Ausgesperrt im Kabel, benebelt von einer Framing-Expertin: Deutschlandradio und die ARD produzieren ohne Not Ärgernisse
Die Deutschlandfunk-Programme werden seit einem Monat nicht mehr überall per Kabel verbreitet – Hessen ist von der Leerstelle betroffen. Und die ARD erntet gerade vehemente Kritik wegen eines internen Papiers zur Sprachregelung. Zwei Sachverhalte, die einen einordnenden und kommentierenden Medien-Zwischenruf verlangen.
Von Uwe Kammann
Widmen wir uns zunächst dem großen aktuellen Aufreger: dem „Framing Manual“ der ARD. Eine Handreichung, die uns allen einbläuen soll, wie wertvoll und mit uns allen verbunden der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist – und wie ungerechtfertigt jegliche Kritik an seinem Modell, seiner Struktur und seinen Programmen.
Präsenzwerbung der ARD auf der Frankfurter Buchmesse
Das Ganze ist ja nicht neu. „Wir sind deins“. Mit diesem Motto (Werbedeutsch heute: Claim) warb die ARD auch auf der Frankfurter Buchmesse als wichtige Einrichtung der Kultur. Was auch heißen soll: Dieser Rundfunk ist Teil von uns, ist für alle und damit für jeden einzelnen gemacht. Vor vielen Jahren hatte der frühere Intendant des Westdeutschen Rundfunks, Friedrich-Wilhelm von Sell, mit einer einfachen Formel für ein gemeinwohlverpflichtetes öffentlich-rechtliches Rundfunksystem geworben: Es gehe um „Jedermann-Rundfunk“.
Der jetzige Vorsitzende der ARD, BR-Intendant Ulrich Wilhelm, hat vor einigen Tagen in der FAZ ein Grundsatz-Interview gegeben. Mit einer zentralen Forderung: für den Prozess der demokratischen Meinungsbildung, der gesellschaftlichen Verständigung überhaupt einen gut funktionierenden öffentlichen Raum zu bilden. Und ihn als wichtigen Kommunikations- und Medienraum so auszugestalten und zu pflegen, dass er allgemeine Teilhabe und für alle Bürger einen freien Austausch von Informationen, Ideen und Meinungen ermöglicht. Um dies bestmöglich zu gestalten, sei eine „besondere Gedankenarbeit“ zu leisten.
Ein richtiger und guter Vorsatz. Jetzt aber ist ein Papier ans Licht gekommen, das auch die allerbesten Absichten, den Wert und die Vorteile des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ins hellste Licht zu rücken, ins reine Gegenteil verkehrt. Ein Papier, das leider nur im schlimmsten Sinne eine „besondere Gedankenarbeit“ beweist, indem es alle negativen Vorurteile gegen das „System“ bestätigt. Weil es nahelegt, dass reine Sprachkosmetik – in scheinbar schicker neudeutscher Begrifflichkeit „framing“ genannt –, das richtige Instrument ist, um die Leistungen der ARD mit geradezu religiöser Inbrunst zu preisen. Vorausgesetzt, diese mit Gemeinwohl-Moral aufgeladenen Sprachregelungen werden intensiv angewandt und so oft wiederholt, bis sie sich ins Unterbewusstsein der Öffentlichkeit eingefräst haben.
Jetzt, da zunächst besonders entlarvende Passagen und inzwischen auch alle knapp 90 Seiten dieses „Framing Manuals“ an die Öffentlichkeit gelangt sind (https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2019/02/framing_gutachten_ard.pdf), wird genau Gegensätzliches passieren. Denn das Echo in der Presse – mitsamt den Kommentaren in den Leserforen – ist verheerend. Manipulation, Propaganda, Indoktrination, Gehirnwäsche, totalitäres Denken, Irrsinn mit System, so lauten die An- und Vorwürfe. Das Papier erinnere eher an sprachregelnde Vorgaben in Diktaturen als an einen öffentlichen Rundfunk in einem freiheitlich-demokratischen Land.
