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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„NEUER MENSCH, NEUE WOHNUNG. Die Bauten des Neuen Frankfurt 1925 – 1933“ im Deutschen Architekturmuseum (DAM)

Pionierarbeit auf verschiedenen Gebieten

Von Petra Kammann

Das „Neue Frankfurt“, die Hochburg der Moderne, hatte in den 1920er Jahren ein beispielhaftes Wohnungs- und Städtebauprogramm von internationaler Ausstrahlung aufgelegt. Eine Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum (DAM) zeigt anlässlich des Bauhaus-Jubiläums und als Teil einer gemeinsamen Initiative von drei Frankfurter Museen und dem Forum Neues Frankfurt Bauten, Pläne, Modelle, dokumentarische Fotos, und sie gibt auch Anregungen wie man in Zukunft in der ständig wachsenden Mainmetropole bezahlbaren Wohnraum schaffen könnte.

Siedlung Niederrad (Zickzackhausen) – Reihenhauszeilen in der Donnersbergstraße, 1926 Foto: Hermann Collischonn, ©: ernst-may-gesellschaft e.V., Nachlass Rudloff, Inv. 06.05.02 

Garten in der Siedlung Praunheim, um 1929 ©:Damaschkeanger 88, Scan vom Filmnegativ 

Wer Bauhaus hört, denkt meist sofort an Weimar oder Dessau, ist doch das 100-jährige Jubiläum derzeit in den diversen Gazetten omnipräsent. Dabei geht es im Bauhaus um die Schule der Avantgarde, um Design, Kunst und Architektur der Sachlichkeit. Frankfurt sei jedoch Ende der 20er und Anfang der 30er Jahre „ein nicht minder bedeutendes Zentrum des Aufbruchs“ gewesen, kontert Kurator Wolfgang Voigt im Deutschen Architekturmuseum. Und weiter: „Wenn das Bauhaus die Sonne war, die auf alles ausstrahlte, dann war Frankfurt kein Planet des Bauhauses, sondern ein eigener Stern mit eigener Energie“. Und das bezieht sich nicht nur auf die legendären Siedlungen des „Neuen Frankfurt“.

Warum aber widmet sich Frankfurt ausgerechnet im Bauhausjubiläumsjahr 2019 dem „Neuen Frankfurt“, obwohl das „eigene“ Jubiläum erst 2025 ansteht, wenn daran erinnert wird, dass vor 100 Jahren der damalige Oberbürgermeister Ludwig Landmann (1867 – 1945) den Architekten Ernst May (1886 – 1970) als Stadtbaurat nach Frankfurt holte und hier eine neue Ära einsetzte. Die Gründe und Anknüpfungspunkte zum Bauhaus sind aber vielfältig. Es gab wohl so etwas wie ein gegenseitiges Befruchten der architektonisch-sozialen Bewegungen des Bauhauses und des „Neuen Frankfurt“. Sie waren untereinander verbunden, wenngleich auch ihre Rezeptionsgeschichte eine vollkommen andere ist. Vielleicht aber lässt sich aus den Ideen und damaligen Erfahrungen der 20er Jahre auch heute Honig für die Zukunft saugen. Vielleicht lassen sich schon jetzt für das Jubiläumsjahr neue Bauten in Frankfurt planen, ist doch gerade jetzt der Bedarf an bezahlbaren Wohnungen immens.

Plakat zur CIAM-Ausstellung 1929 ©: bpk, Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin, Dietmar Katz 

Ernst May, der profilierteste Akteur des „Neuen Frankfurt“, war dem Bauhaus durchaus verbunden. Was den sozialen Wohnungsbau angeht, so war Frankfurt damals wirklich Avantgarde. Walter Gropius, der Begründer des Bauhauses, hat nicht nur Artikel für die weltweit vertriebene Zeitschrift „Das Neue Frankfurt“ geschrieben. Er hatte auch in Frankfurt durchaus seine Auftraggeber wie etwa die Adlerwerke. Und 1929 hat er sogar eine kleine Siedlung am Lindenbaum für das „Neue Frankfurt“ gebaut. Als Ernst May nach Frankfurt zog, hatte er zunächst sein eigenes Wohnhaus an der Niddaaue geplant, als kubisches Haus mit einer großen Sonnenterrasse und mit über Eck gezogenen Fenstern, was zweifellos von Gropius inspiriert war. Da May aber auch ein durchsetzungskräftiger Macher war, konnte sein Wohnhaus in Frankfurt schon eingeweiht werden, als das Bauhaus in Dessau noch nicht fertiggebaut war. Zur Eröffnung des Bauhauses wurde er aber eingeladen und er fuhr auch nach Dessau. Schließlich hatte Frankfurt eine große Ausstrahlung, eine Menge geleistet und viel zu bieten, man denke nur an die lebendige Frankfurter Messe.

