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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Von Angesicht zu Angesicht“ – Wiederentdeckung der großartigen Malerin Lotte Laserstein im Frankfurter Städel Museum

Lotte in Frankfurt – Berührend und dem Vergessen entrissen

Lotte Lasersteins Œuvre mit ihren sensiblen und eindringlich gestalteten Porträts aus der Weimarer Republik gehört zu den großen Wiederentdeckungen der letzten Jahre. Das Frankfurter Städel präsentiert die Malerin Lotte Laserstein (1898–1993) in einer umfassenden Einzelausstellung.

Von Petra Kammann

„Von Angesicht zu Angesicht“: Blick in die Städel-Ausstellung mit der Porträtaufnahme Lotte Laserstein, Traute Rose, Ohne Titel  um 1928, Berlinische Galerie – Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Berlin, Foto: Petra Kamman

Wer ist Lotte Laserstein? Allein der Name hatte einst Städel-Direktor Philipp Demandt verzaubert und ihn 2003 ins Berliner „Verborgene Museum“ gelockt, wo ihre erste Ausstellung in Deutschland zu sehen war, die ihn nachhaltig faszinierte. „Das klang wie der Name einer Szenekneipe“, erinnert er sich. „Ich hatte den Namen noch nie gehört. Doch was ich gesehen habe, hat alles übertroffen, was ich erwartet habe.“

Ich selbst wurde erst so richtig auf Lotte Laserstein aufmerksam, als ich Bilder von ihr zum ersten Mal in der herausragenden Schirn-Ausstellung „Glanz und Elend der Weimarer Republik“, die Anfang des Jahres zu Ende ging, bewusst wahrnahm. Da war ihr Bild „Zwei Mädchen“ von 1927 zu sehen, wo sie sich selbst als Künstlerin an der Staffelei thematisiert, oder auch ihr fast androgyn anmutendes „Selbstporträt mit Katze“ von 1928. Außerdem machte ihr kühner Plakatentwurf auf die damalige Ausstellung „Die gestaltende Frau“ aus dem Jahre 1930 aufmerksam. Und mit der Begeisterung für die neuen „Tennisspielerinnen“, die es im sportlichen Kampf mit den Männern durchaus aufnehmen können, hatte sie der Neuen Frau einen festen Platz in der Malereigeschichte eingeräumt, die nicht mehr nur als Muse, sondern selbstverständlich als Akteurin auf der Bildfläche erschien.

Magisch angezogen aber war ich von ihrem hinreißenden Porträt „Russisches Mädchen mit Puderdose“, welches das Städel bereits 2014 angekauft hatte, wie ich später erfuhr. Da zeigt Laserstein eine junge Russin aus zwei verschiedenen Perspektiven in Nahsicht: jung, modisch gekleidet, selbst- und schönheitsbewusst und zeittypisch mit Bubikopf. Der prüfende Blick in den Spiegel der Puderdose fügt der großzügig-klaren Komposition auf kleinem Raum (31,7 x 40 cm groß) auch noch einen weiteren Aspekt hinzu: das ebenso schöne Profil des Mädchens auf dem Hintergrund des matten Spiegels.

Interessant ist die Entstehung dieses Bildes insofern, als Laserstein auch geschäftlich erfolgreich war und alle Gelegenheiten wahrnahm, der Welt zu zeigen, dass sie von ihrer Kunst leben kann. Schließlich hatte sie 1927 als eine der ersten Frauen die Berliner Kunst-Akademie erfolgreich absolviert als Meisterschülerin von Erich Wolfsfeld, einem im Realismus des 19. Jahrhunderts verhafteten Maler, der für die junge Künstlerin ein Leben lang stilprägend sein sollte.

Schon ein Jahr später, 1928,  konnte die Malerin mit „Russisches Mädchen mit Puderdose“ an dem Wettbewerb der Kosmetikfirma Elida „Das schönste deutsche Frauenporträt“ teilnehmen und wurde unter 365 Werken für die Endrunde nominiert. Die ausgewählten Gemälde wurden dann in der seinerzeit renommierten Galerie von Fritz Gurlitt ausgestellt und begeistert vom Publikum aufgenommen.

