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FeuilletonFrankfurt

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PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Wanda Pratschke: „Große Frau – ein Fels“

Zwei Einzelausstellungen zum 80. Geburtstag der Künstlerin in der Galerie Hanna Bekker vom Rath und im Kunstverein Familie Montez

Von Erhard Metz

Große Frau – ein Fels, 2017/2018, Bronze schwarz patiniert, 165 x 105 x 105 cm

Es ist ihr besonderes Werk zu ihrem 80. Geburtstag: die „Große Frau – ein Fels“. Wer ist diese große, diese starke, diese eine verinnerlichte Souveränität austrahlende Skulptur einer in ruhiger Würde sitzenden Frau? Wer sind all die „Heldinnen“, die „Unbesiegten“, die „Sinnenden“? Nie sind es Porträts bestimmter Personen, nie Selbstbildnisse – und doch versinnbildlichen sie in einer überzeitlichen und überhöhten, bei aller Figuration „abstrakten“ bildhauerischen Sprache Wanda Pratschkes Innerstes, ihr „Ich“ und „Selbst“.

Große Frau – ein Fels (Detail)

Wanda Pratschkes künstlerisches Sujet ist der unbekleidete weibliche Körper. Sie verleiht ihm in ihrem Œuvre eine auf den Betrachter höchst sinnlich einwirkende Präsenz. Aus der Figuration kommend – für die ihre im Kunstverein Familie Montez zu sehende „Anja“ aus dem Jahr 1976 steht – erfährt dieser weibliche Körper im Zuge eines über vier Jahrzehnte überspannenden Prozesses der Auseinandersetzung mit der eigenen empfundenen Körperlichkeit wie auch mit dem bildhauerischen Material und Handwerk eine Hinwendung zu einer sich behutsam entwickelnden Abstraktion.

Schöne, 2001, Bronze, 120 x 70 x 100 cm

Gleich ob ihre in Gips geformten wie in Bronze gegossenen Protagonistinnen fast blockhaft mit geschlossenen Armen und Beinen oder mit auf die Hand gebeugtem Kopf sitzen, hocken oder knien, ob sie in ihrem unaufdringlichen wie zugleich präsent-selbstbewussten Gestus auf einen Arm gestützt liegen oder mit an den Hüften angelegten oder vor der Brust gekreuzten Armen in einer stillen statuarischen, ja archaisch anmutenden Würde stehen – ihnen allen eignet eine Kraft versammelnde und Kraft vermittelnde innere Ruhe, die sich auf den Betrachter überträgt. Bei aller Geschlossenheit der versammelten Form erfasst die den Bronzen innewohnende Energie auf eigentümliche Weise den umgebenden Raum, strahlt in ihn, einer geheimnisvollen Aura gleich, hinein.

↑ Heldin, 2016, Gips, rote Dispersionsfarbe, 105 x 20 x 18 cm (li.); Alma, 2018, Bronze, schwarz patiniert, 120 x 25 x 17 cm (re.)
↓ Sinnende, 2018, Bronze, schwarz patiniert, 50 x 28 x 33 cm (li.); Anja, 1976 , Gips für Bronze, 153 x 32 x 20 cm

Es ist der eigene, weibliche Blick Wanda Pratschkes auf den weiblichen Körper, auf dessen bei aller gesteigerten Expressivität in wechselwirkenden Proportionen korrespondierenden, oft durchaus fülligen Volumina, der ihren Werken das individuelle Gepräge gibt. Diese Arbeiten spiegeln eine fast meditative Innenschau der Künstlerin wieder, weit entfernt von einem – gar maskulin voyeuristisch dominierten – Blick von außen. Dass dieser Blick eine spezifische Haptik der Skulpturen generiert und sich dabei zeitgeistigen sogenannten Schönheitsidealen verweigert, versteht sich fast von selbst.

Unbesiegte, 2010, Bronze, schwarz patiniert, 35 x 65 x 25 cm

Wanda Pratschke hat sie alle studiert – August Rodin und Aristide Maillol, Henry Moore und Ernst Barlach, Georg Kolbe, Hans Mettel und Willi Schmidt. Und hat sich von ihnen auf ihre individuelle Weise gelöst, ja emanzipiert. Erscheinen bei ihren früheren Skulpturen die Oberflächen, will sagen die nackte Haut, noch geglättet, so wurden sie in den letzten Jahren rissiger, schuppiger, borkiger. In ihrer jüngsten, monumentalen „Großen Frau“ geraten Körper und ihn umschließende Haut in der Tat gleichsam zu einem Fels, der die innere Haltung der Skulptur widerspiegelt.