Im Frankfurter Gesellschaftshaus des Palmengartens fand dann 1929 der 2. Kongress der Internationalen Modernen Architektur (CIAM, Centre International d’Architecture Moderne) statt und nicht etwa in Berlin, wo Bruno Taut für den neuen Siedlungsbau stand oder in Dessau, am Ort des Bauhauses. Auf dem Kongress suchte man nicht nur nach akademischen, sondern auch nach praktikablen Lösungen, Menschen mit dem Existenzminimum bezahlbare Wohnungen anbieten zu können. Natürlich war die Weltwirtschaftskrise überall präsent. Während Le Corbusier hier für das Mehrfamilienhaus, das später zur Wohnmaschine mutieren sollte, plädierte, hielt May am Ideal des Reihenhauses für die Kleinfamilie inklusive Mini-Garten fest.

Modell, Fotos und Zeichnungen von Ernst Mays Privathaus, daneben das Privathaus von Martin Elsaesser, Foto: Petra Kammann

Der Schlesier Ernst May war nämlich ursprünglich aus der Reformbewegung der Gartenstadt mit der Idee von Licht, Luft und Sonne für Jederman gekommen, als Oberbürger-meister Ludwig Landmann ihn als Stadtbaurat nach Frankfurt holte. Aus Breslau, wo May die Schlesische Heimstätte geleitet hatte, kamen mit ihm außerdem Herbert Boehm und Hans Leistikow  nach Frankfurt und unterstützten ihn in seinem Tun. 

Da mit der zunehmenden Industrialisierung immer mehr Menschen in die Stadt drängten, um dort Arbeit zu finden, war bezahlbarer Wohnraum knapp und daher die Wohnungsnot groß, so dass Landmann wohl auf konstruktive Vorschläge des im Siedlungsbau äußerst erfahrenen May, der vielleicht beides miteinander kombinieren könnte, setzen konnte. May sollte in Frankfurt den für Neubauten zur Verfügung stehenden Raum durch intelligente Grundrisse optimal nutzen und damit auch die Kosten durch neue Bautechniken gering halten. Andrerseits konnte er sich auch der neuen technischen Standards bedienen. Elektrisches Licht und ein eigenes Bad mit fließendem Warmwasser waren keine Utopie mehr, sondern auch realisierbar, vorausgesetzt man plante diese Möglichkeiten rational ein. Diese motivierten May, die damals noch völlig unüblichen Standards in jede neue Wohnung einzubauen, ebenso wie eine Küche für die fortschrittliche „neue“ berufstätige Frau, die inzwischen nicht nur arbeitete, ein Auto steuern konnte, sondern nun auch selber wählen durfte.

Systematisch nach Themen gegliedert, durchgängig auf schwarzem Fond präsentiert, und in Form von Holzmodellen wird die Architektur des „Neuen Frankfurt“ dargeboten, erläutert die stellvertretende Museumsdirektorin Andrea Jürges (Mitte) , Foto: Petra Kammann

