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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Frobenius – Die Kunst des Forschens“ im Museum Giersch

Prähistorische Felsbilder – wahre Prachtstücke der Kunstgeschichte

Von Hans-Bernd Heier

Das „Frobenius-Institut für kulturanthropologische Forschung“ an der Goethe-Universität Frankfurt besitzt die weltweit bedeutendste Sammlung an Nachzeichnungen prähistorischer Felsbildkunst und einen faszinierenden ethnographischen Bildbestand an Zeichnungen, Werken in Öl sowie Fotografien. Dieser Bilderschatz stammt von Zeichnerinnen und Zeichnern, die den Institutsgründer, den Völkerkundler Leo Frobenius, auf seinen Expeditionen nach Afrika, Indonesien, Südamerika, Australien sowie Nord- und Südeuropa begleiteten.

Elisabeth Mannsfeld: Elenantilopen und langgliedrige Menschen, nach einer Felsmalerei auf Southeys Hoek Farm, Harrismith Region, Südafrika, 1928–1930, Bleistift, Aquarell auf Papier, 60 x 50,5 cm; © Frobenius-Institut 

Nach mehreren, auch international erfolgreichen Präsentationen versammelt die Ausstellung „Frobenius – Die Kunst des Forschens“ mehr als 200 erlesene Bildwerke dieser herausragenden universitären Bildersammlung jetzt im Museum Giersch der Goethe-Universität. Ganz besonders sind die geheimnisumwitterten, rätselhaften Fels- und Höhlenbilder. Die beeindruckenden Nachzeichnungen prähistorischer Felsbilder, die an oft schwer zugänglichen Orten, in europäischen Eiszeithöhlen, afrikanischen Wüsten oder im australischen Outback bildlich dokumentiert wurden, gewähren in den Themenräumen einen überwältigenden Einblick in die weltweite Kunst der Vorzeit.

Leo Frobenius (1873 in Berlin geboren –1938 in Biganzolo, Italien gestorben) war der wohl bedeutendste wie auch umstrittenste deutsche Ethnologe zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Bereits in jungen Jahren fasste er den ehrgeizigen Plan, die Geschichte und Kulturen der afrikanischen Völker umfassend zu dokumentieren, zu ordnen, zu kategorisieren und der Welt in Büchern, Zeitungsartikeln und Ausstellungen zu präsentieren. Ein äußerst kühnes Unterfangen: Denn Frobenius war Autodidakt – ohne Abitur und ohne akademischen Abschluss, aber er besaß Charisma und großes rhetorisches Geschick. So gelang es ihm, einflussreiche Unterstützer für seine Pläne zu gewinnen, darunter auch Kaiser Wilhelm II. Dadurch erschlossen sich dem Ethnologen wichtige Finanzquellen für seine kostspieligen Expeditionen.

„Leo Frobenius“, 1924 gemalt von seinem Bruder Herman Frobenius, Öl auf Leinwand, 92 x 80 cm; © Frobenius-Institut 

„Als erster Ethnologe bereiste er jahrelang den afrikanischen Kontinent, um dessen wertvolle Kultur zu erforschen und aufzuzeichnen. Zugleich hoffte er, dort das ,Ursprüngliche und Authentische‘ zu finden, das er in Europa verloren zu haben glaubte“, sagt Museumsleiter Dr. Manfred Großkinsky. Diese aus der Romantik stammende Wertschätzung der Ursprünge führte ihn schon früh auf die Spur der ältesten Formen bildender Kunst der Menschheit: die prähistorischen Felsbilder. Diese „wahren Prachtstücke der Kunst“ sind auch ein Beleg für die hoch entwickelten afrikanischen Kulturen.

Das nach der schillernden Forscherpersönlichkeit benannte Frobenius-Institut besitzt mit rund 8.600 Felsbildnachzeichnungen das weltweit größte Felsbildarchiv, das auf die Arbeit von mehr als 20 Zeichnerinnen und Zeichner zurückgeht, die Frobenius stets auf seinen Expeditionen begleiteten und dabei ihr künstlerisches Können in den Dienst der Wissenschaft stellten. Denn der selbstbewusste Ethnologe, auf dessen Visitenkarte nicht unbescheiden – ohne Adress-Angaben – lediglich „Leo Frobenius – Präsident und Chef“ zu lesen war, wusste um die Wirkmacht der Bilder.

