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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Oedipus Rex“ von Igor Strawinsky und „Iolanta“ von Peter I.Tschaikowski in der Oper Frankfurt

Blindheit als Metapher

Es war ein Wagnis, die zwei Einakter von russischen Komponisten, deren Uraufführung nur 35 Jahre auseinanderliegen, aber musikalisch und inhaltlich grundlegend verschieden sind, zu paaren. Diese Bereitschaft zu wagen, ist eine Stärke der Oper Frankfurt, die erneut „Opernhaus des Jahres“ wurde. Sie ließ Lydia Steier am 28.Oktober Igor Strawinskys Opernoratorium „Oedipus Rex“ und Peter I.Tschaikowskis lyrische, romantische Oper „Iolanta“ unter dem Aspekt der Blindheit erfolgreich realisieren.

Von Renate Feyerbacher 

Alle Fotos: Barbara Aumüller/Oper Frankfurt

Asmik Grigorian (Iolanta; oben, links vom Baumstamm) und Ensemble 

Blindheit bei Ödipus, selbst verursacht, der sich das Augenlicht nimmt, als er erfährt, dass er seinen Vater tötete, die Mutter heiratete und vier Kinder mit ihr zeugte. Blindheit bei Iolanta, deren Ursache nicht erkennbar ist. Durch Trauma verursachte Blindheit, die weder medizinisch, geschweige denn chirurgisch zu behandeln ist, sondern nur therapeutisch? „Beide können und wollen der Realität nicht ins Auge schauen,“ so interpretiert es Lydia Steier.
Es ist die inzestuöse Beziehung des Vaters, König René, zu seiner Tochter Iolanta, die sie in dieser Blindheit halten soll. Iolanta weiß nicht einmal, was Sehen bedeutet. Und niemand am Hofe darf mit ihr darüber reden. Alle befolgen das Verbot. Niemand unternimmt etwas, es geht immer so weiter in dieser Hofgesellschaft, die für alle steht. Iolanta kennt das Licht nicht, aber sie erlebt die Schönheit der Natur durch Hören.

Dann erscheint am Hof Graf Vaudémont mit seinem Freund Robert, dem Iolanta in der Kindheit als Ehefrau versprochen wurde. Roberts Liebesarie, gefühlvoll von Gary Griffiths gesungen, der sein Debüt an der Oper Frankfurt gibt, ist jedoch der attraktiven Gräfin Mathilde gewidmet. Beide Männer missachten das Schild ‚Zutritt unter Todesstrafe verboten‘ und gelangen in Iolantas opulent märchenhaftes Gemach. Bühnenbildnerin Barbara Ehnes hat ein übertrieben kitschiges Mädchenzimmer entworfen, das spontanen Beifall hervorruft. Die Wände sind von oben bis unten voll gestellt mit kleinen Puppen in grell pink-farbenen Kleidchen, die sich bei den Figuren der Iolanta und ihrer sie betreuenden Frauen Martha (Judita Nagyovà), Brigitta (Elizabeth Reiter), Laura (Nina Tandarek) wiederfinden. Diese auffälligen Kostüme und die Masken, getragen von den weiblichen Mitgliedern des Chores und des Personals, entwarf der Österreicher Alfred Mayerhofer, der schon mehrfach mit der amerikanischen Regisseurin zusammenarbeitete. Es gibt keine Individualität. 

 AJ Glueckert (Graf Vaudémont) und Asmik Grigorian (Iolanta) 

Vaudémont sieht das schöne, schlafende Mädchen und entbrennt in Liebe. Vorher hat er, der bis dahin keine Liebesbeziehung hatte, sich klar gemacht, wie er sich diese vorstellt: tief und wahr. Er ist fassungslos, als er erkennt, dass Iolanta nichts von ihrer Blindheit weiß und will sie verlassen. Ihr, die auch in Liebe zu ihm entbrannt ist, gelingt es  flehend, ihn zu halten. Er erzählt vom Licht und von der Schönheit der Welt.
Dieser Dialog der beiden Menschen, die zueinander finden wollen, ist einer von einigen beeindruckenden, intensiven Momenten der Inszenierung von Lydia Steier. 

Was für eine Sängerin hatte sie für die Rolle der Iolanta zur Verfügung: Asmik Grigorian. Die litauische Sopranistin, Trägerin des Opera Award 2016 als beste Nachwuchssängerin, die bereits an den internationalen Opern-Hochburgen brillierte, in Salzburg als Salome gefeiert wurde und erstmals an der Oper Frankfurt singt, gestaltet die Rolle stimmlich wie darstellerisch mal ruhig, mal erregt, mal emphatisch. Geradezu einmalig und mühelos bedient sie die ganze Palette ihres klaren, auch in Höhen sicheren Soprans. Sowohl der Zwischenbeifall als auch der Schlussbeifall des Publikums waren überwältigend. Das Publikum feierte die großartige Sängerin, die als die herausragende  Tschaikowski-Interpretin derzeit gilt. Begeistert ist das Publikum auch vom Ensemblemitlied, dem amerikanischen Tenor AJ Glueckert als Graf Vaudémont, der Empathie, aber auch Ratlosigkeit in seiner Stimme und im Spiel eindringlich zum Ausdruck bringt. 