Fassadenbanner am Städel Museum zur Ausstellung „Lotte Laserstein. Von Angesicht zu Angesicht“ Foto: Städel Museum

In ihren Porträts, von denen etliche in Frankfurt zu sehen sind, befragt die Malerin immer wieder und vor allem das Bild der Neuen Frau im urbanen Umfeld Berlins oder in ihrem eigenen Atelier in Berlin‑Wilmersdorf, in dem sie auch eine private Malschule eingerichtet hatte, um ganz unabhängig zu sein. Besonders Traute Rose, ihr Lieblingsmodell, inspirierte sie zu einigen ihrer herausragenden Bilder, u.a. zu den subtilen Malerin-Modell-Darstellungen und zu den starken weiblichen Akten, die in der Städel-Schau zu sehen sind. Nicht nur in ihren Selbstporträts, sondern  auch in den  Malerin-Modell-Darstellungen weist Laserstein selbstbewusst auf ihr Metier als Malerin hin. Ihren Porträts sieht man außerdem die Freude an der Malerei an, so differenziert, wie sie Oberflächen wie Haut, Haar, Pelz oder Stoff wiedergibt. Allein zwischen 1928 und 1931 kamen sage und schreibe 22 Ausstellungen zustande, an denen sie mitwirkte. Daneben nahm sie an verschiedenen Wettbewerben teil. Und 1931 widmete man ihr prompt die erste Einzelausstellung in der damals renommierten Galerie Gurlitt.

 

Die beiden Kuratoren: Elena Schroll und Alexander Eiling

Ab 1933 hatte dann die so erfolgreiche Malerin, eine zwar christlich getaufte assimilierte Jüdin, die aufgrund ihrer Großeltern aber als jüdisch deklariert wurde und nach den Nürnberger Rassegesetzen als „Dreivierteljüdin“ galt, plötzlich keine Ausstellungsmöglichkeit mehr. Sie wurde aus dem Vorstand des Vereins der Berliner Künstlerinnen entlassen. Dann wurde ihr privates Schüleratelier geschlossen. Ihrer Tätigkeit als Kunstlehrerin konnte sie allenfalls noch an der jüdischen Privatschule von Helene Zickel nachgehen, und im Rahmen des Jüdischen Kulturbundes bekam sie noch Ausstellungen. Schließlich emigrierte sie 1937 nach Schweden, wo sie im Dezember desselben Jahres bereits in der Stockholmer ,Galerie Modern‘ eine erfolgreiche Ausstellung hatte, der zahlreiche Auftragsarbeiten folgten.

Dann kehrte sie einfach aus dem schwedischen Exil nie mehr zurück. Aber was heißt schon: einfach? Es war alles andere als einfach. Dieser Tatsache haben sich auch die beiden Kuratoren Alexander Eiling und Elena Schroll gestellt und vor allem Lasersteins große Stärke in den Vordergrund gestellt. Allein die verzweifelten Versuche, Mutter und Schwester nachzuholen, scheiterten, die Schwester überlebte im Untergrund, die Mutter wurde im KZ ermordet. Auch nach dem Krieg kam Lotte Laserstein nicht mehr nach Deutschland zurück. Vom deutschen Kunstbetrieb blieb sie nämlich auch nach dem Zweiten Weltkrieg ausgeschlossen, weil ihr Stil eher ein sachlich-realistischer war und ihre Geschichte nach der Ansicht anderer nicht so schwer wog. Und außerdem ließ man wiederum in Deutschland nur noch die meist abstrakte „Moderne“ gelten. Doch das ist ein Extrakapitel. Das alles konnte die Künstlerin durch und durch, die sie war, nicht davon abhalten weiterzumachen.

Städeldirektor Philipp Demandt hatte die Großartigkeit von Lotte Lasersteins Werk 2003 zum ersten Mal im Verborgenen Museum in Berlin erlebt; Foto: Petra Kammann

Lasersteins großformatiges und mehrfiguriges Gemälde „Abend über Potsdam“ aus dem Jahre 1930 hat die Künstlerin selbst als das Meisterwerk ihres Lebens betrachtet und es auch erst kurz vor ihrem eigenen Ende in Schweden verkauft. Es hängt nun in der Frankfurter Schau an zentraler Stelle in der galeriemäßig eingeteilten Ausstellungsfläche der Graphischen Sammlung im Städel. Es stand auch im Zentrum ihrer ersten Einzelausstellung bei Wolfgang Gurlitt, dem Vater des Münchner Schätzehorters Cornelius Gurlitt. Städeldirektor Philipp Demandt wiederum hatte es in seiner früheren Funktion als Dezernent bei der Kulturstiftung der Länder auf einer Londoner Auktion entdeckt und ließ es mithilfe von Unterstützern für die Berliner Nationalgalerie ersteigern. In seiner Zeit am Städel erwarb Demandt 2016 dann ein weiteres Laserstein-Werk für die Sammlung, das ebenfalls in der Ausstellung zu sehen ist: „Junge mit Kasper-Puppe (Wolfgang Karger)“ aus dem Jahr 1913, so dass das Museum nun zwei ihrer bedeutenden Gemälde besitzt.

Für ihn sei die Frankfurter Laserstein-Ausstellung daher auch eine ganz persönliche Angelegenheit. Er verstand „Abend über Potsdam“ als die zentrale Vorankündigung des nationalsozialistischen Unheils durch die deutsche Kunst. Nun zum Aufbau und Motiv des Bildes selbst. Mit einem Ausblick auf die darunter liegende Stadt Potsdam sind auf einer Dachterrasse drei Frauen und zwei Männer – scheinbar vertraute Personen – um einen weißgedeckten Tisch versammelt. Andeutungsweise gibt es noch ein konspiratives Gespräch unter den dort sitzenden Männern.