Carl Arriens: Nupe-Frau aus Mokwa, Zentralnigeria, 1911, Öl auf Leinwand, 53 x 34 cm; © Frobenius-Institut

Der unkonventionelle Forscher, den Thomas Mann als … „Mischung aus Schnoddrigkeit, Abenteuerlichkeit und Genialität“ bezeichnete, ließ die bis zu 36.000 Jahre alten Fels- und Höhlenmalereien nicht nur einzeln, sondern auch in gesamten Bildzusammenhängen abzeichnen. Bei diesen klein- bis extrem großformatigen Arbeiten handelt es sich weniger um Kopien als um Nachschöpfungen prähistorischer Gravuren und Malereien, die auf unebenen Felsuntergründen angebracht worden waren. Die Zeichner und Zeichnerinnen pausten unter Einhaltung genauer Maßverhältnisse die faszinierenden Felsbilder mit Schusterwachs auf feines Japanpapier ab, entnahmen Gesteins- und Farbproben und stellten fotografische Kontrollaufnahmen her. Die Vollendung der Bilder erfolgte zumeist in der Frankfurter Werkstatt.

„Die zeit- und arbeitsaufwändige Übertragung der oftmals mehrschichtigen Bilder in ein flächiges Bildmedium erforderte viel Geduld, Präzision und Kunstsinn.

Gegenüber der Fotografie hatte die Nachzeichnung den Vorteil, dass sie auch mit dem Fotoapparat kaum erfassbare Motive bildlich festhalten sowie Strukturen, Formen und Farben von Hintergrund und Motivik illusionistisch und koloristisch herausarbeiten konnte“, erläutert Mit-Kuratorin Dr. Birgit Sander, stellvertretende Museumleiterin.

Maria Weyersberg: Gottesanbeterinnen, nach einer Felsmalerei in der Groß-Spitzkopjes Region, Namibia, 1929, Aquarell auf Papier, 29 x 135 cm; © Frobenius-Institut

Zwischen 1904 und 1938 führten Frobenius und seine Mitarbeiter insgesamt 22 Expeditionen durch. Dabei erwies sich der Leiter als starke Integrationsfigur, verstand er es doch, seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an sich zu binden und zu motivieren. Das war gerade angesichts der meist schwierigen und herausfordernden Expeditionsbedingungen in fremden, mit nicht immer kalkulierbaren Lebenswelten für das Gelingen wichtig. Teamarbeit galt deshalb als integrativer Bestandteil. Die Teilnahme setzte körperliche Fitness, Ausdauer und Durchhaltevermögen, sicher auch Abenteuerlust und Mut sowie ethnologische Grundkenntnisse voraus. Die präsentierten Expeditionsfotos zeugen von intensiver Arbeit, aber auch von einem zwanglosen, kameradschaftlichen Umgang.

Gewöhnlich herrschte unterwegs Arbeitsteilung. Diese betraf die Logistik und Organisation der Forschungsreisen genauso wie die Koordination der Bilderfassung der oftmals schwer auffindbaren Fels- und Höhlenmalereien, die Lebensmittelversorgung, die Wartung und Reparatur der Fahrzeuge oder die Erledigung bürokratischer Formalitäten. Auch hielt Frobenius die Expeditionsmitglieder an, nach Möglichkeit eigene Aufzeichnungen anzufertigen. Das Haupttagebuch der Reise führte jedoch der Expeditionsleiter.

Karin Hissink: Elisabeth Pauli und Katharina Marr bei der Felsbildarbeit, Ain Safsaf, El Richa/Aflou, Algerien, 1934/35; © Frobenius-Institut

Die von Birgit Sander und Gisela Stappert kuratierte Schau im Giersch-Museum lenkt den Blick auch auf das bislang weniger bekannte  Expeditionsteam und rückt besonders die Frauen in den Fokus, die ab 1923 an den strapaziösen Forschungsreisen teilnahmen und von denen der überwiegende Teil des Bildmaterials stammt.

