„Faszination der Dinge“ im Museum Giersch der Goethe-Universität
„Werte weltweit in Archäologie und Ethnologie“ anschaulich präsentiert
Von Hans-Bernd Heier
Das Museum Giersch befindet sich laut Prof. Dr. Hans Peter Hahn von der Goethe-Universität „in einer Metamorphose“- in einem Wandel von einem „Museum für regionale Kunst“ zu einem „universitären Wissenschaftsmuseum“. Mit der erfolgreichen Erforschung und Vermittlung regionaler Kunst hatte das Haus bisher ein Alleinstellungsmerkmal im Kontext der reichen Frankfurter Museumslandschaft. Dieses Profil soll erhalten bleiben, aber als „Fenster der Universität“ zur Stadt Frankfurt und der Region Rhein um Themen der Geistes- und Sozialwissenschaften erweitert werden.
Goldschatz aus dem kleinen Haus am Hafentor, Xanten, 2.–3. Jahrhundert n. Chr.;LVR-Archäologischer Park Xanten
Bei der konzeptionellen und kuratorischen engen Zusammenarbeit von Fachleuten des Museums und der Stiftungsuniversität mit ihren Fachbereichen und Studierenden geht es darum, für Ausstellungen geeignete Themen und Exponate aus Lehre und Forschung einem breiten Publikum lebendig zu präsentieren. Denn „die Wahrnehmung wissenschaftlicher Forschungsergebnisse bleibt in der Regel kleinen Fachkreisen vorbehalten, an der Öffentlichkeit gehen diese Neuschöpfungen des Wissens daher meist vorbei“, sagt Museumsleiter Dr. Manfred Großkinsky.
Für das Museum Giersch der Goethe-Universität biete dies eine Chance, sich auf einem innovativen und zukunftsweisenden Sektor im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Museum zu profilieren. Für eine solche Entwicklung sehen alle Beteiligten gerade in Frankfurt und dem Rhein-Main-Gebiet beste Voraussetzungen: Ein offenes intellektuelles Klima, große Experimentierfreude, die Bereitschaft zur Kooperation über Disziplingrenzen hinweg, eine hohe Affinität zur Institution Museum und nicht zuletzt eine Forschung von hoher gesellschaftlicher Relevanz.
Korinthischer Helm, Ende des 6. Jahrhunderts v. Chr. Bronze; Ruhr Museum Essen
Diese Profilerweiterung wird sehr deutlich an der Sonderausstellung „Faszination der Dinge – Werte weltweit in Archäologie und Ethnologie“. In dieser hoch interessanten Schau stellen 14 Promovierende und zwei Postdocs aus dem Graduiertenkolleg „Wert & Äquivalent“ an der Goethe-Universität ihre Forschungsthemen auch für Laien gut nachvollziehbar vor. Das Graduiertenkolleg mit Fachleuten aus Archäologie, Ethnologie und Sinologie, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird, ist ein Zusammenschluss einer Gruppe von Professoren der Goethe-Universität und TU Darmstadt mit dem Ziel, junge Wissenschaftler*innen bei der Promotion zu unterstützen.
Frauen an einem gedeckten Tisch in Usbekistan, 2018; Foto: Sebile Yapici
Erstmals seit dem Kooperationsbeginn von Museum Giersch und der Frankfurter Universität im Jahre 2015 stellen in der von Dr. Charlotte Trümpler kuratierten Ausstellung ausschließlich Nachwuchsforscherinnen und -forscher ihre wissenschaftlichen Arbeiten vor. Aber können Dissertationen überhaupt spannend und für Laien verständlich dargestellt und visualisiert werden? Dass dies mit der Expertise erfahrener Ausstellungsmacher geht, zeigt die Sonderausstellung in der klassizistischen Villa am Schaumainkai. Die Teilnehmer*innen des Graduiertenkollegserläutern in kurzen erhellenden Begleittexten, was sie an ihren Forschungsthemen fasziniert, so beispielweise: Wie horteten die Römer ihr Geld ohne Banksafes und Bankautomaten? Welche Rolle spielten Fanartikel in römischer Zeit bei Gladiatorenspielen? Wie lebten und starben Götter in Mesopotamien? Wie verändert sich das Essverhalten von usbekischen Migranten in den USA? Wie wurde Quarzkeramik hergestellt und hatte dieses Imitat dieselbe magische Funktion wie die originalen Edelsteine? Welches sind die Unterschiede im Umgang mit dem Tod in Ghana und bei uns?