Dieses in jeglicher Hinsicht verheerende Echo ist zweifellos für die Auftraggeber des Papiers fatal. Dabei war es vor zwei Jahren von der ARD-Geschäftsführung mit dem Ziel eingekauft worden, handfeste Vorschläge zu bekommen, wie man sich gegen die an vielen Stellen laute Kritik an diesem Rundfunksystem besser wappnen und den eigenen Wert in der Außenkommunikation konturieren könne. Es sollten für die Stärken des Systems – das im Ganzen tatsächlich zum Besten weltweit gehört – Formulierungen gefunden werden, welche das allgemeine Meinungsbild ins Positive zu wenden vermöchten.
Hörbuchcover des Orwell-Klassikers
Die Einkaufs-Adresse des gewünschten Sachverstands: eine Sprachwissenschaftlerin namens Elisabeth Wehling. Deren Spezialitäten und Talente allerdings eher auf einem spezifisch anderen Feld ausgeprägt sind: dem der Selbstvermarktung. Seit geraumer Zeit beackert sie mit erstaunlicher Präsenz aufnahmefreudige Medien mit ihrem Mustermodell des „framing“ – was nichts anderes bedeutet, als mit bewusster Wortwahl bei den Empfängern Wahrnehmungs- und Deutungsmuster zu erzeugen.
Alles eigentlich ein alter Hut, von der Antike mit ihren Rhetorik-Regeln bis zu George Orwells Manipulations-Beschwörung mit „Neusprech“-Anweisungen aus einem diktatorischen Wahrheits-Ministerium. „Framing“ klingt natürlich so wunderbar modern (jaja, kognitive Linguistik als Werkzeugkasten!). Aber das eigentliche Betriebsmuster ist klar, aufscheinend in einem der frühen Buchtitel Wehlings (zusammen mit George Lakoff): „Auf leisen Sohlen ins Gehirn: Politische Sprache und ihre heimliche Macht.“
Hätten da bei der ARD nicht alle Alarmglocken klingeln müssen? Hätten Grundthesen wie ‚Es kommt nicht darauf an was man sagt und wie die Fakten sind, sondern wie man es sagt’ nicht als absolute Warnung verstanden werden müssen, wo doch die Diskussion um sogenannte Fake News als kommunikatives Gefahrengut rauf und runter geführt wird? Nein, die ARD bestellte trotz der in Wehlings Schriften offen sichtbaren Fallstricke eine Kommunikationsberatung. Prompt bekam sie einen Propaganda-Wortschatz der schlimmsten Art, verbunden mit pauschaler und moralisch aufgeladener Herabsetzung der privaten Rundfunk-Konkurrenz. Von einer kritischen Distanzierung ist nichts bekannt.
Jetzt, nachdem dieses Traktat – das mit seinen vielen Banalitäten zu Kommunikationsmechanismen weniger an Wissenschaft als an Erstsemester-Erkenntnisse und Klippschul-Didaktik erinnert – publik und sogleich heftig kritisiert wurde, wird es natürlich heruntergespielt. In offizieller Einordnung durch das ARD-Generalsekretariat (mitverantwortlich für die strategische Ausrichtung und Kommunikaiton des Senderverbundes), die das Papier jetzt als bloße Workshop-Diskussionsgrundlage, als Denkanstoß, als interne theoretischer Versuchsballon hinstellt.
Fernsehübertragung einer Diskussion auf der Buchmesse
Die Chefin des Generalsekretariats, Susanne Pfab, sieht im Einholen einer „wissenschaftlichen Expertise oder Beratung für die professionelle Kommunikation“ einen bei vielen Unternehmen und Institutionen ganz normalen Vorgang. Keine Frage, es kommt aber wohl doch darauf an, wie man mit der Außenexpertise umgeht. In einer „Klarstellung“ in eigener Sache stellt die offensichtlich durch die vielen negativen Reaktionen aufgeschreckte Expertisen-Urheberin Wehling selbst fest, Ziel sei es gewesen, der „ARD darin eine gedankliche Grundlage zu schaffen für eine Kommunikation, die auf Basis der unbestrittenen Fakten den tatsächlichen Wert des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die Demokratie schon auf den ersten Blick besser erkennbar macht“.
