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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Binding-Kulturpreis für den Tigerpalast „Wir sind da angekommen, wo wir wollten – in Frankfurt“

Liberté, Égalité, Varieté

von Renate Feyerbacher

Was für eine stimmungsvolle, fröhliche und doch nachdenkliche Binding-Kulturpreisverleihung, die zum 23. Mal im Frankfurter Römer stattfand ! Ausgezeichnet wurde der Tigerpalast, das Internationale Varieté Theater, das am 30. September 1988 seine Eröffnung feierte und nun sein 30jähriges Jubiläum. Stolz wird erwähnt, dass es einzige nicht subventionierte Theater in der Mainmetropole ist. „Sie haben 23 Jahre gebraucht bis sie zu dieser Entscheidung kamen“, frotzelt Johnny Klinke in seiner Dankesrede.

Johnny Klinke und Margareta Dillinger, Alle Fotos: Renate Feyerbacher

Jazzsängerin Joan Faulkner „The Voice“, die bereits Anfang der 90er Jahre im Tigerpalast eine Heimat fand, feuerte mit ihrer gewaltigen Stimme die Gäste an – begleitet vom Ehemann, dem ungarischen Jazzpianisten Gustav Csik.

Nach der Begrüssung durch Oberbürgermeister Peter Feldmann -„Tigerpalast macht süchtig“-, erzählt Bergit Gräfin Douglas, die Vorsitzende der Binding  Kulturstiftung, dass sie kurz nach dem Tod ihres Mannes ihren Geburtstag mit Kindern und Enkeln im Tigerpalast feierte. Lust zum Feiern habe sie zwar nicht gehabt, aber mit dem Tigerpalast habe ihr neues Lebensjahrzehnt begonnen.

Oberbürgermeister a.D. Andreas von Schoeler hielt die Laudatio. Er sprang für den erkrankten Felix Semmelroth, Vorsitzenden des Kuratoriums der Binding Stiftung, ein.

Johnny Klinke und der frühere OB Andreas von Schoeler

Als Johnny Klinke, Margareta Dillinger und Kabarettist Matthias Beltz (* 1945-2002) 1986 den Tigerpalast gründeten, da waren aber bereits drei Jahre Planung und Informationsreisen voraus gegangen. Klinke und Beltz kannten sich aus der „Sponti“-Szene und waren bis zu Beltz‘ frühem Tod Freunde. Die Moderationen des Kabarettisten und Buchautors Matthias Beltz im Tigerpalast waren immer etwas Besonderes. Von Anfang an mit dabei ist auch Robert Mangold, der Geschäftsführer, Finanzminister wie er auch liebevoll genannt wird. Er ist zuständig für den gastronomischen Erfolg des Tiger-Restaurants, das bereits 1977 mit einem Stern und sechs Jahre später mit zwei Sternen geadelt wurde.

Zwei, die halfen bürokratische Hürden zu überwinden, waren Hilmar Hoffmann, der soeben verstorbene ehemalige Kulturdezernent dieser Stadt, und Ernst Gerhardt, der ehemalige Stadtkämmerer, der gerade 97 Jahre alt wurde.

Im  April 2014 waren noch anlässlich der Vorstellung des Buches „Die Kunst der Balance – 25 Jahre Tigerpalast in Frankfurt“ von Sabine Börchers Hilmar Hoffmann sowie sein Verleger mit von der Partie

Wenn man auf die Anfänge zurückblickt, so war die Idee so verrückt wie unrealistisch. Die Truppe hatte weder Geld, noch Erfahrung, noch ein Gebäude und nannte das Projekt Tigerpalast, weil 1986 das Jahr des Tigers war. Das leuchtet ein, denn der Tiger steht für Stärke, Energie, Mut und Risikobereitschaft. Aber wieso Palast? Das war natürlich ironisch gemeint – und als Gegenbild zu den Bankpalästen gedacht. „Eine der risikoreichsten Neugründungen im Kulturbereich…“, unkte das Hessische Wirtschaftsministerium damals. Durch harte Arbeit ist dann über die Jahre ein Palast entstanden. Das Gebäude, das ehemals der Heilsarmee als Kirche gedient hatte, liegt hinter der Zeil in der Heiligkreuzgasse, Frankfurt C, fast schon Offenbach, scherzt Johnny Klinke.

