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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Echoes from a restless soul N.N.N.N. und From now on – Dresden Frankfurt Dance Company im Bockenheimer Depot

 

Nocturnes der besonderen Art: Eine poetische Tour de Force

“Romantische Dichtungen für Klavier”, eine Wasserfee und Rap-artiger Bewegungsdrang

Das Bockenheimer Depot war bis in die letzte Reihe gefüllt, auch am Freitagabend, als sich der fulminante dreiteilige Ballettabend der Dresden Frankfurt Dance Company in der Mainmetropole präsentierte: Jacopo Godanis „Echoes from a Restless Soul“, William Forsythes Choreographie aus dem Jahre 2002 „N.N.N.N.“, sowie „From now on“, die Weltpremiere des Künstlerischen Leiters Jacopo Godani selbst. Sie sind am Sonntag, den 21. Oktober, um 16 Uhr ein letztes Mal in Frankfurt zu erleben.

Von Petra Kammann

Eingangsszene aus „Echoes from a restlos soul“ Felix Berning und Carola Sicheri; Alle Fotos: Petra Kammann

Wenn sich der schwarze Vorhang hebt, erscheint eine impressionistische Szene – eine digital projizierte wellenbewegte Landschaft aus verschwimmenden Tänzern, die das Wasserwesen Undine vor dem inneren Auge wie aus einem imaginären Ort auftauchen lassen. Eine hinreißende Folie für das erste Pas de deux. Fast überirdisch erklingen die Pianissimo-Töne vom seitlich angeordneten Flügel aus Maurice Ravels Klavierstück Ondine et le Gibet. Seine Komposition aus dem Jahre 1908, das Triptychon „Gaspard de la nuit“, („Kaspar der Nacht“),  eine Art Schatzmeister der nächtlichen Spukgestalten, der die Geheimnisse und das Unheimliche des Nächtlichen enthüllt, das spielt der gerade einmal 23-jährige Pianist Svjatoslav Korolev geradezu virtuos.

Ondine, die verführerische Meerjungfrau, die nach ausgeschlagenem Heiratsangebot wieder in der regnerischen Nacht verschwindet, ist das flirrende Hauptmotiv des ersten Teils von „Echoes from a Restless Soul“. Sie wird durch eine schnelle Abfolge hoher Töne und mit geschmeidig-glitzernden, an Wasserfälle erinnernde Tonkaskaden, in ihr Reich eingeführt, von anschwellenden Akkorden weiter geleitet und den Arpeggios der Moll-Dreiklänge angepasst. Verführerisch sind auch die tänzerischen Schrittfolgen –perfekt auf diese Musik abgestimmt – und ebenso auf die Geschichte von „Gaspard de la Nuit“ nach der Kurzprosa von Aloysius Bertrand.

„Echoes from a Restless Soul“, Sam Young-Wright und Anne Jung

Auf puristisch schwarzem, die Abenddämmerung symbolisierenden Hintergrund folgt der zweite langsame, ruhige Satz Le Gibet („der Galgen“). Wie aus der „Tiefe des Raumes“ erscheint ein weiteres Paar zum Pas de deux und beschwört im Quartett die grausig-düstere Szene des Galgens aus „Gaspard de la Nuit“ des französischen Dichters  der „schwarzen Romantik“ Aloysius Bertrand, die Ravel als Vorlage für seine Komposition gedient hatte. Nur ein einzelner sich stetig wiederholender Ton, der an einen weichen Glockenklang erinnert, scheint den Wechsel in Tempo und Dynamik zu ignorieren, der fast mimetisch von den beiden tanzenden Paaren aufgegriffen wird, deren Spitzenschuh den Boden der Bühne fast mit leiser Zärtlichkeit wiederholt antippt. Auch in Bertrands Poem besiegelt die Glocke das düstere Verhängnis des Gehängten…

Ganz wild hingegen, durch häufige Umbrüche zerfahren, geht es dann im dritten Satz zu, dem geradezu teuflischen Scarbo. Ravel versuchte wohl auf diese Weise, den Dämon, der den Menschen den Schlaf raubt, musikalisch auszutreiben. Dieser virtuose Schlusssatz, gewissermaßen als Porträt dieses bösartigen Geistes Scarbo, zählt wegen seiner bitonalen und polygonalen Harmonien zu den am schwierigsten zu spielenden Pianostücken. In der Frankfurter Aufführung korrespondierte die Leistung des Pianisten perfekt zu den ausdrucksstarken Tänzern, die mit rasanten und korrespondierenden Bewegungen darauf reagierten. Die nervöse Bewegung des Kobolds, sein Wirbeln und Sich-Aufblasen zur riesenhaften Größe wurde ebenso sicht-  und hörbar wie sein Zusammenfallen in das reine Nichts.

v.l.n.r.: „Echoes from a Restless Soul“, Applaus für Svjatoslav Korolev, Pianist, und die Solotänzer Felix Berning, Carola Sicheri, Anne Jung und Sam Young-Wright

Ravel selbst beurteilt die dreiteilige literarische Vorlage dazu so: „Gaspard de la nuit, Stücke für Klavier nach Aloysius Bertrand, sind drei romantische Gedichte von transzendentaler Virtuosität“. In der Frankfurter Aufführung hat die „transzendentale Virtuosität“ eine Entsprechung im Tanz gefunden. Und es herrscht absolute Stille, als sich zum Schluss die Dunkelheit der Nacht über den Bühnenraum legt und die Tänzer fast lautlos entschwinden lässt. Traumhaft, geradezu rauschhaft schön, elegant, raffiniert und leicht. Eine ästhetisch wie technisch gelungene Leistung vom Klavierspiel über die Choreographie, den fast klassischen Tanz, das Bühnenbild und auch die Kostüme, die durch die bronzenfarbenen Einzelteile aus dem Dunkel aufblitzen und dadurch ein fast überirdisches Schimmern hervorrufen.