Das ist offensichtlich gründlich schiefgegangen. Bemerkenswert natürlich, dass sich angesichts der proklamierten hehren Zielsetzung die ARD-Generalsekretärin inzwischen von den schlimmsten Wehling-Negativ-Begriffsdrechselungen (besser: diskreditierenden Beschimpfungen der Medienkonkurrenten) in den ausformulierten Einzelergebnissen dieser „gedanklichen Grundlage“ distanziert.
Da drängt sich natürlich die Frage auf: War diese Fehlleistung denn für die Generalsekretärin (und alle anderen Beteiligten) vorher nicht zu erkennen? Hat erst die Kritik von Außen die Augen geöffnet und eine Sensibilisierung ausgelöst? Ist das Papier, wenn es denn schon eine hilfreiche Außeneinsicht bieten sollte, nie vor seiner weiteren internen Verwendung redigiert worden? Fanden die damit befassten ARD-Mitarbeiter (auf welchen Ebenen?) und Gremien den üblen Kampfwortschatz und die Schönsprech-Girlanden der Mode-Expertin sogar hilfreich?
Framing-Argumente als Schaufensterdeko
Es stellen sich natürlich weitere Fragen: Warum wurde nicht (oder war es anders?) der interne Sachverstand der ARD-Mitarbeiter (von den vielen Pressestellen über die Marketing-Abteilungen bis zu den Kultur-Redaktionen) benutzt, um über eine einprägsame Außendarstellung der Leistungen dieses Rundfunksystems nachzudenken und Vorschläge zu machen? War das moralisch-strategisch (mit Verweisen auf den Sprachgebrauch in der Flüchtlingskrise) geschickt ins Spiel gebrachte Geschäftsmodell von Frau Wehling so attraktiv (scheinbar überaus modern, fortschrittlich, zeitgemäß, schick), dass man sich damit schmücken wollte? Warum wurde es so abgenommen und benutzt – hat denn niemand bemerkt, welche Sprengkraft in Vorschlägen liegt, die tatsächlich simpelste Schwarz-Weiß-Schemata und Freund-Feind-Denken nutzen, um damit bei expliziten Moral-Appellen propagandistisch zu wirken? Denn tatsächlich, nichts anderes hatte und hat Elisabeth Wehling theoretisch und praktisch im Sinn.
Ganz klar, damit hat sie der ARD einen Bärendienst erwiesen. Ein Bärendienst, an dem alle beteiligt sind, welche diesen so lange verborgenen Kommunikationsleitfaden mit seinen verqueren Sprach- und Deutungsrastern für eine erhoffte weitreichende Meinungssteuerung in dieser Form in den internen Arbeitsumlauf gebracht haben. Denn der Vorgang verfestigt und bestätigt alle kursierenden Vorurteile gegenüber den öffentlich-rechtlichen Medien. Vor allem jene, die von Bunkermentalität handeln, vom Sich-Einigeln, vom Nicht-zur-Kenntnis-Nehmen jener Teile der Öffentlichkeit, die vor allem in Sachen Organisationsstruktur sowie Programmausrichtung und –gestaltung von ARD und ZDF eine skeptische, reservierte, kritische oder klar ablehnende Haltung einnehmen und auch formulieren.
Wobei doch nicht zu übersehen ist: Auf Seiten der Kritiker befinden sich auch etliche, welche durchaus die Stärken des Systems nicht willkürlich ausblenden, sondern anerkennen. Die aber gleichwohl und ganz klar eine Reihe von Schwächen benennen, die unübersehbar sind und nach grundlegender Reform rufen. Die öffentlich-rechtlichen Sender wissen genau, dass sie an einer zunehmenden Legitimitätskrise leiden. Allein, wieweit sie darauf ernsthaft mit einer dringend notwendigen grundlegenden Reform antworten wollen, bleibt im Ganzen nebulös. So dass sich bei Kritikern der Eindruck verfestigt: Der Apparat ist sich selbst genug. Und verschanzt sich.