Doch alle schauen in eine andere Richtung und wirken wie abwesend. Die Gläser auf dem Tisch sind halb leer. Eine Art Götterdämmerung der goldenen Zwanziger Jahre scheint sich am einst vertrauten Tisch breit zu machen. Die stille, kühle Distanz zwischen Freunden erinnert in ihrer psychologischen Dichte an eine weltliche Abendmahlszene. Unter dem Tisch scheint ein Schäferhund zu schlafen, doch seine Augen sind offen und schauen ebenso ins Leere wie die der anwesenden Personen. Über der ganzen Szene liegt ein Hauch von Melancholie oder gar Depression, was die Verdüsterung der allgemeinen Lage nur erahnen lässt.

Dass Laserstein im schwedischen Exil dann Kompromisse eingeht und produziert, was ihre konservativen Auftraggeber sich wünschen, hat in Frankfurt zur Entscheidung beigetragen, sich stärker auf die Werke der zwanziger und frühen dreißiger Jahre zu konzentrieren. Eiling sprach von einem „Best of“. Die Kuratoren suchten einige wenige künstlerisch hochwertige Arbeiten aus der Exilphase aus, darunter starke Porträts von Mitemigranten wie das von Dr. Walter Lindenthal, der bis 1933 für den Berliner Magistrat tätig gewesen war. Er sitzt mit einem dicken Wollmantel und einer wärmenden Decke auf den Knien vor einem undefinierten Hintergrund und hält als Intellektueller ein Buch in Händen. Sein ausdrucksloser bewusst verwischter Blick macht ihn als einen, der auf der Flucht ist, fast unkenntlich.

Als die Künstlerin 1993 im Alter von 94 Jahren im schwedischen Kalmar starb, war ihr Werk bei uns aus der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend verschwunden, da sie von der internationalen Kunstszene abgeschnitten war. Umso bemerkenswerter, dass es nun nach so vielen Jahren durch die fabelhafte Frankfurter Schau gelungen ist, der emanzipierten und starken Frau, deren Leben von Krisen, Flucht und Umbrüchen gezeichnet ist, eine berührende Hommage zu widmen.

Zusatzinfos:

• Die Schau „Lotte Laserstein. Von Angesicht zu Angesicht“ zeigt bis zum 17. März 2019 im Frankfurter Städel Museum mehr als 40 Werke, zumeist Gemälde, daneben wenige Zeichnungen und Fotografien. Der informative und gut bebilderte Katalog ist im Prestel Verlag erschienen und zum Preis von 45 Euro erhältlich.

• Im Kunstraum Bernusstraße präsentiert die Galerie „Laternenkinder“ bis zum 12. Januar 2019 –  Arbeiten von Lotte Laserstein aus der Sammlung Thilo Herrmann, die teils zum ersten Mal öffentlich gezeigt werden. Mit dabei sind einige kleine Porträts, die Zeugnis von ihrem außergewöhnlichen Porträtschaffen ablegen. In der Ölskizze zu den spätimpressionistisch aufgefassten „Laternenkindern“ zeigt sich ihre große Sensibilität, mit der sie auch in Gruppenbildern jedem einzelnen Kind einfühlsam einen individuellen Ausdruck verschafft, ohne sich in Details zu verlieren.

• Da Lotte Laserstein am 28. November 2018 120 Jahre alt geworden wäre, werden die Kulturwissenschaftlerin Petra Schwerdtner und der Germanist Dr. Adolf Fink Leben und Werk von Lotte Laserstein im Duett näherzubringen. Freier Eintritt, Bitte um Anmeldung.

• Parallel zum im Städel Museum gezeigten Bild  „Abend über Potsdam“ findet zudem eine Intervention von Stefan Pietryga statt. Der in Potsdam ansässige Stefan Pietryga transformiert das großformatige Gemälde mit seiner Nachschöpfung in die Gegenwart. Dabei beschäftigt er sich ebenfalls intensiv mit dem Ausdruck der einzelnen Figuren. Das wiederholte Kopieren des Bildes schafft über den Zeitsprung von 88 Jahren eine zeitgenössische Sicht auf das Dargestellte und zeigt gleichzeitig eine neue Interpretation und Lesbarkeit auf. 

• Am Freitag, den 11.01.2019, 19:00 Uhr zur Finissage, führen  Stefan Pietryga ein Künstlergespräch mit Dr. Jutta Götzmann, Direktorin des Potsdam Museum, über das Bild „Abend über Potsdam“ von Lotte Laserstein. 

 

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