Adriaen Brouwer: Meister der Emotionen zwischen Bruegel und Rubens in Oudenaarde
Maler der menschlichen Natur
Von Petra Kammann
Zu den Highlights der Sammlung „Alte Meister“ im Frankfurter Städel zählen unter anderem die Werke der Flämischen Meister wie die von Jan van Eyck, Jan und Pieter Bruegel, Peter Paul Rubens, aber eben auch die von Adriaen Brouwer (1605-1638). Brouwer steht malerisch gleich hinter den Topstars der flämischen Malerei. Sein Werk liegt jedoch in den verschiedensten großen Museen verstreut. Noch ist uns die Frühjahrsausstellung „Rubens. Kraft der Verwandlung“, die über 110.000 Besucher angezogen hat, im Bewusstsein, die ob des Erfolgs sogar um zwei Wochen verlängert wurde. Die flämischen Meister haben zuletzt große Aufmerksamkeit bekommen. Zeitgenossen wie Rubens und Rembrandt schätzten Adriaen Brouwer als den Maler des Alltäglichen. Beide besaßen einige seiner Werke. Im kommenden Jahr wird dann „Bruegel“ im Fokus stehen… Vorher noch kann man aber fast den „ganzen“ Brouwer in Oudenaarde erleben. Eine einmalige Werkschau an einem ganz besonderen Ort: im gotischen Rathaus seiner Geburtsstadt in Ost-Flandern.
Adriaen Brouwer, „ Der bittere Trank“ (um 1636-38), Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt am Main, © Städel Museum – U. Edelmann – ARTOTHEK
Von Adriaen Brouwer weiß man nur wenig, gerade mal, dass er um 1605 geboren wurde, dass er viel reiste, auch in die nördlichen Niederlande, wo er sich in Amsterdam und Haarlem bei Malerkollegen inspirierte. Um 1631 ließ er sich schließlich in Antwerpen nieder, wo er 1638, sieben Jahre später, bereits im Alter von 33 Jahren starb. Rubens sammelte sogar seine Bilder. 17 Gemälde besaß er von Brouwer und Rembrandt immerhin sechs. Unter den herausragenden Künstlerkollegen war er hoch geschätzt, aber sein Ruhm konnte sich zunächst nicht durchsetzen. Denn anders als die Gemälde von Rubens und van Dyck etwa war seine Malerei überhaupt nicht höfisch, was dazu führte, dass sich der Adel von ihm und seinen teils drastischen Alltagsszenen eher distanzierte und auch als Käuferschicht ausfiel. Brouwer hingegen lag daran, die wahren Gefühle der Menschen – auch in unbeobachteten Momenten – festzuhalten und das entsprechend expressiv, bisweilen auch drastisch auszudrücken. Die Zuspitzung beherrschte er meisterhaft.
Das Frankfurter Städel hat in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einige Bilder von Brouwer erworben wie zum Beispiel das Gemälde „Der bittere Trank“ (um 1636-38), das Halbfigurenbild eines schlicht gekleideten bäuerlichen Burschen, der anscheinend gerade eine verabscheuungswürdige bittere Medizin zu sich genommen hat, was sich in seinem verzerrten Gesichtszügen widerspiegelt. Damit stellt Brouwer unmittelbar den Geschmackssinn dar, so wie er sich als barocker Mensch mit den fünf Sinnen des Menschen beschäftigt hat. Etlichen Städel-Besuchern, die auch die zweite Museumsetage besuchen, dürfte dieses ungewöhnliche Bild vertraut sein, weil man einfach stehenbleiben muss und nicht wegschauen kann. Man findet es inzwischen auch im Digitorial, der digitalen Sammlung des Städel. Brouwer muss bei den Sammlern im 19. Jahrhundert sehr begehrt gewesen sein, weil auch weitere Werke wie „Die Operation am Rücken“, (ca. 1636) „Die Operation am Fuß“ damals vom Städel erworben wurden, das letzte 1892 „Ein betrunkener Bauer“ (ca. 1633 -1634), gewissermaßen als Vermächtnis von Moritz Gontard.
Adriaen Brouwer (1605/06-1638), Ein betrunkener Bauer. ca. 1633-1634, Eichenholz, 13,4 x 18,3 cm (oval), Städel Museum, Frankfurt am Main © Städel Museum – U. Edelmann – ARTOTHEK
In seinem Geburtsort Oudenaarde in Ostflandern hingegen, 30 Kilometer südlich von Gent, hing bis zu diesem Jahr nicht ein einziges Bild von Brouwer. Mit der Neuberwertung der flämischen Meister um Rubens, Bruegel und van Eyck – im kommenden Jahr steht Bruegel im Fokus und im Jahr darauf van Eyck– hat nun in diesem Jahr das MOU, das Museum von Oudenaarde und den Flämischen Ardennen gemeinsam mit dem KMSK Antwerpen eine bemerkenswerte Ausstellung im historischen Rathaus am Markt auf die Beine gestellt, die dem Leben und Werk des Oudenaarder Malers zur Ehre gereicht. Sie widmet dem Dokumentaristen des Alltags und der Emotionen eine Werkschau mit 30 Gemälden – weltweit gibt es nur etwa 70 Werke –, die von überall her aus den großen Museen der westlichen Welt, aus berühmten privaten und öffentlichen Sammlungen, eigens zur Brouwer-Schau angereist sind: aus der National Gallery in London, der Gemäldegalerie Berlin, dem Louvre in Paris oder dem New Yorker Metropolitan Museum of Art undundund… Bis zum 16. Dezember sind sie dort noch in dem gotischen „Stadhuis“ von 1526, einem der schönsten Rathäuser Belgiens, zu sehen, ergänzt durch 25 Werke von Zeitgenossen und Nachfolgern wie Frans Hals, David Teniers und Joos van Craesbeeck.
