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FeuilletonFrankfurt

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PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

In schwierigen Brexit-Zeiten – Ein Kulturtipp für eine Reise nach London

Porträts von Lorenzo Lotto in London

Renaissance-Künstler haben in diesem Jahr Hochkonjunktur. In der Londoner National Gallery findet eine Retrospektive des italienischen Malers Lorenzo Lotto und seiner herausragenden Porträts statt.

von Hannelore Kaus-Schwoerer

‚Lorenzo Lotto Portraits‘ in der Londoner National Gallery am Trafalgar Square, Foto: Hannelore Kaus-Schwoerer

Einem der bedeutendsten Porträtmaler der Italienischen Renaissance, Lorenzo Lotto (1480/81-1556), widmet derzeit die Londoner National Gallery eine beachtenswerte Ausstellung. Empfangen werden die Besucher mit einem Film über die einzelnen Lebensstationen Lottos, der geboren und ausgebildet in Venedig ein Wanderleben, vor allem in kleinere Städte Norditaliens wie Treviso, Bergamo, Asolo und verschiedene Orte in den Marken abseits der großen Kunstzentren führte. Dort fand er ein neues Publikum für Porträtaufträge aus dem aufstrebenden Bürgertum, aus Kaufleuten, Bediensteten der Kirche, Politikern, Bauern und dem niederen Adel, das sicher nicht im Besitz großer Kunstsammlungen war, aber sich doch ein Porträt leisten wollte.

Im ‚Porträt eines jungen Mannes‘ (1500) schaut vor dunklem Hintergrund ein junger Mann mit braunen, schulterlangen Locken, die sein helles Gesicht mit auffallenden blaugrünen Augen umrahmen, in dunkler Kleidung und Kappe eines venezianischen Mannes seiner Zeit sinnlich auf den Betrachter herab. Der venezianische Malstil der Zeit um 1500, der die Frontalansicht vor dunklem Hintergrund bevorzugte, betont hier die starke physische Präsenz und das jugendliche Selbstbewusstsein des Porträtierten.

Das Porträt von Andrea Odoni (1527) des Renaissance-Malers Lorenzo Lotto, das heute in der königlichen Sammlung des Vereinigten Königreichs in Windsor Castle hängt, wurde 2019 eigens für die Ausstellung an die National Gallery ausgeliehen

Mit konfrontativem Blick wird der Bischof von Treviso im Gemälde ‚Bischof Bernardo de‘ Rossi‘ (1504-05) in naturalistischer Manier, die selbst seine Warzen und die helldunkel gereizte Haut nicht ausspart, dargestellt. In hellrotem Schultercape über dem weißen Bischofskleid hält der als politisch streitbar und von seinen Gegnern Gehasste in der mit einem goldenen Siegelring gezierten Rechten eine Papierrolle. Ob diese auf ein Gerichtsdokument nach dem Prozess, in dem es um ein verhindertes Attentat auf Rossi ging, verweisen soll? Hinter der Fassade des ersten Eindrucks wird die Verletzlichkeit des Porträtierten erkennbar, die den Betrachter berührt und ihn am Schicksal Rossis Anteil nehmen lässt.

Das Ölgemälde ‚Bildnis einer Dame, durch Lucretia inspiriert‘ (um 1530-33) zeigt möglicherweise die Gattin eines venezianischen Edelmannes, die ebenfalls Lucretia hieß. In einem pompösen leuchtend grün-orange gestreiften Renaissancekleid, das an einigen Stellen modisch leicht aufgeschlitzt ist, hält sie uns eine römische Zeichnung einer Lucretiafigur, die gerade die Vergewaltigung durch den Sohn des Königs Tarquin zu beklagen scheint, entgegen. Darunter verweist ein Papierstück mit dem römischen Satz, keine Frau solle die Unehrenhaftigkeit ertragen müssen, wie sie Lucretia widerfahren sei, auf den Selbstmord Lucretias hin, die nicht länger mit der Schande leben wollte.