„Am Institut des unkonventionellen Forschers waren zu Beginn der Weimarer Republik, die den Emanzipationsprozess der Frauen und ihre rechtliche Gleichstellung erstmals ermöglichte, so viele Zeichnerinnen und Wissenschaftlerinnen wie an keiner anderen vergleichbaren Forschungseinrichtung jener Zeit beschäftigt. Während die Expeditionszeichner gewöhnlich nur kurze Zeit für Frobenius arbeiteten, verbrachten manche der Frauen ihr gesamtes Berufsleben am Institut. Die ,Frobeniden‘, wie sich das Team mit Stolz nannte, pflegten auch zu Hause in Frankfurt ihre eingeschworene, familiäre Gemeinschaft mit einer ritualisierten Institutskultur aus regelmäßigen Kammermusik- und Diskussionsabenden, Gedicht- und Theateraufführungen“, erklärt Mit-Kuratorin Dr. Gisela Stappert vom Frobenius-Institut.

Agnes Schulz, Ruth Cuno und Leo Frobenius in der Sahara, Libyen, 1932; © Frobenius-Institut

Frobenius, der männlichen wie weiblichen Teilnehmern der Forschungsreisen gleich hohe Aufwandsentschädigungen zahlte, schätzte besonders die Sorgfalt und Präzision, mit der seine Expeditionszeichnerinnen die prähistorischen Malereien und Gravuren bildlich erfassten. Das erklärt zugleich, warum der Großteil des heutigen Felsbildmaterials des Frobenius-Instituts von Frauen stammt. Darüber hinaus übernahmen die „starken Frauen“ zusätzlich dokumentarische, kuratorische und öffentlichkeitsrelevante Aufgaben, verfassten Fachaufsätze und umfangreiche, mit  Skizzen versehene Arbeits- und Reiseberichte.

Erika Trautmann: Geometrische Zeichen, nach einer Gravur in Cimbergo, Valcamonica, Italien, 1935, Farbstift, Kreide, Aquarell auf Papier, 34 x 18,5 cm; © Frobenius-Institut

Leo Frobenius, der 1932 Honorarprofessor der Frankfurter Universität wurde  und 1934 die Leitung des Völkermuseums, dem heutigen Weltkulturen Museum übernahm, war weder Mitglied in der NSDAP noch Anhänger der Rassenlehre. Trotz zahlreicher kritischer Stimmen aus den Reihen des NS-Regimes gelang es ihm, das Reichserziehungsministerium zum Ankauf von Teilen der Felsbildsammlung zu überzeugen. Den Höhepunkt seiner Karriere stellte im Frühjahr.

1937 die große Ausstellung „Prehistoric Rock Pictures in Europe and Africa“ im Museum of Modern Art in New York dar. Dort waren 150, zum Teil großformatige Felsbildarbeiten zu sehen. Die Schau erregte schon deswegen Aufsehen, weil die Bilder gleichzeitig mit Werken von Künstlern der Moderne, darunter Paul Klee, präsentiert wurden.

(Metamorphosen:) der Zusammebruch der biblischen Schlange

Paul Klee: (Metamorphosen) „der Zusammenbruch der biblischen Schlange“, 1940 Kleisterfarbe auf Papier auf Karton, 34,2 x 49,3 cm; © Zentrum Paul Klee, Bern

Der Einfluss prähistorischer Vorbilder auf die europäische Moderne wird beispielsweise in den ebenfalls gezeigten Werken von Paul Klee, Willi Baumeister und Wols deutlich. „Das Mehrdeutige und Geheimnisvolle der Felszeichnungen und Höhlenbilder zwischen Natur- und Kulturgeschichte, zwischen Figuration und Abstraktion, zwischen der Unlesbarkeit von Spuren und der Deutbarkeit von Zeichen wirkte stark auf die abstrakte Kunst und den Surrealismus. Die ,Ur‘-Kunst der Prähistorie inspirierte zahlreiche Künstler zu eigenen Bildschöpfungen“, erklärt Großkinsky. Besonders Klee begeisterten die vitalen prähistorischen, indigenen Werke. Ihre reduzierte Bildlichkeit, ihre allgemeingültigen Symbole und Zeichen regten ihn zu neuen, eigenen Formen an.

Nach dem plötzlichen Tod Frobenius in Italien waren es insbesondere die Frauen, die den Institutsbetrieb aufrecht hielten und sich um die Sammlungsbestände kümmerten, da  die männlichen Institutsmitglieder im Zweiten Weltkrieg eingezogen waren.

 

„Frobenius – Die Kunst des Forschens“ ist bis zum 14. Juli 2019 im Museum Giersch der Goethe-Universität zu bestaunen.

Weitere Informationen unter: www.museum-giersch.de

Alle Abbildungen: Museum Giersch der Goethe-Universität

 

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