Alfred Grosser: Grand officier, Commandeur der Ehrenlegion
FeuilletonFrankfurt gatuliert
OB Peter Feldmann und Friedenspreisträger Alfred Grosser, Foto: Petra Kammann
Alfred Grosser, der in Frankfurt gebürtige Franzose und deutsch-französische Politologe, erhielt zu Anfang des Jahres die in Frankreich verliehene ranghöchste Auszeichnung für militärische und zivile Verdienste: das Großkreuz der Ehrenlegion, das seit der Napoleonischen Ära streng nach individuellem Verdienst, ohne Ansehen der Herkunft, des Standes, der Religion und des Geschlechts vergeben wird.
Alfred Grossers Vater Paul Grosser, der bis 1933 in Frankfurt das Clementine-Krankenhaus geleitet hatte, wurde die Arbeitserlaubnis entzogen, weil er Jude war. Als die Nazis den Vater, der im Ersten Weltkrieg „für das Vaterland“ gekämpft hatte und dafür mit dem Eisernen Kreuz 1. Klasse ausgezeichnet wurde, schließlich noch aus dem Verband der Träger des Eisernen Kreuzes herauswarfen und der kleine Alfred in der Schule krankenhausreif geschlagen wurde, weil er Jude war, beschloss die Familie, außer Landes zu gehen,
So musste 1933 der Achtjährige mit seinen Eltern und der älteren Schwester Margarethe Frankfurt und Deutschland in Richtung Frankreich verlassen. Der Vater wollte im französischen Saint Germain-en-Laye ein Krankenhaus für Kinder aufbauen, starb jedoch bereits ein Jahr später. Das Krankenhaus, das die Mutter nun als Sanatorium weiterführte, musste 1939 wegen der drohenden Kriegsgefahr schließlich ganz geschlossen werden. Wenig später starb auch die Schwester auf der Flucht vor der deutschen Besetzung nach Süden.
Auch wenn Alfred Grosser schon als Kind wegen seiner Zugehörigkeit zum Judentum massive Diskriminierung hatte erleiden müssen, habe diese Erfahrung in seinem Innern keine „geistigen Spuren“ hinterlassen, sagt der unermüdliche Aufklärer rückblickend.
In Frankreich fühlte sich Alfred Grosser gut aufgehoben, durch seine Erfahrungen bereichert und blieb dabei Deutschland nach wie vor verbunden: „Mit neun Jahren kam ich nach Frankreich und lebte mich schnell ein, den Kontakt zur deutschen Sprache und Kultur habe ich jedoch nie verloren“, bekennt er. Ihm sei lediglich die Überzeugung geblieben, dass man „Verführte aufklären“ müsse, denn die wahren Schuldigen seien die Verführer. Und weiter: „Meine Haltung ist: Man soll offen sein für den geistigen Reichtum einer Kultur, selbst dann, wenn in ihrem Namen Massenmorde vollbracht worden sind.“
„Die grausamen Seiten der Kriegszeit haben mich außerdem zweierlei gelehrt. Als ich erfuhr, dass ein Teil meiner Familie in Auschwitz umgekommen war, wurde mir bewusst, dass ich eine Menschengruppe (die Deutschen) nie kollektiv für schuldig halten würde. Nach dem Krieg wollte ich jedoch gerade deshalb, weil ich unter dem verbrecherischen Geschehen gelitten hatte, für den Aufbau eines anderen Deutschlands mitverantwortlich sein. Das Gefühl der Mitverantwortlichkeit, das in ein Mitwirken mündet, ist beglückend.“
Häufig sprach Alfred Grosser, bester Kenner beider Länder, jeweils aus historischem Anlass an symbolträchtigen Orten in ganz Deutschland. So konnte man ihn beispielsweise mehrfach in der Frankfurter Paulskirche erleben. An der Johann Wolfgang Goethe-Universität wurde vor zehn Jahren eine Gastprofessur für Bürgergesellschaftsforschung mit seinem Namen eingerichtet.
Der seit 1992 emeritierte Politologieprofessor hat sich unermüdlich in immer neuen Varianten mit der wechselseitigen Wahrnehmung Frankreichs und Deutschlands beschäftigt und die Deutschen in Frankreich und die Franzosen in Deutschland verteidigt. Das ist ob seiner Vita alles andere als selbstverständlich.
Man darf gespannt sein, ob der inzwischen fast 94-Jährige es noch erleben wird, dass ihm in seiner Geburtsstadt, der er sich so sehr verbunden fühlt, die Ehrenbürgerschaft verliehen wird. Petra Kammann