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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Tri Sestry“ von Peter Eötvös in der Oper Frankfurt

Leere, Bedeutungslosigkeit, Einsamkeit, Verlustgefühl und Sehnsucht nach Moskau

von Renate Feyerbacher

Fotos:  Monika Rittershaus

Der ungarische Komponist Peter Eötvös und das künstlerische Team wurden bei der Premiere am 9. September in der Oper Frankfurt begeistert gefeiert. Schon seine Oper „Der Goldene Drache“ fand in Frankfurt 2014 große Zustimmung, weniger dagegen „Angels in  America“ 2009 im Bockenheimer Depot.

Peter Eötvös vor der Premiere, Foto: Renate Feyerbacher

Der Text  des Werkes „Tri Sestry“ – „Drei Schwestern“, verfasst von Claus H.Henneberg und dem Komponisten, beruht auf dem gleichnamigen Drama von Anton Tschechow von 1901. Die Handlung wurde nicht chronologisch übernommen, Tschechows Schlussgedanken stecken im Prolog, aber seine Gefühlsregungen, seine Grundstimmung prägen geradezu vertieft das Geschehen der Oper.

Der Komponist Peter Eötvös wurde 1944 in Transsilvanien (Siebenbürgen – heute Rumänien) geboren. Sein Vater, ein ungarischer Soldat, desertierte und floh mit Familie nach Deutschland, wo er am 13. Februar 1945 zu Beginn der Bombardierung in Dresden ankam.

Im Gespräch vor der Premiere, betitelt „Die Welt mit Klängen beschreiben…“, erzählt er, wie es zu dieser Oper kam. Jahrelang hatte er nicht für die Bühne komponiert. Kent Nagano, damals musikalischer Leiter der Opera national de Lyon, hatte ihn Mitte der 80er Jahre angeregt, eine Oper zu schreiben. Lange hat er überlegt, denn er habe sich in seinem Dirigentendasein „pudelwohl“ gefühlt. Früher habe ihn die Oper als Theaterform nie interessiert. Vielleicht hat ihn auch die ungute chaotische Epoche als Korrepetitor an der Kölner Oper 1966-68  abgeschreckt. Für mich war das Kölner Haus als Kind und Jugendliche der Einstieg in die Opernwelt. Das war vor dieser Zeit.

Doch zunächst nochmal ein Blick zurück auf seinen Werdegang: mit 14 Jahren wird er vom ungarischen Komponisten Zoltán Kodály (1882-1967) in die Budapester Musikakademie aufgenommen. Sieben Jahre später, da ist er 21 Jahre, hat er sein Komponistendiplom in der Tasche. Ein Jahr später erhält er ein DAAD-Stipendium zum Dirigierstudium an der Musikhocheule Köln, dessen Diplom er nach zwei Jahren in Händen hält. Danach ist er viele Jahre Mitglied des Stockhausen-Ensembles, vom Komponisten Karlheinz Stockhausen (1928 -2007), bekommt Kontakt mit Helmut Lachenmann (*1935), wird vom französischen Komponisten Pierre Boulez (1925 -2016) nach Paris eingeladen. Von diesen Komponisten habe er viel gelernt.

1971 war Peter Eötvös nach Deutschland übergesiedelt, lebt nun aber seit 14 Jahren wieder in Budapest, wo er sich auch seiner Stiftung widmet. Viele Auszeichnungen nennt er sein eigen: zuletzt 2007 Musikpreis Frankfurt,  2011 Goldener Löwe auf der Biennale musicale di Venezia, 2015 Ungarischer Sankt-Stephans Orden, 2018 Goethe Medaille, verliehen vom Goethe-Institut.

