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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Marina Abramovics Musik-Projekt „Anders Hören“ für die Alte Oper Frankfurt

Drei Termine – eine Einheit?

Von Petra Kammann 

Marina Abramovic © Dusan Reljin/ Alte Oper

Hochmotiviert war ich, Musik einmal „anders“ zu hören, als es im Konzertsaal üblich ist, wo man das Programm ebenso kennt wie das damit verbundene Ritual. Denn häufig schlüpft man nach den Wirren des Tages in letzter Minute nur noch schnell in den Konzertsaal, setzt sich schnell hin, hört erschöpft zu, schaut ab und zu ins Programmheft, nimmt etwas in der Pause zu sich, setzt sich wieder, hört zu, klatscht oder auch nicht. Dabei würde man immer gerne aufmerksam lauschen, intensiv erfassen, was uns die Musik, diese klingende universelle Sprache zu sagen hat.

Und, darin folgte ich dem Ansatz von Marina Abramovic: „Um wirklich Musik zu hören, muss man mit all seinen Sinnen dabei sein.“ Also lockte mich die Abramovic-Methode des „Anders Hören“ in die Alte Oper, und dafür wollte ich mir die nötige Auszeit nehmen und drei halbe Tage dafür reservieren, zwei mal für die Vorbereitung und gewissermaßen zur Belohnung dann für ein 5-stündiges Konzert, dessen Programm mir allerdings nicht mitgeteilt wurde. Marina Abramovic hatte mir immer schon imponiert mit ihren höchst intensiven und bahnbrechenden Performances, mit ihrer Art, wie sich selbst nichts ersparte, um immer wieder neu ihre eigenen physischen und psychischen Grenzen auszuloten. Ich wollte es einfach wissen und zu spüren bekommen: Würde sie mich mit ihrer sicher selbst ausprobierten Methode dem Urerlebnis des Musikhörens noch näher bringen? Ihr Name zog. Also ließ ich mich auf das Reglement ein.

Inzwischen praktiziert die Performancekünstlerin in Workshops weltweit ihre Abramovic Method der Konzentration und Mobilisierung der eigenen Kräfte, um eine größtmögliche Toleranz und Offenheit im Dialog zu erreichen. Beim Warten vor der Alten Oper kam ich vermutlich schon deshalb mit mir völlig unbekannten Menschen ins Gespräch, was bei einem „normalen“ Konzert nicht so häufig der Fall ist. Etliche der Besucher waren von weither angereist, sei es aus Köln, aus Koblenz, aus Berlin, manche sogar aus dem Ausland, stets angelockt von der Ausnahmekünstlerin mit dem magischen Namen: Marina Abramovic. Manche von ihnen hatten sie zuletzt im vergangenen Jahr in der Bundeskunsthalle in Bonn in ihrer Retrospektive „The Cleaner“ erlebt, wo sie während der Schau sehr präsent war, und wo sie sich mit Erinnerung, Schmerz, Verlust, Ausdauer und Vertrauen auseinandersetzte und das dem Publikum vermittelte. Und sogar eine Versöhnung mit ihrem früheren Lebens- und Performance-Partner Ulay fand nach Jahren dort statt.

Hier in Frankfurt sah ich viele junge geduldige und freundlich dreinschauende Menschen in der Schlange vor der Garderobe, an der man alles abgeben musste, Handtasche inklusive Handy, Portemonnaie, Hausschlüssel, Uhr und sonstigen Utensilien. Eigentlich hatte ich mir auch Notizen machen wollen. Nun ja. Stattdessen vertraue ich darauf, alles wiederzubekommen, mir alles einzuprägen und mich überraschen zu lassen. Da geht es erst einmal zum „Warming up“ in die Zwischenetage. Werden mir hier am Ende Übungen wie in einem Fitnessstudio abverlangt? Nein, es sind Übungen, wie das richtige tiefe Durchatmen, das Lockern, die freie Bewegung, das Ertasten und Nachzeichnen des Gesichts, das Spüren des eigenen Körpers, das weite Öffnen des Mundes, um Anspannung und Entspannung. Also lasse ich mich ganz auf das „Spiel“ mit mir und mit ihrer Methode ein, lasse mir im Anschluss daran dann, begleitet von den schwarz gekleideten Helfern mit sanftmütigen Stimmen und zarten Bewegungen, die schalldichten Kopfhörer auf den Kopf setzen, mich in den Großen Saal der Alten Oper geleiten und mich mit verbundenen Augen in ein Labyrinth führen.