Lorenzo Lotto, Porträt einer Frau als Lukretia, um 1530–1532, Öl/Lw, 96.5 x 110.6 cm (© The National Gallery, London)

Soll das Porträt nur die Schönheit, den Wohlstand und die weibliche Tugendhaftigkeit der Dame darstellen? Oder deuten das mit Goldketten lässig in den weiten Ausschnitt gehängte Medallion wie auch der seitliche fragende Blick zum Betrachter auf eine tiefere Verbindung zum tragischen Schicksal der römischen Lucretia hin?

Das Paarbildnis ‚Marsilio Cassotti und seine Frau Faustina‘ (von 1523) stellt den aus einer Kaufmannsfamilie stammenden Bräutigam und seine mit rotem seidenen Hochzeitskleid und einem damals modernen Haarkranz ausgestattete Braut dar. Da Faustina aus einer angesehenen und wohlhabenden Adelsfamilie stammte, hatte Marsilio mit der Heirat einen höheren Stand erlangt.

Nicht nur durch die kleine Gestalt des Liebesgottes Cupido, der dem Paar von hinten ein hölzernes Joch (Ehejoch) auf beide Schultern zu legen scheint, sondern auch durch den so unterschiedlichen Gesichtsausdruck der devot und zufrieden schauenden Braut einerseits und ihrem eher distanziert und überlegen wirkenden Gatten andererseits stellt der Maler hier die Frage nach der emotionalen Tiefe dieser ehelichen Verbindung. Lange vor der Tradition der Liebesheirat zeigt dies erneut die psychologische Anteilnahme Lottos und damit die Zeitlosigkeit seiner Kunst.

In mehreren Vitrinen zeigt die Ausstellung Schmuckstücke aus der Zeit der italienischen Renaissance, die denen auf den Gemälden ähneln und wohl zur Veranschaulichung des Lebensstils und des oft neu erworbenen Reichtums der Porträtierten dienen sollen.

Warum wurde Lorenzo Lotto nicht so erfolgreich und anerkannt wie Raffael, Leonardo da Vinci, Michelangelo und andere Maler der Renaissance? Weil er die großen Zentren der Kunst und der Macht eher mied? Dass er 1509 einem Ruf Raffaels in den Vatikan nach Rom folgte und diesem bei der Ausgestaltung der Raffael Stanzen half, gereichte aber nicht ihm zum Ruhm. Auch schien er die Konkurrenz des zur selben Zeit die Sixtinische Kapelle ausmalenden Michelangelo nur schwer zu ertragen, weshalb er aus Rom wieder in die Provinz floh.

Dort hatte Lotto wohl immer wieder gehofft, dass der Preis für ein Porträt, der nach Anzahl der dargestellten Personen berechnet wurde, durch die Zufriedenheit seiner Auftraggeber mit dem Ergebnis besonders hoch ausfallen würde. Seinem gut erhaltenen Rechnungsbuch nach zeigt sich jedoch, dass diese Hoffnung meist enttäuscht wurde. So schloss sich der Maler in seinen letzten Lebensjahren auch aus wirtschaftlichen Gründen dem Orden der Dominikaner an und starb relativ unbekannt 1556 in Loreto.

Noch bis zum 10. Februar 2019 kann die Ausstellung ‚Lorenzo Lotto Portraits‘ in der Londoner National Gallery am Trafalgar Square besichtigt werden. Sie ist in Kooperation mit dem Museo del Prado, Madrid entstanden.

Der Katalog zur Ausstellung wurde von dem Lorenzo Lotto-Spezialisten Enrico Maria Dal Pozzolo und Miguel Falcomir, Direktor des Prado, verfasst. Er ist bei Thames and Hudson erschienen (£ 29,95).

Hannelore Kaus-Schwoerer hat Germanistik, Kunstgeschichte und Kunstpädagogik an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt und der Hochschule für Bildende Künste Kassel studiert und schreibt Artikel über Kunst, Literatur, Kultur und Gesellschaft für verschiedene Medien.

 

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