Römischer Wagenlenker, 1. bis 2. Jahrhundert n. Chr. Bronze vergoldet; GDKE – Direktion Landesmuseum Mainz
Drei der insgesamt 16 wissenschaftlichen Projekte seien detailliert vorgestellt: Das Römische Reich brachte während des 1. Jahrhunderts v. Chr. die erste Unterhaltungsindustrie der Weltgeschichte hervor. Wo immer die Römer sich niederließen, egal ob in Garnisonsorten oder in bevölkerungsstarken Handelsmetropolen, es entstanden innerhalb kürzester Zeit Arenen und Circusanlagen. Rund um die dort gebotenen Massenspektakel etablierte sich seit der Regierungszeit des Augustus ein Wirtschaftszweig, der mit „Memorabilia“ Umsätze generierte, wie dies heute mit Fan-Artikel gang und gäbe ist. Die gefeierten Gladiatoren und Wagenlenker wurden auf diversen Alltagsgegenständen abgebildet, die dann dank professioneller Manufakturen meist als Massenprodukt hergestellt und in hoher Stückzahl unter das Volk gebracht wurden. Mit dem 2. Jahrhundert n. Chr. treten neben solchen preiswerten Objekten auch Fanartikel deutlich höherer Qualität. Geschnittene Edelsteine mit Gladiatoren-Kampfszenen oder figurative Darstellungen individueller Arenakämpfer aus Bein, Bernstein oder vergoldetem Buntmetall zeigen, dass auch die römische Elite zusehends ihre Vorliebe für die Circuswettkämpfe entdeckte. Der Frage nach den Hintergründen dieser Veränderungen in der sozialen Wahrnehmung der Massenspektakel geht das Forschungsprojekt „Mercimonium et circenses“ von Postdoc Dr. Boris Burandt, Fachbereich Archäologie und Geschichte der römischen Provinzen, nach.
Steve Leurink „Der Beschützer“, Neuseeland, 2017, Öl auf Leinwand; Privatbesitz
Quarzkeramik ist ein bisher wenig erforschtes Material des Alten Orients, das aus zerriebenem Quarz besteht und glasiert wurde. Gerade im Assyrien (dem heutigen Nordirak) der letzten beiden vorchristlichen Jahrtausende war es ein beliebtes Material zur Herstellung von Schmuck, Amuletten, Figuren, Gefäßen und zur Verkleidung von Möbeln. Mit glasierter Quarzkeramik imitierten die Assyrer im Alten Orient das Aussehen von bunten Edel- und Halbedelsteinen.
Die Menschen wertschätzten die Steine nicht nur wegen ihrer Schönheit, sondern glaubten auch, dass ihnen magische Kräfte innewohnten: So sollten sie als Schutz- und Heilmittel wirken und gehörten damit zur Ausrüstung des „Beschwörungspriesters“. Mithilfe der Steine stellte er Gebäude, Menschen und ihre Vorhaben unter den Schutz der Götter, denen nachgesagt wurde, dass sie die schönen Steine besonders schätzten.
Ausstellungsansicht von digitalen Dachterrakotten; Foto: Hans-Bernd Heier
Da die beliebten Edelsteine (Lapislazuli, Karneol, Achate) nicht in der Natur Mesopotamiens vorkommen, mussten sie aus fernen Ländern, wie dem heutigen Afghanistan oder dem Indus-Tal, importiert werden. Deshalb waren sie teuer und nur wenige Menschen konnten sich den Luxus und die schützende, heilende Magie der Steine leisten. Da für den magischen Schutz jedoch Farbe und Muster entscheidende Kriterien waren, konnten Edelsteine auch durch imitierte, gleich aussehende Fakes „aus dem Ofen“ ersetzt werden, ohne dass sie ihre Wirkung einbüßten? Übertrug sich die magische Funktion der Steine auch auf das billige Imitat aus glasierter Quarzkeramik? Diese Frage analysiert die Doktorandin Femke Grops, Fachbereich Archäologie und Kulturgeschichte des Vorderen Orients, in ihrer Dissertation „Der ‚fake‘ aus dem Ofen“.