So jedenfalls erschien mir auf Anhieb die dort aufgebaute und ausgepolsterte Kabine, aus der ich so schnell den Weg nicht wieder rausfand. Also tastete ich mich an den Wänden entlang, um eigenständig den Ausschlupf zu finden, war froh, die Augenbinde abgeben und wieder sehen zu können. Leicht schwindelig suchte ich nach Halt auf einem der freien Sessel.

512 Hours, Marina Abramovic, Serpentine Gallery, 8/2014, Photograph by MARCO ANELLI

Im Raum herrscht nun absolute Stille, während sich die Menschen betont und gedehnt langsam auf einer rechteckigen Fläche im Raum bewegen. Auf einem anderen Podest steht eine Gruppe von Menschen und rührt sich nicht von der Stelle, während sich in Zweierkabinen jeweils zwei Menschen unverwandt gegenüber sitzen und sich unmittelbar in die Augen schauen. Woanders starren Einzelne sitzend ausdauernd auf eine blaue, eine rote oder eine gelbe Farbtafel. Andere wiederum liegen wie antike Skulpturen ganz ruhig und umhüllt von einer Decke auf einer Pritsche.

Und geradezu stoisch sitzen Menschen vor den Tischen und sind damit beschäftigt, aus einem Reisberg die schwarzen Linsen von den weißen Reiskörnern zu trennen, ganz so wie Aschenputtel, die im Märchen die Tauben bittet, die Linsen aus der Asche zu lesen und dazu summt „Ihr zahmen Täubchen, ihr Turteltäubchen, all ihr Vögelein unter dem Himmel, kommt und helft mir lesen. Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen“. Manche legen aus dem Herausgelösten filigrane Muster und andere führen buchhalterisch Strichlisten über die herausgefilterten Päckchen. Alle wirken sie sehr konzentriert.

Beim Reiszählen wird die Geduld auf die Probe gestellt / Konzert Anders hören – Die Abramovic-Methode für Musik, ©Alte Oper/ Norbert Migueletz –  

Soll uns die scheinbar nie endende Sisyphus-Arbeit etwas lehren? Oder geht es hier mehr um die läuternde Wirkung, wenn Abramovic die Besucher vor blau-rot-gelben Wänden meditieren lässt, sie sich in Zeitlupentempo bewegen oder Reiskörner und Linsen zählen lässt, wofür auch hier Rechenblöcke, Bleistifte und Radiergummis auf Tischen bereit liegen. Die Künstlerin selbst sehe ich nirgends. Jeder ist mit und für sich beschäftigt. Und die schwarzen Helfer und Helferinnen sind stets zur Stelle, wenn es Fragen geben könnte. Sollte diese Szenerie das Mittel sein, die Zeit, die uns täglich so einengt und uns unter Druck setzt, zu vergessen? Wird das bewusste Gehen nicht auch bei der ZEN-Meditation ausgeübt, wenn oft tagelang nur das Nichts gedacht wird? Oder will Abramovic den Menschen wie ein weiblicher Dalai Lama nicht nur Kunst oder Musik, sondern mittels ihrer Helfer nur Trost und Hoffnung durch Exerzitien und Askese beibringen, typisch für das Spätwerk von Abramovic?

Ist das Ganze nicht auch ein wenig sektiererisch? Oder am Ende sogar eine riesige Marketingmaßnahme? Habe ich mich hier aufs Glatteis führen lassen? Die widersprüchlichsten Gedanken schießen mir durch den Kopf. Dann sehe ich wieder in die vielen verklärten oder auch entspannten Gesichter, vor allem, wenn ich im Schneckentempo an den Pritschen entlang wandere und an eine Wellnessfarm erinnert werde, wo man sich wohlbehütet und bedeckt, zurückziehen kann. Wie lange mag das wohl noch so gehen? Und in diesen widersprüchlichen Überlegungen ist das Zeitempfinden plötzlich verschwunden. Würde man unter einer solchen Bedingung jetzt die Musik anders hören? Ich mache mich an das Reiszählen und übe mich in Geduld. Und eh ich mich versehen habe, ist die Zeit herum und alle werden von den Helfern auf das Rechteck zurückgeführt, bleiben schweigend gemeinsam stehen und werden herausbegleitet.

