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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Medeas Liebe und die Jagd nach dem Goldenen Vlies“ im Liebieghaus

Wenn innige Zuneigung in mörderische Rache umschlägt

Von Hans-Bernd Heier

Einer der wichtigsten und erschütterndsten Mythen der griechischen Sagenwelt ist die gefährliche Argonauten-Fahrt zum antiken Kolchis, der Raub des „Goldenen Vlieses“ und Medeas und Jasons große Liebe. Es ist die Geschichte eines märchenhaften Abenteuers und einer innigen Zuneigung, die mit einem fürchterlichen Verhängnis endet. Die Liebieghaus Skulpturensammlung greift in der umfangreichen Sonderausstellung „Medeas Liebe und die Jagd nach dem Goldenen Vlies“ diesen verästelten Mythos auf. Originale griechische und römische Skulpturen, Vasen, Bilder sowie Wandmalereien aus den Vesuv-Städten Pompeji und Stabiae (eine römische Siedlung am Golf von Neapel) illustrieren diese antike Tragödie, die Literaten, Komponisten, Ballettmeister, bildende Künstler und Filmemacher bis in die Gegenwart inspiriert.

Pelias erkennt Jason, Wandgemälde aus Pompeji, 1. Jahrhundert n. Chr., Höhe 190 cm, Breite 142 cm; Museo Archeologico Nazionale di Napoli; © National Archaeological Museum of Naples

Insgesamt sind in der exzellenten Schau, die chronologisch mit raffinierter Dramaturgie diesem spannungsgeladenen Heldenepos folgt, rund 280 Exponate versammelt, darunter etwa 130 Artefakte aus Georgien, auf dessen Staatsgebiet die antike Kulturlandschaft Kolchis vermutet wird.Dass Georgien mit dem mythischen Königreich Kolchis und seinem legendären Goldreichtum in Verbindung gebracht wird, ist wenig verwunderlich, da eine der ältesten Goldminen und Stätten der Goldverarbeitung dort entdeckt wurden. Neuere Forschungen beweisen die überragende Bedeutung der Goldgewinnung für die Kultur des frühen Georgien und belegen seinen Goldreichtum, der sich in der Geschichte vom Goldenen Vlies niederschlägt.

Kette mit edelsteinbesetzten Anhängern und Widderkopf, 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr., Gold, Türkis, Granat, Amethyst; Tiflis, Georgisches Nationalmuseum, Tiflis; © Georgisches Nationalmuseum

Anlässlich des Auftritts der Republik Georgien als Ehrengast der diesjährigen Frankfurter Buchmesse werden herausragende Bronze- und Goldobjekte aus dem Georgischen Nationalmuseum präsentiert. Die kunstvoll gearbeiteten, filigran jahrtausendealten Schmuckstücke untermalen die uralte Schilderung von Medeas Heimat, der „goldreichen Kolchis“. Die Gestaltung der bronzezeitlichen Waffen, Gefäße und goldenen Schmuckobjekte ist von außergewöhnlicher Schönheit und zeugt von höchster Handwerkskunst. Ergänzt werden diese Exponate durch bedeutende Leihgaben aus dem British Museum in London, dem Museo Archeologico Nazionale in Neapel, dem Louvre in Paris und den Vatikanischen Museen in Rom sowie aus eigenen Beständen der Liebieghaus-Sammlung.

Schläfenschmuck mit Pferde-Anhängern, Fund von Akhalgori (Innerkartli), 4. Jahrhundert v. Chr., Gold, Höhe 13 cm; Georgisches Nationalmuseum, Tiflis; © Georgisches Nationalmuseum

„Seit Tausenden von Jahren berührt die Figur der Medea die Menschen, den antiken Bürger ebenso wie uns heute. Durch den klassischen Tragödiendichter Euripides wurde sie in eine heute noch gültige Form gegossen. Kaum einer weiß jedoch, dass ihre Geschichte aufs engste geografisch mit dem heutigen Georgien verbunden ist. Wir freuen uns, nun in Zusammenarbeit mit der Republik Georgien den gesamten Ablauf von glücklichem Abenteuer und unglücklicher Liebe anhand bedeutender Bildwerke der Antike und des berühmten georgischen Goldschatzes nacherzählen zu können“, sagt Dr. Philipp Demandt, Direktor der Liebieghaus Skulpturensammlung.