Raumaufnahme von Ochsenbarren in der Bronzezeit; Foto Uwe Dettmar
Emotionen spielen in allen Gesellschaften eine große Rolle. Sie sind von entscheidender Bedeutung dafür, wie sich die Mitglieder der jeweiligen Gesellschaft im gemeinsamen öffentlichen Raum bewegen. Jede Gesellschaft entwickelt einen eigenen Umgang mit Emotionen und definiert beispielsweise, wie viel emotionales Verhalten in der Öffentlichkeit toleriert wird. Dies kann je nach Stand und Geschlecht unterschiedlich sein.
In den Altertumswissenschaften steckt die Erforschung der Tragweite von Gefühlen und Affekten noch in den Anfängen. Dabei legte schon Euripides in der Tragödie Iphigenie auf Aulis am Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. Agamemnon folgende Worte in den Mund: „Weit besser hat es der geringe Mann. Er darf ja weinen und darf, was ihm das Herz bedrückt, aussprechen. Für den Hochgeborenen ist das nicht schicklich. Steife Würde regelt das Leben uns.“ Er gab mit diesen Worten die Richtschnur für das Benehmen der Bürger des klassischen Athens in der Öffentlichkeit vor: In der griechischen Polis galt emotionale Zurückhaltung als erstrebenswertes Verhalten, wollte es ein Athener Bürger zu Macht und Einfluss bringen.
„Sich wehrender Gallier“, kleines Attalisches Weihgeschenk, 2. Jahrhundert v. Chr., Gipsabguss, Antikensammlung und Skulpturensaal des Instituts für Archäologische Wissenschaften, Goethe-Universität; Foto: Uwe Dettmar
Dieser Kodex fand seinen Niederschlag auch in den Bilderwelten jener Zeit. Griechische Bürger und Krieger sind oft emotionslos oder mit sehr reduzierter Mimik dargestellt. Die Einschränkung gilt jedoch nicht für Angehörige fremder Völker oder mythische Wesen. Gerade in Darstellungen, die bewaffnete Auseinandersetzungen zeigen, wird dieser Unterschied deutlich. Während dem Gegner die Angst vor dem Feind oder die unbändige Wut ins Gesicht geschrieben steht, ist der griechische Kontrahent konzentriert und gelassen. Die Fähigkeit, Emotionen besser zu kontrollieren, war für die Griechen ein Zeichen ihrer Überlegenheit gegenüber anderen Völkern, egal, ob es sich um Perser und Gallier oder um Amazonen und Kentauren handelte.
Allerdings war der gezielte Einsatz von Emotionen in bestimmten Situationen durchaus gewollt. Ob auf der Theaterbühne oder bei Volksversammlungen – Emotionen waren dort ein beliebtes Mittel der Akteure, um die Meinung des Publikums zu beeinflussen. Die Untersuchung dieser emotionalen Facetten in bildlichen Darstellungen bietet das Potenzial, die Quellen der schriftlichen Überlieferung zu ergänzen, um so ein tiefergehendes Verständnis des Umganges der antiken Griechen mit ihren Emotionen zu erlangen. In ihrer Dissertation „Der gesellschaftliche Wert der Emotion und ihres Ausdrucks im antiken Griechenland. Ein medialer Diskurs“ (Fachbereich Klassische Archäologie) untersucht die Doktorandin Christina Hanzen speziell diese Aspekte.
Die hoch interessanten wissenschaftlichen Thesen der Nachwuchsforscher werden anhand von rund 300 Objekten, Bildern und Fotografien aus Museen – unter anderem aus Berlin, Hamburg, München, Stuttgart sowie den Sammlungen der Goethe-Universität – von Studierenden des Fachbereichs Gestaltung der Hochschule Darmstadt lebendig visualisiert. Hörstationen sowie eigens für die Ausstellung hergestellte Interview-Filme bieten zusätzliche Informationen. Zum Abschluss der vielseitigen Präsentation zeigt ein beeindruckendes Fotokunstprojekt von Studierenden der Hochschule RheinMain in Wiesbaden Schwarz-Weiß-Aufnahmen der Forscher des Graduiertenkollegs.
„Faszination der Dinge – Werte weltweit in Archäologie und Ethnologie“, Ausstellung des Graduiertenkollegs „Wert & Äquivalent“ bis zum 24. Februar 2019 im Museum Giersch der Goethe-Universität; weitere Informationen unter: www.museum-giersch.de
Abbildungsnachweis, sofern nicht anders bezeichnet: Museum Giersch der Goethe-Universität