May war begierig darauf, diese neuen technischen Möglichkeiten bei einer Standardisierung der Bauten zu berücksichtigen und sie außerdem noch mit der Idee des Kleingartens zu verbinden. So wurde sein Privathaus an der Niddaaue mit Flachdach zum Vorbild für die Reihenhauszeile mit Dachterrasse und eigenem kleinen Garten für mittlere Angestellte, allerdings in kleinerem Maßstab. Die Theorie von der funktionalen Wohnung – dem Prinzip „form follows function“ folgte auch der Werkbund –,  wurde in Frankfurt dann auch schnell in die Praxis umgesetzt. Die erste moderne Einbauküche, die in der Ausstellung im Architekturmuseum nur mit einem Minimodell präsent ist – im Museum Angewandte Kunst einige Meter weiter kann man sie in realer Größe anschauen –, wurde von der ersten weiblichen Architektin Margarete Schütte-Lihotzky, die May von Wien nach Frankfurt geholt hatte, entworfen. Noch heute ist diese Arbeitsküche mit den effizient angelegten Einbaumöbeln und freier Sicht in den Nachbarraum die wohl bahnbrechendste und populäre Erfindung des „Neuen Frankfurt“.

 

Die bemerkenswerte Siedlung Römerstadt (1927/1928) im grünen Niddatal als Modell, Zeichnung und als Bild, Foto: Petra Kammann 

Die Architekten des „Neuen Frankfurt“ verwirklichten insgesamt das, was den Alltag der Menschen erleichtern sollte. May und sein Team leisteten durch die überlegte industrielle Vorfertigung des Rohbaus mit Hilfe von vorfabrizierten Bauteilen und die Typisierung familiengerechter Wohnungen hier wertvolle Pionierarbeit. Mit der standardisierten Einbauküche, dem funktionalen Mobiliar, der integrierten Grünplanung, wurden sie dann auch international wahrgenommen, zumal sie ihre Erneuerungen jeweils in ihrer Zeitschrift „Das neue Frankfurt“ publizieren konnten. Mit der Plattenbauweise entstanden innerhalb von fünf Jahren 12 000 Wohnungen. Damit hatten sie in kürzester Zeit ihr Soll von 10 000 Wohnungen in zehn Jahren längst überschritten.

 

Die Wohnungen und kleinen Reihenhäuser mit Flachdach wurden wiederum Bestandteil eines größeren sozialen Systems. Zu den Siedlungen kamen eine effiziente Stadtplanung, öffentliche Spielräume, ein kindgerechter Schulbau, der auch Gänge ins Freie ermöglichte, Bauten für Sport und Erholung, Freibäder, Krankenhäuser, Altenheime und auch moderne Kirchen. Das alles wie auch die Zusammenhänge werden in der Ausstellung im DAM kompakt, systematisch und ebenso effizient auf einer Etage und auf 300 Quadratmetern dargestellt. Auch das ist eine planerische Leistung!

Zehn große beispielhafte Siedlungen wie zum Beispiel die Römerstadt als auch ausgewählte Bauten des „Neuen Frankfurt“, die seinerzeit den Ruhm der Stadt als Hochburg der Moderne begründeten, die Großbauten aus jener Zeit wie die Großmarkthalle, das I.G.Farben-Verwaltunsgebäude, diverse Schulen, Kirchen oder Krankenhäuser, Zentralwäschereien, die auf die wachsende städtische Bevölkerung zugeschnitten waren; sie alle sind dort in Form unterschiedlicher Dokumente versammelt: auf Fotos, Zeichnungen, Lageplänen, Grundrissen und Holzmodellen, nicht zuletzt auch auf sie begleitenden Karikaturen. Auch ein gemaltes Bild vom geschwungenen Gebäude in der Römerstadt aus der Zeit ist unter einer Entwurfszeichung zu entdecken, oder eine mächtige Bronzeplastik von Friedrich Nietzsche und eine tänzerische Skulptur von Georg Kolbe, die etwas vom Lebensgefühl und der Aufbruchstimmung der Zeit vermitteln.

Die Kuratoren  Wolfgang Voigt und Dorothea Deschermeier vor dem Modell des IG Farben-Gebäudes von Hans Poelzig

