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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„White Wedding“ – hochkarätige Elfenbeinkunst dauerhaft im Liebieghaus

Von Hans-Bernd Heier

Über 200 kostbare Elfenbeinskulpturen aus dem Besitz von Reiner Winkler – Der Erwerb der legendären Kollektion Reiner Winkler ist ein grandioser Zuwachs für die Liebieghaus Skulpturensammlung.

Joachim Henne „Die drei Parzen“, um 1670

Rund 190 hochkarätige Kunstwerke sind in der Ausstellung „White Wedding. Die Elfenbein-Sammlung Reiner Winkler jetzt im Liebieghaus. Für immer“ versammelt. Dieser immense Kulturschatz konnte nur mit maßgeblicher Unterstützung der Ernst von Siemens Kunststiftung, des Städelschen Museums-Vereins und des Städel Museums sowie der Kulturstiftung der Länder und der Hessischen Kulturstiftung zu einem mäzenatischen Kaufpreis erworben werden. Mit diesem Kauf, der durch die großzügige Schenkung des überwiegenden Teils der Sammlung durch Reiner Winkler überhaupt ermöglicht wurde, gelingt dem Liebieghaus die bedeutendste Erweiterung der eigenen Bestände in der Geschichte des Museums.

Die Liebieghaus Skulpturensammlung präsentiert mit der jetzigen Ausstellung nahezu alle Stücke der Sammlung Winkler und verdeutlicht so deren künstlerische Bandbreite. Die Werke der Sammlung treten in einen Dialog mit Objekten aus dem hauseigenen Bestand. Elfenbeinwerke des Liebieghauses werden jenen aus der Sammlung Winkler gegenübergestellt und auch Museumsexponate von denselben Künstlern gezeigt, allerdings aus unterschiedlichen Materialien. Anhand dieser Exponate wird so die Geschichte der Kleinplastik in Barock und Rokoko anschaulich nachgezeichnet. Die Elfenbeinschätze aus dem Mittelalter, dem Barock und Rokoko werden höchst beeindruckend in thematischen Kapiteln gegliedert präsentiert.

„Die Sammlung von Reiner Winkler ist nicht nur die weltweit größte Privatsammlung von Elfenbeinskulpturen, sie ist auch aufgrund ihrer besonderen kunsthistorischen Bedeutung einzigartig. Wir sind überaus glücklich und Herrn Winkler zu größtem Dank verpflichtet, dass seine Sammlung nun in der Liebieghaus Skulpturensammlung eine neue Heimat findet – an dem Ort, den sich Reiner Winkler seit Langem dafür vorgestellt hat. Die Überlassung der Sammlung zu einem mäzenatischen Preis kommt einer Schenkung des größten Teils gleich. Dadurch eröffnet sich für das Liebieghaus nicht nur ein neuer Sammlungsschwerpunkt, sondern auch die Chance, die internationale Bedeutung und Strahlkraft des Liebieghauses erheblich zu vergrößern“, schwärmt Philipp Demandt, Direktor der Liebieghaus Skulpturensammlung und des Städel Museums.

„Die Furie auf sprengendem Pferd“, um 1610

Das sehen die Unterstützer des Kaufs genauso. Prof. Dr. Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder, zum Beispiel sagt: „Es ist ein großes Glück für ein Museum wie das Liebieghaus, eine so vollständige Sammlung erwerben zu können und dabei auf einen Anbieter zu treffen, dessen Kennerschaft und Leidenschaft für die Kunst sich verbindet mit der Überzeugung, dass ein solch großartiger Schatz der Öffentlichkeit erhalten bleiben muss“.

Nach einigen Jahren des Sammelns von Skulpturen aus unterschiedlichen Materialien und Epochen konzentrierte sich der Wiesbadener Bauunternehmer Reiner Winkler (geb. 1925) ganz auf Elfenbeinskulpturen des 17. und 18. Jahrhunderts, der Glanzzeit der Elfenbeinschnitzkunst. Seit 1962 gelang es ihm, in jahrzehntelanger beharrlicher Sammeltätigkeit eine legendäre Privatkollektion von Elfenbeinwerken zusammenzutragen. Sie vereint eine Vielzahl englischer, französischer, italienischer, deutscher, spanischer, österreichischer, niederländischer und flämischer Elfenbeinskulpturen sowie zwei Werke aus Indien und China. Dazu zählen Statuetten, Figurengruppen, Reliefs, Medaillons und einige wenige Humpen sowie Prunkgefäße. Christian Theuerkauff von der Skulpturengalerie in Berlin stand Winkler bei seiner kontinuierlichen Sammeltätigkeit als Berater zur Seite.