Ein Stichwort dabei: mangelnde Transparenz. Und hier kommen wir zum anderen Sachverhalt, der diesen Zwischenruf ausgelöst hat. Der Ausgangspunkt: Seit gut einem Monat sind in Hessen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen die drei Programme von Deutschlandradio nicht mehr über das Kabelnetz von Unitymedia zu empfangen. Ein großer Verlust für alle, welche genau auf das Kabel setzen, weil es über die heimische Hifi-Anlage die bestmögliche Qualität liefert. Das ist auch nicht mit dem Hinweis auf die übrigen Abspielwege UKW, DAB+, Satellit und Internet wettzumachen.
Echter Kabelsalat
Grund fürs Abschalten der Deutschlandradio-Programme ist zweifellos das Geld. Deutschlandradio, so die Stellungnahme des Senders, schließe keine Verträge mit Unternehmen, „deren Bedingungen nach unserer Auffassung vor dem Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit keinen Bestand haben.“ Dieser Grundsatz habe für Deutschlandradio als öffentlich-rechtlicher Rundfunkanbieter eine hohe Priorität. Wo immer es möglich sei, werde der Beitragszahler entlastet. Beim Aus für die Kabelverbreitung der Programme handele es sich um eine „einseitige Ankündigung von Unitymedia“. Diesen Schritt bedaure der Sender und prüfe derzeit das weitere Vorgehen.
Fragt man Unitymedia nach den Gründen für den Stop der Kabelverbreitung, hört sich das ganz anders an. Danach hat Deutschlandradio von sich aus im letzten Juni den Verbreitungsvertrag für seine drei Programme zum Jahresende 2018 gekündigt und dabei im Kündigungsschreiben „explizit erklärt“, dass es „keine Ausstrahlung seiner Programme mehr nachfragen“ werde. Auf das „ausdrückliche Angebot“ von Unitymedia, über eine Fortsetzung der Verbreitung zu verhandeln, sei in keiner Weise eingegangen worden, so Unitymedia-Sprecher Helge Buchheister. Natürlich sei das Unternehmen aber „unverändert gesprächsbereit“, falls Deutschlandradio seinen „erklärten Willen“ der Nicht-Weiterverbreitung zwischenzeitlich geändert habe.
Genau hier ist natürlich nachzufragen, wenn diese Version stimmt: Warum hat Deutschlandradio den Vertrag gekündigt? Und: Worin wird der Grundsatz der gebotenen Wirtschaftlichkeit berührt? Was hat die Verbreitung bislang gekostet? Eine Antwort bleibt Deutschlandradio schuldig. Und bittet um Verständnis für die Nicht-Information – bis auf die Feststellung: „Es gibt Gespräche“. Damit lässt es der Sender eindeutig an Transparenz für seine einschneidende, viele Hörer benachteiligende Entscheidung zur Kündigung fehlen.
Dabei wäre es unbedingt notwendig, die genauen Zahlen zu kennen, um den Vorgang einzuordnen. Was hat die Kabelverbreitung bis zur Kündigung gekostet? Standen für die Zukunft Mondpreise zu erwarten? Warum wurde das Gesprächsangebot von Unitymedia abgelehnt? Wollte man tatsächlich prinzipiell gar keine Übertagung im Kabel mehr? Wieviele Hörer betrifft es? Wie sehen die Verträge mit dem anderen großen Kabelunternehmen – Vodafon – aus, über das die Deutschlandradio-Programme noch zu hören sind?
