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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Monika Romstein: „No nymphs in polar regions“ in der Weißfrauen Diakoniekirche Frankfurt

Neues aus dem Königreich Arendelle und: Der Hl. Martin wird weiblich

Von Erhard Metz

Eine Kirche in der Kirche? Solches könnte man vielleicht auf den ersten, eher ferneren Blick meinen, wenn man die großzügige, hohe Halle der Weißfrauen Diakoniekirche in der Gutleutstraße betritt. Beim Nähersehen wird erkennbar: Es ist ein bescheidener Kubus, der sich in der Mitte gegen die wirkmächtige Architektur des imposanten sakralen Raums wie David gegen Goliath ausnimmt, aus „armen“ Materialien wie Holzlatten, Pappen, Leinwandbahnen gezimmert, in dieser Armut mag er – wo wir uns nun einmal in einer Kunst ausstellenden Kirche befinden – vielleicht an die prekären Umstände der Krippe von Bethlehem denken lassen, auch an mobile, zeltartige Behausungen von Nomadenstämmen oder des auf mühsamem Weg wandernden Volkes Israel in das Gelobte Land.

Die Hauskonstruktion, im Vordergrund das Gemälde „Vertreibung der Dämonen“

Nun ist es aber um die Zeit des Martinstags, die Martinsgänse sehen zunehmend beängstigt der Bratröhre entgegen, es geht allmählich auf den Winter zu, es wird wieder kühler, und vielleicht verfällt der Betrachter beim Genuß eines oder zweier Becher Tees, ihm von der freundlichen Aufsicht stets frisch im Samowar aufbereitet, ob des Titels der Ausstellung „No nymphs in polar regions“ und all der genannten Umstände ins Grübeln, wo er denn wirklich sich nun befindet – doch nicht etwa im später zum Weihnachtswinterwunderland werdenden sagenhaften Königreich von Arendelle, in der Zauberwelt Elsas, der Königstochter, die mit ihren magischen Schnee und Eis erzeugenden Kräften das Reich mit einem ewigen Winter überzieht? Wir werden sehen.

Wir erblicken eine von Monika Romstein eigens für die Ausstellung in der Diakoniekirche entwickelte ortsspezifische Installation, bestehend aus besagtem Kubus als einer Schauarchitektur und einer Reihe von Gemälden überwiegend in Öl auf Leinwand. Die vier Wände, an einer Seite mit einem wie von zurückgeschlagenen Zeltvorhängen freigegebenen Einlaß, an einer anderen mit kleinen rechteckigen Gucklöchern versehen, sind zugleich Bilderwand und Wandbild – multiperspektivisch nennt die Künstlerin denn auch ihr Werk.

Das Königreich von Arendelle, große Wandarbeit, 2018, Leinwand, Acryl, Papierarbeiten montiert, 2-teilig, 3 x 10 m

Wir umschreiten den Kubus: Monumental das Hauptbild als Außenfläche einer Wand, deren Innenseite wiederum mit eigenständigen Arbeiten bestückt ist: zwei Leinwandbahnen, bemalt mit Acrylfarben, von zusammen drei mal zehn Metern Fläche, mit sechs aufmontierten kleineren Papierarbeiten. Das Königreich von Arendelle benennt es die Künstlerin, inspiriert von der Disney-Produktion „Die Eiskönigin“, ein Computeranimationsfilm (ein zweiter Teil ist für November 2019 angekündigt) mit zwei nachfolgenden Kurzfilmen. Wasser spielt in der hier in graubraunen Erdfarben gehaltenen Malerei (wie auch in vielen der Bilder) eine Rolle – liegt doch das Märchenschloss ebenfalls an einem (Eis-)See. Fischlein sind zu sehen, vielleicht auch ein flußpferdartiges Wesen, ein Gespenst scheint sich aus dem Wasser zu erheben, kleine Kobolde geistern durch die Wogen. Nymphen? Nein, die suchen wir vergebens.

Innerhalb der Hauskonstruktion, prominent dem Eingang gegenüber, der „Hl. Martin und die Tiere“. Martin, mit mächtigem Wuschelhaar und -bart, wie ihn dereinst den Herakles/Herkules zierten, aber mit überraschend weichen Gesichtszügen, steht in einem Boot, anthropomorph erscheinende Fische umschwimmen ihn, richten sich vor ihm auf oder klammern sich an das Boot. Dies alles vor einem prächtig sich auftuenden Licht- und Sonnenball. Mag sich bei manchem Betrachter bereits hier eine Assoziation an die neutestamentliche Erzählung von Jesus im Boot auf dem See Genezareth einstellen, so führt die Künstlerin Jesu Namen bei der folgenden Arbeit direkt in den Bildtitel ein. Aus den Augen der Jesusfigur fließen Tränen, den Kopf umschwirren drei Vögel.