Als der Vater erscheint, will er den Grafen hinrichten. Als Iolanta in die ärztliche Behandlung einwilligt, um Vaudémont zu retten, schiebt er die Hinrichtung auf. Er wird den Grafen begnadigen, wenn die Heilung erfolgreich ist, wovon er nicht ausgeht. Iolanta jedochwird ihr Augenlicht erlangen.

 Asmik Grigorian (Iolanta) in der Bildmitte sitzend und Robert Pomakov (König René) sowie Ensemble 

König René, der Vater, und Ibn-Hakia, der muslimische Arzt, der Ionata behandeln  wird, vertreten Gegenpositionen. Die Figur erinnert an die Kultur von Al-Andalus (711 bis 1492), in der Christen wie Muslime friedlich zusammenlebten und sich gegenseitig kulturell beeinflussten.

Ibn-Hakia, Andreas Bauer (Bass), ausgleichend ruhig, erkennt Renés Machtapparat und die damit verbundene Angst, die alle beherrscht. Er behandelt Iolanta psychotherapeutisch. König René, ein aggressiver, Machtmensch, wird von dem kanadischen Bassisten Robert Pomoakov, der vor Jahren sein Deutschland-Debüt an der Oper Frankfurt gab, gesungen. Beide Sänger sind in diesen Rollen überzeugend.

Graf Vaudémont ist gerettet, aber statt dass sich die Liebenden in die Arme fallen, umarmt Iolanta innig ihren Vater. Den Grafen lässt die Regisseurin sich auf die Treppenstufen setzen. Kein Happy End, wie vorgesehen? Ein irritierender, aber vielleicht logischer Schluss.  

„Iolanta“ ist Peter I.Tschaikowskis (1840-1893) letzte Oper, deren Text sein Bruder Modest verfasste. Die Uraufführung war 1892 in St.Petersburg. Der Zar war entzückt, Presse und Publikum weniger. Zunächst sind überwiegend Holzbläser und Hörner im Einsatz, dann die baldige Überleitung  zu Harfe und Solostreichern. Einfühlsame Melodien folgen. Den Anspielungen des Librettos auf die Natur werden „mittels Harmonik und Instrumentation zum szenenbestimmenden atmosphärischen  Naturbild auskomponiert.“ (Alexej Parin im Programmheft)

Ein Erlebnis, wie die Musiker des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters unter der Leitung ihres Chefs Sebastian Weigle diese Musik erklingen lassen. Da war jede psychisch-bedingte Feinheit der Musik zu erkennen. Der Chor, einstudiert von Tilman Michael, wieder vorzüglich. 

Dass dieses eindrückliche Werk des Komponisten, das erstmals in Frankfurt gezeigt wird, so selten eine Aufführung erlebte, liegt wohl an seiner Kürze von 80 Minuten und der Notwendigkeit, es mit einem anderen Einakter zu kombinieren.

Peter Marsh (Ödipus), auf dem Boden sitzend und Ensemble 

Wie gesagt, an der Oper Frankfurt wird „Iolanta“ mit „Oedipus Rex“ von Igor Strawinski (1882-1971) zusammen aufgeführt. Es war gut, dieses Stück der Tschaikowski-Oper voranzustellen.

Der mythologische Stoff nach einer Tragödie von Sophokles, den der französische Schriftsteller Jean Cocteau, ein Freund des Komponisten, zum Libretto umarbeitete und von einem katholischen Theologiestudenten ins Lateinische übersetzen ließ, ist sehr düster. Die Musik geradezu eindringlich holzschnittartig, plakativ.

Lydia Steier inszeniert ein Tribunal sehr lebendig, teils aggressiv, mit familiärem Bezug. Ein eigenes Bühnenbild wurde geschaffen.Die Künstler von fettFilm projizieren schnelle, teils verwirrende, den psychologischen Aspekt unterstreichende Videos und werden unterstützt durch das kluge Lichtdesign von Olaf Winter.

Jokaste, in knallrotem Kleid, weit dekolletiert, macht Mezzosopranistin Tanja Ariane Baumgartner zu einem furiosen, lüsternen Auftritt. Ein Kind begleitet sie. 

König Ödipus ist der verehrte Held, der Befreier Thebens von der Sphinx, der König der Thebaner, der sie jetzt von der Pest befreien soll. Das könne nur geschehen, wenn der Mörder von König Laios gefunden und verstoßen werde, so die Botschaft des Orakels. Ödipus ist der Mörder, der schuldlos schuldig wurde. Großartig wie Peter Marsh als Ödipus diesen Niedergang gestaltet. Das bewegt und nimmt mit. Andreas Bauer als Seher Teiesias und Gary Griffiths als Kreon, Bruder von Jokaste und Königsnachfolger, hinterlassen auch in diesem Werk einen starken Eindruck. 

Sehr unterschiedlich wurde „Oedipus Rex“ von dem einen oder anderen Besucher bewertet. Es gab Begeisterung und Ablehnung. Für „Iolanta“ durchweg Begeisterung.

Weitere Aufführungen der russisch gesungenen „Iolanta“ und des lateinisch gesungenen „Oedipus Rex“ mit deutschen und englischen Übertiteln am 3., 8., 11., 16., danach Oper lieben mit Asmik Grigorian, 18., 23., 25., November, zuletzt am 1. Dezember.

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