Mit der Werkschau im spätgotischen „Stadhuis“ von Oudenaarde erfährt Adriaen Brouwer eine späte Anerkennung
Was macht Brouwers Malerei denn so attraktiv, dass sich all diese Institutionen an einer Werkschau beteiligen wollten, hat doch der Maler vor allem Genreszenen mit Menschen, über die manche gerne hinwegsehen würden, realistisch dargestellt: ordinäre Tagediebe, grobe Gesellen, Kneipengänger, rauchende, trinkende, feiernde, flirtende, sich prügelnde Rauf- und Trunkenbolde? Lauter Antihelden also, dafür aber quicklebendige. Es macht Spaß, ihre jeweiligen Stimmungen an den Gesichtern, an den blitzenden Augen, an Ihrer Körperhaltung abzulesen, gleich ob es sich um Freude, Trauer, Wut, Schmerz und Krankheit oder um Überheblichkeit handelt. Brouwer hat sie mit seiner flüchtigen Malweise und seinem lockeren Farbauftrag, der nach seinem Haarlemer Aufenthalt zu seinen technischen Gestaltungsmittel zählte, diese emotionalen Momente selbst in den kleinsten Formaten festgehalten. Er spiegelte damit den Alltag der einfachen Leute, denen künstlich kultivierte Haltungen beim Essen und Trinken wie das ordentliche Sitzen um einen Tisch herum eher fremd waren.
Interieur mit Lautenspieler und singender Frau, (1603-1633) aus dem Victoria & Albert Museum
Mit solchen „Momentaufnahmen“ konnten sich die Zeitgenossen identifizieren, weshalb die kleinen Bilder auch schneller verkäuflich waren. Ideal für einen Maler, der das schnell verdiente Geld in der nächsten Kneipe gleich wieder umsetzen konnte, wo er dann gleich die nächste Genreszene vorfand. Aber sein überschaubares Werk ist doch ausgesprochen vielseitig, weshalb sich die Kuratoren dazu entschieden haben, die Ausstellung thematisch in vier zentrale Motivstränge zu gliedern:
Brouwer, der als „der neue Bruegel“ gesehen wird und sich schwerpunktmäßig auf die teils exzessiven Darstellung niederer Gesellschaftsschichten konzentrierte, die hier angeprangert werden wie etwa in „Prügelnde Bauern“ (um 1630), einem Bild aus dem Den Haager Mauritshuis, das normalerweise als Dauerleihgabe im Rijksmuseum Amsterdam hängt. Ein weiterer Schwerpunkt lautet „Freizeit und Zeitvertreib“: Hier stehen vor allem fröhliche Menschen, spielende und musizierende Bauerngesellschaften, Kartenspieler und Raucher, die in einer Herberge in ein erdiges milderes Licht getaucht sind, im Mittelpunkt. Dabei erzielen die von ihm gewählten Farben eine starke räumliche Wirkung.
Adriaen Brouwer (1605/06-1638), Die Operation am Rücken, 1636 Eichenholz, 34,4 x 27 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main © Städel Museum – ARTOTHEK
„Meister der Emotionen“ ist Brouwer vor allem, wenn er porträtiert, sei es sich selbst oder die kleinen Leute, die zum Beispiel vom Schmerz geplagt sind, wie es in dem Bild aus dem Städel „Die Operation am Rücken“ (um 1632/36) zum Ausdruck kommt. Dieses Bild gehörte zu einer Serie, in der er sich mit den fünf Sinnen beschäftigte. Da stand es für den Tastsinn. Zugleich fing Brouwer aber virtuos den Schmerz im Gesicht des „Opfers“ ein, den der Quacksalber in dieser Kneipenszene seinem Patienten unbeteiligt zufügt. Berühmt auch seine Tronien, Charakterköpfe, sie stellen für ihn immer wieder eine Herausforderung dar.
