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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Holger Wüst und Alexandra Duwe im Kunstverein Familie Montez

Der alte Marx ist unkaputtbar

Von Erhard Metz

Holger Wüst und Alexandra Duwe lassen es im Kunstverein Familie Montez in einer konzeptuellen wie sinnlichen Doppelausstellung richtig krachen – dafür bürgen bereits die Ausstellungstitel: „»… gegen die ganze ökonomische Scheiße.«“ bei Holger Wüst und „Why not actually be really progressive and just shut up?“ bei Alexandra Duwe.

↑ Holger Wüst, „»… gegen die ganze ökonomische Scheiße.«“, Fotomontage (Ausschnitt)
↓ Alexandra Duwe, „Why not actually be really progressive and just shut up?“, Installation

Beide arbeiten seit langen Jahren als ein Künstlerduo zusammen; beide sind Absolventen der Staatlichen Hochschule für bildende Künste, der renommierten Städelschule in Frankfurt am Main. Holger Wüst, 1970 in Duisburg geboren, studierte bei den Professorinnen und Professoren Christa Näher, Hermann Nitsch und Thomas Bayrle, dessen Meisterschüler er wurde. Alexandra Duwe studierte an der Städelschule Kunst und an der Goethe-Universität Philosophie, Politologie und Soziologie. Seit 1995 ist sie freischaffende Künstlerin und Kuratorin. Wüst wie auch Duwe leben und arbeiten in Frankfurt am Main.

In seiner schon 2017 in der Kunsthalle Tübingen (kuratiert übrigens von Holger Kube Ventura, damals Leiter des Hauses und vormals Direktor des Frankfurter Kunstvereins) Aufsehen erregenden gewaltigen, fast 20 Meter breiten digitalen Fotomontage rammt Holger Wüst eines jener scheußlichen, für die Umwelt und besonders für Venedig zerstörerischen hochhaushohen Kreuzfahrtschiffe an die Kaimauern des Markusplatzes, dass es fast die den Markuslöwen tragende Säule umhaut. Das maritime Monster mit dem Namen „INDEPENDENCE OF THE SEAS“ ziert ein gewaltiger Marx-Kopf als Galionsfigur, unter der Brücke grüßt ein Großposter mit Karl Liebknecht. Bei näherem Hinsehen scheint klar zu sein: das Schiff ist bevölkert mit Flüchtlingen und Migranten, die bereits begonnen haben, auf den Markusplatz herunterzusteigen und sich dort niederzulassen.

Auf dem riesigen „Wimmelbild“ haben sich vor der Markus-Basilika und dem Dogenpalast Zeltlager ausgebreitet, Kleidungsstücke baumeln an Wäscheleinen, an den Fassaden hängen Transparente, Reportage- und Kamerateams haben Stellung bezogen, etwa zwei Dutzend uniformierte Ordnungskräfte blicken eher ratlos drein, ansonsten den Markusplatz dominierende Touristen sind nirgends zu sehen.

Zeltlager vor und Transparente an Markus-Basilika und Dogenpalast: „OUR EUROPE IS WITHOUT BORDERS“, „ABOLISH DUBLIN RIGHT TO STAY WHERE YOU WANT“, „We want Asylum in Europe where WE can get our Human Rights but we dont want to go back Home even if we die here“

Der Titel der Arbeit „»… gegen die ganze ökonomische Scheiße.«“ ist ein Zitat aus einem Brief von Karl Marx an Friedrich Engels aus Studienzeiten. Die zunächst, wie das Zitat belegen mag, ungeliebte Ökonomie prägte dennoch Leben und Werk des späteren renommierten Theoretikers des Sozialismus und Kommunismus. Jene beiden „Ismen“ sind im „real existierenden Sozialismus“ gescheitert. Und wie verhält es sich mit dem heutzutage „real existierenden“ Kapitalismus? Er bringt es mit sich – wie viele von seriösen Wissenschaftern verfasste Studien belegen, die wiederum von manchen beschönigt bis negiert werden – , dass sich die Schere zwischen unsäglichem Reichtum wie ebenso unsäglicher und beschämender Armut national wie global immer weiter öffnet und sich Reichtum und Armut dabei nicht selten wie kommunizierende Röhren verhalten – unstreitig eine, wenn nicht überhaupt die Hauptursache von weltweit verbreiteter Flucht und Migration.