Das Neue Frankfurt bestand eben nicht nur aus den Siedlungsbauten und aus dem sachlich-schlichten Mobiliar inklusive elektrischer Geräte, das man für sie entwickelt hatte. Hier wurde auch das „Institut für Sozialforschung“ gebaut, aus dem die Denker der „Frankfurter Schule“ hervorgegangen sind wie Theodor W. Adorno und Max Horkheimer. Aber auch Großbauten nehmen eine besondere Stellung ein wie zum Beispiel das konvex angelegte I.G. Farben-Verwaltungsgebäude von Hans Poelzig, in dem ein Maximum an Sonnenlicht eingefangen werden sollte. Das Gebäude ist zudem in eine großzügige Parkanlage eingebettet. Ungewöhnlich war die zugrundeliegende Stahlkonstruktion, die seinerzeit in der Rekordzeit von vier Monaten aufgestellt wurde. Damals war das fusionierte Chemieunternehmen einer der größten Arbeitgeber des weiten Umkreises. Heute ist in dem siebengeschossigen Baukörper der Campus Westend der Goethe-Universität untergebracht, nachdem das Gebäude bis 1995 als Hauptquartier der US-Streitkräfte in Europa gedient hatte. Aber auch das 9-stöckige erste Hochhaus Frankfurts, das von Max Taut und Franz Hoffmann geplante Gewerkschaftshaus (ADGB) in der Wilhelm-Leuschener-Straße war ebenso prominent beachtet. Und vor allem die markante Großmarkthalle (1928) des Architekten Martin Elsaesser (1884-1957), der heutige Sitz der Europäischen Zentralbank, der durch die Renovierung und die ergänzten schillernden Türme der Architektengruppe Coop Himmelb(l)au erweitert wurden und zu größerer Sichtbarkeit kam.

Hallenbad Frankfurt Ost – Verglaste Südseite an der Schwimmhalle (um 1930), Architekt: Martin Elsaesser Foto: Hannah Reeck ©:  ISG S7A 1998-21534 

Als künstlerischer Leiter des Hochbauamts zwischen 1925 und 1932 war Martin Elsaesser für die kommunalen Großbauten Frankfurts zuständig und damit maßgeblich an der Gestaltung des von Oberbürgermeister Ludwig Landmann initiierten ‚Neuen Frankfurt‘ beteiligt, plante der Architekt selbst doch zahlreiche Bauten, von denen zehn in Frankfurt realisiert wurden. Die Großmarkthalle, die aus der Verbindung von moderner Skelettbauweise und traditionellem Backstein entstanden war, mit ihrer gewaltigen stützungsfreien 220 Meter langen, 50 Meter tiefen und 23 Meter hohen Halle, mit den querliegenden und um die Ecke geführten Fensterbändern und den transparenten Treppenhaustürmen sowie mit den elegant aneinandergereihten leichten Tonnengewölben, galt schon damals als eines der Flaggschiffe des „Neuen Frankfurt“. Mit Ausnahme dieses Bauwerks sind heute jedoch etliche der Gebäude Elsaessers in der öffentlichen Wahrnehmung längst nicht so präsent, wie sie es sein könnten. Hier in der Schau sind sie noch einmal versammelt.

In Frankfurt wird Elsaessers Handschrift noch einmal in den kommunalen Schulbauten sichtbar wie in der heutigen Pestalozzi-Schule (1927) oder der Holzhausenschule (1929), an seinem eigenen Wohnhaus in Ginnheim (1926), in dem heute – nach vorbildlicher Restaurierung – das Schweizer Generalkonsulat residiert, am Fechenheimer Hallenschwimmbad in Frankfurt Ost (1928), an der Gustav-Adolf-Kirche in Niederursel (1928), am Umbau des Gesellschaftshauses Palmengarten (1930), das durch die jüngste Renovierung inzwischen auch wieder eine größere Aufmerksamkeit bekommen hat. All diese Bauten zeigen eindrücklich das breite Spektrum, denen sich Elsaesser in seiner Frankfurter Dienstzeit widmete. Dazu zählen auch die ehemalige „Nervenklinik“ und die Direktorenvilla auf dem Gelände der Frankfurter Universitätsklinik in der Heinrich-Hoffmann-Str. 2a (von 1930). In Vorbereitung auf das Jubiläumsjahr 2025 sollte man da vielleicht auch an die Entwicklung eines entsprechenden markierten Parcours denken.