Phrixos auf dem Widder, Apulien, 4. Jahrhunderts v. Chr., Ton, Höhe 17,5 cm, Breite 47,5 cm, Tiefe. 47 cm; Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatliche Museen zu Berlin, Antikensammlung; © SMB/Antikensammlung; Foto: Johannes Laurentius

Zu Beginn der Präsentation, die in acht Kapiteln klar gegliedert ist, berichten Vasen, Reliefs und Wandgemälde von der Vorgeschichte der antiken Sage. Sie zeigen Phrixos und Helle, die auf dem Rücken des Chrysomallos, eines fliegenden Widders mit goldenem Fell, vor ihrer Stiefmutter fliehen. Nur Phrixos jedoch erreicht sicher das ferne Kolchis, während seine Schwester Helle im Flug den Halt verliert und im Meer ertrinkt. In Kolchis angekommen, verlangt Chrysomallos, dass Phrixos ihn Zeus opfern solle. Sein goldenes Fell schmückt fortan den Wald im Heiligtum des Kriegsgottes Ares.

Campanarelief: Bau der Argo, Römisch, Porta Latina, um 100 n. Chr, Ton, Höhe 63,5 cm, Breite 56 cm; Foto: © The Trustees of the British Museum

Danach begegnet der Besucher dem Protagonisten des übermenschlichen Abenteuers: Jason. Ein zentrales Meisterwerk der antiken Malerei, ein Wandgemälde aus Pompeji (um 10. n. Chr.), zeigt den Moment, in dem Jason in Iolkos zum ersten Mal seinem Stiefonkel Pelias begegnet, der Jasons Vater vom Thron vertrieben hat. Um sich Jasons zu entledigen, verspricht Pelias ihm die Krone, wenn er ihm aus Kolchis das Goldene Vlies bringe – eine kaum mögliche Aufgabe.

Jason begibt sich danach auf die abenteuerliche Expedition nach Kolchis; unterstützt wird er dabei von den Göttinnen Hera, Athena und Aphrodite. Athena etwa überwacht den Bau der Argo, eines Schiffes mit übernatürlichen Kräften. Begleitet wird Jason von Heroen mit besonderen Begabungen – unter ihnen Herakles, der Sänger Orpheus, der Seher Mopsos, die geflügelten Brüder Zetes und Kalais sowie die Zeussöhne Kastor und Polydeukes.

Ausstellungsansicht der „Faustkämpfer“, Bronzestatuen; ©Liebieghaus Skulpturensammlung

Auf ihrer Fahrt bestehen die Argonauten zahlreiche Abenteuer, die anhand von griechischen Vasenbildern und Bronzekunstwerken veranschaulicht werden. So muss sich etwa Polydeukes dem gewaltigen König der Bebryker, Amykos, im Faustkampf stellen. Diese Begebenheit ist in den berühmten, lebensechten Bronzestatuen von Polydeukes und Amykos nachzuvollziehen, deren Rekonstruktionen in der Ausstellung erstmals zu sehen sind. Damit präsentiert  die Schau die neuesten Forschungsergebnisse zu griechischen Mythenbildern, insbesondere zur Argonauten-Sage: Seit ihrer Auffindung 1885 ist die Deutung der berühmten Bronzen vom Quirinal, des sog. „Faustkämpfers“ und des sog. „Thermenherrschers“, umstritten. „Untersuchungen im Kontext der vom Liebieghaus betriebenen Polychromieforschung haben neue Erkenntnisse zur formalen und erzählerischen Gestaltung der beiden Bronzen erbracht und ihre Deutung als Darstellung eines der zentralen Abenteuer der Argonauten-Sage bestätigt. Dadurch rückt die Gruppe in den Fokus des Ausstellungsprojektes, für das ein aufwendiger Nachguss der Statuen realisiert wurde“, erläutert Prof. Vinzenz Brinkmann, Kurator der Ausstellung und Sammlungsleiter der Antikensammlung am Liebieghaus. Der faszinierende Nachguss wurde übrigens von dem Städelschen Museumsverein finanziert.