↑ Hl. Martin und die Tiere, 2018, Öl auf Leinwand, 120 x 160 cm
↓ Jesus trapped in a mudhole, 2018, Öl auf Leinwand, 120 x 140 cm

Vom Wasser geht es in die Wildnis: Ein Löwe liegt auf einer männlichen Gestalt – wir erahnen wieder den wuchernden Herkulesschopf und -bart mit dem kindlich-zarten Gesicht. Greift das Tier an, oder will es den Menschen, einer schmusigen Hauskatze gleich, nicht eher kosen und putzen? Und umgekehrt reitet das besagte menschliche Wesen in bläulichem Schimmer, auch hier wiederum nackt, auf einem Leoparden, der es willig zu tragen scheint.

↑ The nightmare, 2018, Öl auf Leinwand, 50 x 60 cm
↓ Into the wild, 2018, Öl auf Leinwand, 50 x 60 cm

Kleine Badenixe, 2018, Öl auf Leinwand, 50 x 60 cm

Ein grünlicher Nix – ein Nöck, ein Wassermann also – mit überlangem Bart- und Haupthaar, im von unten sprudelnden Wasser Luftblasen blubbernd, fischähnliche Tiere umschwimmen ihn. Im Gegensatz zur Wasserfrau ist er von eher schwierigem Charakter, junge Mädchen, mithin Nymphen, soll er verführen und in sein unterirdisches Wasserreich locken.

Am Ende kehren wir zurück zum Hl. Martin: Links erneut der Haar- und Bartprächtige, diesmal als Tränen vergießender Bettler am Wegesrand, auf dem sich aufbäumenden Roß sitzt Martin – als Frau! – , den entgegen der christlichen Ikonografie nicht roten, sondern hier einen grünen Mantel mit dem Schwert teilend.

Hl. Martin als Frau verkleidet, 2018, Öl auf Leinwand, 120 x 140 cm

Wir setzen uns auf die langgestreckte Bank vor der Orgelempore, vor uns die malerische Installation, Gedanken, Assoziationen, Erinnerungen kreisen. Es sind vorwiegend staub- und erdartige Farben, die Monika Romstein bevorzugt, gelegentlich ein Gelb, Blau und Grün (ein mattes, nie ein kräftiges), ein Rot fehlt.

Bemerkenswert erscheint uns die Beschäftigung der Künstlerin mit der Schöpfung in Gestalt von Mensch und Tier und innerhalb des Menschen wiederum von Mann und Frau. Ihren menschlichen Figuren eignet nicht selten etwas Androgynes – als Versöhnung der Geschlechter? Und: Mensch und Tier begegnen sich in symbiotischer, ja sich einander zuneigender Beziehung.

Die ortsspezifische Arbeit wurde immerhin für einen christlich-sakralen Raum entwickelt, wir entdecken manch biblisch oder von christlichen Legenden inspirierte Motive wie Jesus im Boot, den Markuslöwen, den Hl. Martin, das allem Leben wie auch den ersten Sätzen der Genesis zugrunde liegende und später zahlreiche Bibeltexte durchziehende Wasser, auch in seiner Bedeutung für die Taufe, den Fisch als Symbol und Erkennungszeichen frühesten Christentums.

Dennoch können und dürfen wir Monika Romstein keine christlich-erzählerische oder gar verkündigende Intention unterstellen. In ihre von symbolistischen wie auch surrealen Elementen gekennzeichneten Arbeiten fließen gleich einem spielerisch angehauchten mixtum compositum und netzwerkartig ebenso Märchen, Sagen, Mythen und Legenden aus der Menschheitsgeschichte ein. So öffnen sich die Bilderwelten der Künstlerin dem Betrachter als ein weites, in vielem von ihm selbst zu bestellendes Feld, erschließen ihm eine universelle Weite gedanklicher Räume – getragen von einer grundsätzlichen menschlich-ethischen, den Geheimnissen der Schöpfung verantwortlichen Wertigkeit. Und am Ende unserer Kontemplationen, bei einem dritten Becher aus dem Samowar frisch aufbereiteten Tee, stellen wir fest: Warum in aller Welt soll uns der Hl. Martin nicht auch als Frau begegnen?

Monika Romstein, 1962 in Saarlouis geboren, studierte an der Goethe-Universität Frankfurt, am Duncan of Jordanstone College of Art and Design der Universität in Dundee und zuletzt an der Städelschule bei Professorin Christa Näher. Sie erhielt Stipendien in Wien, im tschechischen Krumau und in Salzburg. Die Zahl ihrer Einzel- und Gruppenausstellungen ist kaum mehr überschaubar. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Frankfurt am Main.

Monika Romstein, „No nymphs in polar regions“, Weißfrauen Diakoniekirche Frankfurt, bis 17. November 2018

Abgebildete Werke © Monika Romstein; Fotos: Erhard Metz

→ Künstlerinnen und Künstler veranstalten temporäre Ausstellungen
→ artspace RheinMain @ Ölhalle am Hafen Offenbach (5)
→ Die Künstlerin als Kuratorin: Corinna Mayer und ihr „Gästezimmer“

s.a.: → Andrea Büttner: Kunst im Campanile der Weissfrauen Diakoniekirche

 

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