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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Stefan Enders „Weit weg von Brüssel“ im Kommunikationsmuseum

Eine außergewöhnliche Foto-Reise – Hommage an Europas Menschen rund um die EU

Von Hans-Bernd Heier

Der Brexit beherrscht seit Monaten die Schlagzeilen der Medien. Randgebiete der EU werden kaum noch wahrgenommen. Das war auch bereits 2015 so, als Stefan Enders sich zu einer siebenmonatigen Reise aufmachte, um Gesichter und Geschichten Europas einzufangen.

Denkmal zu Ehren der bulgarischen Luftwaffe, Omurtag, Bulgarien; ©: Stefan Enders

Als Fotograf wollte er etwas über die Menschen an den Rand- und Grenzregionen in der Europäischen Union erzählen und zeigen: Wie leben eigentlich die Menschen weit weg von den Zentren? Herausgekommen sind bei der Foto- und Interview-Reise mehr als 200 anrührende Porträts und Lebensgeschichten von Menschen aus allen Gesellschaftsschichten. Das Museum für Kommunikation Frankfurt zeigt noch bis zum 10. März 2019 in der Forumsausstellung unter dem Titel „Weit weg von Brüssel“ eine Auswahl großformatiger Schwarzweiß-Porträts und Farbaufnahmen aus den Grenzgebieten.

Der Weg führte Stefan Enders rund 31.000 km von Schottland über den westlichsten Zipfel Portugals bis zum äußersten Nordosten Skandinaviens und zu den östlichsten europäischen Ländern Polen, Bulgarien und Rumänien – rund um die Europäische Union. In den südeuropäischen Staaten wurde er Zeuge der erschütternden Flüchtlingskatastrophe und mit der Immigrations-Thematik konfrontiert, die auch heute noch unter den EU-Staaten äußerst strittig ist. Als Enders seine Reise antrat, ahnte wohl noch niemand, welche Aktualität das Projekt bekommen würde.

Jurek Zajac, 60, Bieszczady, Polen: „Einsam ist es schon manchmal. Doch der Bär kommt ja regelmäßig, so zwei Mal im Monat, vorbei.“; © Fotografie und Text: Stefan Enders

Was Enders Porträts so eindrücklich macht, ist sein simples Konzept: Er zollt allen Porträtierten den gleichen Respekt: der Straßenmusikerin genauso wie dem Gewerkschaftsboss, dem Arbeiter, dem Fischer bis hin zu den in Europa gestrandeten Geflüchteten. Dabei ist ihm besonders wichtig, das Verhältnis der Menschen zu ihrer Umgebung ungeschönt zu zeigen und ihnen mit ihren Lebensgeschichten eine Stimme zu verleihen. Alle Schwarz-Weiß-Aufnahmen hat er mit einer analogen 6 x 9-Kamera fotografiert – mit gleichem Licht und unter den gleichen ästhetischen Bedingungen. Die einzige Anweisung an die Porträtierten war: „Konzentriere dich auf mich.“ Die Fotografien gewinnen so eine große Intensität und erzählen die Geschichte Europas auf sehr individuelle Weise.

Lella Pennisi, 42, mit ihrem Sohn Okada Buluma,7, Acireale, Sizilien: „Seit 10 Monaten habe ich keinen Lohn mehr bekommen. Am Schluss hatten wir nicht einmal mehr Geld für das Essen der Flüchtlinge. Ich frage mich, wohin das viele Geld der EU geflossen ist. Das Ganze ist ein riesiges Geschäft!“ Als Sozialarbeiterin betreute sie für eine private Hilfsorganisation Flüchtlinge aus Nordafrika. Doch jetzt hat sie gekündigt, nachdem sie die Geschäftshintergründe der Organisation durchschaut hat. Beinahe zehn Millionen Euro seien verschwunden; © Fotografie und Text: Stefan Enders

Auf die Frage: Wie haben die Menschen auf Ihr Projekt reagiert? erklärte Enders in einem Interview mit Julia Bastian, Pressereferentin im Museum für Kommunikation Frankfurt: „Absolut positiv! – Überraschend positiv! Entgegen aller heutzutage so gerne hochstilisierten ,Europa-Müdigkeit‘ habe ich bei den Menschen eine große Zustimmung über mein Europa-Projekt erlebt. Alle Beteiligten waren stolz und begeistert, durch ihr Porträt daran mitzuwirken“.

