Opern-Uraufführung von „Marx in London“ von Jonathan Dove
Eine Koproduktion mit der Scottish Opera und ein adäquater Schluss zum Ende des Marx-Jahres im Bonner Opernhaus
Von Simone Hamm
Ein Tag aus dem Leben eines Mannes, der chronisch knapp bei Kasse ist, wegen eines Furunkels am Hintern kaum sitzen kann, dessen Frau dem versetzten Tafelsilber hinterher trauert, der gegen seine Haushälterin im Schach verliert und gewinnt, als er sie verführen will. Seine Tochter verliebt sich an eben diesem Tag in einen schüchternen Unbekannten, der sich dem Haus nähert und den sie für einen Spion hält. Es ist aber kein Spion. Sondern ihr Halbbruder, den der Vater vor achtzehn Jahren mit der ihm treu ergebenen Haushälterin gezeugt hat und der bei Adoptiveltern aufgewachsen ist. Jetzt sucht er seine Eltern. Ahnungslos turteln die beiden Halbgeschwister miteinander…
Marie Heeschen (Tussi), Mark Morouse (Marx), Ensemble, Foto: Thilo Beu/ Theater Bonn
Was so klingt, als sei es ein Script der Seifenoper „Verbotene Liebe“ hat sich aber so und nicht anders in der Wirklichkeit zugetragen. Der Furunkel geplagte arme Schlucker ist niemand anders als Karl Marx.
Wenn das kein Stoff für eine komische Oper ist! Jonathan Dove hat – anläßlich des 200. Geburtstages von Karl Marx – im Auftrag der Oper Bonn, die mit der Scottish Opera zusammenarbeitet, die Musik geschrieben. Er glaube, so Dove, dass es genug ernste, experimentelle Avantgarde-Musik gebe, dass die Komödie in der Oper hingegen Mangelware sei.
Das Libretto stammt von Charles Hart, nach einem Szenario von Jürgen R. Weber. Letzterer hat Erfahrung mit Seifenopern, war Regisseur bei „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“und „Sturm der Liebe“. Herausgekommen ist extrem temporeiches Musiktheater von großem Unterhaltungswert. Hart und Weber sind Meister feiner Situationskomik. Musikalisch ist „Marx in London“ irgendwo zwischen Steve Reich, Philipp Glasss und Benjamin Britten angesiedelt. Und manches erinnert, sehr britisch, auch an ein Musical.
Doves Oper steht ganz in der Tradition der Opera buffa. Lieder statt Arien, Komik statt Drama. Zwar ordnet Dove die Sänger nicht bestimmten Stimmlagen zu, aber dennoch setzt er auf die bekannten Opera buffo-Elemente, auf satten Alt (die runde Haushälterin Helene wird von Ceri Williams dargestellt) dramatischen Sopran (die Rolle der betrogenen Ehefrau wird brillant von Yannik-Muriel Noah gesungen) und das Koloratur Mezzo (die emanzipatorische Tochter Tussi), von Marie Heeschen gesungen.
Johannes Mertes (Engels), Yannick-Muriel Noah (Jenny), Mark Morouse (Marx), Foto: Thilo Beu/ Theater Bonn
Hinzu kommen Mark Marouse als Marx und Johannes Mertes als Engels, beide stimmlich fest und gesanglich sehr ansprechend. Das Beethoven Orchester unter David Parry und der Chor des Theaters Bonn spielen und singen grandios, man glaubt die Freude an dieser Oper heraushören zu können.
Es gibt wunderbare Szenen, etwa, als Marx im Lesesaal des Britischen Museums von der Pariser Kommune träumt. Die Bühne ist bevölkert von fahnenschwingenden Kommunisten. Das Bühnenbild besteht aus hohen Stellwänden, die eisern wirken. Da klingen England als Industrienation und der Manchesterkapitalismus gleichermaßen an. Marx‘ Wohnung ist irgendetwas zwischen einem Eisenbahnwaggon mit Wendeltreppe und einem Haus mit winzigem Dachgarten. Über die Bühne fliegt ein Schreibmaschine tippender Pilot. Es ist der Agent ihrer Majestät, der Marx beobachtet.
Der Pfandleiher, gesungen vom Musikhochschüler Boyan Di, eine Mischung aus Michael Jackson und Johnny Depp, hängt am Sauerstoffgerät und sitzt im Rollstuhl. Marx‘ Tochter Tussy und der verlorene Sohn Freddy reiten auf einer überdimensionalen Pistole. Das hat sich Ausstatter Hank Irwin Kittel fein ausgedacht. „Marx in London“ ist eine komische Oper, da passen surreale Elemente besser als verschnarchtes Interieur. Immer und allezeit ist alles in Bewegung. Die graugekleideten Arbeiter schieben Tische und Vitrinen fast pausenlos hin und der. Das unterstreicht den Drive der Musik.
Und natürlich geht alles gut aus. Wie so oft hilft Friedrich Engels auch an diesem Tag Karl Marx aus der Bredouille und verschafft ihm Geld. Marx nimmt an einem Redewettstreit teil und besiegt den italienischen Anarchisten Melanzane (Jonghoon You). Und dann verteilt Marx den größten Teil der Siegesprämie sofort an die Arbeiter, mit der Bitte, doch einen guten Roten und einen anständigen Schnaps zu trinken.
„Marx in London“ ist im besten Sinne kurzweilig und originell. Und setzt so den adäquaten Schlusspunkt zum Marxjahr. Da lohnt ein kleiner Ausflug an den Rhein nach Bonn…
Weitere Termine: 22., 28. Dezember 2018, 12., 20. Januar 2019, 2., 8. und 14. Februar 2019 im Opernhaus, Am Boeselagerhof 1, 53111 Bonn.