Kommunikationsmuseum zeigt „A BIGGER BROTHER“
Jim Avignons schrille Bilderwelt mit gesellschaftspolitischem Tiefgang – im Fokus Kontrolle
Von Hans-Bernd Heier
Jim Avignon ist ein wahrer Tausendsassa: Er ist der schnellste Maler weit und breit, musiziert, performt und gestaltet wie im Zeitraffer verschiedene Räume auf der ganzen Welt zu Gesamtkunstwerken um. Jetzt bespielt er mit der vielseitigen Schau „A BIGGER BROTHER“ die „KUNST|RÄUME“ des Museums für Kommunikation in Frankfurt.
„Body Control“; © Jim Avignon; Foto: Hans-Bernd Heier
Im Fokus seiner comichaften Arbeiten steht das Thema „Kontrolle“. Damit greift Avignon einen der vier Themenschwerpunkte der neuen Dauerausstellung „Mediengeschichte/n neu erzählt“ auf: Das ist neben „Beschleunigung“, „Vernetzung“ und „Teilhabe“ die „Kontrolle“. „Allen Phänomenen gemeinsam ist, dass sie über die Zeiten den menschlichen Umgang mit Medien entscheidend prägen. In seinen „KUNST|RÄUMEN“ zeigt das Museum wechselnde künstlerische Positionen, die sich mit jeweils einem dieser Phänomene auseinandersetzen“, erklärt Museumsdirektor Dr. Helmut Gold.
„Remote Controlled“; © Remote, 2018; Foto: Museum für Kommunikation
Alle Arbeiten hat Avignon, so sein Künstlername, eigens für die Frankfurter Ausstellung kreiert, auch die interaktiven Exponate aus Pappmaché, wie den „Body Scanner“ oder „Knacke das Passwort-Orakel“. Der Künstler, der sich selbst als unternehmungslustig und neugierig charakterisiert und der gerne reist, arbeitet grundsätzlich vor Ort. Allerdings fertigt er bereits vorher Skizzen an. Die Bildtexte wie auch die Namen der Arbeiten sind meist in Englisch, weil die Sprache kürzer und prägnanter ist.
Selbstbildnis des Künstlers, ©Jimmy, 2018; Museum für Kommunikation
Jim Avignons Figuren, die er stets schwarz umrandet, und seine Szenarien sind bunt und schrill. Seine Bilderwelt wirkt auf den ersten Blick wie heitere, leicht konsumierbare Pop-Art-Kost. Doch was so farbenfroh daherkommt, hat tiefgreifende politische und gesellschaftliche Bezüge. Auf den zweiten Blick offenbaren die vermeintlich naiven Werke eine kritische Auseinandersetzung mit Gegenwartsproblemen wie Globalisierung, Kapitalismus und die Allgegenwart der Sozialen Medien sowie Bestechung und Korruption. Avignon reflektiert diese brisanten Themen auf seine unnachahmliche Art, so auch bei „A BIGGER BROTHER“. „Er gewährt unerwartete Einblicke in unser Innerstes und lädt große und kleine Besucherinnen und Besucher zum Kunstspaß ein, der auch breiten Raum zum Nachdenken lässt“, sagt die Kuratorin Margret Baumann.
„Knacke das Passwort-Orakel“, © Jim Avignon; Foto: Hans-Bernd Heier
Seit der Publikation von George Orwells modernem Klassiker „1984“, steht der Begriff „Big Brother“ für totalitäre Strukturen und ständige Kontrolle. Heute erscheint die Ausgangssituation dieses damals völlig fiktionalen Romans erschreckend real: Durch unsere ständige Medienpräsenz offenbaren wir – häufig ohne uns groß darüber Gedanken zu machen – private Daten, die von Algorithmen gesammelt und zu einem ökonomisch wertvollen, erschreckend präzisen Bild unserer Persönlichkeit und unserer Bewegungsmuster zusammengefügt werden. Wie in den gesellschaftskritischen Gemälden und Zeichnungen des deutsch-amerikanischen Malers, Grafikers und Karikaturisten George Grosz lassen auch einige Figuren Avignons tief unter die abgehobenen Schädeldecken blicken. „Dort herrschen Abhängigkeit, Gier und Verwirrung, ausgelöst durch die Informationsflut, die ständig in unsere Hirne schwappt“, so die Kuratorin. Auch die auf Pappe gemalten Porträts mit in die Stirn eingebauten kleinen Monitoren gewähren Einblick, was in den Köpfen so vor sich geht – angefangen vom Zeitdruck über Essen bis zu Aktienkursen.