Es brauchte einige Zeit, bis dieser „Kulturpalast“, der schon 1988 30 feste Mitarbeiter hatte, mit 20 internationalen Artisten und Musikern aufwarten konnte und in der Bevölkerung ankam. Heute ist das Varieté-Orchester immer noch Abend für Abend live dabei und begleitet sensibel die Künstler. Lang ist die Liste der Gastspiele im Inland, zum Beispiel haben sich die Künstler an Hessentagen gezeigt und die hessische Landesvertretung in Berlin zur Einweihung beehrt. Immer wieder ist der Tiger unterwegs.

Ein Höhepunkt war der Historische Hochseillauf am 12. Juni 1994 anlässlich der 1200-Jahrfeier der Stadt. Da balancierte der Franzose Philippe Petit über das in 80 Metern Höhe gespannte Seil von der Paulskirche bis auf den Turm des Kaiserdoms. „Was machen wir, wenn er runter fällt?“ Frage des damaligen Oberbürgermeisters von Schoeler als der Wind stärker wurde. Klinkes Antwort: „Zurücktreten!“ Unvergesslich auch die Schau mit Königstiger Rambo.

Oleg Izossimov beim Festakt im Kaisersaal und David Jones vom Duo Daring Jones unter den Gästen

Zweimal an fünf Tagen in der Woche balanciert derzeit Equilibrist Oleg Izossimov, jonglieren die Schweizer Kris und Harrison Kremo, Vater und Sohn, der im Tigerpalast getauft wurde, schwebt das Duo Daring Jones aus Kalifornien, David Jones und seine Frau Blaze Birge, über den Köpfen von 170 Besuchern, die an kleinen Bistro-Tischen sitzen. 20 Personen finden noch Platz auf der Empore.

Derzeit dabei sind mit Taschenspielertricks und Illusionen auch die junge Berliner Luftartistin Linda Sander mit ihrem Vertikalseil, sowie Maestro Voronin, weltweit als „The Master“ bekannt. Für beide ist es der erste Auftritt im Tigerpalast. Die Kanadierin Valérie Inertie wirbelt mit dem Reifen tanzend über die Bühne und das Paar Menno & Emily präsentieren eine Choreographie von Tanz, Tango-Akrobatik und Jonglage. Die Jubiläums-Show mit anderen Top-Künstlern geht 2019 natürlich weiter.

Jede Künstlerin, jeder Künstler wird von Margareta Dillinger persönlich ausgesucht. Ausstrahlung ist für sie wichtig. Ihr Kriterium: Sie will berührt sein. Ein weltweites Künstlernetzwerk hat sie aufgebaut und wurde dafür als erste Frau im März 2018 mit dem Preis für ihr Lebenswerk auf dem internationalen Schweizer Varieté Festival ARTISTIKA ausgezeichnet.

Nathalie Enterline, die ehemalige Solotänzerin aus dem Pariser Lido, Symbol des Tigerpalasts genannt, war extra aus New York angereist, um Margareta Dillinger den LIVETIME ARCHIEVEMENT AWARD zu überreichen. Die Tänzerin darf natürlich in der Jubiläumsschau nicht fehlen. Sie wird  ab Dezember das Frankfurter Publikum begeistern.

GF Robert Mangold und Bergit Gräfin Douglas im Kaisersaal

Nicht nur die Kunst auf der Bühne und in der Luft sind berauschend, sondern auch die Kunst, den Gaumen zu verwöhnen. Als Tiger-Gourmetrestaurant steht für die Spitzengastronomie das zum Haus gehörende Lafleur im Palmengarten, wo der Zwei-Sterne Koch Andreas Krolik kulinarisch zaubert, und verantwortlich nicht nur für das Café Siesmayer, sondern auchChef aller kulinarischen Einrichtungen ist Geschäftsführer Robert Mangold.

Drei große Versuchungen, den Tigerpalast aus Frankfurt weg zu lotsen, gab es auch. So lockten das Lido in Paris, der Potsdamer Platz in Berlin und das Capitol in Offenbach. Klinke, Dillinger, Mangold blieben standhaft und Frankfurt treu: „Wir sind da angekommen, wo wir wollten – in Frankfurt.“, so Johnny Klinke bei seiner Dankesrede im Römer.

Was für eine Erfolgsgeschichte! Aber the show must go on… Showzeiten sind zwei Mal täglich von Mittwoch bis Sonntag.

 

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