Ach ja, da ist ja noch ein anderer Tag.“ The same procedure as you know already“. Ok, da werde ich mich rationeller einteilen. „Warming up, gut durch- und freigeschüttelt, dann Kopfhörer auf und das Ganze noch einmal von vorn. Zweieinhalb Stunden Aufenthalt im Großen Saal im Schneckentempo und in absoluter Stille. Diesmal verspreche ich mir etwas davon, die blauen, roten und gelben Farbflächen auf mich wirken zu lassen, wozu ich am Tag zuvor nicht gekommen bin. Nichts passiert. Stattdessen denke ich ständig an die wunderbaren blauen Schwammreliefs von Yves Klein oder an die monochromen Gemälde eines Mark Rothko und bin ob der kleinen glatten Farbflächen, die mir wie Farbproben aus dem Baumarkt vorkommen, eigentlich nur enttäuscht. Die Farbe selbst erreicht und ergreift mich nicht. Schade!

512 Hours – Marina Abramovic, Nicht sehen und nicht hören führt zu bewussterer Wahrnehmung

Ich zähle wieder Reis, lege mich entspannt auf die Pritsche und gehe dann auf einen freien Platz in die Doppelkabine, schaue meinem Gegenüber lange und intensiv in die Augen. Aber es entzündet sich kein wirklicher Dialog, was ja an mir selbst liegen kann. Trotzdem: diesmal jedoch vergeht die Zeit insgesamt schneller als am Tag zuvor, und ich bin weniger erschöpft, an der Warteschlange der Garderobe bekomme ich dann mit, dass inzwischen viele neue Kontakte unter den Besuchern des Workshops  geknüpft wurden, und auch, dass man hilfsbereit und behutsam mit den anderen Teilnehmern umgeht. Aber lernt man so etwas nicht auch in Workshops für Achtsamkeit?

Im Anschluss an den zweiten Tag gehe ich noch völlig entspannt mit einer anderen bis dahin unbekannten Teilnehmerin ins Café, die mir am Tag zuvor, nachdem ich mich völlig dehydriert gefühlt hatte, äußerst hilfsbereit Wasser aus ihrer Flasche angeboten hat, und wir genießen das Austauschen unserer Erfahrungen im Sonnenschein vor der Alten Oper. Julia erzählt mir, welch positive Wirkung Abramovic im vergangenen Jahr auf ihre Tochter, mit der sie in Bonn war, hatte. Sie berichtete mir auch von ihren Eltern, deren Vorfahren ebenso wie die Künstlerin aus Belgrad kamen und die sich schon in den 70ern für sie begeistert haben. Ist es diese Offenheit, die mir in der Vorbereitungsprozedur nahelegt wird, die in mir installiert werden soll? Soll mich das zum besseren Hören führen?

Aber es liegt ja noch ein Tag dazwischen, bis das große Ereignis, das gemeinsame Hören des unbekannten fünfstündigen Konzerts, ansteht. Aber da sind erst einmal in der Stadt drei Großdemos angesagt, ich muss die Wochenendeinkäufe erledigen und vieles andere mehr. Bin gespannt, ob die Konzentration auf die Stille und das freundliche Aufeinanderzugehen bis Sonntagnachmittag anhält. Nach den zwei Vorbereitungstagen ziehe ich mich ganz locker an, weil ich vermute, dass es wieder zur inneren Sammlung mit einem Warming up losgeht. Die Schlangen sind diesmal besonders groß vor der Garderobe. Und in den Gängen, in denen alle geduldig anstehen, auch. Denn alle Workshop-Gruppen der letzten Tage kommen an diesem Tag zusammen. Im nun leeren „Warming up-Raum“ sind Bildschirme aufgestellt, auf denen im Dauerloop Marina Abramovic über ihre Methode doziert. Ob wir sie überhaupt zu sehen bekommen, frage ich mich nun und fühle mich ein wenig an der Nase herumgeführt.

