„Nathalie Djurberg & Hans Berg. A Journey through mud and confusion with small glimpses of air“ in der Schirn
Karneval der Tiere
Von Petra Kammann
Carnevale – Der Sehnsucht nach dem Anderssein, der Erholung vom ,ewigen‘ Ich und der Vertreibung der bösen Geister folgt auch die Kunst… Die Schirn zeigt das Werk des Künstler-Duos Nathalie Djurberg & Hans Berg in großem Umfang.
Nathalie Djurberg & Hans Berg. A Journey through mud and confusion with small glimpses of air, Ausstellungsansicht, © Schirn Kunsthalle Frankfurt 2019, Foto: Norbert Miguletz
Gleich ob Karneval, Fasching, Fassenacht, Fasnet oder Fastnacht – egal wie das über die Stränge schlagende Kostümfest heißt: Die närrische Zeit wird nicht nur bei uns, sondern in vielen Teilen der Welt gefeiert. Warum nur? Weil sie einem Urbedürfnis entspricht. Menschen macht es Spaß, sich hinter einer Maske zu verstecken und sich zu verkleiden, gern auch in Tierfiguren. Die Kunst bringt die Motive an den Tag und macht sie greifbar…
Menschen verstecken sich hinter Masken. Es entlastet sie, denn plötzlich wird es unwichtig, was man verdient, wo und wie man wohnt, ob man studiert hat oder nicht. Man ist, was man nach außen zur Schau trägt und kann für eine gewisse Zeit endlich mal jemand anderes sein.
Wer sich verkleidet, macht Urlaub von seiner sozialen Rolle, spürt seine unterdrückte Kraft und Aggression, erlebt sich als machtvoll statt wie so oft als ohnmächtig, nur, weil man den Ansprüchen seiner Umgebung nicht genügt.
Zwar kommen wir mit einem schier unendlichen Vorrat an Möglichkeiten auf die Welt, könnten nahezu alles sein und werden – sind dann aber mehr oder weniger dazu verdammt, doch eine Identität zu leben, die nur durch die alles verwandelnde Kraft der kreativen Transformation aufgehoben wird.
Karneval ist die Aufforderung zum kontrollierten Ausbruch aus der Vernunft. Er vertreibt nicht nur den Winter, sondern auch die eigene begrenzte Identität in einer Art Kunst des So-tun-als-ob-Spiels. Darin besteht seine Verwandtschaft zur Kunst.
Karneval geht ebenfalls auf das Saturnalienfest der alten Römer zurück. Mit den Saturnalien wurden Standesunterschiede aufgehoben, Toga und Tunika vertauscht, die Sklaven wurden plötzlich bedient und durften auch Witze erzählen und Kritik äußern, wofür sie an anderen Tagen hart bestraft worden wären. Auch schon im Altertum ging es wohl darum, die bösen Geister zu vertreiben …
Mit diesem Bewusstsein im Hinterkopf bietet sich in diesen närrischen Tagen daher ganz besonders der Besuch eines Museums im historischen Zentrum Frankfurts an. Da mag auch Saturn im Spiel sein… Wer sich in einer phantasievollen Umgebung den eigenen Bedürfnissen und Urängsten stellen will, dem sei vor allem ein Gang durch die Schirn empfohlen, wo er gleich zweierlei vernunftsprengende Erlebnisse haben kann, bei dem italienischen Bildhauer Bruno Gironcoli, über den wir jedoch an anderer Stelle berichten werden, und in der Ausstellung von „Nathalie Djurberg & Hans Berg. A Journey through mud and confusion with small glimpses of air“.
Nathalie Djurberg & Hans Berg. A Journey through mud and confusion with small glimpses of air, Ausstellungsansicht mit „The Potatoe“, © Schirn Kunsthalle Frankfurt 2019, Foto: Norbert Miguletz
Da übernehmen die phantasievollen Gestalten die Macht, weil sie einen Sog auf den Betrachter ausüben, dem er sich nicht entziehen kann. Ihre Schöpfer, die bildende Künstlerin Nathalie Djurberg und der Komponist Hans Berg, die Hand in Hand arbeiten, nehmen die Besucher der Ausstellung mit auf eine sinnliche Erfahrungsreise in den Wald, in eine Höhle, eine Kammer, eine Küche, eine Kartoffel oder auf eine Bühne, wo sie, getrieben von einem unbewussten, inneren Verlangen, schmerzliche oder groteske Situationen erleben, traum- und alptraumhaft. Durch das Zusammenspiel von Skulptur, gezeichneten und bewegten Bildern plus dem eindringlichen Sound von Hans Berg dringen die real-irrealen Gestalten bis an die Grenzen des menschlich Erträglichen und rütteln an die Grundfesten des menschlichen Inneren, an die Quelle absurder Träume und verdrängter Erinnerungen.