 

Christoph Daniel Schenck „Kampf des Erzengels mit dem Teufel“, 1683; dieses bereits im Besitz des  Skulpturenmuseums befindliche Relief wird jetzt ergänzt durch mehrere herausragende Werke der Künstlerfamilie Schenck aus der Sammlung Winkler

Der Sammler, für den „Kunst als Kapitalanlage nie ein Thema war“, ist dem Liebieghaus seit vielen Jahren eng verbunden. Bereits mehrmals waren Meisterwerke aus seiner Kollektion im Liebieghaus als Leihgaben zu sehen, so 2006 in den Ausstellungen „Der Furienmeister“ und „Die phantastischen Köpfe des Franz Xaver Messerschmidt“. Im Jahre 2000 bot sogar eine Sonderschau “Einblicke in die Sammlung Reiner Winkler“.

Reiner Winkler zeigt sich jetzt glücklich, „dass seine Sammlung im Liebieghaus ihre neue und endgültige Heimat findet und so als ,Gesamtkunstwerk‘ erhalten bleibt. Bereits seit vielen Jahren verfolge ich diese Idee, da ich davon überzeugt bin, dass damit eine wunderbare Symbiose verwirklicht werden kann: Der räumlich und kunsthistorisch perfekte Rahmen, die sich ideal ergänzenden Sammlungsschwerpunkte und die wissenschaftliche Expertise des Museums“. Er ist überzeugt, dass es kein besseres endgültiges Domizil für seine Sammlung geben kann als das Liebieghaus.

Ausstellungsansicht mit dem expressiven Kopf „Der Gähnende“ von Franz Xaver Messerschmidt

Herausragendes Werk ist die Arbeit „Die Furie auf sprengendem Pferd“ von dem genialen, aber  unbekannten, sogenannten Furienmeister, der wohl um 1600 bis 1625 tätig war. Weitere Meisterwerke der Sammlung sind „Sturz der abtrünnigen Engel“ (1. Drittel des 18. Jahrhunderts) aus Süditalien/Sizilien, „Die drei Parzen“ von Joachim Henne und Francis van Bossuits „Merkur, Argus und Io“ (um 1670/75?) sowie bildhauerisch bedeutende Werke von Johann Caspar Schenck, Balthasar Grießmann und Matthias Steinl.

Raub- und Kampfgruppe mit Kentaur, letztes Drittel des 17. Jahrhunderts

Mit dem einmaligen Konvolut kann das Liebieghaus die eigenen, international bedeutenden Bestände auf höchstem Niveau erweitern. Bislang besaß das Haus keine Arbeiten wie die im 17. und 18. Jahrhundert berühmten Kombinationsfiguren aus Elfenbein und Holz, hochrangige Gefäße, oft mit vergoldeten Silbermontagen ausgestattet oder auch bedeutende Porträtstatuetten bzw. Porträtmedaillons. „Die Kunst der europäischen Bildhauerei in Barock und Rokoko kann nun in hoher und höchster Qualität und in ganz außerordentlicher Bandbreite nachvollzogen werden“, betont Dr. Maraike Bückling, Sammlungsleiterin der Abteilung „Renaissance bis Klassizismus“ und Kuratorin der höchst sehenswerten Präsentation. Das Liebieghaus steigt mit der Sammlung Winkler zu den führenden Museen in Deutschland auf, wie dem Bayerischen Nationalmuseum in München und dem „Grünen Gewölbe“ in Dresden, deren Bestände aus ehemals höfischen Sammlungen entstammen.