In der Schlange auf dem Weg zum Großen Saal sehe ich den bekannten Hirnforscher Prof. Dr. Wolf Singer und verschaffe meiner Skepsis Luft. Ich frage ihn, ob ich ihn später nochmal um sein Urteil bitten kann. Natürlich misstraue ich nun auch meinen eigenen Empfindungen. Aber auch er hat sich offensichtlich vom Namen Abramovic bezirzen lassen. Er scheint schon jetzt ebenso skeptisch wie ich selbst zu sein, und er fragt sich, ob sich die bisherige Trainingsmethode sich auf das bessere Wahrnehmen von Musik auswirken kann, und vor allem, wenn, dann wie.

Konzert Anders hören – Die Abramovic-Methode für Musik, ©Alte Oper/ Norbert Migueletz

Im halbbestuhlten Saal stürzt sich jeder erst einmal auf einen freien Platz, sei es auf einen der Sessel oder einen auf der Bühne, auf denen Sitzkissen herum liegen, die zum Sitzen wie auch zum Liegen einladen. Keine Spur von Ruhe und Konzentration ist nun zu verspüren. Aber dann erscheint Marina Abromivic wie eine Hohepriesterin in schwarzem Gewand selbst auf der Bühne, berichtet kurz über die Erfahrungen, die sie auf all ihren Reisen in fremde Kulturen mit den verschiedenen Völkern gemacht hat und was sie verbindet. Dann animiert sie das Publikum, die verschiedenen Körperregionen zwischen Bauch und Kopf zu erspüren, die Töne produzieren und diese gemeinschaftlich mit zu singen: „o, u, a, e, hm“. Alle machen mit, der ganze Saal schwingt. Ein schönes Gemeinschaftserlebnis. Während die schwarzen Helfer durch den Raum schreiten, führen sie einzelne Musiker an verschiedene Plätze. Carolin Widmann im langen schwarzen Abendkleid bahnt sich mit ihrer Geige einen Weg durch das herumsitzende Publikum, setzt den Bogen an und spielt einfach berückend. Das Spiel einer Querflöte wirkt wie die wahre Zauberflöte. Deren letzter verklungener Ton wird von der Orgel aufgegriffen, deren mächtige Länge sich danach majestätisch im Raum ausbreiten. Herrlich das Aris-Quartett, das zwischen den auf dem Boden sitzenden Jugendlichen spielt. Und dann die Akkordeonistin, die den Atem des Instruments zum Tönen bringt, während sie durch den Raum streift. Ein besonderes Raum-Klang-Erlebnis.

Musikalisch folgt ein Leckerbissen auf den anderen. Warm umfängt es einen, wenn man das Nikolaus Altstaedt gestrichene Cello auf den oberen Rängen hört. Der Wunsch, mehr zu wissen, wächst. Was wird denn da gespielt, was mich so bezaubert oder was mich eher kalt lässt? Nicht alle Musiken kenne ich, auch nicht alle auftretenden Künstler. Irgendwann wird das pausenlos aneinandergereihte Spiel der hervorragenden Solisten zu einem Klangteppich. Und dann geht es mir beim Hören wie beim Sehen. Ich möchte etwas wissen, differenzieren können. Meine Wahrnehmung wird bereichert durch mehr Wissen und nicht nur geschult, sondern auch geschärft. Da fällt mir der einprägsame Werbespruch von anno dazumal für die hervorragenden Dumont-Reiseführer wieder ein: „Man sieht nur, was man weiß.“ Natürlich soll das die unmittelbare Wahrnehmung nicht beeinträchtigen. Ließe der Spruch sich nicht auch auf das Hören übertragen, frei nach dem Motto: „Man hört mehr, wenn man mehr weiß…“ (mehr jedenfalls als das, was man ohnehin schon wusste). Nach Fazil Says fulminanten Beethoven-Auftritt und tosendem Applaus – es war wohl so eine Art Halbzeit – verlassen viele dann den Saal.