Stefan Dimitrov, 59, Zvezdets, Bulgarien: „Seitdem ich die Wasserrechnungen nicht mehr bezahlen konnte, müssen wir das ganze Wasser für zehn Personen in Flaschen vom nächsten Brunnen holen.“ © Fotografie und Text: Stefan Enders

Durch die Reise habe sich, wie der Fotograf sagt, nicht nur seine Sicht auf Europa verändert, sondern auch die auf sein eigenes Leben: „Ich habe im Lauf dieser Reise Europa noch mehr schätzen und lieben gelernt. Ich habe zwischen den Ländern große Unterschiede, aber auch große Gemeinsamkeiten festgestellt. Doch trotz aller Probleme, trotz aller Konflikte, erlebte ich ein Europa mit großem Zusammengehörigkeitsgefühl“. Immer wieder habe er sich in manchen Ländern gefragt – sei es bei Umweltschutz-Standards, beim Thema Menschrechte, beim Schutz von Minderheiten oder bei Arbeitnehmerrechten: Wie sähe es hier aus ohne die EU?

Rudolf Holke, 84, San Sebastian / Donostia, Baskenland, Spanien: „Meine Kinder? Die sind weder Deutsche noch Spanier, ich sage immer, die sind Europäer.“ © Fotografie und Text: Stefan Enders

Ein Foto, das den Autor besonders beeindruckt hat, zeigt zwei fröhlich lachende Mädchen, die ihre Puppenwagen schieben – vor einer hohen Schutzmauer. Diese Abgrenzung, höher als es die Berliner Mauer war, steht in Belfast und trennt die protestantischen und katholischen Wohngebiete. Diese Aufnahme lässt erahnen, welche Probleme auf Irland zukommen könnten, wenn es zu einem „harten Brexit“ kommt.

Brigada Miguel Angel Pascual Villalobos, 51, spanische Enklave Melilla, Afrika „Seit Jahrhunderten spüren wir hier die Gefahr, die von Afrika ausgeht! Ich zweifle daran, dass der Frieden erhalten bliebe, wenn die Legión nicht da wäre.“ © Fotografie und Text: Stefan Enders

Die Foto-Arbeiten waren zum ersten Mal in Brüssel direkt vor dem Europäischen Parlament ausgestellt und standen unter der Schirmherrschaft des European Committee of the Regions (CoR). Laut Enders erfreute sich die Schau intensiver, positiver Resonanz: „Noch niemals wurden durch Arbeiten von mir derart viele und intensive Diskussionen ausgelöst. Man konnte spüren: Europa ist den Menschen wichtig!“

Seine Fotografien und Texte sind eine Hommage an die Menschen dieses Europas. Gerade in Zusammenhang mit der 2019 anstehenden Europawahl und der politischen Umbruchsstimmung ist diese Botschaft hochaktuell.

Stefan Enders; Foto: Ulla Franke

Nach dem Studium der Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf verlagerte sich Stefan Enders Arbeitsinteresse auf die Fotografie. Außer an freien Projekten arbeitet er seit über 20 Jahren für internationale Magazine im Bereich Reportage und Porträt, wie für den „Stern“. Darüber hinaus wurden seine Arbeiten in Magazinen wie Spiegel, Focus, Geo, Merian, Die Zeit u.a. veröffentlicht. Seit 2005 ist er Professor für Fotografie im Fachbereich Gestaltung der Hochschule Mainz; er lebt in Köln.

Stefan Enders „Weit weg von Brüssel“ bis zum 10. März 2019 im Museum für Kommunikation Frankfurt; weitere Informationen unter: www.mfk-frankfurt.de

 

 

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