home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Es ist immer eine Sekunde zu früh“ – Zum 30. Todestag des Schweizer Autors Hermann Burger (1942-1989)

Kühn, verführerisch und vertrackt

Von Petra Kammann

Hermann Burger, der Schriftsteller aus dem Kanton Aargau, begeisterte nicht nur Marcel Reich-Ranicki, der ihm 1985 den Ingeborg-Bachmann-Preis für „Die Wasserfallfinsternis von Badgastein“ überreichte… Max Frisch sprach von ihm als einem „Blitzkerl“. Und mit Thomas Bernhard verstand Burger sich fast schweigend.

↑ ↓ Erinnerung an die verschiedenen Facetten des Schriftstellers auf den Isolde Ohlbaum-Fotos, die im Literaturforum im Mousonturm ausgestellt sind, Fotos: Petra Kammann

Am 28. Februar 1989, vor genau 30 Jahren, starb der Schweizer Schriftsteller Hermann Burger im Alter von 47 Jahren an einer Überdosis Schlaftabletten. Um an den interessanten Sprachmagier zu erinnern, hatte Hanne Kulessa Anfang Februar den Schweizer Literaturwissenschaftler und Herausgeber der Gesamtausgabe Hermann Burgers, Simon Zumsteg, zu einem Gespräch über Leben und Werk ins Literaturforum im Mousonturm gebeten. Mit ausgewählten Texten, die der Schauspieler Thomas Hupfer brillant vortrug. Da wurden den Zuhörern die ironisch-grotesken Sprachspiele der Prosatexte des Schweizer Autors, die sowohl mit einem klaren Realitätssinn wie mit einem hintergründigen Humor gepaart sind, auf vergnügliche Weise nahegebracht. Ein besonderer Abend mit einem besonderen Trio.

v.l.n.r.: Simon Zumsteg, Herausgeber der Gesamtausgabe Hermann Burgers, Hanne Kulessa und Thomas Hupfer 

Nachdem die bekannte Moderatorin Hanne Kulessa kurz in das Leben Hermann Burgers, des Menschen, Germanisten, Zauberers, Ferrari-Fahrers, Zigarrenrauchers, Ferrarifahrers und Friedhofsliebhabers, eingeführt hatte, befragte sie den Herausgeber Simon Zumsteg, der das Werk des Sprachkünstlers Burger im Schweizerischen Literaturarchiv in Bern jahrelang intensiv recherchiert und ausgewertet hat, nicht zuletzt, wohl, weil er „die gleiche Schule“ wie Burger besucht hat. Da er ihm nicht mehr persönlich begegnet ist, wollte er ihm auf die Spur kommen. Unterbrochen wurde das Gespräch vom eindrücklichen Lesen entsprechender Textpassagen aus Burgers Werk durch den Sprechprofi Thomas Hupfer. Kulessa stellte den Literaturwissenschaftler Zumsteg die umfassende Frage, ob sich das Schreiben Burgers denn auf einen Nenner bringen lasse, und wenn ja, wie.

Zumstegs Antwort war klar und bestimmt. Es seien die „Drei hohen Cs“ gewesen, die Burgers Werk charakterisierten: „das Cimiterische, das Cigarristische und das Circensische“, was Burger in „Brunsleben“ in der unvollendeten „Brenner“-Tetralogie selbst so beschrieben hat. Mit anderen Worten: Es seien Burgers Blick auf den Friedhof, seine Depressionen und Suizidneigungen gewesen, die sich auch in seinem Werk niederschlugen, dann die Zigarren, mit denen er sich vielfach ablichten ließ und die sich in der unvollendeten Tetralogie über eine Zigarren-Dynastie wiederfanden, und schließlich der Zirkus, der auch ganz wörtlich zu verstehen sei, denn Burger sei für seine Erzählung „Diabelli“ eigens bei namhaften Zauberern in die Lehre gegangen. Als Hermann Burger 1988, ein Jahr vor seinem Tod, seinen „Tractatus Logico-Suicidales. Über die Selbsttötung“ veröffentlichte, wurde ausgerechnet diese Schrift jedoch vom Publikum nicht so wahrgenommen wie seine vorhergehenden Romane und Erzählungen.

Der Schauspieler Thomas Hupfer las eindringlich Passagen aus verschiedenen Werken

Thomas Hupfer las Passagen aus dem 1976 erschienenen Roman „Schilten. Schulbericht zuhanden der Inspektorenkonferenz“, einem Roman, in dem schon der Tod präsent ist. In dem abgelegenen Aargauer Tal steigert sich der vereinsamte Schüler von Schilten in seinen „Schulbericht zuhanden der Inspektorenkonferenz“ hinein. Da wendet sich der Lehrer an seinen Inspektor, um gegen das „Dauerprovisorium, in das er versetzt wurde“, zu protestieren. Und er teilt den desinteressierten Vorgesetzten mit, wie der Schulbetrieb vom benachbarten Friedhof usurpiert wurde.