Weil sie glauben, dass das Erlebnis nicht mehr zu toppen sei?  Für den Künstler ist der Applaus zweifellos schön und motivierend, doch ob es das eigentlich auch im Sinne der Methode des besseren Hinhörens ist? Sollte man nach einem besonderen musikalischen Genuss nicht erst einmal innehalten? Oder war nach zweieinhalb Stunden unterschiedlicher Musik aus unterschiedlichen Kulturen hintereinander weg die Ermattung groß, weil die Aufmerksamkeitsschwelle herabgesetzt war? Könnte man ein solches Musikerlebnis nicht entspannt auf dem Sessel daheim erleben, wenn man nur „Weltmusik“ auf hr2 einschalten würde? Vor allem in der zweiten „Hälfte“ des Konzerts gab es viele Wiederholungsmomente. Bisweilen  klang es so, als solle man jetzt mit wiederkehren musikalischen Settings aus den verschiedenen Ecken des Raumes nur noch auf Meditation eingestimmt werden. Die Bühne selbst, wo inzwischen etliche in Embryohaltung schlafend auf dem Boden lagen, glich einer Happening-Sitzung der Siebziger Jahre. Ein Gemeinschaftserlebnis entstand allerdings noch einmal zum Schluss, ausgelöst durch Carolin Widmanns Geigensolo. Sie wurde jubelnd von allen umringt, der die überglückliche Projektinitiatorin Abramovic, die nocheinmal auf die Bühne kam, folgte und allen dankte.

Gemeinschaftserlebnis nach dem Konzert auf der Bühne

Als ich mich noch später noch einmal mit etwas Abstand mit Professor Singer unterhielt, welche Wirkung auf ihn die Abramovic-Methode gehabt habe, gab er zu, dass ihm der Mehrwert, der über das konzentrierte Konzerthören hinausgeht, in den Elementen der vorbereitenden Workshops gefehlt habe und im Konzert selbst das Neue, dass den Titel einer eigenständigen Methode verdient hätte, vor allem aber, dass er spezifische Techniken zur Schulung des Gehörs vermisst habe und er sich zudem gewünscht hätte, dass die Einstimmung in die Ruhe Bestandteil des Konzerts gewesen wäre, da die Effekte der Workshops wegen des zeitlichen Abstands kaum in den Konzertsaal zu transferieren seien.

Und ihm fehlte die verbindende Brückenwirkung des Workshops und vor allem die wirklich alternative Gehörschulung. Die Vorbereitungsübungen seien nichts anderes gewesen als übliche Achtsamkeits- oder Meditationskurse, wie sie derzeit gang und gäbe seien, wobei, wenn man schon so etwas wie eine Zen-Meditation oder die in USA derzeit sehr beliebte „mindfulness“ anbieten würde, dann sei doch vor allem während des Konzerts die nötige Stille geboten, auf die sich jeder klassische Konzertbesucher einließe. Stattdessen habe das unkontrollierte Tohuwabohu und die Platzsuche zu mangelnder Konzentration geführt. Außerdem seien die Proportionen zwischen der ausgedehnten unspezifischen Vorbereitungsphase und dem tatsächlichen Konzert unverhältnismäßig gewesen.

Als bessere Alternative erinnerte Singer an eine gelungene Erfahrung, die er bei der Uraufführung des Ensemble Modern im Künstlerhaus Mousonturm (Konzept von Uwe Dierksen) während der Frankfurter Positionen gemacht hatte, bei denen der Brückenschlag zwischen Komposition und Improvisation, bei denen es um die Grenzen der Verständigung ging, zwischen hiesigen und Musikern aus Afghanistan und anderen Herkunftsländern bestens gelungen sei. Da habe sich unmittelbar gezeigt, dass verschiedene Welten einander begegnen können, ohne sich gegenseitig den Zauber zu nehmen.

Eines steht fest: Diesmal hat Abramovic die Gunst der Stunde, d.h. die Energie der besten Musiker und den Good Will des Publikums genutzt und ist selbst in die Rolle des Rezipienten geschlüpft. Und sie hat vielen jungen Menschen einen Weg gewiesen, wie wichtig es ist, elektronische Fastenzeiten einzuhalten, um sich konzentriert auf Musik einzulassen.

Denn Grundidee sowohl der Methode als auch des Konzerts war es ja wohl, äußere Reize und mögliche Ablenkungen auszublenden und innere Konzentration zu ermöglichen. Das haben die vorbereitenden Kurse ermöglicht. Und für viele junge Leute, die klassische Konzerthäuser eher selten betreten, war es sicher ein gemeinschaftliches und unvergessliches Hörerlebnis. Schade nur, dass die vorbereitenden Übungen nicht unmittelbar für das Konzert mit den brillanten Musikern genutzt wurden.

https://www.alteoper.de

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