Darstellung von acht Haupttugenden, 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts

Die Herkunft des Elfenbeins aus fernen, damals noch wenig bekannten Ländern sowie seine Seltenheit reizten schon immer Bildhauer. Seit der Steinzeit wurden kleine Statuen und Reliefs aus Elfenbein und vergleichbaren Materialien wie etwa Walrosszähnen gefertigt. Das 17. und 18. Jahrhundert war die Blütezeit der Elfenbeinschnitzerei. Das kostbare Material konnte nicht nur geschnitzt, sondern ebenso wie Holz gedrechselt werden. Das Drechseln von Gefäßen aus Elfenbein wurde sogar zu einem Handwerk, das zur fürstlichen Erziehung im Barock gehörte. Zur hohen Wertschätzung trug auch bei, dass das Material bei aller Härte so elastisch ist, dass es bis in feinste Details virtuos zu bearbeiten ist. Zudem erfüllten seine seidige Glätte, der warme, helle Farbton, die feine Äderung und seine Makellosigkeit die höchsten Ansprüche fürstlicher Kunstsammler.

Prunkgefäße aus Elfenbein gehörten zu den begehrtesten Objekten fürstlicher Sammelleidenschaft. Oft waren sie mit einem Standfuß und einem Deckel aus Edelmetall versehen. Zwei solcher Deckelhumpen befinden sich in der Sammlung Winkler. Diese Gefäße, selbst Kannen oder Schalen, dienten nicht dem Gebrauch, sondern nur der Repräsentation. Als Beleg für den Reichtum schmückten die wertvollen, höchst virtuos gefertigten Schaustücke die Buffets bei Festbanketten.

Johann Christoph Ludwig Lücke, Allegorie der Verdammnis in der Hölle (Anima Damnata?), 1736

Gegen Ende des 17. Jahrhunderts kam die Kombination von Elfenbein mit anderen Materialien, meist Holz, in Mode. Die Figuren wurden aus mehreren Stücken so kunstvoll zusammengesetzt, dass beim Betrachter der Eindruck entsteht, unter den Kleidern aus Holz verberge sich ein vollständiger Elfenbeinkörper. Tatsächlich aber besteht beispielsweise der „Mann mit phrygischer Mütze“, auf den man in der Schau stößt, aus 11 Elfenbeinteilen und 5 Holzstücken. Dadurch gewannen die meist kleinformatigen filigranen Arbeiten auch an Größe und Volumen.

Die Werke der Sammlung von Reiner Winkler datieren aus der Zeit vor dem europäischen Kolonialismus des neunzehnten Jahrhunderts. Arbeiten mit biblischen Szenen bilden einen Schwerpunkt der Kollektion. Aber auch von Motiven aus der griechischen und römischen Antike ließen sich Elfenbeinbildhauer inspirieren. Besonders die von Homer in der Ilias und der Odyssee überlieferten griechischen Mythen dienten als Motivfundus. Götterdarstellungen, allen voran Venus, Amor und Diana, sowie Szenen mit Götterliebschaften waren gleichfalls überaus beliebte Themen für kleine Statuen und Reliefs. Die römische Frühzeit ist in der Ausstellung etwa mit der häufig gestalteten Erzählung von der Schlichtung des Streits zwischen Römern und Sabinern oder den Parzen vertreten.

Ausstellungsansicht mit „Chronos auf der Weltkugel“

Bei Porträtmedaillons und Büsten war im Barock Ähnlichkeit mit den Dargestellten nicht von Bedeutung. Wichtiger waren eine Idealisierung und die Wiedergabe ihrer gesellschaftlichen Stellung. Insbesondere im 18. Jahrhundert porträtierten die Hofbildhauer vermehrt Persönlichkeiten, deren Leben und Werk als vorbildhaft galten. Oft waren dies Philosophen oder Schriftsteller wie Voltaire oder Jean-Jacques Rousseau, die durch unkonventionellere Kleidung gekennzeichnet wurden. Die Bedeutung der Herrscher betonten die Künstler durch Orden und kostbare Kleidung. Zudem blickten sie mit erhobenem Kopf seitwärts. Mit diesem Blick in die Ferne demonstrierten sie ihren erhabenen Blick über die politischen Geschicke ihres Herrschaftsbereichs, wie unter anderem an der präsentierten Büste eines unbekannten Fürsten deutlich zu erkennen ist.

Die großartige Präsentation „White Wedding. Die Elfenbein-Sammlung Reiner Winkler jetzt im Liebieghaus. Für immer“ ist im Untergeschoss des Skulpturenmuseums zu sehen. Auf den schwarzen Sockeln kommen die edlen Elfenbeinwerke hervorragend zur Geltung.

Weitere Informationen unter: www.liebieghaus.de

Alle Abbildungen: Liebieghaus Skulpturensammlung

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