles um die Oper „Die Harfe“, eine Komposition von Fritz, die mit einem Skandal endet. Grete war auch in der Oper. Dr. Vigelius (von Dietrich Volle, eindrucksvoll und überzeugend vorgetragen), der einst Vater Graumann in der Kneipe zum Spiel um Grete angestiftet hatte, erkennt Grete und hilft ihr in einer schwierigen Situation. Er wird sich seiner Schuld ebenso bewusst wie Fritz, der jedoch inzwischen krank ist. Im Konzert der Vögel, das ihm nie so intensiv und schön vorkam, vermutet er nun den „fernen Klang“. Es gibt ein Wiedersehen mit Grete. Fritz: „Hörst Du den Ton? Der schwindet mir nimmer – den halt ich so fest, heiß wie ich Dich nicht mehr lasse (..)“ Grete ist also der Klang. Das Libretto, das Schreker selbst schrieb, enthält wohl autobiografische Züge. Seine Oper hingegen, die scheiterte nicht.
Die Inszenierung und das Bühnenbild inklusive Video
Die geradezu atemberaubenden Bilder lösen eine große Faszination aus. Gazevorhänge werden auf und zu gezogen. Die eingeblendeten Videos stammen von rocafilm, zwei jungen Medientechikern aus Graz: Roland Horvath und Carmen Zimmermann, die seit sieben Jahren regelmäßig mit dem Venezianer Damiano Michieletto zusammenarbeiten, der wiederum zum ersten Mal in Frankfurt inszenierte. Sie versetzen einen auf eine einzigartige Weise in feine transparente Traumwelten.
Carmen Zimmermann und Roland Horvath am Premierenabend Foto: Renate Feyerbacher
Auch der italienische Bühnenbildner Paolo Fantin, der mit dem Regisseur seit über einem Jahrzehnt zusammenarbeitet, gab sein Debüt in Frankfurt. Er kommt mit einer Guckkastenbühne und nur ganz wenigen Requisiten aus: mal ein kleiner Tisch und Sessel, mal Tische und Stühle in einem Restaurant, mal ein Bett. Die ergänzenden Videos, an Sinuskurven erinnernde 3D -Projektionen, kommen hier voll zur Geltung. Grandios ist im 3. Aufzug Fantins Idee, Instrumente vom Schnürboden herunterschweben zu lassen, wobei die Harfe immer im Mittelpunkt steht.
Das Bühnenbild wirkt durch die Bewegungen der Gazevorhänge und der Sinuskurven äußerst lebendig. Wenn am Ende Fritz tot in Gretes Armen liegt, fallen schwarze Vorhänge herab und tauchen die Bühne in ein tiefes Schwarz. Der Kostümbildner Klaus Bruns hat differenzierte, für jede Szene passende Kostüme entworfen und Alessandro Carletti gelingen stimmungsvolle Lichträume. Auch diese beiden Künstler arbeiten regelmäßig mit dem Regisseur zusammen.
Jennifer Holloway, Foto: Renate Feyerbacher
Nicht Fritz, sondern Grete ist die Hauptfigur. Ihr wird übel mitgespielt: vom Vater, von den Freiern und vor allem von Fritz. Damiano Michieletto lässt die alte Grete und den alten Fritz sowie Gretes Mutter über die Bühne schreiten. Jugend und Sinnlichkeit kontrastiert mit deren Verlust.
Die einfallsreiche Inszenierung vermischt Rückblicke, Träume und Wunschvorstellungen. Fließend-träumerische Atmosphäre, brutale Szenen im Wirtshaus, in der Casa di maschere, Dolce vita-Szenen à la Anita Ekberg und poetische Momente wechseln sich ab, ohne dabei Kitsch zu produzieren. Alles bleibt ästhetisch. Vier Charaktere sind in Gretes Person angelegt. Vier Gedichte über Frühling, Sommer, Herbst und Winter werden auf den Gaze-Vorhang projiziert und stehen symbolisch für die Jahreszeiten. Der Mensch sucht ein Leben lang nach dem „fernen Klang“, so Damiano Michielettos Deutung der Geschichte.
Der Gesang und die Musik
Dem Regisseur stehen zwei renommierte Protagonisten zur Verfügung: die amerikanische Sopranistin Jennifer Holloway, erstmals an der Frankfurter Oper, und Ian Koziara, der aus Chicago stammende Tenor mit seinem Europa-Debüt.
Jennifer Holloways Stimme, die sich vom Mezzosopran zum Sopran entwickelte, und das, obwohl sie beide Stimmlagen beherrscht, ist für die Rolle der Grete prädestiniert. Gefühle wie: jeder von uns hat sich schon mal als Außenseiter gefühlt, wurde von jemandem verlassen, sind ihr nicht fremd. Wie sie diese gebrochene, aber auch starke Frau interpretiert, das istschon eindrucksvoll. Mühelos meistert sie die schwierige Partie der Grete, die mal an Wagner, mal an Puccini erinnert. Fulminant spielt sie die Szenen in der Casa dei maschere.
Ian Koziara als Fritz hat nicht die gleiche Strahlkraft wie Jennifer Halloway als Grete. Ob es das Lampenfieber ist, das ihn hindert, seine schöne Stimme ganz zu entfalten?
Franz Schreker hat viele Rollen in seine Oper gepackt. Sie sind alle mit wunderbaren Sängern und Sängerinnen besetzt, die hier ihr Rollendebüt geben.
Stark eingebunden ist auch der so engagierte wie ausgezeichnete Chor (Einstudierung Tilman Michael), den Schreker von überall her ertönen lässt. An Ordnung und Regeln hält sich der Komponist in seiner Musik wenig. Sie ist eigentümlich vielfarbig und bietet außergewöhnliche Orchesterfarben. Dirigent Sebastian Weigle entlockt dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester feine atmosphärische Klänge – wunderschön das ständig wiederkehrende Harfenspiel von Françoise Friedrich und Barbara Mayr-Winkler.
Zu guter Letzt ist der häufig nicht erwähnte Dramaturg, der jedoch entscheidende Arbeit leistet, zu erwähnen: Norbert Abels, seit 1998 Chefdramaturg an der Oper Frankfurt, betreute dramaturgisch die Produktion von „Der ferne Klang“. Auch das interessante Programmbuch trägt seine Handschrift. Besuchern von Oper extra kennen ihn, denn seine Einführungen zu dem jeweiligen Werk, das er dramaturgisch bearbeitet hat, sind legendär. Studierende kennen ihn von seinen Vorlesungen über Musikwissenschaft und Literaturgeschichte an der Goethe Universität Frankfurt. Und er schreibt. Große Beachtung fand 2017 sein Benjamin Britten Buch. Eine „Instanz“ in der Opernwelt.
Weitere Aufführungen am 13., 19., 26. , danach Oper lieben mit Jennifer Holloway, Ian Koziara und Bernd Loebe, am 28. April und 4. und 11.Mai.