Porträt des Adriaen Brouwer (c. 1605-1638) von Anton van Dijck
Die Raucher spielten zu seiner Zeit eine ganz besondere Rolle. Brouwer hat sich in der Herbergsszene „Die Raucher“ im Kreise seiner kameradschaftlichen Kollegen wie mit dem augenzwinkernden clownesken Jan Lievens zur Linken, dem Bäckermaler Jan Cossiers zu seiner Rechten und dem ironisch dreinblickenden Jan Davidsz. De Heem selbst porträtiert. Das Porträt von Anton van Dijck (s.o.) lässt darauf schließen, das es sich um ihn handeln muss, der sich selbst hier keck als Raucher und Trinker in die Szene „eingebaut“ hat. In der angeheiterten Runde scheinen alle von der Reise sehr durstig zu sein. In der flüchtigen Zusammenkunft von Flamen und Niederländern, wie man an der Kleidung erkennen kann, schaut Brouwer den Zuschauer direkt und herausfordernd an. Gleichzeitig lässt er die Landschaft stimmungsvoll durch das geöffnete Fenster in das verrauchte Wirtshaus scheinen. Die Natur des Menschen wie die ihn umgebende Natur muss den Maler zweifellos geprägt haben. Das ungewöhnliche Bild von der Versammlung in der Kneipe wurde übrigens vom New Yorker Metropolitan Museum of Art ausgeliehen.
Und nicht zuletzt wird in der Schau ein Kapitel „Brouwer als Landschaftsmaler“ gewidmet. Atmosphärisch gelungen und subtil hat er die Variationen des Lichts zu verschiedenen Tageszeiten festgehalten wie etwa auf dem Bild „Dünen im Mondschein“ (um 1635/37) aus der Berliner Gemäldegalerie. Viel früher als die Romantiker, vor allem Caspar David Friedrich, nimmt er hier in der Weite der Landschaft die Stimmung durch die geheimnisvolle Mondbeleuchtung vorweg, gleichzeitig aber auch die Bewegung im Augenblick, die auch die Impressionisten durch einen schnell aufgetragenen Pinselstrich festhielten.
In der übersichtlichen Ausstellung im Untergeschoss des Oudenaardener Rathauses kann der Besucher seinen Blick auf die verschiedenen Facetten des Malers richten und dabei auch das Werk als Ganzes beurteilen, denn es steht in Nachbarschaft zu den Exponaten anderer flämischer Meister wie Frans Hals, David Teniers und Joos van Craesbeeck. Da ist er zweifellos ein Primus inter pares. Als Künstler der Übergangszeit nach dem Bildersturm, in der viel Kunst vernichtet worden war, stellt er eine Brücke zwischen der Bruegelschen Tradition des 16. Jahrhunderts und den Landschafts-und Genreszene des darauffolgenden Jahrhunderts dar.
„Dünen im Mondschein“(um 1635/37) von Adriaen Brouwer kam aus der Berliner Gemäldegalerie nach Oudenaarde, Foto: Petra Kammann
„Die Malerei von Adriaen Brouwer ist ein Tableau vivant, das einen Blick auf das alltägliche Leben jener Zeit eröffnet. Brouwers Blick richtet sich auf die Conditio humana und erfasst die Alltäglichkeit der Menschen mit einem manchmal brutalen Realismus.“ kommentiert der zeitgenössische belgische Künstler Luc Tuymans dessen Oeuvre. Der ungeschönt brutale Realismus war wohl aber auch der Grund, weswegen sein Ruhm zu seiner Zeit begrenzt war. „Brouwer hat drei mal so schnell gelebt wie andere“, sagt van Damme; er habe, so heißt es in einer Biografie von 1876, „dem Bacchus wol manchmal mehr als gut huldigend“ gelebt. Einmal wurde sogar sein Hausrat gepfändet. Für sein Begräbnis in Antwerpen musste gesammelt werden. Auch daran beteiligte sich der ökonomisch erfolgreichere Rubens, weil er Brouwer den Maler außerordentlich schätzte.
„Verdures“- Detail einer Tapisserie in der benachbarten Tuchhalle, Foto: Petra Kammann
Wer noch ein wenig mehr von der flämischen Lebensart mitbekommen möchte, der schaue sich in der neben dem Oudenaarder Rathaus liegenden Tuchhalle mit dem mächtigen Dachgebälk aus dem 14. Jahrhundert um, wo die herrlichsten Tapisserien, Verdüren aus der Zeit Karl V., hängen, Auf dem Grund dieser wollenen „Grünteppiche“, die den Ruf der Schelde-Stadt weit über die Grenzen Flanderns verbreitet haben, sprießen phantasievolle Blüten, über denen phantastische Vögel fliegen. Bevorzugte Motive waren auch die Jagdszenen nach den Gemälden des David Teniers, Und das mag vielleicht auch einiges erklären: Brouwer Vater war Kartonmaler dieser Wandteppiche… Schön, dass diese Bilder nun für eine Weile Nachbarn sind.
Und dass sich das Städtchen seiner besonnen hat, darauf kann man nur anstoßen. Die Brauer (Brouwer) des Ortes haben es sich nicht nehmen lassen ein dunkles Bier namens „Adriaen Brouwer „zu brauen.
Die Ausstellung „Adriaen Brouwer. Meister der Emotionen“ findet bis zum 16. Dezember 2018 im Rathaus 1 in 9700 Oudenaarde statt.
Weitere Infos: www.adriaenbrouwer.be
und auch www.staedelmuseum.de
Den informativen Katalog von Katrien Lichtert gibt es in englischer, französischer oder flämischer Sprache, Amsterdam University Press.