Kein Wort dazu. Obwohl die Praxis hier Klärung nahelegt. Dass nämlich für die Kabelverbreitung auch von Seiten der Sender, die öffentlich-rechtichen inklusive, Geld zu bezahlen ist, gehört zum Usus. Dass über die Höhe immer wieder gestritten wird, inklusive rechtlicher Auseinandersetzungen, auch. Aber ARD und ZDF haben sich mit den Kabelnetzbetreibern geeinigt. Nicht zuletzt wegen der Einsicht ins Faktische, dass alle Sender für die technische Dienstleistung der Weiterverbreitung im Netz zahlen (natürlich wird oft kritisiert, dass die Netzbetreiber auf doppelte Einnahmen setzen: durch die Sender und durch die Kabelkunden als Endnutzer). Dass die öffentlich-rechtlichen Sender ein gesetzlich verbrieftes Vorrecht bei der Kabeleinspeisung haben (über die sogenannte Must-Carry-Regelung), begründe keine Anspruch auf kostenlose Verbreitung, so die Position von Unitymedia auch gegenüber Deutschlandradio.
Bei all diesen offenen Rahmendaten fragt sich einmal mehr, warum Deutschlandradio sich in Schweigen hüllt und nicht klar sagt, worum (um welche Summen genau) genau es im Kern des Streites geht. Und womit man die von Unitymedia festgestellte Rigidität der Absage an eine weitere Kabelverbreitung begründet. Stattdessen wird einem Teil der Hörer das Programm in besonderer Empfangsqualität einfach weggenommen – und damit gerade jenes Segment aus den mehr als 60 Programmen der öffentlich-rechtlichen Sender, das in der Regel für eine hohe Qualität steht, das allgemein anerkannt, mit Preisen bedacht und als allgemein erstrebenswertes Modell für bestes Radio gelobt wird. Es bleibt das bittere Fazit dieses Falles: Ein für den öffentlichen Medien- und Kommunikationsraum wichtiges Angebot wird einem Teil der Öffentlichkeit willentlich vorenthalten – eine Beschränkung des Kommunikationsraumes.
Zum Grundsätzlichen
So kommen wir noch einmal zum ARD-Vorsitzenden Ulrich Wilhelm zurück und zu seiner Forderung nach der besten Organisation, Bewahrung und Pflege eben dieses öffentlichen Raumes. Das ist natürlich eine wichtige Zielsetzung, die Wilhelm mit richtigen und klugen Worten begründet. Natürlich auch im Sinne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – verkörpert durch die Programme der ARD, des ZDF und des Deutschlandradios –, der im Idealfall als wirtschaftlich unabhängiger und staatsferner Kommunikationsraum der gesellschaftlichen Verständigung dienen soll. Eine Aufgabe, der er seit der Nachkriegszeit verpflichtet ist. Und die er, alles in allem, auch erfüllt hat – die positive Entwicklung der Zivilgesellschaft der Bundesrepublik verdankt ihm viel.
Öffentlicher Raum als Einladung (K20 in Düsseldorf)
Doch natürlich ist keine Einrichtung sakrosankt oder gegen Fehler gefeit, und unumstritten ist nichts und niemand. Auch über die richtige Ausgestaltung und beste Funktion des öffentlichen Rundfunks wurde und wird seit jeher gestritten. Das Bundesverfassungsgericht hat den rechtlichen Rahmen in fortlaufender Reflexion immer wieder fixiert. Und dieser Rundfunkform dabei abverlangt, eine „Grundversorgung“ zu leisten, die sich auf die Hauptfelder Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung erstreckt. Diese öffentlich-rechtliche Grundversorgung rechtfertigt danach über eine Solidarfinanzierung auch den von allen Haushalten erhobenen Beitrag (früher: Gebühr). Und sie ist Voraussetzung für die Zulassung von privatem, auf unternehmerischen Gewinn zielenden Rundfunk, der systembedingt nur mindere Programmstandards erfüllen kann und muss. Zur größtmöglichen Vielfalt allerdings sollen beide Säulen des Gesamtystems beitragen.