Holger Wüsts Arbeit erscheint ambivalent: Die Folgen der globalen ökonomischen Situation bedingen immer mehr Flucht und Migration, die Logik kapitalistischer Ökonomie andererseits – am Beispiel Venedigs mit Kreuzfahrtschiffen und Touristenströmen – die wirtschaftliche Existenz der Lagunenstadt. Der – angesichts der Ankömmlinge? – leergefegte Markussplatz läßt nichts Gutes erwarten.

Alexandra Duwe, „Why not actually be really progressive and just shut up?“, diverse Fotografien und Ausschnitte

Radikaler noch die wiederum kapitalismuskritische wie ebenfalls ambivalente Arbeit von Alexandra Duwe. Was ist aus dem alten Marx geworden, was aus Engels, Liebknecht & Co.? Ein Stuhl voll mit – natürlich roten – Äpfeln (irgendwie erinnert er auch ein wenig an den Beuysschen Fettstuhl), die teils angebissen und molig werdend ihrem Schicksal überlassen sind, steht vergessen in der Ecke, auf dem Boden liegen zerknüllte Manuskriptblätter gesellschaftspolitischer Texte mit wiederum faulenden angebissenen roten Äpfeln. Dem Titel der Installation „Why not actually be really progressive and just shut up?“ – Warum nicht wirklich progressiv sein und einfach den Mund halten? – korrespondieren auch die Fotografien von mit Unrat vermischten Textseiten.

„Als Abkehr vom eher optimistischen Aktivismus und der Renaissance einer längst veralteten Protestästhetik“, so lesen wir im Beiblatt zur Ausstellung, „symbolisieren die Fotos und Objekte letztlich die Resignation und Aporie, gegen Überzeugungen, Ideologien und gesellschaftlichen Regress überhaupt noch anzukämpfen.“ Und weiter: „Letztlich nichts als systemkonform scheinen gegenwärtige emanzipatorische Bestrebungen oftmals das moralisch selbstgerechte Gefühl von gesättigten Wohlstands-Wachsamen zu befriedigen, die an einer Klassenfrage längst nicht mehr interessiert sind.“ Oder um es mit Christoph Schütte (FAZ) zu sagen, dass mit einem oft selbstgefälligen Diskurs über Themen wie „Political Correctness, Genderfragen, Klimawandel und Postkolonialismus“ in „Seminaren und Kunstvereinen oder auf Theaterbühnen“ zwar viel Aufhebens gemacht werden kann, dieser Diskurs an den eigentlichen ökonomischen Fragen jedoch völlig vorbeigeht. Mit der bildsprachlichen Installation soll, so verstehen wir die Arbeit der Künstlerin, ein Anstoß dazu geleistet werden, die Debatte wieder sozusagen vom Kopf auf die Füße zu stellen.

Die beiden höchst politischen, kapitalismuskritischen, durchaus konzeptuellen und dennoch sehr sinnlich aufbereiteten Positionen verweisen letztlich auf das vielleicht wesentliche, mit den Fragen der Ökonomie verbundene Grundproblem, welches zu der aktuellen gesellschaftlichen migrations- und integrationspolitischen Situation und Diskussion führt. Eine sehenswerte Ausstellung.

Abgebildete Werke © Holger Wüst bzw. Alexandra Duwe; Fotos: Erhard Metz

Holger Wüst, „»… gegen die ganze ökonomische Scheiße.«“ und Alexandra Duwe „Why not actually be really progressive and just shut up?“, Kunstverein Familie Montez, bis 17. Februar 2019

 

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