Den entscheidenden Impuls für „Tri Sestry“ habe ihm Sohn Gyuri gegeben, der ihn an sein großes literarisches Wissen erinnerte und ihm zu Tschechows Drei Schwestern geraten hatte. Der 1994 verstorbene Sohn sollte recht behalten. Es war genau das Sujet, das der Komponist gesucht hatte. In ihm verarbeitete er auch seinen Schmerz, sein Verlustgefühl. Am 13. März 1998 wurde die Oper in Lyon uraufgeführt.

unten: v.l.n.r. Krešimir Stražanac (Tusenbach), Ray Chenez (Irina), Mark Milhofer (Doktor) und Alfred Reiter (Anfisa) sowie oben Orchester

Ein Gespräch mit dem Komponisten hatte auf die Aufführung in Frankfurt gut vorbereitet: Über dem eigentlichen Bühnenbild – links Spielgeräte im Garten, rechts der Wohnraum der drei Schwestern – thronte das Orchester mit etwa 50 Mitgliedern des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters unter Leitung des Frankfurter Kapellmeisters Nikolai Petersen. Im Orchestergarben musizierten unter Leitung von Dennis Russell Davies sowohl 18 Ensemblemitglieder als auch Gäste. Als Gast im Graben musizierte auch die Akkordeonistin Eva Zöller – eine Meisterin ihres Faches. Vom Akkordeon sagt sie „es berührt die Menschen, weil es selbst so ,menschlich‘ ist. Es atmet und ist wie kein anderes Instrument mit dem Körper des Interpreten verbunden.“ (Zitat auf der Homepage) Mit diesem Instrument beginnt denn auch die Oper. Für Eötvös ist der „russische Klang“, der eine Art Kulisse für Russland darstellt, mithin der Ausdruck der russischen Seele.

 Ray Chenez (Irina), David DQ Lee (Mascha), Mikolaj Trabka (Andrei) und Dmitry Egorov (Olga)

Nur Männer singen in den Drei Schwestern, die nach dem Tod der Eltern gemeinsam mit dem Bruder, dessen herrischer Ehefrau und der alten Amme in einer russischen Provinzstadt leben. Vor elf Jahren zogen sie hier hin. „Vater starb vor einem Jahr“, so stellt Olga, die Lehrerin, die Handlung in einen Zeitrahmen. Die Lebenszeit einer Generation wird deutlich.

Das Leben ist gekennzeichnet von Langeweile, Leere und Einsamkeit. Beherrscht werden alle von der Sehnsucht nach Moskau. Irina: „Ich habe immer darauf gewartet, nach Moskau zu ziehen und dort dem passenden Mann zu begegnen.“ Olga, die älteste, ist eine Art Mutterersatz. Sie rät Irina, der jüngsten, Baron Tusenbach zu heiraten. Das will sie auch und mit ihm die Stadt verlassen. Aber er verliert sein Leben im Duell mit Soljony, der auch Irina umwirbt. Die Einundzwanzigjährige ist voller Frust, dem sie auch manchmal freien Lauf lässt. Trotzig, fast ungehörig, poltert sie manchmal über die Bühne. Natascha, Andreis Frau, die einen Liebhaber hat, will Irina außerdem noch aus ihrem Zimmer vertreiben und es ihrem Sohn Bobik geben.

Mascha, 29 Jahre alt, steht im Mittelpunkt der dritten Sequenz der Oper. Sie ist mit dem Lehrer Kulygin verheiratet. Da war sie 18 Jahre. Sie hat sich aber in den Kommandanten Werschinin und er sich in sie verliebt. Jedoch steht der Abschied bevor. Er kannte den Vater der vier Geschwister, der sein Vorgesetzter in Moskau war. Die Soldaten, die immer wieder Gast im Hause waren, ziehen ab. Das Leben im Hause wird noch öder .

In der zweiten Sequenz, eingebettet zwischen dem Fokus auf die Schwestern, steht Andrei im Mittelpunkt. Sein Traum von einer Karriere an der Universität ist vorbei. Seine Trägheit, über die sich die Schwestern beschweren, hat ihm das mit eingebrockt. Um Natascha, die alle beherrschen will, kämpft er nicht. Er wurde vom Träumer zum betrogenen Ehemann und Vater.