Kurator Wolfgang Voigt erläutert die Konzeption vom „Neuen Menschen“ vor dem Nietzsche-Kopf

„Neuer Mensch fordert neues Gehäuse, aber neues Gehäuse fordert auch neue Menschen“, sagte 1928 der Leiter der Kunstgewerbeschule in Frankfurt Fritz Wichert. Jenseits all der interessanten Bauerei bleibt die Frage, wie die Idee vom Neuen Menschen zustande kam. Um die Jahrhundertwende wurde vieles neu gedacht. „Neu“ wurde geradezu zum Stichwort des Jahrzehnts, das mit der neugegründeten Weimarer Republik nach dem Ersten Weltkrieg begann. Neu war die „Neue Musik“, das „Neue Sehen“ und die „Neue Sachlichkeit“ und auch die „Neue Frau“ mit ihrem neuen Frauenwahlrecht.

Kurator Wolfgang Voigt setzt schon viel früher an und bezieht sich dabei auf den Philosophen Friedrich Nietzsche (1844–1900), der schon im 19. Jahrhundert die Vorstellung vom neuen Menschen geprägt habe, der sich von der Tradition loslösen müsse. Darum steht in der Ausstellung auch eine aus dem Städel ausgeliehene Bronzebüste des Philosophen. Denn in der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war Nietzsche einfach Kult, sein Denken beeinflusste den Kunstsammler und Pazifisten Harry Graf Kessler (1868–1937), die bildenden Künstler wie auch die Architekten der Moderne und nicht zuletzt die Reformpädagogen… Henry van der Velde übersetzte die Nietzsche-Formeln in Ornamente. Peter Behrens gestaltete auf der Darmstädter Mathildenhöhe die Tür zu seinem Haus mit Adler und Schlange, den beiden mythischen Tieren des Zarathustra.

Voigt zitiert Le Corbusier, der sich 1908 in einer französischen Ausgabe „Ainsi parla Zarathustra“ dezidiert auf das Vorbild von Nietzsches Philosophie bezieht, die jedoch noch von einem elitären Bewusstsein ausging. Im „Neuen Frankfurt“ hingegen wurde die Idee dann demokratisiert. Der selbstbestimmte Mensch kann sich mit Licht, Luft und Sonne in menschenwürdiger Umgebung befreit entfalten und unkomplizierter in neuen frischen Räumen mit modernen Möbeln leben. Die Idee hinter dem „Neuen Frankfurt“ war durchaus, dass sich die Architekten damals auch als Erzieher der Menschen verstanden. Der Wohnraum sollte eine vom Architekten vorgesehene Lebensform vorgeben, die Siedlungen mit den Gemeinschaftsangeboten den „Neuen Menschen“ formen. Das wurde von den Menschen, die nicht so veränderungswillig waren, nicht immer goutiert. In der Ausstellung wird daher auch auf das mögliche Diktatorische einer Umerziehung des Menschen hingewiesen, in den ausgewählten, den Exponaten zugeordneten Zitaten oder in eingestreuten Karikaturen. Da wird May, der alles bestimmen wollte, Straßenschilder, Grabsteine und Dächer, sogar einmal „als Mussolini der Architektur“ bezeichnet.

„Wohnen für alle“- Hier wird demnächst angeknüpft

Heute denken wir darüber anders. „Der Wohnraum sollte eine vom Architekten vorgesehene Lebensform vorgeben, die Siedlungen sollten den ,Neuen Menschen‘ formen. Architektur hat aber mit Sicherheit heute keinen erzieherischen Auftrag mehr“, meint die andere Ausstellungskuratorin Dorothea Deschermeier. Aber angesichts der Rezeptionsgeschichte von Bauhaus und „Neuem Frankfurt“ spielt dieser Aspekt, der tatsächlich heute anders zu bewerten ist, eben auch keine große Rolle mehr, da wir die emphatisch vorgetragene Idee vom Neuen Menschen heute eher als pathetisch empfinden. Viel eindrucksvoller, weil beispielhafter erscheint uns heute vielmehr die damalige Leistung, mit welchen Mitteln und mit welch beispielhaftem Gestaltungswillen die Siedlungen des „Neuen Frankfurt“ geplant wurden, damit die große Wohnungsnot bewältigt wurde.

