Impressionen vom Saisonstart 2018 der Frankfurter Galerien (2)
Galerie Maurer: Birgitta Weimer
Galerie Parkhaus-wk-16: Laura Nickel
Kunstraum KA:OST: Sascha Boldt, Hans Petri, Jörg Simon
Von Erhard Metz
55 Galerien und Ausstellungsorte am vergangenen Wochenende aufzusuchen schafft auch bei allerbesten Vorsätzen vernünftiger Weise niemand. Unser Weg der Rückbetrachtung führt uns nach unseren „ersten Impressionen“ heute in die Fahrgasse, die Walter-Kolb-Straße und die Hanauer Landstraße. Wir treffen dort sowohl auf eine geschätzte bekannte Künstlerin und auf drei in Frankfurt und Rhein-Main bekannte Künstler wie auch auf eine hoch interessante neue fotografische Position.
Birgitta Weimer – „Spukhafte Fernwirkung“
Weder Physikunterricht erwartet uns bei Brigitte Maurer noch eine Lehrstunde über Albert Einsteins berühmte Aussage zur „spooky action at a distance“. Aber der heute in Köln arbeitenden Künstlerin, die uns bereits im Herbst 2013 in ihrer Ausstellung „Reflecting Space“ von allerlei Zellteilungen, Medusen und Kugelsternhaufen kündete, gelingt es doch, uns die Phänomene der Quantenmechanik und der Verschränkung auf künstlerisch-fantasievolle Weise näher zu bringen.
Hyperobject Studies (3), 2018, Kunststoff beschichtet, Spiegel, 120 x 120 x 40 cm
In der Tat wechselwirken in den Räumen die Exponate auf eine Weise, dass der Betrachter mitunter gar nicht mehr recht den Überblick über das galeristische Geschehen zu wahren vermag: In all den Spiegeln verdoppeln und vermehrfachen sich auch fernere Objekte, sie treten aus den Spiegelflächen dem Betrachter entgegen und auch wiederum nicht, so dass er sich klammheimlich, mit dem Finger über eine der Kugelobjekte fahrend, deren realer Existenz im vexierendes Spiegelbild versichern will.
Emergentblau, 2018, Wandobjekt, Acrylglas, Spiegel, Glas, 32 x 32 x 10 cm (gespiegelt Arbeiten der Werkreihe „Ambient“, rechts sichtbar „Wahrscheinlichkeitswolken 3“)
Was ist, was scheint zu sein, was ist nicht: zu einem spannungsreich-experimentellen Erlebnis gerät dem Besucher allemal der Ausstellungsparcours, und den Pressefotografen vermag ob seiner kaum zu bewältigenden Herausforderung, das Gesehene festzuhalten, schier die Verzweiflung zu packen. Mit der „spukhaften Fernwirkung“ knüpft die zwischen den schönen Künsten und den Naturwissenschaften wandernde Künstlerin nicht minder bemerkenswert an die erwähnte fulminante Ausstellung „Reflecting Space“ an.
Hyperobject Studies (Bardo), 2018, Diptychon, Kunststoff beschichtet, Spiegel, 120 x 240 x 40 cm
Fotos: Erhard Metz
Galerie Maurer, bis 13. Oktober 2018
Laura Nickel – Fotografien
Dass es nach einem an Fotografieausstellungen fast schon überreichen Sommer doch noch etwas auf diesem Feld zu erkunden gibt – wer hätte es gedacht: Die Frankfurter Fotografin Laura Nickel erscheint uns da als eine echte Neuentdeckung, und die seit rund drei Jahren mit Kunst, Getränken und Disco aufwartende Galerie von Eric Kerschbaumer, der weder Blumen noch Kühe noch Wiesen ausstellen mag, nicht minder.
Laura Nickel, die unter dem Label „Serious“ auf ihrer Website hoch anspruchsvolle Porträtfotografie anbietet, spielt als „freie“ Künstlerin mit ihren „Objekten“, schichtet und überlagert sie analog und digital, übermalt und „überfotografiert“ sie von Papier und Monitor mal um mal zur Verfremdung bis hin zur Unkenntlichmachung. Hier ist es die erfolgreiche Schauspielerin Paula Hans, bis 2017 Ensemblemitglied am Schauspiel Frankurt und dort weiter noch Gast, mit der sie ein launisch-neckisches experimentelles Spiel treibt. Der Schauspieler und Regisseur Julian F. Bisesi schrieb das Gedicht zu dem dreiteiligen Bilderzyklus.
Blumengedichte
Blumengesichter, am Hang vor dem Haus
Blumengeschichten, ich ziehe mich aus
Blumengeschwister, du machst Dir nichts draus
Blumenvernichter, mit uns ist es aus.
(von Julian F. Bisesi)
Freude am experimentierenden Spiel ist also zweifellos dabei, vielleicht sehen wir im Werk der Künstlerin auch eine Auseinandersetzung mit der Schauspielerei, dem Rollentausch, der Maskerade der Menschen – auf der Bühne wie im richtigen Leben. Oder gar bei sich selbst?
Laura Nickel, 1982 in Frankfurt am Main geboren, wo sie lebt und als Fotografin arbeitet, studierte Visuelle Kommunikation an der Hochschule für Gestaltung (HfG) in Offenbach. Wir sind gespannt auf ihre künftigen Arbeiten.