Der geschlagene Amykos; Liebieghaus Skulpturensammlung; Foto: Vinzenz Brinkmann

Im zentralen Raum der Ausstellung können Besucher den sprichwörtlichen Goldreichtum des fernen und märchenumwobenen Kolchis bewundern, dem auch die Argonauten bei ihrer Ankunft begegneten. Der Mythos geht nun seinem Höhepunkt entgegen: Antike Vasen aus Athen und dem griechischen Süditalien berichten von der Liebe der kolchischen Königstochter Medea zu Jason und wie sie mithilfe ihrer Zauberkraft den Drachen einschläfert, der das Goldene Vlies bewacht, damit ihr Geliebter das kostbare Objekt an sich nehmen kann.

Medea betäubt den Drachen und Jason raubt das Goldene Vlies, Apulischer Volutenkrater, um 310 v. Chr., Ton, Höhe 70 cm; Museo Archeologico Nazionale di Napoli, Neapel

Nach langer Irrfahrt erreichen die Argonauten mit Jason und Medea Iolkos. Da König Pelias inzwischen Jasons Vater ermordet hat, vernichtet Medea den Pelias mit List und Zauberkraft, indem sie seine Töchter glauben macht, sie könnten ihren Vater zerstückelt in einem Kochkessel verjüngen. Die Kopie eines berühmten Reliefs aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. zeigt diese grausame Szene.

Medea mit dem Schwert, mit dem sie ihre eigenen Kinder umbringen wird; Wandgemälde aus der Villa Arianna in Stabiae, 1. Jahrhundert n. Chr., Fresco- und Seccotechnik auf Putz; © Museo Archeologico Nazionale di Napoli, Neapel

Medea und Jason müssen danach Iolkos verlassen und fliehen nach Korinth, wo König Kreon sie aufnimmt. Obwohl das Paar verheiratet ist und zwei Söhne hat, wünscht sich Kreon Jason als Thronerben und Bräutigam seiner  Tochter Kreousa. Dieser Verlockung kann Jason nicht widerstehen. Medeas anfängliche Trauer ob dieser ungeheuren Treulosigkeit wandelt sich in mörderische Wut und sie übt unvorstellbare Rache an Jason und seiner neuen Braut Kreousa. Zwei Vasen aus den Staatlichen Antikensammlungen in München und dem Pariser Louvre sowie Wandgemälde zeigen Medeas schreckliche Taten: Sie schickt Kreousa ein Brautgewand, das beim Anlegen in Flammen aufgeht und die Braut bei lebendigem Leib verbrennen lässt. Schließlich kommt es zu dem Unfassbaren: Medea tötet ihre eigenen Kinder mit dem Schwert. Während sie im Schlangenwagen des Sonnengottes Helios, ihres Großvaters, flieht, soll sich Jason das Leben genommen haben. Damit findet das außerordentlich dramatische Epos sein blutiges Ende.

Informative Wandtexte, Erläuterungen auf Laufbändern sowie Videos erleichtern Besuchern die Reise durch die packende Argonauten-Legende.

Gefördert wird die exzellente Liebieghaus-Präsentation durch die Hessische Kulturstiftung, die Stadt Frankfurt am Main und das Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Sport Georgiens; mitzusätzlicher Unterstützung der Georg und Franziska Speyer’schen Hochschulstiftung.

„Medeas Liebe und die Jagd nach dem Goldenen Vlies“ ist bis zum 10. Februar 2019 in der Liebieghaus Skulpturensammlung zu sehen; weitere Informationen unter: www.liebieghaus.de

Alle Abbildungen: Liebieghaus

 

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