Nathalie Djurberg & Hans Berg. A Journey through mud and confusion with small glimpses of air, Ausstellungsansicht mit „The Parade“, © Schirn Kunsthalle Frankfurt 2019, Foto: Norbert Miguletz
Pelikanen, Flamingos, Truthähnen, einem Adler, einem Dodo, einer Schneeeule undundund… begegnen wir in der Installation „The Parade“ aus dem Jahre 2013. Die farbenprächtigen und phantastischen Vogelskulpturen in allen Variationen und Körperformen, die sich in ihrer Haltung würdevoll, ja, fast menschlich präsentieren, wirken, bei näherer Betrachtung eher unvollkommen, denn sie sind aus ganz schlichten Materialien wie bemalter, teils glänzend lackierter Leinwand, Draht und Ton hergestellt. Manche Vögel spreizen stolz ihre Flügel, andere wieder flattern, öffnen ihre Schnäbel, kreischen und wirken wiederum beängstigend.
In einem der dazu parallel laufenden Filme, I Wasn’t Made to Play the Son, wird das beunruhigende Geschehen bildlich so kommentiert: Da sieht man dandyhafte Männer mit Vogelmasken, die offensichtlich von primitiven Begierden und sadistischen Gelüsten angetrieben sind, um einen Frauenkörper herumschleichen, Teile aus dem Körper schneiden und ihm Zähne entreißen. Eine so unfassbare wie unwirkliche Szene, die trotzdem ganz real wirkt und uns die Aggression menschlichen Verhaltens vor Augen führt, die wir oft fälschlicherweise als „tierisch“ bezeichnen. Die gewalttätige Szene spiegelt jedoch die Verletzungen und abgründigen Machtverhältnisse unserer Gegenwart wider.
Blick auf die phantastische Installation „The Parade“ (2011) in der Schirn mit den bunt bemalten Skulpturen unterschiedlicher Vögel aus Draht, Ton und Leinwand sowie den fünf Videoarbeiten, Foto: Petra Kammann
Szenen von Gewalt, Bestialität, Sadismus und Unterdrückung, in denen Opfer zu Henkern werden, Metamorphosen und das Verhältnis zur Natur sind auch zentrale Themen in vielen der Filme, die man sich eigens in einem Filmraum anschauen kann. Wie in den weiteren Werken von Djurberg & Berg wird die Tierwelt auch hier anthropomorphisiert und dient als Mittel zur Inszenierung menschlicher Bestialität. Vielleicht muss man auch die Ausstellung mehrfach anschauen, um die vielen verschiedenen Aspekte, Objekte und Installationen zu begreifen. Kinder und sensible Jugendliche sollte man allerdings kaum unkommentiert in die Ausstellung schicken.
Und auch der erwachsene Betrachter sollte gut gestärkt seinen Gang durch die archetypischen Szenen der Horror- und Märchenwelt antreten, bei der man von einer Projektionsfläche zur nächsten wandert, die an Verdrängtes rührt. Denn beim Eintreten in die begehbaren Skulpturen wird er wechselweise zum Voyeur, Opfer und Täter. Wenn er die Szenen an sich ranlässt, dann kann er aber vielleicht auch so etwas wie eine Katharsis erleben, nachdenklich, aber auch emotional geläutert die Schau wieder verlassen und den Alltag mit neuen Augen anschauen…
INFOS
Die Ausstellung des Moderna Museet, Stockholm in Kooperation mit dem MART, Rovereto und der Schirn Kunsthalle Frankfurt geht bis zum 26. Mai 2019.
ARTIST TALK MIT NATHALIE DJURBERG UND HANS BERG
Am 14. Mai 2019 findet ein Artist Talk mit Nathalie Djurberg und Hans Berg statt, in dem die Künstler im Gespräch mit der Kuratorin Katharina Dohm über die Ausstellung und ihre künstlerische Arbeit sprechen.
Eintritt mit gültigem Ausstellungsticket, um Anmeldung wird gebeten unter: 069 29 98 82-112, fuehrungen@schirn.de
DER KATALOG Nathalie Djurberg & Hans Berg. A Journey Through Mud and Confusion with Small Glimpses of Air. wurde herausgegeben von Lena Essling, Redaktion Katharina Dohm (deutsche Ausgabe), Lena Essling und Teresa Hahr (englische Ausgabe). Mit Texten von Lena Essling, Patricia MacCormack, David Toop und Massimiliano Gioni sowie einem Vorwort der Direktoren des Moderna Museet, MART und der SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT. Deutsche und englische Ausgaben je 280 Seiten, 600 Abb., 21,7 28 cm (Hochformat), Softcover, Hatje Cantz Verlag, ISBN: 978-3-7757-4434-8 (Englisch), 978-3-7757-4435-1 (Deutsch), 35 € (SCHIRN), 45 € (Buchhandel).