Das alles gehört zur stets diskutierten Theorie und Praxis. Wer das gegenwärtige gesamte Bild der Programme ins Auge fasst, der wird – ganz pauschal und grob gesprochen – zum Urteil kommen: das Angebot von ARD, ZDF und Deutschlandradio bietet viel, in nicht wenigen Segmenten auch Exzellentes. Es ist weit aufgefächert, hat eine Reihe von Spezialangeboten in den sogenannten Spartensendern, die auch explizit kulturell ausgerichtet sind, wie ARTE, 3sat, Phoenix, Kika. Dazu kommen noch die immer weiter ausgebauten Online-Angebote auf vielen Plattformen, die auch eine zeitunabhängige Nutzung vieler Sendungen ermöglichen. Auch das Radio bietet, speziell in den Deutschlandfunk-Programmen und in den Kulturwellen der Landesrundfunkanstalten, ein vielfältiges, oft reiches Programm. Ohne Verrenkungen lässt sich behaupten: Diese Sender bilden – auch mit ihren immer breiteren Online-Angeboten – die größte und wirkmächtigste Kultureinrichtung der Republik.
Doch natürlich gibt es auch viel Kritik an dem mehr als reichhaltigen Angebot. Dessen ungebremste Expansion gehört zu den großen Problemen. Nicht zuletzt, weil das Immer-Mehr nicht zwangsläufig zu einem Mehr an guter oder herausragender Qualität führt. Sondern zu einem Überquellen mit Demselben, was nicht zuletzt auch die Genres betrifft, mit dem ewig quellenden Krimibrei als Dauerzutat. Das alles gehorcht dem Muster der Inflation – mit der Konsequenz einer zwangsläufigen Entwertung. Dass Konzentration in jeder Hinsicht – von der Zahl der Sender bis zur Straffung der Programme und der Einzelangebote – dem Gesamtziel wesentlich besser anstünde, ist ein offenes Geheimnis und eigentlich ein Gemeinplatz.
Ein Klassiker der Frühmoderne
Zum oft zu hörenden Generalvorwurf, es gebe zuviel Überflüssiges, Seichtes und Beliebiges vor allem in den Hauptprogrammen, weit entfernt vom eigentlichen Auftrag, kommt eine andere Hauptkritik: Das ganze System sei inzwischen viel zu aufgeblasen, zu unübersichtlich und zu teuer. Und weil nicht jeder es nutze , sei auch die Beitragsverpflichtung in Frage zu stellen („Zwangsgebühr“).
Nun gilt allerdings, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk ohne Solidarfinanzierung seine alles in allem dienende und wichtige Funktion nicht wahrnehmen könnte. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass seine Ausstattung in Deutschland mit Abstand am üppigsten ausfällt. Das Gesamtbudget des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit weit über 8 Milliarden Euro übertrifft das der englischen BBC um gut das Doppelte, in Frankreich ist es noch geringer, es liegt dort bei knapp über 3 Milliarden Euro.
Der seit Jahren zunehmenden kritischen Diskussion müssen sich die Sender stellen. Ebenso den schon ebenfalls seit Jahren erhobenen Forderungen aus der den Rahmen vorgebenden Politik, ihren am Gemeinwohl orientierten Funktionsauftrag zu überprüfen und zu konkretisieren, dabei auch die langfristig gewachsenen, auf vielen Feldern verkrusteten Strukturen auf den Prüfstand zu stellen. Und insgesamt sich zu einer wirklichen Reform zu bekennen und sie auch zu exekutieren, um in der rasant sich ändernden Medienlandschaft zu bestehen.
Genau mit diesem Reformziel – das die Verwaltungsstrukturen und Finanzgrundlagen ebenso umfasst wie die Ausrichtung und die Gestaltung der Programme (im Ganzen und im Einzelnen) – tun sich die Sender mehr als schwer. Wie alle Institutionen lieben sie den Status quo, und natürlich unterliegen sie der innersten Gesetzmäßigkeit alles Irdischen: immer weiter wachsen zu wollen.
In diesem Prozess endlich mehr als nur Lippenbekenntnisse abzulegen, das wäre das Gebot der Stunde. Statt die Lippen zu schürzen und zu überlegen, welche moralisch grundierten Selbstverliebtheiten sie der Welt auf die verführerischste Art verkünden könnten.
Zukunft: noch offen
Alle Fotos: Uwe Kammann