Fotos © Laura Nickel
Ausstellungsraum Parkhaus-wk-16, bis 13. Oktober 2018
Kunstraum KA:OST
„WILD AT ART – Geisterfahrer“
Die Arbeiten gleich dreier in Frankfurt, Rhein-Main und darüber hinaus bekannter Künstler stellt Wolfgang Raith in seinem Raum für Gegenwartskunst mit den Schwerpunkten Fotografie, Malerei, Performance und Objektkunst aus. Sascha Boldts, Hans Petris und Jörg Simons Bilderwelten, so der Galerist, „bewegen sich zwischen persönlichen Einblicken in ein privates Leben, Obsession, Authentizität, politischer Aufreibung und intuitivem NichtDenken. Erinnerung, Vergangenheit, Zeit und ikonografische Symbole verschmelzen zu einem explosiven, kollektiven Gedankenspiel. Die Direktheit der Arbeiten provoziert.“
Sascha Boldt – Hybrid Constructions
Auch in seinen aktuellen Arbeiten greift Sascha Boldt Logos, Piktogramme und alltägliche Werbe- wie auch Warnbotschaften aus dem realen wie auch medialen Geschehen auf. All diese bildnerischen Versatzstücke komponiert er als Elemente einer Welt der comikbunten Pop-Kultur zu einer Bildkomposition zunächst auf dem Computer, die er später auf die Leinwand überträgt und dort weiter übermalt – ein Prozeß gesellschafts- und selbstkritischer Reflexion und Überprüfung eigener Wahrnehmungsmöglichkeiten.
↑ Water Source Issues, 2018, Mixed media on nettle, 110 x 75 cm
↓ The great Wafe 2.0, 2018, Mixed media on nettle, 65 x 65 cm
Großartig das Zitat des weltbekannten Motivs von Katsushika Hokusais „Großer Welle vor Kanagawa“: ein schier alles verschlingendes Monster in einer hemmungslosen Welt von Werbung und Konsum.
Der in Bremen gebürtige Sascha Boldt studierte an der Kunstakademie Düsseldorf freie Kunst bei den Professoren Markus Lüpertz und Albert Oehlen; Boldt lebt und arbeitet in Berlin und Frankfurt am Main.
Fotos: Erhard Metz
Hans Petri – „Zwischenzustände des Erinnerns“
Es ist nun einmal so: Der Städelschulabsolvent bei den Professoren Per Kirkeby und Georg Herold fotografiert mit einiger Obsessivität vor allem junge Frauen, seine Fotos trägt er packenweise in den Seiten- und Gesäßtaschen seiner Hosen mit sich herum, be“sitzt“ sie wortwörtlich, die Papiere verkratzen und verknicken, ihre Oberflächen zerbröseln über die Monate und Jahre. Eine radikale Form von „Besitz“ also, von Benutzen. Aber auch eine Leidenschaft, eine innige Beziehung zu den Motiven. Wir denken an Hans Petris wunderbare „Maria“ in der Weißfrauen Diakoniekirche Frankfurt.
Diese mit sich getragenen Fotopapiere im Standardformat 9 x 13 cm vergrößert der Künstler nun auf 70 x 105 cm. Es entstehen beschädigte, „verwundete“, aber auch zarte, ja zärtliche Bildnisse in völlig neuen ästhetischen Dimensionen.
↑ Ur-TL-b-2005 (hd-rot/Gfahrer), 2018, 70 x 105 cm
↓ Ur-TL-b-2014 (tl-Schreibtisch/Gfahrer), 2018, 70 x 105 cm
Wir publizieren hier eher – pardon – „harmlose“, nicht „grenzwertige“ Aufnahmen und denken an die von Balthus (derzeit läuft eine Ausstellung in der Baseler Fondation Beyeler) ebenso häufig wie grenzwertig gemalte „Thérèse“. Und vor allem fällt uns Miroslav Tichý ein, der bizarr-obsessive Fotograf, dem der frühere Direktor des Museums für Moderne Kunst, Udo Kittelmann, von März bis August 2008 eine große Einzelausstellung in diesem Haus widmete: „Tarzan in Pension“ – Spanner, Spinner, Samurai? Miroslav Tichýs Fotografien im Frankfurter MMK.
Fotos: Erhard Metz
Jörg Simon
Jörg Simon, wie Laura Nickel Absolvent der Hochschule für Gestaltung (HfG) Offenbach im Fach Visuelle Kommunikation, ist in der Ausstellung mit Collagen und Fotografien vertreten. In ersteren verwendet er vorgefundenes und ausgewähltes Bildmaterial, welches er auf MDF-Platten zu seinen Bildmotiven zusammenstellt.
↑ ohne Titel, Collage, 40 x 60 cm
↓ ohne Titel, Fotoarbeit auf Forex, Auflage 3, 40 x 60 cm
Der Künstler übt auch ein Stück Gesellschafts- und Medienkritik. Man kann lange suchen nach einem Fernsehspiel, das ohne Revolver oder Pistole auskommt, ganz zu schweigen von den sogenannten Krimis. Auch seine Fotografien „haben es in sich“: Sie sind, wie Jörg Simon ausführt, aus alten Porno-Heften aus dem Nachlaß des hochbetagt gestorbenen Künstlers Hans Weil abfotografiert, und zwar übereinander geblendet von der Vorderseite und der durchscheinenden Rückseite. „Natürliche Doppelbelichtungen“ nennt er die so entstandenen, transparent wie vor allem auch sehr malerisch wirkenden Bildschöpfungen.
Jörg Simon wie auch Hans Petri leben und arbeiten in Frankfurt am Main.
Fotos: Erhard Metz
Kunstraum KA:OST, bis 6. Oktober 2018
Abgebildete Werke © jeweilige Künstlerinnen/Künstler
→ Impressionen vom Saisonstart 2018 der Frankfurter Galerien (3) – Künstlerduo Winter/Hoerbelt
→ Impressionen vom Saisonstart 2018 der Frankfurter Galerien (1)