Die Zeitschrift „Das Neue Frankfurt“ propagierte nicht nur die Architektur sondern auch das gesamte Umfeld, Foto: Petra Kammann

Das Ende der jeweiligen Geschichte von Bauhaus und Neuem Frankfurt markiert zu Beginn der Dreißiger Jahre das Zusammenwirken der Weltwirtschaftskrise mit dem Erstarken des Nationalsozialismus, es ist für beide Strömungen mit dem Exil oder der Anpassung der Akteure an die neue Politik verbunden. Für Ernst May geht es dabei bitter aus. Als er 1930 wegen der Weltwirtschaftskrise in die vermeintlich bessere Welt, in die Sowjetunion, gegangen war, wo er die Position des Chefingenieurs für den Städte- und Siedlungsbau bekleiden sollte, war Gropius in die USA emigriert, wo er über eine großen Ausstellung im New Yorker Moma die gereinigte Idee des Bauhaus und die seines eigenen Ruhmes weiterverfolgen und verbreiten konnte, während May gesehen hatte, wie sich die Politik in der Sowjetunion entwickelte und er nicht verwirklichen konnte, was ihm in Frankfurt wichtig gewesen war. Andrerseits konnte er nach 1933 auch nicht mehr nach Deutschland zurückkehren, wo eine am Römer gehisste Hakenkreuzfahne die Übernahme der Stadtregierung durch die NSDAP besiegelte. Das Frankfurter Team war in alle Winde zertreut oder passte sich der neuen Regierung an. Also ging der desillusionierte May stattdessen als Farmer nach Afrika. Dort konnte er an der Verbreitung der Idee des Neuen Frankfurt auch nicht anknüpfen und war vor allem von der Entwicklung der „westlichen Welt“ abgeschnitten, während Gropius in USA weiter Karriere machte und die Idee des Bauhaus propagierte, die auch nach dem Krieg in Westdeutschland wieder aufgegriffen wurde. 1933 war die endgültige Zäsur und auch das Ende der Ära des so zukunftsorientierten Ludwig Landmann, der nun in die Niederlande emigrieren musste, wo er 1945 zu Ende des Krieges an Schwäche starb.

Siedlung Westhausen – Blick durch die Gärten der Reihenhauszeilen auf den Schornstein der Zentralwäscherei (um 1932) ©: Institut für Stadtgeschichte, Grünflächenamt

Inspirationsquelle bleiben die Bauten des „Neuen Frankfurt doch auch für uns heute, auch wenn das ein oder andere nicht auf die Gegenwart übertragbar ist. Die Utopie eines „Wohnen für Alle“ ist aber geblieben. Diese Idee ist auch in die gemeinsame Initiative eines Architekturwettbewerbs, des Deutschen Architekturmuseums, des Dezernats für Planen und Wohnen der Stadt Frankfurt am Main und der ABG Frankfurt Holding für zukunftsweisenden Wohnungsbau gemündet, in der vier Gewinner eines ausgeschriebenen europäischen Wettbewerbs beauftragt werden, auf dem Hilgenfeld im Norden Frankfurts einen exemplarischen und bezahlbaren Wohnungsbau zu errichten. Das Ergebnis ist dann ab dem 13. April in der kommenen Ausstellung im Architekturmuseum, weiterzuverfolgen…

Die Ausstellung NEUER MENSCH, NEUE WOHNUNG. Die Bauten des Neuen Frankfurt 1925 – 1933 im Deutschen Architekturmuseum (DAM) Schaumainkai 43, Frankfurt am Main geht bis zum 18. August 2019.  ÖFFNUNGSZEITEN: Di, Do — So 11 — 18 Uhr \ Mi 11 — 20 Uhr \ Mo geschlossen

Die Begleitpublikation NEUER MENSCH, NEUE WOHNUNG. Die Bauten des Neuen Frankfurt 1925–1933 Herausgegeben von Wolfgang Voigt / Dorothea Deschermeier / Peter Cachola Schmal erscheint bei DOM publishers, Berlin, im Museumsshop für 22,– EUR, im Buchhandel  für 28,– EUR erhältlich

Vorschau: Die Ausstellung  WOHNEN FÜR ALLE.  Das Neue Frankfurt 2019 läuft vom 13. April – 23. Juni 2019 

 

 

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