Der Applaus des Publikums für „Echoes from a Restless Soul“ galt daher gleichermaßen allen Beteiligten, dem Choreografen und dem Gestalter Jacopo Godani, dem Pianisten Svjatoslav Korolev wie auch den Solotänzern Felix Berning, Carola Sicheri, Anne Jung und Sam Young-Wright.

In Habacht-Stellung: Sam Young-Wright, David Leonidas Thiel, Gustavo Gomes und Anne Jung in „N.N.N.N.“, der Choreographie von William Forsythe

Schnitt und Szenenwechsel:

Nach der Pause wurde eine Choreographie von William Forsythe aus dem Jahre 2002 in neuer Personenkonstellation auf die Bühne gebracht. Statt der ursprünglichen vier Männer war diesmal eine Tänzerin in der Gruppe. Jacopo Godani, der heutige künstlerische Direktor der Dresden Frankfurt Dance Company,  zwischen 1991 und 2000 selbst führender Solist in Forsythes Ballett Frankfurt,  ist mit Forsythe bestens vertraut. Die Dresden Frankfurt Dance Company wird zwar maßgeblich von den Werken Jacopo Godanis geprägt, aber in Abstimmung mit William Forsythe führt die Company auch einmal pro Jahr eines seiner Repertoirewerke auf. Der Kontrast zum vorausgegangenen Stück ist groß. Die Kostüme sind hier alles andere als glamourös. Atmosphärisch denkt man hier bei den beteiligten Tänzern eher an „Menschen von Nebenan“, an ein Fitness-Studio, in dem ,Aufwärmungen‘ gemacht werden, oder auch an Gruppen von Kumpeln, die man  auf der Straße in irgendeiner Großstadt vorfindet. Die Assoziationen jedenfalls sind eher unromantischer Natur.

„N.N.N.N“:  David Leonidas, Sam Young-Wright, Anne Jung, Gustavo Gomes

Doch halt. Was scheinbar nichtig und beiläufig aussieht, dem wohnt echte Forsythe’sche Vertracktheit inne und Purismus pur. Nicht wirklich Musik bildet den Hintergrund für das leicht aggressive Szenarium, dem Gerangel zwischen vier Menschen, es sei denn die Stimmen des Körpers selbst, wie Ächzen, Stöhnen und Aufstampfen. Diese Bewegungskomposition für ein Tänzerquartett mit acht rudernden, teils behindernden Armen ist auch Physis pur ebenso wie die schnellen slapstickartigen Bewegungen, die sich ineinander verknoten, verhaken, runterdrücken, sich in die Zange nehmen und wieder auseinander driften. Die einzige eher androgyne Frau unter den drei Kumpeln –  grandios  von Anne Jung getanzt – wirkt hier nicht etwa feminin wie in „Echoes from a Restless Soul„, aber sie kann sich behaupten, lässt sich ebensowenig unterkriegen wie die drei Männer.

Die Bewegung aller vier Tänzer lässt nichts zu wünschen übrig. Auch hier dankt das Forsythe-verwöhnte Publikum mit kräftigem Applaus.

Die sieben Tänzer von „From now on“ mit der Choreographie von Jacopo Godani, v.l.n.r.: Victoria Nowak, Vincenzo de Rosa, Felix Berning, Amanda Lana, Carola Sicheri, Barbora Kubátová, Tamás Darai 

Und dann im dritten Teil wieder eine andere, ganz neue scheinbar brave Welt. Und gleichzeitig eine Weltpremiere: Glitzernd, glatt, bewegungsfreudig, brillant und „From now on“ („Von nun an“), wie Jacopo Godani seine neue Choreographie nennt, scheint ein Gegenwarts- und Zukunftsprogramm zu sein: perfekt einstudiert, farbig schillernd bis hin zu den grellen Glitzerkostümen, körperbetont, voller Anspielungen auf das klassische Ballett mit Spitze, Spagat und Überwürfen einerseits, gleichzeitig aber auch  restlos „restless“. Ruhelos und rasend, dem Schicksal und dem schönen Schein hinterher rennend und bis zur völligen Erschöpfung. Erschöpft, aber glücklich sind denn auch am Ende die sieben Tänzer der Kompanie, die sich musikalisch und von der Energie von Steve Mackey’s zeitgenössischem Stück Physical Property aus dem Jahr 1992 haben anstecken lassen. Sie haben ihre rasend schnellen Bewegungsabläufe der großen Wucht der Musik mit großer Stärke auf der Bühne im Laufschritt entgegengestemmt…

Auch ihr Auftritt bekam völlig zu Recht Standing ovations. Auf die künftigen Aufführungen der Dresden-Frankfurter Kompanie kann man daher vor allem Eines sein: gespannt.

Schlussapplaus für die sieben Tänzer der Dresden Frankfurt Company, v.l.n.r.: Felix Berning, Viktoria Nowak, Amanda Lana, Vincenzo de Rosa, Barbora Kubátová, Carola Sicheri, Tamás Darai…

 

weitere Infos unter:

www.dresdenfrankfurtdancecompany.de

 

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