In diese Flächen ist der sich ständig weiter entwickelnde Schaffensprozess gleichsam eingeschrieben und zum sichtbaren Merkmal, ja Wesen der Plastiken selbst geworden. Dieser Arbeitsprozess beginnt in den letzten Jahren – nach entwerfenden Skizzen und Zeichnungen auf Papier – vorwiegend mit einer Modellierung der werdenden Skulptur in Gips, der bei den größeren Arbeiten auf ein tragendes Gerüst aufgebracht wird. In einem ständigen Prozess des Billigens und wieder Verwerfens, des Anreicherns und wieder Abtragens des trocknenden Gipses mit der Axt gewinnt die Arbeit mehr und mehr an Gestalt – im Falle der „Großen Frau – ein Fels“ in einem, wie die Künstlerin ausführt, fünfmonatigen Ringen. Wanda Pratschke spricht insofern von ihrem großen Vorbild in Gestalt des Werkes des Schweizer Bildhauers Hans Josephsohn. Der physische, körperliche Kraft fordernde Arbeitsprozess der Bildhauerin („ein Bild hauen“) überträgt sich auf das werdende Opus und gibt ihm seinen ihm eigentümlichen, unverwechselbaren Chrakter.

Gleiches gilt für Fragmente von Körpern wie dem unverkennbar weiblichen, auf dem Vorderfuß ruhenden, bis über das Knie reichenden Bein, einem Objekt der Künstlerin aus jüngerer Zeit in Gips wie in Bronze.

↑ Ausstellungsansicht, Kunstverein Familie Montez
↓ Große Frau – ein Fels, 2017/2018, Bronze schwarz patiniert, H 165, B 105, T 105 cm

Seit nunmehr 40 Jahren arbeitet Wanda Pratschke in ihrem hellen, sonnendurchfluteten Atelier in der Frankfurter Ostparkstraße. Es sei der Mensch und dessen Ausstrahlung, sagt sie, der sie interessiere, das eingefangene Leben, die Sinnlichkeit, die Grazie. Und die Grande Dame der figurativen Skulptur bekennt zu ihrem 80. Geburtstag: „Dies ist sicher nicht meine letzte große Arbeit!“ Davon möchten auch wir, verehrte, liebe Wanda Pratschke, herzlich gern ausgehen!

Zu den Jubiläumsausstellungen in der Galerie Hanna Bekker vom Rath und im Kunstverein Familie Montez erschien ein bibliophiler Katalog „Wanda Pratschke – Form Sinn Sinnlichkeit“, der jedem Freund skulpturaler Kunst anempfohlen sei. Für eine zusammenfassende Vita der Künstlerin kann hier auf den vorangegangenen Beitrag „Hommage an Wanda Pratschke“ verwiesen werden.

Geburtstagsfeier und Vernissage: Wanda Pratschke mit Tochter Professor Anja Pratschke (Institut für Architektur und Urbanismus der Universität São Paulo) bei der Eröffnung der Ausstellung im Kunstverein Familie Montez

Zeitgleich im Kunstverein Familie Montez läuft der Film „SEIL“ von Katja Pratschke und Gusztáv Hámos. Katja Pratschke, geboren 1967, die andere Tochter von Wanda Pratschke, studierte Germanistik, Romanistik, Regie und Medienkunst. Die freischaffende Fotografin und Filmemacherin, Drehbuchautorin, Regisseurin, Publizistin und Kuratorin war Artist-in-Residence in Venedig und Istanbul, Stipendiatin der Hessischen Kulturstiftung und gewann 2002 den Deutschen Kurzfilmpreis in Gold.

„Wanda Pratschke“, Galerie Hanna Bekker vom Rath, bis 23. März 2019 und „Wanda Pratschke – Form Sinn Sinnlichkeit“ im Kunstverein Familie Montez, bis 24. März 2019

Fotos: Erhard Metz; © VG Bild-Kunst, Bonn

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