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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Drei aktuelle Bücher zu Architektur und Städtebau und zur Altstadt

Modelle, Theorien, Debatten – und die Summe

Von Uwe Kammann

Unbestritten das architektonische und städtebauliche Thema des vergangenen Jahres: die Frankfurter Altstadt. Genauer gesagt: die Rekonstruktion – 15 mal getreu dem früheren Original, 20 mal als schöpferischer Nachbau – eines kleineren Teils dieses früher für die Stadt so charakteristischen Areals, das im Krieg fast vollständig vernichtet wurde.

Unbestritten die Relevanz dieses Vorhabens, heftig umstritten hingegen Sinn und Ziel. Es war und ist immer noch teilweise ein Glaubensstreit zwischen Modernisten und Traditionalisten, dogmatisch und geradezu verbissen geführt von jenen, welche eine althergebrachte Formensprache in der Architektur partout als Option ausschließen wollen, weil sie nicht zeitgenössisch sei. Höhepunkt dieser Haltung: die in eiferndem Ton vorgetragene Radikalkritik eines Stuttgarter Architekturtheoretikers. Danach ist die neue Frankfurter Altstadt ein schlimmes Fanal: als Fach- und Machwerk der Rechten, welche die Geschichte leugneten oder vergessen machen wollten.

Auf einer herbstlichen Tagung von Denkmalschützern in Bochum wurde die Frankfurter Debatte häufig als beispielhaft genannt, bei klarer mehrheitlicher Tendenz. Mit dem Bedauern, dass das Technische Rathaus und das Historische Museum als Musterexemplare der Nachkriegsmoderne keine Chance hatten gegen die Abrissbirne und dem spürbaren Unbehagen an Rekonstruktionen schlechthin und einem Grundmisstrauen (bis zur Häme ausgespielt) gegenüber dem Wiederaufbau früherer Formen. Jeder kennt die Schlüsselworte: spießige Nostalgie, Disneyland.

Die Bochumer Tagung unter dem Titel „Big Beautiful Buildings“ war Fortsetzung einer Jahrestagung der Fachgruppe Städtebauliche Denkmalpflege, die sich schon 2015 mit den „Riesen in der Stadt“ befasst hatte, Obertitel „Im großen Maßstab“. Daraus ist ein Buch hervorgegangen (erschienen im Klartext-Verlag), das letztlich ein großes Spannungsverhältnis aufzeigt: einmal im Bestreben, die Großbauten der Betonmoderne als Zeitzeugen zu bewahren, ihre Qualitäten als denkmalwürdig zu begreifen (das Deutsche Architekturmuseum hatte diesem Rettungsziel ja eine große Ausstellung unter dem Titel „SOS Brutalismus“ gewidmet); und auf der anderen Seite im Eingeständnis, in welch’ hohem Maße viele dieser Bauten bestehende Maßstäbe brutal zerstört haben und wie vehement sie auf Ablehnung gestoßen sind.

Auch hier findet sich im Auftakt kein gutes Haar für das damals noch im anfänglichen Baustadium befindliche Projekt der Frankfurter Altstadt. Es entstehe hier „aus der Retorte“ ein „überaus fragwürdiger Altstadtklon“, so das Verdikt. Dem dann anhand prominenter Beispiele – wie den Großuniversitäten in Bochum und Dortmund, dem Nordwestzentrum in Frankfurt, dem Ihme-Zentrum in Hannover, das Stadthaus in Bonn, den City-Höfen in Hamburg  – eine Reihe von sehr detaillierten und perspektivgesättigten Ausführungen folgen, wie mit den mehrheitlich ungeliebten „Riesen“ umgegangen werden könnte, ohne sie abzureißen.

Für den Denkmalschutz, dies wird in diesem sehr lesenswerten Band deutlich, ist das eine Gratwanderung. Gerade, weil er die oft stadtzerstörerischen Effekte dieser Großbauten nicht leugnen kann (dies wird dankenswerter Weise auch in den einführenden Beiträgen klar benannt) und gleichzeitig weiß, dass die üblichen Maßstäbe einer historisch-wissenschaftlichen Einordnung kaum tauglich sind. Aber welche Kategorien anzuwenden sind, wie sie sich vertragen mit den alltäglichen Dissonanzen und offensichtlichen Zeichen einer kontraproduktiven Zielsetzung, wie sie politische Entscheidungen prägen könnten: Das gleicht in vielen Anmerkungen einem rhetorischen Eiertanz.

Doch gerade dieser Kampf mit Widersprüchlichkeiten und mit inzwischen porösen und bröckelnden Dogmen des Denkmalschutzes macht den Reiz dieses Tagungsbandes aus. Dass die prägenden Linien und Theorien der Nachkriegsmoderne mit ihren (unheilvollen) Säulenheiligen wie Le Corbusier in den historischen Einordnungen klar erkennbar werden, gehört ebenfalls zu den Verdiensten des Buches, das keine Kampfschrift ist – auch wenn Sympathien nicht verleugnet werden, ganz im Sinne einer Dennoch-Liebhaberei.