© Jim Avignon; Foto: Hans-Bernd Heier
Jim Avignon (*1968) ist eine schillernde Persönlichkeit: Er ist deutscher Pop-Art-Künstler und Vertreter der „Art modeste“ (wörtlich: bescheidene Kunst). Seine offizielle Karriere als Maler begann der Autodidakt in den frühen 1990er Jahren mit Dekorationen und Bühnenbildern für Rave-Veranstaltungen. Zentrales Motiv in seinen Arbeiten ist laut Baumann die Schnelligkeit, der Ausdruck des „Lebensgefühls der Generation Techno“ und „das Scheitern des Individuums“ in einer sich ständig beschleunigenden Welt. Dieses spiegelt auch seine Produktivität wider, die nach seinen eigenen Angaben bei durchschnittlich 4,37 Werken pro Tag liegt. In den 1980er Jahren malte er beispielsweise alle Exponate für eine Ausstellung in einer Woche.
Vor dem Bild „Body Control“ erläutern die Kuratorin Margret Baumann, Museumsdirektor Dr. Helmut Gold und Jim Avignon die Werke; Foto: Hans-Bernd Heier
Zu den bekannteren Projekten Avignons zählen eine Performance während der Documenta X, in der er – außerhalb des offiziellen Ausstellungsprogramms – jeden Tag ein neues Bild malte, um es daraufhin wieder zu vernichten, und die Anfertigung eines Gemäldes mit einer Fläche von 2800 m², das anlässlich der Wiedereröffnungsfeier des Berliner Olympiastadions von 132 Sportlern in das Stadion getragen wurde. Ein öffentlich zugängliches Werk ist ein von ihm bemalter Abschnitt der längsten erhaltenen Berliner Mauer, der „East Side Gallery“. Im Oktober 2013 übermalte der Künstler in einer spektakulären Aktion sein eigenes, unter Denkmalschutz stehendes Mauerbild von 1991 mit Unterstützung mehrerer Kunstschüler, ohne dafür eine Genehmigung zu besitzen. Der Künstlerzusammenschluss Künstlerinitiative ESG e.V. kritisierte die Aktion und prüfte ein strafrechtliches Vorgehen gegen ihn. Auch die Denkmalschutzbehörde erwog die Verhängung eines Bußgeldes. Als wenig später das neue Mauerbild als Hintergrundkulisse im Abspann eines Werbespots der Telekom zu sehen war, lösten sich diese Überlegungen in Wohlgefallen auf.
Interaktive Installation „What Type you are“; © Jim Avignon; Foto: Hans-Bernd Heier
Avignon hat viele Jahre in New York gearbeitet. Derzeit lebt er wieder in Berlin. Vor seiner Karriere als Künstler arbeitete er eigenen Angaben zufolge unter anderem als Programmierer, Altenpfleger und Schulbusfahrer. Er hat auch Swatch-Uhren gestaltet, ein Flugzeug der Deutschen BA bemalt und ein Kochbuch („Hoch die Dose“, 2006) illustriert. Anlässlich der Buddy Bär Berlin Show 2001 gestaltete er einen Bären, der über ein Jahr an prominenter Stelle auf dem Kurfürstendamm stand. Der Allround-Künstler veröffentlichte sogar mehrere Bücher sowie das Kunst- und Grafik-Magazin „attack delay“.
Träger des Museums für Kommunikation Frankfurt ist die „Museumsstiftung Post und Telekommunikation“, die eine beachtliche Kunstsammlung besitzt. Die Kollektion umfasst rund 300 Gemälde – nicht nur Postkutschenmotive sowie Postillionsdarstellungen aus der Genremalerei vom 17. bis 19. Jahrhundert, sondern auch viele hochkarätige Werke der klassischen Moderne bis hin zu aktueller Gegenwartskunst. Highlights der Moderne – wie Gabriele Münters farbkräftiges Gemälde „Der blaue See“, das „Aphrodisische Telefon“, bekannter unter der Bezeichnung „Hummertelefon“ von Dali, das „Wrapped Payphone Object“ von Christo und Jeanne Claude oder das „Telefon S-E ( Fadentelefon)“ von Joseph Beuys sowie Markus Lüpertz‘ bezaubernde Bronzeskulptur „Mercurius“ – sind in einem benachbarten Kunstraum im Frankfurter Museum zu bewundern.
„A BIGGER BROTHER“ ist bis zum 26. Mai 2019 in den KUNST|RÄUMEN des Museums für Kommunikation Frankfurt zu sehen; weitere Informationen unter: www.mfk-frankfurt.de