Hupfer las u.a. eine Szene in der Turnhalle der Schule, wo man von der Kletterwand aus einen unmittelbaren Blick auf den Friedhof ,genießt‘. Als Zuhörer hatte man die klamme und bedrückende Schulatmosphäre unmittelbar vor Augen. Nicht von ungefähr stammt das Motto des Romans von Franz Kafka, einem der Lieblingsautoren des egomanischen Burgers: „Du bist die Aufgabe. Kein Schüler weit und breit.“

Äußerst amüsant schildert er auch den Besuch beim altmodischen Doktor Krähenbühl, der im Kontrast zu seiner museumsreifen Praxis-Einrichtung bei den Patienten „eher Folterängste als Heilungs-Zuversicht aufkommen lässt“. Schmerzlindernd sei einzig die „sprichwörtliche Schönheit seiner Arzt-Gehilfinnen, Botticelli-Engel, welche barfüßig und sanft durch die Räume schweben“…

Burger wurde in Deutschland vor allem mit seinem Roman „Die künstliche Mutter“ wahrgenommen, der ihn 1982 bekannt machte. Wolfram Schöllkopf erleidet in der „Alma Mater“ oder „Schreckensmutter“ der ETH Zürich einen tragikomischen psychosomatischen Zusammenbruch. Da stürzt sich Flavia Soguel, die „Blondfrau“, eine idealisierte und stilisierte Gefährtin, vom Balkon, da ihr Verehrer Wolfram Schöllkopf seine Mutter besucht, anstatt zu ihr zu eilen. Dieses traumatische Erlebnis führt zu einer „Unterleibsmigräne“. Heilung erhofft sich der Privatdozent für Germanistik und Glaziologie im Gotthardmassiv alias der „Künstlichen Mutter“ durch eine erotische Tiefentherapie, die von den Gotthardschwestern durchgeführt wird. Auf subtile Weise verknüpft der belesene Burger mit psychoanalytischer Akzentuierung das Thema Mutter immer wieder mit der „Alma Mater“.

Hanne Kulessa im Gespräch mit Simon Zumsteg

Dass Burger sehr gebildet war, spiegelte sich in all seinen Texten wider, und es entspricht auch seinem Werdegang. Nach der Matura in Aarau hatte er – ähnlich wie sein Vorbild Max Frisch –  zunächst Architektur, dann aber Germanistik und Kunstgeschichte an der Universität Zürich studiert. Nach seiner Promotion im Jahr 1973 bei dem bekannten Literaturwissenschaftler Emil Staiger mit einer Dissertation Auf der Suche nach der verlorenen Sprache über Paul Celan und seiner Habilitation mit einer Studie zur Schweizer Gegenwartsliteratur ging er ab 1975 als Privatdozent für deutsche Literatur zunächst an die ETH Zürich, gleichzeitig war als Feuilletonredaktor beim Aargauer Tagblatt tätig.

1987 wurde er schließlich Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Burgers Beschäftigung mit Literatur und Sprache führte in seinen Werken zu lauter literarischen Bezügen und Anspielungen sei es zu Thomas Mann, Franz Kafka, aber auch –laut Zumsteg –, zu der fast manisch-systematischen Ordnung seines eigenen Werkes für die Nachwelt, was für den Herausgeber der Gesamtausgabe natürlich eine große Hilfe gewesen sei.

Aber trotz vielfacher melancholischer Bezüge des Selbstmordkandidaten Burger, die sein Werk aufweist, wurde an dem vergnüglichen Abend ohne jegliches Pathos besonders deutlich, mit welcher Hingabe der manisch-depressive Autor an der Sprache gearbeitet haben muss. Ein Verdienst von Thomas Hupfer, der u.a. auch die köstliche Schilderung aus dem „Lokalbericht“ las, die einem der regelmäßigen Besuche Burgers beim schrulligen Buchhändler Laubschad galt, dessen Büchertempel er sich „auf Zehenspitzen“ nähert und der ihm eigentlich gar kein Buch verkaufen will…

Ein weiterer Höhepunkt des Abends war die Schilderung in „Ein Mann aus Wörtern“ von 1983. Darin geht es um den unangekündigten Besuchs beim Schriftstellerkollegen Thomas Bernhard auf seinem Vierkanthof in Ohlsdorf kurz vor beider Schriftsteller Tod: Geteiltes Anschweigen und über eine Dreiviertelstunde lang eine kongeniale Begegnung  intensivsten Austausches, in der so gut wie nichts, aber alles gesagt ist.

v.l.n.r.: Thomas Hupfer, Hanne Kulessa, Simon Zumsteg, Konsul Hans-Peter Willi, Schweizerisches Generalkonsulat

Im Literaturforum gingen die Gespräche an dem Abend allerdings noch munter weiter. Denn das Schweizer Generalkonsulat hatte noch zum anschließenden Umtrunk gebeten. Die Lust, Hermann Burger wieder- und weiterzulesen, war bei den Anwesenden jedenfalls sehr ausgeprägt.

In hr2 wird anlässlich des Todestags von Hermann Burger, am 28. Februar 2019, eine Doppelkopfsendung mit Hanne Kulessa und dem Schweizer Herausgeber Zumsteg  wiederholt.

Hermann Burger: Werke in acht Bänden, Nagel und Kimche Verlag, Zürich 2014, Herausgegeben von Simon Zumsteg. Mit Nachworten von Dieter Bachmann, Harald Hartung, Ulrich Horstmann, Remo H. Largo, Ruth Schweikert, Kaspar Villiger, Beatrice von Matt, Karl Wagner. Hermann Burgers Sprachkunst hatte ein klares Ziel: dass der Boden unter dem Leser zu schwanken beginnt.

Comments are closed.