Dass Ein- und Widersprüche nicht untergebügelt werden, dass sogar eine wilde Anti-Polemik ihren Platz findet, das gehört auch zu den Vorzügen eines zweibändigen Werkes, das pünktlich zur Eröffnung der Frankfurter Altstadt-Rekonstruktion im Societätsverlag erschienen ist. „Die neue Altstadt“, so der schlichte Titel, der auf den markant rot/weißen Umschlägen im Umlauf so raffiniert angeordnet ist, dass beim Aufblick nur erscheint: „Neue Stadt“.

Herausgeber Matthias Alexander, als Regionalchef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bestens mit diesem einmaligen Rekonstruktionsprojekt vertraut, hat die zwei Bände klar aufgeteilt: der erste widmet sich der Entstehung , der zweite dem Quartier selbst. Das ist konsequent und bietet den Vorteil, dass einmal die sehr vehemente Diskussion um das Ob, Warum und Wie in allen wichtigen Facetten nachgezeichnet werden kann, von wesentlichen Beteiligten und versierten Stadtplanern, Theoretikern und Kritikern, und zum anderen das entstandene Viertel in seinen einzelnen Bestandteilen sehr genau dargestellt werden kann. Und dies in einem Maße, das noch den schon sehr verdienstvollen Katalog zur großen Altstadt-Ausstellung übertrifft, mit exzellentem Bildmaterial und solide erläuternden Texten.

Insgesamt ist ein Werk entstanden, das in seinem Anspruch und in seiner Qualität (von der Konzeption über die Komposition bis zu den entschiedenen Positionen der Diskussionsbeiträge) mit dem Städtebau- und Architekturobjekt selbst auf gleicher Ebene kommuniziert. Und dabei den Beleg liefert, dass ein Großteil der plakativen Kritik à la Disneyland von größter intellektueller Dürftigkeit getränkt ist und schnell wegen seiner Null-Substanz in Vergessenheit geraten dürfte. Wobei natürlich im Auge zu behalten ist, wie sich dieses vergleichsweise winzige Quartier entwickeln und bewähren wird, wenn erst einmal die jetzige Phase einer neugierigen Erkundung und Inbesitznahme vorbei ist.

Erweisen wird sich dann auch, welche Modellqualitäten in der neuen Altstadt stecken. Dies wird als ständige Hauptfrage den Vorsitzenden des Gestaltungsbeirats, Christoph Mäckler, begleiten. Er, der seit langem vehement für die Wiedergewinnung der Europäischen Stadt ficht – mit sozialer und funktionaler Mischung, mit erkenn- und erfahrbaren Innen- und Außenräumen, mit einer vernetzt wachsenden Struktur und einer auf der Basis von Kleinteiligkeit ablesbaren Architektursprache, welche Regeln nicht als Begrenztheit empfindet, sondern als notwendiges ästhetisches Steuerungsinstrument für in sich reiche Stadtbilder –, er hat jetzt unter dem durchaus programmatischen Titel „Stadtbaukunst“ eine Art opus magnum vorgelegt: eine Verdichtung seiner „Lehre“ (so schön schlicht lautet das) in zwei Jahrzehnten seit 2018.

Dieses Buch, eine systematisch erarbeitete und arbeitende Summe seiner Auseinandersetzung mit dem Städtebau, ist Pflichtlektüre für alle, welche Städtebau nicht als Resultat von gestaltungsunabhängigen Renditezielen sehen, sondern als Grundaufgabe der Gesellschaft, um sinn- und schönheitsstiftenden Raum für Menschen zu schaffen, auch und gerade in ihren Verschiedenheiten.

Mäckler stellt die verschiedenen historischen Modelle vor, zeigt und belegt, welche Vorzüge mit ihnen verbunden sind, wenn sie nach tradierten Vorbildern der Europäischen Stadt entwickelt und durchgesetzt wurden. Dabei scheinen auch deutlich die Kontraste auf, die Punkte, an denen Stadt zerfließt und zerschellt. Doch wesentlich ist, mit vielen Bildern, Grundrissen, Fassadenentwürfen und Planausschnitten vorgeführt und im Text detailliert erläutert zu bekommen, was eine gute, eine lebbare, eine schöne Stadt ausmacht.

Der von Georg Ebbing herausgegebene, bei DOM Publishers erschienene Band ist nicht nur wichtig, er ist auch sehr gewichtig, kein Wunder bei über 500 Seiten mit bestem Kunstdruck-Papier. Auch das macht ihn wertvoll, schon rein materiell. Wobei klar ist: Der wahre Wert liegt in dieser profunden Auseinandersetzung mit der Stadt, mit den Verfehlungen, vor allem aber im Aufzeigen der Möglichkeiten.

Bald wird Mäcklers Institut für Stadtbaukunst ein wichtiger Akteur sein bei der Konzeption und Detailentwicklung des neuen Frankfurter Quartiers am Römerhof, in dem die Prinzipien und Zielvorstellungen der Europäischen Stadt konsequent verwirklicht werden sollen. Auch daran wird sich zeigen, was heute möglich ist, wenn sich denn die Politik darauf einlässt. Da Planungsdezernent Mike Josef ein fördernder und praktischer Befürworter des Mäckler-Modells ist, darf man Hoffnung haben. Und sich dabei jederzeit auf den Untertitel von Mäcklers jetzt vorgelegter Sammlung der Groß-Lehre berufen: „Von der Rematerialisierung der Architektur zur Rekultivierung des städtischen Raumes.“

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