Für jede Figur hat Peter Eötvös ein Instrument bestimmt: für Irina die Oboe, für Olga die Altflöte, für Mascha die Klarinette, für Natascha das Saxofon, Blechinstrumente für die Soldaten und für Soljony das Schlagzeug. Die Musik fordert dazu auf, genau hinzuhören.

v.l.n.r. David DQ Lee (Mascha) und Alfred Reiter (Anfisa)

Die weiblichen Hauptfiguren sind mit Countertenören besetzt. Das abstrahiert die Handlung, ist aber überzeugend und erinnert an Barocktheater oder an das japanische Kabuki-Theater. Es geht dem Komponisten um die Zustände von Menschen schlechthin, unabhängig vom Geschlecht.

In der zweiten Aufführung in Düsseldorf 1999 und 2000 wurde „Tri Sestry“ in Deutsch und von Sängerinnen gesungen. Das sagte dem Komponisten nicht zu. So gibt es nun zwei Fassungen, über die in der Musikwelt und beim Publikum nach wie vor diskutiert wird.

Auf der Bühne in Frankfurt jedenfalls standen vier vorzügliche Countertenöre: Dmitry Egorov, immer wieder Gast an der Oper, als Olga, der Kanadier David DQ Lee, erstmals in einer Neuproduktion dabei als Mascha, die gebürtigen Amerikaner Ray Chenez als Irina und Eric Jurenas als Natascha, eine Rolle, die er bereits in Wien sang. Beide gaben ihr Debüt an der Oper Frankfurt. Alle Countertenöre sind vielfach ausgezeichnet und international aktiv. Überzeugend auch ihre ‚weibliche‘ Darstellung. Amme Anfisa, die nach 30 Jahren Dienst von Natascha aus dem Haus gewiesen werden soll, wird von Ensemblemitglied, dem Bassisten Alfred Reiter, gesungen.

Der polnische Bariton Mikolaj Trabka begeistert in der Rolle des Andrei, ein unglaublich emotionaler Moment. Der kroatische Bassbariton Kresimir Strazanac als Tusenbach, der englische Tenor Mark Milhofer als Doktor – beide erstmals an der Oper Frankfurt gastierend – sowie die Ensemblemitglieder Barnaby Rea als Soljonoy, Thomas Faulkner als Kulygin, Isaac Lee und Micheal Mc Cown in kleinen Rollen und Iain MacNeil als Werschinin aus dem Opernstudio – eine echte Überraschung. Die Internationalität  und hohe Kunst der Sänger an der Oper Frankfurt zieht immer wieder in Bann.

Eine Meisterleistung haben auch die Dirigenten Dennis Russell Davies und Nikolai Peters mit dem eindringlich spielenden Doppelorchester der Oper Frankfurt  vollbracht, denn die beiden konnten sich nur über Bildschirme sehen. Davies ist fasziniert von der Musik, die er diffizil nennt, bei der aber gelegentlich auch „die Post abgeht“. Das Zuhören sei nicht einfach, räumt er ein. Die Musik sei jedoch hervorragend für Sänger geeignet, was in zeitgenössischen Opern oft nicht der Fall sei, sagt Petersen.

Last but not least  ist der Regisseurin Dorothea Kirschbaum, seit 2013 Regieassistentin an der Oper Frankfurt, ein schlüssiges und eindrucksstarkes Konzept gelungen. Die Führung der Figuren ist überzeugend. Unterstützt wurde sie vom Bühnenbildner Ashley Martin-Davis und Kostümdesignerin Michaela Barth sowie von dem Lichtgestalter Joachim Klein und der Videogestalterin Christina Becker. Sie alle sind dem Hause schon länger verbunden.

Alles in allem ein fesselnder, nachdenklicher Opernabend mit großer Wirkung auf den Zuschauer. Eötvös wollte schließlich keine Familiengeschichte erzählen, sondern durch Klang Emotionen wecken. Aber komödiantisch, wie er im Vorgespräch mal sagte, ist das Werk wohl kaum. Selbst der betrunkene Doktor, der komödiantische Spuren erkennen lässt, ist eher eine tragische Figur.

„Oh, wie die Musik erklingt! Ich höre sie verhallen mit einem, der ging – verstummt, für immer und ewig,“ so Olga im Prolog.

Sehr bewegt waren die Menschen nach der Aufführung.

Weitere Vorstellungen mit deutschen und englischen Übertiteln am 14., 20., 23., 30, September zuletzt am 3. Oktober 2018

 

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